Institut für Politikwissenschaft

 

Forum 4: Eine neue gewerkschaftliche Geschlechterpolitik

 

 

Ilona Schulz-Müller

Wie sollte eine gewerkschaftliche Geschlechterpolitik aussehen

 

In der Zukunftswerkstatt wurde der Frage nachgegangen: ist ver.di als Großorganisation lernfähig, die nach wie vor vorhandenen Demokratiedefizite zwischen den Geschlechtern zu verändern, -lernfähig, um herrschaftsfreies Miteinander und die diskriminierungsfreie Gestaltung von gewerkschaftlicher Politik zu entwickeln und umzusetzen.

Ausgangslage ist, daß ver.di als erste Gewerkschaft bei der Gründung das politische Ziel der Erreichung von Geschlechterdemokratie in der Satzung verankert hat. Für den ersten ordentlichen Bundeskongress 2003 liegt ein Antrag vor, in dem sich ver.di ausdrücklich als Promotorin der Vielfalt und Gleichwertigkeit der Lebensentwürfe der Geschlechter versteht. Geschlechterdemokratie als Gemeinschaftsaufgabe aller betrachtet und ist sowohl als „top-down“ als auch „bottom-up“- Prozeß angelegt1.

Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie soll berücksichtigt werden, daß ver.di durch eine Kultur der Zweigeschlechtlichkeit geprägt ist die bislang noch verhindert, daß Frauen und Männer gleiche Partizipations- und Zugangsvoraussetzungen haben.

Unterschiedliche Machtzugänge und Ressourcenverteilung, unterschiedliche Rollenzuschreibungen - und Zuweisungen sind in Frage zu stellen zugunsten der Anerkennung von gleichen Rechten und Chancen für Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen und Lebenslagen. Voran gebracht werden soll dies u.a. durch anwenden der Strategie des Gender Mainstreaming als organisationspolitischem Veränderungsprozess, durch die Bildung von Strukturen sowie die Benennung von Genderbeauftragten in den Fachressorts und Landesbezirken. Der Bereich Genderpolitik, mit geschlechterparitätischer Besetzung angesiedelt bei der stellvertretenden Vorsitzenden wurde bei der Gründung von ver.di 2001 eingerichtet. Hauptaufgaben von uns und den Genderbeauftragten der einzelnen Bereiche und Ebenen sind Initiierung von Konzepten, Koordinierung, Unterstützung und Beratung bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming in die Facharbeit. Wir verstehen uns nicht als das „Gendergewissen“ der Organisation und stellvertretend Handelnde, sondern begleiten Projekte, beraten bei der Verknüpfung von Fach- und Genderkompetenz, bauen Genderkompetenz bei uns und den Hauptamtlichen auf und bilden Netzwerke nach innen und außen.

Neben Bestimmungen zu Genderpolitik sind in der Satzung Regelungen und Strukturen für Frauen- und Gleichstellungspolitik festgelegt.

Die Doppelstrategie Genderpolitik und Frauen- und Gleichstellungspolitik ist bei ver.di demnach Satzungsauftrag. In der Praxis muß durch gemeinsames Miteinander die „Trennschärfe“ in der Tagesarbeit noch weiter ausgebaut werden.

Das Zusammenwirken von Genderpolitik mit Frauen- und Gleichstellungspolitik ist nicht immer konfliktfrei. Es interpretieren auch in ver.di viele KollegInnen noch Gender Mainstreaming als neuen Begriff für die „alte“ Gleichstellungspolitik. Dies resultiert aus der Zielsetzung von Frauen- und Gleichstellungspolitik, die Gleichstellung von Männern und Frauen zu verwirklichen. Deshalb ist es insbesondere in Zeiten knapper Ressourcen notwendig deutlich zu machen, daß die beiden unterschiedlichen Politikstrategien zwei Wege nach „Rom“ sind:

Genderpolitik als organisationsbezogene, strukturverändernde Strategie, explizit an beide Geschlechter gerichtet; Frauen- und Gleichstellungspolitik als Politikstrategie zur Veränderung der strukturellen Benachteiligung von Frauen.
Genderpolitik setzt mit Gender Mainstreaming bei allen politischen und organisationalen Prozessen, Planungen und Entscheidungen an und bezieht zugleich alle Beteiligten AkteurInenn ein. Diese sollen in ihrem jeweiligen Betätigungsfeld die möglichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen ihres Handelns erkennen und im Sinne des Zieles der Geschlechterdemokratie verändern. Dabei ist Gender Mainstreaming ein Bündel von Analyse- und Organisationsentwicklungsinstrumenten, die praxisorientiert eingesetzt werden müssen.

Frauen- und Gleichstellungspolitik betrachtet die Situation und Bedingungen von Frauen in Arbeitswelt und Gesellschaft und macht Vorschläge zu deren Verbesserung. Spezifische Instrumente wie Quotierung, Beseitigung jeglicher Diskriminierung von Frauen, Frauenförderung etc. richten sich an ein Geschlecht.

 

Gender mainstreaming in ver.di ist Querschnittsaufgabe und Gemeinschaftsaufgabe aller und nicht in der Zuständigkeit und Verantwortung eines Bereiches oder Ressorts. Die Realisierung der Strategie Gender Mainstreaming soll für eine vorausschauende und nachhaltige Politik durch Anpassung der Organisation an die Lebens- und Arbeitsentwürfe der Menschen sorgen, was nicht zuletzt durch Verringerung von Konfliktpotential zu einer Steigerung der Attraktivität der Leistungen und die Erhöhung der Qualität und Effektivität bei der Erledigung von Aufgaben in der Facharbeit führen kann. Führungsaufgaben werden durch die Entwicklung von Genderkompetenz angereichert und durch Projekte und gute Beispiele wird Vorbildverhalten als Arbeitsprinzip verankert. Ein komplexer Prozeß der Organisationsveränderung!

 

Gender gut- alles gut?!

Mein Kollege Klett beschreibt es folgendermaßen: „Eine echte Liebesgeschichte ist díe Beziehung zwischen ver.di und Gender Mainstreaming noch nicht. Die Beziehung wird aber immer stabiler und hat eine gute Perspektive“. 2

Dazu gehört, daß die Anforderungen aus dem Organisationsbereichen von ver.di nach Beratung und Unterstützung bei der Implementierung von Gender Mainstreaming zunehmen. Deutsche Telekom, Barmer Ersatzkasse: zwei Beispiele für Unternehmen, die sich die Herstellung von Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern unter den Stichworten „managing diversity“ und „change management“, auf die betriehbliche Agenda geschrieben haben. Hier wird zukünftig vermehrt professionelle, genderkompetente Unterstützung und Beratung durch GewerkschaftssekretärInnen abgefragt werden.

Einige Kommunen - und Landeshaushalte werden neuerdings nach „gender- budegting“- Gesichtspunkten überprüft, die Stadt Frankfurt unterzieht die Haushaltsplanung einer gendersensiblen Überprüfung- Gründe genug, Gender Mainstreaming auch unter organisationspolitischem Nutzenaspekt an zu erkennen und „lieben“ zu lernen!.

Der Bundesvorstand ver.di hat in den letzten 2 Jahren eine Reihe von Beschlüssen gefaßt, die bei dem Prozeß der Qualifizierung und Sensibilisierung der ver.di- Beschäftigten in allen Funktionen und auf allen Hierarchieebenen ansetzt. Es wird das Ziel verfolgt, die Verankerung und Vertiefung der Kenntnisse darüber her zu stellen, welche Auswirkungen getätigte oder unterlassene Maßnahmen oder Aktivitäten in den jeweiligen Politik- und Arbeitsfeldern konkret auf die Geschlechterverhältnisse und damit auch auf die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses für das Ziel der Geschlechterdemokratie haben.

In den ersten beiden Jahren war die Strategie zunächst bewußt auf die Qualifizierung der Hauptamtlichen ausgelegt, um damit Sensibilität, Verständnis und Strukturen weiter zu entwickeln und die MultiplikatorInnenfunktion der GewerkschaftssekretärInnen zu nutzen. Dabei sind die Angebotsformen der jeweiligen Situation angepasst: Beratungsgespräche mit der Bundes- und Landesführungsebene, Gendertrainings- und Workshops für Führungskräfte zur Verbindung von Fach- und Führungsarbeit, Begleitung und Beratung durch Genderbeauftragte bei spezifischen Projekten wie zum Beispiel Personalentwicklung und Organisationsentwicklung, Aufbau eines gendersensiblen Controlling und Datengrundlagen.

Für das Jahr 2004 ist die stärkere Ausweitung in den ehrenamtlichen Bereich geplant: spezielle Angebote für FunktionsträgerInnen in ver.di, Fachtagungen für Betriebs- und PersonalrätInnen, Ausbau eines Netzwerkes, Ausbau der Informations- und Kommunikationsstruktur.........es läuft so einiges.

......es fehlt allerdings auch noch etliches.

Es mangelt an der Erkenntnis, daß Gender Mainstreaming nicht das „100ste“ Päckchen zusätzlich ist, sondern eine Analysekategorie, die in der Anwendung ähnlich selbstverständlich werden muß wie die Umweltverträglichkeitsprüfung oder Budgetierungsrichtlinien. Der Prozeß der Implementierung muß überprüft und eine Evaluierung der Maßnahmen vorgenommen werden. Es sind weiter handhabbare Instrumente zu entwickeln und verbindlich anzuwenden. Die Vorbildfunktion der Führungskräfte muß ausgebaut und die Beteiligungsstruktur aller intensiviert werden, damit Gender Mainstreaming in ver.di ein Qualitätskriterium für Organisationslernen wird und somit ein Erfolgsfaktor für positive Veränderung.

Ver.di hat die Chance durch Geschlechterdemokratie als Gemeinschaftaufgabe die Modernisierung gewerkschaftlicher Politik und Organisationskultur zum Mehrfachnutzen für alle Beteiligten aus zu bauen.

 



1 der Antrag wurde auf dem Bundeskongreß im Oktober 2003 unverändert beschlossen

2 entnommen aus „gender.info“ Nr. 6, zu beziehen über www.gender.verdi.de