Institut für Politikwissenschaft

 

Forum 5: Angestellte und Gewerkschaften – Überwindung von Distanz?

 

Birgit Steinborn

Vorsitzende des Betriebsrats NL Hamburg

 

Erfolg durch Beteiligung -

Betriebsratsarbeit bei der Siemens AG, Niederlassung Hamburg

 

1. Ausgangslage

 

Die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts erlebt einen tiefgreifenden Strukturwandel und stellt alle Akteure, wie GewerkschafterInnen und Betriebsräte, vor neue Herausforderungen.

In der (Siemens-) Arbeitswelt tritt der Strukturwandel besonders hervor:

         in dem Wegfall von Betriebsgrenzen und dem Wandel der Betriebsstrukturen und Organisationsformen hin zu kleinen Einheiten vor Ort, die vertikal gesteuert werden sowie ausgegliederten Unternehmen:

        Die Siemens Niederlassung Hamburg ist als Gemeinschaftsbetrieb zu sehen. Für sieben ausgegliederte Betriebe (Siemens-eigene GmbH‘s), mit eigenen Tarifverträgen ist der Betriebsrat einheitlich zuständig.

         Hier sind außerdem 9 Bereiche vertreten, die nebeneinander bestehen, ihre eigene Organisationsstruktur und Geschäftsziele haben und bundesweit vertikal organisiert sind. Teilweise gibt es keine Entscheider auf Managementseite mehr vor Ort.

         Es gibt keine Geschäftsleitung mehr am Standort, lediglich eine Betriebsleitung ohne wirtschaftliche Weisungsbefugnis an die verschiedenen Bereiche.

·        In permanenten Umstrukturierungen der Organisation mit der Folge des Abbaus von Personal.

       in dem Wandel der Beschäftigungsverhältnisse, weg von einfachen Lohnempfängertätigkeiten hin zu hoch qualifizierten Angestelltenfunktionen.

         In der Siemens Niederlassung Hamburg sind ca. 1600 MitarbeiterInnen, davon ca. 270 weibliche, beschäftigt. Die Niederlassung zählt nur noch ca. 100 Lohnempfänger. In einer Niederlassung bei Siemens, so auch in Hamburg, sind die ArbeitnehmerInnen hauptsächlich im Vertrieb, Service und Montage beschäftigt, kennzeichnend ist auch der hohe Anteil von ca. 15% ÜT-MitarbeiterInnen (über Tarif).

          in dem Wandel der Erwerbsorientierungen der Individuen in Richtung neuer Werte,   wie mehr Selbstständigkeit, Partizipation und Eigenverantwortlichkeit.

        Ein Beispiel sind die Mitarbeiter im Service und in der Montage. Sie arbeiten im höchsten Maß eigenverantwortlich, mit direktem Kundenkontakt und sind dadurch persönlich durch den Betriebsrat nur schwer zu erreichen.

         Mitarbeiter des Vertriebs, die sich aufgrund ihrer Kundenkontakte und Entscheidungsbefugnisse fürs Geschäft eher auf der Geschäftsführungsseite sehen.

2. Handlungskompetenz/ Handlungsfelder

Um den „neuen“ Herausforderungen zu begegnen, ist ein enges, sich gegenseitiges unterstützendes Zusammenspiel der Arbeit auf allen Ebenen, wie Betriebsrat, Vertrauenskörper und IG Metall, unerlässlich. Seit Jahren bereits versuchen die
IG Metall-Vertrauensleute und der Betriebsrat bei Siemens in Hamburg, durch teilweise deutliche Veränderungen in der Kommunikation zur Belegschaft und eigener Arbeitsorganisation in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess den veränderten Anforderungen gerecht zu werden.

2.1 Gutes Management von Betriebsrat und Vertrauenskörper

Betriebsrat und Vertrauensleute der Siemens Niederlassung Hamburg setzen auf Arbeitsformen, die auf Selbstorganisation, Teamfähigkeit und Vernetzung beruhen. Dabei sind klare Ziele, eindeutige Verantwortlichkeiten zu bestimmen begleitet durch ein konsequentes Controlling. Für den Zugang zu neuen Beschäftigungsgruppen sind differenzierte Angebote und Lösungen notwendig. Ein zielgruppenorientiertes Vorgehen spiegelt sich in vielen unserer Handlungsfeldern wieder. Der Betriebsratswahlslogan: „kompetent, durchsetzungsstark, innovativ“ steht im Gegensatz zu häufig in der IG Metall zu findenden Formulierungen, wie „kämpferisch, stark, mächtig“ und soll das moderne Image unterstützen. Eines unserer Leitbilder ist professionelles Handeln mit zusätzlicher Unterstützung, gegebenenfalls durch externe Sachverständige, auf jeden Fall aber durch die Beteiligung der Beschäftigten und der IG Metall. Dabei setzen wir in der Organisation unserer Arbeit folgende Schwerpunkte:

          systematische Arbeits- und Schulungsplanung im Team

         wobei jeweils der Vertrauenskörper, die Betriebsräte sowie die freigestellten Betriebsräte ein Team bilden.

         Personalentwicklungsplanung im Betriebsrat

          Klausursitzungen

          Delegation von Verantwortung

           offene Kommunikation.

2.2 Beteiligung der IG Metall

Der Betrieb ist der Ort, wo sich gewerkschaftliche Arbeit täglich bewähren muss: Wie Betriebsräte und Vertrauensleute Arbeitnehmerrechte und -interessen durchsetzen, wie sie Einfluss nehmen auf die Arbeitsbedingungen und die Sicherung der Arbeitsplätze, wie sie die Auseinandersetzung mit dem Management führen, prägt weitgehend das Ansehen der Gewerkschaften. Eine kreative und konfliktbereite sowie eine kompetente und beteiligungsorientierte Betriebsarbeit ist deshalb entscheidende Voraussetzung, die Attraktivität der IG Metall zu steigern, neue Mitglieder zu gewinnen und Mitglieder für eine aktive Mitarbeit motivieren zu können.

      Prozessorientierte Beratung durch die IG Metall

     Unter eine prozessorientierte Beratung verstehen wir eine Unterstützung durch gewerkschaftliche Bildungsarbeit sowie die Bereitstellung von konzeptionellen und methodischen Hilfen durch die Beratungskompetenz der IG Metall vor Ort.

 

    Einbindung in diverse IG Metall Projekte:

    Die Weiterentwicklung vernetzter, auch branchenbezogener Strukturen der Beratung und des Erfahrungsaustauschs ist für uns von zentraler Bedeutung. Deswegen haben wir uns aktiv an diversen IG Metall Projekten beteiligt:

    Angestellte/ weibliche Angestellte

    OE Projekt – Organisationsentwicklung in der IG Metall

     Siemens Projekt Bayern

     AT-Arbeitskreis (AT= außer Tarif)

     TK-Arbeitskreis (TK=Telekommunikation)

2.3 Systematische Öffentlichkeitsarbeit

Der Informationsaustausch ist eine wichtige Voraussetzung für eine wirksame Interessenvertretung. Informationen von der Belegschaft sind für den Betriebsrat wichtige Arbeitsgrundlagen, Informationen an die Belegschaft fördern das Vertrauen oder können zu mehr Engagement motivieren. Informationen helfen, die Interessen der Arbeitnehmer/innen in Forderungen umzusetzen und gegenüber dem Arbeitgeber zu begründen.

 

     Wir betreiben eine systematische, zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit mit professionellem Anspruch. Bei allen Formen des Informationsaustausches verfolgen wir einen sachlichen und nüchternen Stil. Unser Ziel ist, dass jede/r Beschäftigte mindestens einmal im Monat eine Information durch den Betriebsrat  oder die IG Metall erhält. Umgesetzt wird dies durch:

        regelmäßige bedarfsorientierte Abteilungsversammlungen

        Betriebsversammlungen:

        diese gestalten wir beteiligungsorientiert, indem wir Podiumsdiskussionen und/oder Befragungen zu aktuellen Themen organisieren.

         die Berichte werden unterstützt durch Powerpoint- Präsentationen, Musik, Filme oder durch interne oder externe Referenten

         wir gestalten unsere Berichte in Form von Kurznachrichten und beschränken uns auf Schwerpunktthemen

        vor jeder Betriebsversammlung versenden wir mehrmalige Erinnerungen

        elektronische Kommunikationsformen

        Infos über E-Mail

        Betriebsrats-Homepage im Intranet

        Betriebszeitung ‚simaz‘ Siemens Mitarbeiter Zeitschrift

        Diese ist besonders erfolgreich. Es ist eine Zeitung der IG Metall speziell für die Niederlassung Hamburg. Sie wird von Beschäftigten und ebenfalls vom Management als das Medium schlechthin des Betriebsrats verstanden. Aufgrund der bundesweit organisierten Bereiche und somit der Gültigkeit der Analysen, Kommentare und Berichte über die Betriebsgrenzen der Niederlassung Hamburg hinaus, findet sie ihre LeserInnen inzwischen bundesweit bei Betriebsräten und Vertrauensleuten bis hin zum oberen Siemens Management. Sie ist ein Mittel der Durchsetzung politischer Ziele für den Betriebsrat. Die Beschäftigten schätzen die sachliche, offene Information und klare Analyse der betrieblichen Probleme. In den firmeneigenen Publikationen werden gerade Kritik und Probleme nicht erwähnt.

        Medienkontakte bei brisanten Themen

         Wir verfügen mit Hilfe der IG Metall über gute Kontakte zu den örtlichen Medien. Diese nutzen wir bei besonders brisanten Themen, wie Ausgliederung oder Personalabbau, zur Veröffentlichung von Unternehmensplänen gegenüber der Belegschaft.

2.4 Beteiligung organisieren (Projektarbeit)

Projektarbeit ist eine Möglichkeit, in der Interessenvertretung effizient und beteiligungsorientiert zu arbeiten. Das bringt nicht nur Arbeitserleichterung, sondern macht Wissen und Erfahrungen vieler Betriebsratsmitglieder sowie einzelner MitarbeiterInnen für die Interessenvertretung nutzbar. Beteiligung von Beschäftigten stärkt die Position des Betriebsrats gegenüber der Geschäftsleitung. Zeitlich und thematisch begrenzte Mitarbeit zur Vertretung ihrer eigenen Interessen erhöht bei den Beschäftigten die Bereitschaft, sich auch in Zukunft stärker zu engagieren. 

 

     In verschiedenen Projekten haben wir bereits beteiligungsorientiert gearbeitet, z.b.:

     bei dem Projekt zur Veränderung der Bürogleitzeit. Der Betriebsrat befragte alle betroffenen MitarbeiterInnen per e-Mail zu ihrer Zufriedenheit und Verbesserungswünschen zu dieser Arbeitszeitregelung. Diese Befragung hatte einen Rücklauf von fast 50 Prozent. In verschiedenen Kleingruppen mit Betroffenen wurden Ziele und Durchsetzungsmöglichkeiten besprochen. Die Arbeit war auf mehrere Betriebsratsmitglieder mit klaren Zuständigkeiten verteilt.

     Projekt „Zukunft“ als betriebsräteübergreifende Organisierung von Gegenmacht zur Abwendung von Verkäufen breiter Unternehmensteile. Damit erarbeiteten wir neue Vorschläge, die auf Gesamtbetriebsratsebene umgesetzt werden konnten.

3. Ergebnisse

Wir finden unter der Belegschaft eine hohe Akzeptanz des Betriebsrats, der mit der IG Metall gleich gesetzt wird. MitarbeiterInnen der unterschiedlichsten Beschäftigtengruppen wenden sich bei Problemen an den Betriebsrat, d.h. der Vertriebsingenieur genauso wie der Facharbeiter oder die Teamassistentin. Wir gelten nicht nur bei den Beschäftigten als kompetenter Ansprechpartner, sondern auch beim Management. Dies ist wichtig für die Durchsetzung und Überzeugung bei der Arbeitgeberseite. Folgende weitere Erfolge haben wir:

       Wir haben keine Personalsorgen in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, dem Betriebsrat oder dem Vertrauenskörper.

        Da unsere Betriebsratsarbeit von den BR-Mitgliedern als erfolgreich erlebt wird, motiviert dies auch zur Mitarbeit. Das Mitmachen bei „Loosern“ wäre dagegen wenig attraktiv.

        Wir konnten damit die AUB (Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger e.V., eine sog. „blaue Liste“) im Betriebsrat auf ein Minimum reduzieren.

        Wir haben Warnstreiks, Aktionen und Demonstrationen unter Beteiligung von Angestellten organisiert.

        Mit sachlichen, fundierten Argumenten und kreativen Aktionsformen konnten wir dies erreichen.

       Wir sind durchsetzungsfähig gegenüber dem Arbeitgeber und innerhalb der Siemens-GBR/BR-Struktur.

        Bei allen Bestrebungen, sachlich und fundiert zu argumentieren, Alternativen zu entwickeln und sachbezogen zu arbeiten, beruht jedoch diese Kompetenz im wesentlichen darauf, streikfähig zu sein, bzw. „die Menschen auf die Straße zu bringen“. Dieser Zusammenhang ist vielen Angestellten bisher leider nicht bewusst.

        Meinungsführerschaft des BR/IGM auf Versammlungen

Trotz einer insgesamt erfolgreichen Arbeit, gemessen an der Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber sowie der Akzeptanz der Belegschaft, gibt es allerdings auch bei uns nur vereinzelte Eintritte in die IG Metall, allen Mitgliederwerbeprojekten zum Trotz. Allerdings gibt es keine Austrittswellen, selbst ausscheidende MitarbeiterInnen bleiben danach überwiegend noch Mitglieder.  Wir haben die Erfahrung gemacht, dass umfangreiche Eintritte nur dann möglich sind, wenn Personalabbau im großen Stil angekündigt wird. Schrittweise Verschlechterungen und keine direkte Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes reichen dafür nicht aus.

Zukünftig wird es darauf ankommen, noch stärker die Bedeutung der IG Metall für die Durchsetzungsfähigkeit des Betriebsrats und der IG Metall Vertrauensleute im Betrieb zu betonen. Das Thema  „Macht“ blenden viele Beschäftigte, die Wert legen auf sachliche Information und fundierte Beratung durch den Betriebsrat, leider häufig aus. Durchsetzungsfähigkeit des Betriebsrats und der IG Metall ist jedoch untrennbar mit Macht, d.h. auch mit Mitgliederstärke im Betrieb verbunden.

 

Birgit Steinborn