Institut für Politikwissenschaft
Forum 1: Erfolgreiche gewerkschaftliche Projekte im IT-Sektor
Wigand Cramer, IG Metall Bezirksleitung Berlin
IG Metall @ SIEMENS: Kriterien für einen erfolgreichen Einsatz der Kräfte
Das so genannte „Siemens Projekt“ der IG Metall hat innerhalb und zum Teil auch außerhalb der betroffenen Gewerkschaft einige Aufmerksamkeit erfahren als Beispiel für ein neues Konzept der „horizontalen“ Betriebsbetreuung. Das Projekt selber wurde 1996 regional von der Bezirksleitung Bayern gestartet und 2003 auf die Fläche ausgeweitet. Es begann mit einer - ernüchternden - Bestandsaufnahme der Betreuungssituation.
In Termini der aus dem Großkundenvertrieb entliehenen Key Account Analysis ginge dies etwa so:
Mitgliederpotential IT Industrie 2002 Nr. Unternehmen MA Potential 1 Siemens 127.000 103.300 2 T-Systems 33.000 32.400 3 IBM 25.000 24.000 4 Infineon 16.000 14.200 5 Vodafone 10.300 9.750 6 EDS 8.000 7.890 7 HP 8.300 7.650 8 Alcatel 9.200 6.500 9 FSC 6.000 5.000 10 Mobilcom 4.500 4.360 11 SAP 4.300 4.280 12 Philips 5.800 3.900 13 Nokia 4.000 2.300 14 Triaton 2.000 1.700 Summe 263.400 227.230
· Siemens ist der wichtigste „Global Player“ mit deutscher Heimatadresse, und das seit 150 Jahren.
· Siemens spielt traditionell in den Arbeitgeberverbänden eine zwar unauffällige aber sehr bedeutende Rolle.
· Siemens ist in Deutschland regional flächendeckend vertreten und in mehreren Regionen und Verwaltungsstellen der IG Metall der wichtigste Arbeitgeber.
· Siemens hat mit einem Angestelltenanteil von 70% (davon 46% mit akademischem Grad) sowie 18% Facharbeitern ziemlich genau die „typische“ soziale Zusammensetzung in der Hochtechnologie.
· Siemens bietet in Bezug auf die Mitgliedergewinnung für die IG Metall ein bei weitem nicht ausgeschöpftes Potential.
Insofern wäre zunächst zu erwarten gewesen, dass Siemens für die Organisationsarbeit der IG Metall wohl von priorer strategischer Bedeutung sein müsse. Tatsächlich hingegen wurde Siemens seitens der IG Metall überwiegend nur lokal betreut, was heißt, dass nahezu jede Verwaltungsstelle der IG Metall einen oder mehrere Siemensbetriebe in ihrem Einzugsgebiet mehr oder weniger intensiv betreute, dies aber wenig koordiniert war, sondern oft allein den lokalen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend stattfand.
Nicht nur angesichts der - nach wie vor - eher bescheidenen Resourcen[1] des Projektes wurde eine aus dieser Analyse sich ergebende Strategie entwickelt, um die Betreuung des Key Account Siemens durch die IG Metall zu optimieren. Kernpunkt dieser Strategie war und ist es, die IG Metall als den Partner für Beschäftigte und Betriebsräte zu profilieren und die örtlichen Betreuer in die Lage zu versetzen, ihr Geschäft möglichst effektiv und qualitativ hochwertig zu betreiben.
Dies ist in einem Hightech Konzern wie Siemens zunächst nur möglich, wenn Gewerkschaft auf dem selben Kommunikationslevel auftritt wie die Konzernleitung, genauer der strategischen Ausrichtung und den taktischen Manövern des Vorstandes kenntnisreich und argumentativ angemessen gegenübertritt. Konkret betreibt der Konzern seit fünf Jahren unter dem Schlagwort „Operation 2003“ eine massive Shareholder Value Strategie, indem jeder Geschäftsbereich sowie die Zentralabteilungen auf Basis des so genannten „best in class“ Ansatzes mittels sehr konkreter Renditevorgaben dazu gebracht werden sollen, im weltweiten Vergleich (Benchmarking) zur Nummer 1 oder 2 zu werden.
Diese Strategie wird vom Vorstand gegenüber der Belegschaft intensiv und detailliert kommuniziert, ihr Erfolg als überlebenswichtig dargestellt. Konkrete Folge dieser Strategie sind massive Rationalisierungs-, Verkaufs- und Verlagerungsbewegungen bis hin zu Massenentlassungen einerseits, Expansion, Merger und Übernahmen andererseits. Es ist wichtig, die den Belegschaften als krisenhaft dargestellten (und von ihnen auch so empfundenen) Auswirkungen der Strategie aufzuklären und deren langfristigen Kontext darzustellen. Konkrete Betreuungsaufgabe ist es hier, womöglich bis auf Bereichsebene, die Situation zu dokumentieren, zu erklären und Alternativen aufzuzeigen. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit der Produktstrategie ebenso wie mit Marketing und Finanzpolitik. Diese Aufgabe wird durch die Börsennotierung in den USA und die dadurch sehr weitreichenden Publizitätspflichten heutzutage auch für Externe bedeutend erleichtert, einen Betriebsrat oder Wirtschaftsausschuss kann man beschwindeln, die Wall Street Analysten besser nicht. Im optimalen Falle können auf Basis dieser, als permanente Kommunikationsaufgabe zu begreifenden, Profilierung der IG Metall als DER Gewerkschaft für die Industrie und den Konzern konkrete Handlungsvorschläge für Betriebsräte und Belegschaften entwickelt werden, was z.B. im Bereich Telekommunikation gelungen ist, wo auf das Ansinnen hin, der Krise mit Massenentlassungen Herr zu werden, zumindest zum Teil erfolgreich das Modell der beschäftigungssichernden Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt werden konnte. Ähnliches gilt für den Erhalt der Tarifbindung im technischen Kundendienst.
Das Publikations- und Kommunikationskonzept, mittels dessen derlei transportiert werden kann, sollte ebenfalls auf der Höhe der üblichen innerbetrieblichen Kommunikation sein: Tagesaktuelle Internetseiten, regelmäßige Newsletter für Betriebsräte, Verwaltungsstellen und Mitglieder, Publikationen zu den wichtigsten Themen in Deutsch und Englisch, zur Verfügungstellen der Materialien in elektronischer Form zur Weiterverarbeitung in Betriebszeitungen, einheitliches Design und dergleichen. Entscheidend an dieser Art Corporate Identity ist es, Gewerkschaft als lösungs- und erfolgsorientierte Institution im Kräftespiel innerhalb des Konzerns zu präsentieren, was unter der Message: „Erfolgreicher Betriebsrat & Starke Gewerkschaft“ geschehen ist. Darüber hinaus kommt einer kontinuierlichen Pressearbeit - insbesondere gegenüber den Wirtschaftsmedien - große Bedeutung zu, was im übrigen dadurch erleichtert wird, dass z.B. ein stets aktuelles Internetportal auch für die professionelle Presse eine gern genutzte Informations- und Arbeitserleichterung darstellt.
Selbstverständlich bedeutet gewerkschaftliche Betriebsbetreuung im Hightech Sektor auch eine verlässliche individuelle Verfügbarkeit der Betreuer auf allen Ebenen, wo nötig auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten deutscher Großorganisationen sowie Einhaltung branchenüblicher - sprich sehr kurzer - Reaktionszeiten.
Organisatorisch besteht also das Siemensprojekt der IG Metall aus einer kleinen Mannschaft, die auf Basis einer langfristig angelegten betrieblichen Kommunikationsstrategie unter schamloser Zurhilfenahme moderner elektronsicher Medien die betrieblichen und
[1] bis Ende 2002 bestand das Team aus einem politischen Sekretär, einer Projektassistentin sowie Freien Mitarbeitern für publizistische Aufgaben. Inzwischen sind zwei weitere Vollzeitsekretäre hinzugekommen.