Institut für Politikwissenschaft

 

Heinrich Epskamp

Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg

 

Schlussbericht des Projektes:

Auswege aus der Rekrutierungsfalle

Inhalt:

 

Seite

1.    Das Problem: die Rekrutierungsfalle

2.    Gruppenbeschreibungen

2.1."Neue" und "alte" Elite: Junge Hochqualifizierte in Führungs-
        positionen und "alte Meister"         

2.2. Das Gegenbild: Die klassische Klientel

2.3. Zukunft oder Vergangenheit: Die jüngeren Facharbeiterinnen
        und Facharbeiter

2.4. Fazit des Gruppenvergleiches

3.    Die strategische Größe: Qualifikation

4.    Rahmen aber nicht Käfig: Gewerkschaft in vielen Funktionen

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1. Das Problem: die Rekrutierungsfalle

"Wer braucht die Gewerkschaft" ist eine Frage, die die Gewerkschaften offensichtlich anders als viele der Arbeitnehmer beantworten, deren Interessen zu vertreten sie versprechen. Darunter sind gerade die, die für die Zukunft der Arbeitsgesellschaft stehen – also die Jungen, die Frauen, deren Erwerbsquote nach wie vor steigt, die Hochqualifizierten, die immer mehr der zu machenden Arbeit verrichten müssen und werden. Aber Tatsache ist: "Die IGM spiegelt in ihrer Mitgliederstruktur die bundesrepublikanische Industriegesellschaft 60er und 70er wieder" (IGM 2001, S. 63) und diese Feststellung gilt nicht nur für deren Organisationsbereich sondern mehr oder minder für die Gewerkschaften des DGB insgesamt. Wenn die Gewerkschaften sich also an den Interessen der Mehrheit ihrer Mitglieder orientiert und diese Interessen verschieden sind von den gerade aufgezählten Arbeitnehmergruppen, dann ist Gewerkschaft für diese Gruppen nicht zu gebrauchen und es braucht sie, wenn die These von der Zukunftsträchtigkeit dieser Gruppen stimmt, nicht mehr zu geben. Das ist, in groben Strichen, die These von der Rekrutierungsfalle (vgl. dazu Hattinger Kreis 2002).

Die Gewerkschaften sind nicht die einzigen, die den Anschluss gerade an die Gruppen zu verlieren scheinen, auf die sie in Zukunft angewiesen sein könnten. Das Gleiche gilt für die Parteien wie die Kirchen. Es ist so, als ob das Konzept der Großinstitution als solches seine Bindungskraft gesellschaftsweit einbüßt. Das ist eine der Thesen, die seit Becks Buch über die Risikogesellschaft von 1986 die Diagnosen des Zustandes der Gesellschaft prägen, also für einen langfristigen Trend stehen. Auch die Formel "Not lehrt beten", scheint nicht mehr zu klappen – auch in Krisensituationen treiben Risiken die potentiell Betroffenen nicht mehr zu denen, die versprechen sie abzuwenden. Wenn es so ist, dass das Ansehen von Großorganisationen insgesamt schwindet, ist das Problem der Rekrutierungsfalle nicht nur ein "pfadabhängiges", also durch die spezifische eigene Geschichte der Gewerkschaften verursachtes, sondern eines der Gesellschaft insgesamt. Vor allem für die Jungen und die Gebildeten wenden sind von den "alten" Institutionen ab – sie machen in solchen Organisationen mit, die ein für ihre Identitätsfindung wichtiges Engagement bieten. Paradebeispiel war Green Peace und ist jetzt Attac. Alt gewordene Organisationen, in denen die Eigeninteressen der Organisation eine entscheidende Rolle spielen und in denen es auch und manchmal vor allem gilt, das Erreichte zu verteidigen, haben es zumindest schwer, ein solches Engagement zu definieren und die entsprechenden Gruppen an sich zu binden.

Demzufolge haben die Gewerkschaften ein doppeltes Problem: Einerseits ist es für die Gewerkschaften notwendig, ein Bild von sich zu erzeugen, das nicht dem der alten und vergleichsweise unbeweglichen Organisation entspricht. Andererseits geht es darum, die Pfade ihrer Entwicklung zu überprüfen, also objektiv zu analysieren, ob die Zukunft der Arbeit wirklich so geprägt sein wird, wie die These behauptet und inwieweit sich Interessen verschiedener "alter" und "neuer" Arbeitnehmergruppen tatsächlich widersprechen, ergänzen oder ausschließen. Aber für die Rekrutierung möglicher Mitglieder ist nicht der objektive Tatbestand entscheidend, sondern das Bild, das diese Gruppen sich von der Gewerkschaft aber auch von sich selbst machen. Wirklich ist letztendlich immer das, was die Leute für wirklich halten und zum Ausgangspunkt ihrer Entscheidungen setzen. Mit anderen Worten: Gewerkschaft darf nicht länger als alte und große Organisation etwa im Sinne einer Sozialversicherung gelten, sondern muss Identifikation im Sinne neuer Aufbrüche zu neuen Zielen möglich machen. Das allgemeine Problem, die breite Absetzbewegung von Großorganisationen, bestimmt aber den Hintergrund, vor dem die organisationsspezifischen Daten zu sehen und zu interpretieren sind. Auf der Basis der hier ausgewerteten Daten, die das Bild der Gewerkschaften zu erfassen suchen, kann nur aber nur die Frage nach der Interessenpolitik der Gewerkschaften und deren Echo bei den Arbeitnehmern beantwortet werden.

Die These von der Rekrutierungsfalle leitet sich ab aus der Behauptung, dass Gewerkschaftspolitik nicht oder nur unvollständig drei Politikmodellen entspricht, die zur Lösung der Probleme der in Frage stehenden sozialen Gruppen zu realisieren wären (vgl. Hattinger Kreis 2002):

  1. "Ein weibliches Politikmodell: Gleiche berufliche Chancen der Geschlechter bei insgesamt stärkerer Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Beruf und außerberuflichem Leben. Es gehört nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, dass diese Priorität der Frauen aufgrund ihrer Unterrepräsentation in der Organisation wenig Durchsetzungschancen bei die Politikbestimmung hat".

  2. Ein IT-angestelltenspezifisches Politikmodell: Ein flexibles und dynamisch sich entwickelndes (Tages-/Wochen- und Lebens-) Arbeits- und Arbeitszeitmodell, das aber den beiderseitigen Interessen (der Betriebe wie der Beschäftigten) fair Rechnung trägt (dieses Modell wird hier auf die Gruppe der jüngeren Hochqualifizierten in Führungspositionen insgesamt übertragen).

  3. Ein "jugendliches" Politikmodell: Die Dienstleistungs-, IT- und Wissensgesellschaft verlangt - auch von den "Selbstbestimmern" - zunehmende Weiterbildungsbereitschaft, lebenslanges Lernen".

Diesen Modellen entsprechen auf den ersten Blick auch die Daten, die die IGM im Zusammenhang ihrer Zukunftsdiskussion in einer Reihe von empirischen Studien erheben ließ, um festzustellen, wie ihre realen und ihre potentiellen Mitglieder, also die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen insgesamt, die in ihren Organisationsbereich fallen, die Rolle und Bedeutung der IGM für sich aber auch in dem größeren Zusammenhang der künftigen ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklung einschätzen. Ein Teil diese Materials und zwar die Daten aus der standardisierten Befragung dieser Arbeitnehmer wird hier einer Sekundäranalyse unterzogen, um festzustellen, ob und inwieweit die Thesen von der Rekrutierungsfalle stimmen und wie sie im einzelnen auszubuchstabieren sind.

Dieses Unternehmen hat jedoch methodisch bestimmte Grenzen: Wie bei allen standardisierten und weitgehend geschlossenen Fragebögen ist es auch bei dem im Auftrag der IGM eingesetzten so, dass die Forscher die Fragen stellen, auf die die Befragten antworten – was so herauskommt, sind Meinungen zu Meinungen (nämlich die, die die Fragesteller für wichtig) hielten und nicht die Meinungen der Befragten selbst. Wenn wir also die Antworten interpretieren, und zwar so, dass wir aus der Akzeptanz oder Ablehnung bestimmter Statements auf dahinter liegende Einstellungsmuster schließen, dann bilden wir uns noch einmal eine Meinung zu den Meinungen zu Meinungen. Der innere Dialog des Forschers ersetzt dann den mit den eigentlich gemeinten. Um die Gültigkeit der Resultate dieser Sekundäranalyse zu bestätigen, sind solche Dialoge nachzuholen. Was hier erarbeitet wird, sind Vorschläge zu Argumenten, mit denen solche Dialoge eröffnet werden können.

Das Ziel der Studie ist es, Unterschiede zwischen typischen Arbeitnehmergruppen festzustellen und herauszufinden, worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind. Es geht also weniger um die Frage, für welche Statements sind Mehrheiten in welchen Gruppen zu finden als um die, in welche Richtungen die Unterschiede weisen und ob es möglich ist, daraus so etwas wie die Entwicklung von Einstellungsmustern aufgrund der verschiedene Situationen und Handlungsoptionen der einzelnen Gruppen abzuleiten. Worauf es dann in der Folge ankommt, ist zu prüfen, welche verschieden Typen von Zugängen zu potentiellen Mitgliedern diese Unterschiede für die Gewerkschaften eröffnen, also zu untersuchen, welche Interessen sich in den Stellungnahmen der verschiedenen Gruppen artikulieren. Erst dann ist es möglich zu entscheiden, ob Gewerkschaft so wie ist, oder so, wie sich entwickeln kann, an diese Interessen anschließen kann. Dabei gilt wie schon geschrieben, dass das schwindende Interesse an Gewerkschaften nur Teil einer Entwicklung ist, in der das Konzept der "solidarischen" Bündelung von Interessen in vielen Kontexten und das auch schon längerfristig zur Disposition gestellt zu sein scheint. Entsprechend ist es auch nicht möglich, durch kosmetische Operationen am Erscheinungsbild der Gewerkschaften wieder Anschluss zu finden, also sie in einem oberflächlichen Sinn zu modernisieren. Sondern worum es geht, ist sie so zu verändern, dass Gewerkschaft Teil von Lebenswelten sein kann, in denen sie als Orientierungsfokus und Partner eigener Zielsetzungen nicht mehr oder nicht genügend wahrgenommen wird. Die hier verwendeten Daten werden entsprechend auch nicht als Momentaufnahme begriffen und interpretiert, sondern als Wegeweiser soziostruktureller Entwicklungen, denen auch Gewerkschaften im wesentlichen zu folgen haben, da sie sie nicht in der Lage sind sie aufzuhalten oder auch nur wesentlich in ihrer Richtung zu verändern.

Die Analyse erfolgt in zwei Schritte, im ersten Schritt werden in einer Feinanalyse Gruppen untersucht, die durch bestimmte vierstellige Merkmalskombinationen gekennzeichnet sind. Die Gruppenkonstruktionen folgen der Logik der soziostrukturellen Überlegungen wie sie in Orientierung an Bourdieu von der Hannoveraner Forschungsgruppe um Vester entwickelt worden sind. So gut es eben ging, wurde versucht – ohne Rücksicht auf die Gruppengröße - entlang den Merkmalen Geschlecht, Alter, Qualifikation und beruflicher Situation möglichst homogene Milieus zu konstruieren. In einem zweiten Schritt werden die Auswirkungen einer zentralen Variablen, der des Grades der beruflichen Qualifikation untersucht, zum einen, weil sie sich im Gang der Untersuchung als Schlüsselvariable herausgestellt hat, zum anderen, um die statistisch oft unsicheren Resultate der Gruppenanalyse zumindest auf Plausibilität zu überprüfen.




 2. Gruppenbeschreibungen

Die Gruppen wurden entsprechend den Annahmen des Theorems der Rekrutierungsfalle aufgestellt, nach denen junge, hochqualifizierte, arrivierte und weibliche Arbeitnehmer ihre Interessen durch die Gewerkschaften eher nicht vertreten sehn (vgl. Tabelle 1 im Anhang). Die entsprechenden Gruppen sind trotz der Größe des Gesamtsamples (2792 Befragte) aufgrund der Zahl der miteinander gekreuzten Merkmale teilweise recht klein – aber sie repräsentieren eben genau die Variablenkonstellationen, auf die es ankommt, und die absoluten Zahlen sind noch groß genug, um Hypothesen formulieren zu können. Die Methode dazu ist der Vergleich solcher Gruppen untereinander und mit solchen, die eher die typische Gewerkschaftsklientel repräsentieren.

Zunächst geht es um die Gruppe der Jungen, also unter 35 Jahre alt, die über einen Hochschulabschluss verfügt und schon in Führungspositionen aufgestiegen ist. Die Gruppe ist klein – aber relativ homogen, und nach der These von der Rekrutierungsfalle diejenige, die besonders weit entfernt von den Gewerkschaften steht. In dieser Gruppe, insgesamt 20, gibt es nur 4 Frauen (!), entsprechend wird die Geschlechterdifferenz vernachlässigt. Dieser Gruppe werden zunächst zwei andere gegenübergestellt, einmal die der "alten männlichen Meister in Führungspositionen" und zum zweiten die der "alten Facharbeiter und Facharbeiterinnen, also solche, die eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können. Schließlich wird die Gruppe der jüngeren Facharbeiter und Facharbeiterinnen untersucht, die in Bezug auf das Alter der ersten Gruppe ähneln in Bezug auf ihre soziale Position der letzten. 
 

2.1. "Neue" und "alte" Elite: Junge Hochqualifizierte in Führungspositionen und
       "alte" Meister

Szenarien und Erwartungen

Insgesamt, also über das Gesamtsample gemessen, erscheint die Zukunft düster, die Mehrheit hat Angst, was die ökonomischen wie sozialen Entwicklungen betrifft - "externe" Risiken - also Umweltkatastrophen und Krieg - treten dagegen in ihrer Bedeutung zurück (Fragenkatalog 10, Tabelle 8). Vergleichsweise wenig Hoffnung wird auf die "Selbstheilungskraft" der Gesellschaft, beispielsweise durch Zunahme der Solidarität unter den möglicherweise Betroffenen gesetzt (schwächste Werte in der Erwartungsskala Zukunft), auch wenn das fast alle begrüßen würden (höchster Wert in der entsprechende Akzeptanzskala, Fragenkatalog 8, Tabelle7). Zukunft erscheint insgesamt eher Bedrohungen zu enthalten als Chancen zu versprechen.


Im Vergleich zu diesen allgemeinen Trends sehen die alten Meister wie die jungen Hochschulabsolventen in Führungspositionen geringere, wenn auch nicht wenige Risiken. Beide Gruppen fürchten sich weniger als andere vor Globalisierung, sehen die Zukunft ihrer Betriebe eher optimistisch und erwarten, dass ihre Arbeit abwechslungsreicher wird. Beide Gruppen reagieren dagegen in der persönlichen wie der eher politischen Dimensionen (zunehmender Rechtsextremismus und Gefährdung des sozialen Friedens) im Vergleich zu allen anderen gelassener. Das Gleiche gilt für die eigene Bedrohung durch Arbeitslosigkeit, wie durch die allgemeinen Risiken im sozialen Bereich. Einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen markiert die Akzeptanz der These vom zunehmenden Egoismus. Gerade die Gruppe der jungen bereits Arrivierten, die insgesamt am selbstsichersten und individualistisch agiert, bestreitet die Existenz dieses Trends eher als alle anderen und das gerade im Gegensatz zu den "alten Meistern". Sie interpretiert ganz offensichtlich ihre eigenen Orientierungen gerade nicht als "Egoismen" – es sei denn, ihre Mitglieder sehen sich nicht als Teil der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Die traditionelle Qualifikationselite des Industriesektors, die Meister dagegen, sieht die Zukunft eher durch Egoismus und Verteilungsungerechtigkeit (Kluft zwischen arm und reich) geprägt. Auf eine Formel gebracht, lässt sich formulieren- die jungen Qualifikationseliten setzen eher auf die soziale, die alten her auf die technische Beherrschbarkeit der Welt. Entsprechend sind die alten Meister weniger besorgt, wenn es um die Umwelt geht - ihr Vertrauen in die Lösbarkeit von Problemen dieser Art scheint noch weitgehend ungebrochen zu sein. Das zeigt sich auch, wenn gegen die Dimension Angst ("wahrscheinlich" Antworten in auf die Frage 10, Tabelle 8 nach den Risiken)die des Vertrauens gesetzt wird ("unwahrscheinlich" -Antworten). 
 

Berufserwartungen und Bilanzen

Die Gruppe der jungen, hochqualifizierten und schon Arrivierten will, so schon der erste Blick auf die Daten, gefordert werden, das zeigt sich daran, dass bei allen Fragen (Fragenkatalog 8, Tabelle 7), in denen es um Erhöhung und Individualisierung der Arbeitsanforderungen geht (betriebsbezogene Regeln statt Tarifverträge, Arbeitszeit an Betriebserfordernisse anpassen, Steigerung der Arbeitsintensität, Zunahme des internationalen Konkurrenzdrucks aber auch Zunahme der Leistungsorientierung, Beschäftigung in mehreren Job gleichzeitig) diese Gruppe die entsprechenden Entwicklungen für wahrscheinlicher hält als die anderen Gruppen und sie in der Regel auch eher begrüßt. Dabei ist nicht klar, welche dieser Veränderungen sie auf sich selbst beziehen, und welche sie anderen zuzumuten zu können glaubt. Insgesamt halten sie sie jedenfalls für positiv. Das alles passt in ein Bild eines hohen Selbstvertrauens bei gleichzeitiger Distanzierung von den Interessen der traditionellen Gewerkschaftsklientel.


Sie erwarten eher als andere, dass von einer prosperierenden Wirtschaft auch die Arbeitnehmer profitieren. Sie erwarten schließlich eher als andere, dass der Zuzug von Ausländern anhält und begrüßen das auch, obwohl sie wie alle anderen auch glauben, dass die Ausländerfeindlichkeit insgesamt wächst – sie selbst aber würden diese Zunahme eher begrüßen, beanspruchen also eine Ausnahme von dem von ihnen für allgemein gehaltenen Trend.


Dass setzt sich darin fort, dass die jH-Gruppe es akzeptiert, mobiler zu werden zu und sie ist, wie alle Jüngeren, eher bereit, den Sprung in die Selbständigkeit zu riskieren. Unstetigkeit erscheint ihnen insgesamt nicht als Bedrohung sondern als Chance. Die Meister, die im Punkt Erhöhung und Individualisierung der Anforderungen die Erwartungen der jH-Gruppe weitgehend teilen, folgen ihnen nicht, wenn es darum geht, das auch zu begrüßen (Ausnahme betriebsbezogene Regeln statt Tarifverträge).

In vielen Punkten ähneln sich "neue" und "alte" Eliten. Das gilt vor allem für die Identifikation mit der Arbeit, also die Erwartungen bezogen auf die Wichtigkeit von tätigkeitsbezogenen Werten wie Verantwortung, Teamarbeit, Abwechslung und Weiterbildung (Fragenkatalog 1, Tabelle 2). Mehr als die anderen Gruppen sehen sie diese Erwartungen auch erfüllt. Verdienst und Aufstieg werden von der Gruppe der jungen Hochqualifizierten entsprechend positiv gewertet, bei den Meistern nur der Verdienst. Das gilt auch dafür, dass beide, wie im übrigen alle anderen Gruppe auch, das Privatleben im Prinzip für wichtiger halten als den Beruf, wenn auch im Vergleich zu allen anderen mit den niedrigsten Prozentsätzen (Fragenkatalog 2, Tabelle 3). Die Gruppe der Jungen betont dabei der Trennung zwischen den beiden Lebensbereichen: Neun von Zehn meinen, dass die Arbeit ihr Privatleben nicht beinträchtigen darf. Erfolg in der Arbeit ist für sie wichtig, aber Reichtum für jeden zweiten ein Grund, um mit dem Arbeiten aufzuhören. Die Werte für diese Einstellung liegen in fast allen Gruppen hoch – die einzige Ausnahme bilden die jüngeren weiblichen Facharbeiterinnen.

Andererseits identifizieren sie sich mehr als andere mit ihrem Beruf. Darin aber werden sie noch übertroffen von den alten Meistern, die fast geschlossen Arbeit als Herausforderung und Beruf als Sinn des Lebens begreifen. Trotzdem, zwischen der Einstellung im Wesentlichen des Geldes wegen zu arbeiten und der hohen Identifikation mit dem Beruf liegt bei beiden Gruppen ein Widerspruch – der sich auch bei anderen, wenn auch nicht so ausgeprägt, wieder findet. Darauf wird weiter unten, im Abschnitt über den Einfluss des Qualifikationsgrades, eingegangen.

Die Konzentration auf die Erwerbsarbeit ist auch für die jungen schon Arrivierten eine Einschränkung. Sie sehen sich in ihrem Privatleben mehr als die anderen als beeinträchtigt, wenn sie auch "viel Freizeit" (Fragenkatalog 1, Tabelle 2), wie übrigens alle anderen, für nicht "sehr wichtig" halten. Auch familienfreundliche Arbeitszeiten sind für sie wie den anderen Gruppen, mit Ausnahme der älteren Facharbeiterinnen, nicht so wichtig.

Die jungen, schon arrivierten Hochqualifizierten setzen den Akzent auf Arbeit, vermissen aber die durchaus gesuchte Balance zwischen Arbeit und Freizeit und sie trennen zwischen Beruf und Privatem. Die Meister dagegen scheinen mit ihrem Beruf verheiratet zu sein, sie bewerten ihr Leben aus der Perspektive des Berufes. Die Gruppe der schon Arrivierten dagegen parzelliert Arbeit und Privates in vergleichsweise unabhängige Felder. Gewerkschaft ist entsprechend für sie nicht Teil ihrer Identität im Sinn von "Zugehörigkeit", sie erscheint eher als Teilbereichsorganisation zur Lösung von Problem im Sektor der beruflichen Arbeit (mit mehr als der Hälfte will diese Gruppe die IGM auf Probleme der Arbeitswelt beschränken Fragenkatalog 18, Tabelle 14), und auch da, wie sich noch zeigen wird, nicht für die Probleme, die als die eigenen identifiziert werden. Als Symptom passt dazu, dass für diese Gruppe die Sicherheit des Arbeitsplatzes weniger wichtig ist als für alle anderen (Fragekatalog 1 Tabelle2). Sonst sehen bei den eher defensiven Punkten, Arbeitsplatzsicherheit und Arbeits- und Gesundheitsschutz, die beiden Gruppen der Arrivierten und Hochqualifizierten ihre Erwartungen erfüllt. Arbeits- und Gesundheitsschutz ist für beide wichtiger als für andere.

Weiterbildung (Fragenkatalog 3, Tabelle 4) schließlich ist für die Gruppe der jungen Hochqualifizierten eine Selbstverständlichkeit, nur 5 Prozent meinen, dass sie sie nicht brauchen) - ansonsten bestätigt die Anordnung der Gruppen die Generalthesen der Bildungsforschung zur Weiterbildung. Mit steigendem Bildungsrad steigt auch die Weiterbildungsbereitschaft, mit zunehmenden Alter nimmt sie ab: Junge Hochqualifizierte werden gefolgt von, in genau dieser Reihenfolge, jungen Facharbeiterinnen, jungen Facharbeitern, den Meistern vor den älteren Facharbeiterinnen, und diese noch immer vor den älteren Facharbeitern, die mit knapp mehr als der Hälfte die Notwendigkeit der Weiterbildung für sich ablehnen. Wie alle halten auch die jungen und alten "Eliten" eine gute berufliche Erstausbildung wie auch Weiterbildung für zunehmend wichtig und finden das auch gut so.

Die Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen definiert ihre Interessen nicht als kollektive, sondern als individuelle. Was sie braucht, ist weniger Schutz, sondern eher "coaching", also situationsspezifische Angebote von Qualifizierung und Beratung. Nicht Arbeitsplätze müssen für sie gesichert werden, sondern sozusagen ihre Erwerbsbiografie, die diskontinuierlich verläuft. Der schon fast aus der Mode gekommene Begriff der "employability" bezogen auf steigende Anspruchniveaus, sowohl was Inhalte von Arbeit wie Verantwortung und Gratifikationen betrifft, trifft am ehesten den Kernbereich ihrer Interessen.


Politische Horizonte und die Rolle der Gewerkschaften
(Fragenkatalog 13, Tabelle 11)

Das System der sozialen Sicherung so zu erhalten wie es ist, ist nur für ein gutes Viertel der Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen ein politisches Ziel, im Schnitt des Gesamtsamples sind das zwei Drittel. Entsprechend sind sie eher als andere bereit soziale Leistungen zu begrenzen und die Arbeitnehmer stärker an der Finanzierung zu beteiligen, wie diese überhaupt auf eine breitere Grundlage zu stellen. In den beiden letzen Punkten sind die Meister mit den jungen Hochqualifizierten einer Meinung, in den beiden ersten nicht. Die subjektive Selbstsicherheit der Jungen führt, wie nach einfachen logischen Kriterien nicht anders zu erwarten, zu diesen Haltungen. Entsprechend halten sie viele Gewerkschaftsaufgabe für nicht so wichtig - wobei aufgrund der Fragestellung natürlich unklar ist, ob sie die Aufgaben nicht für wichtig halten oder sie als Aufgabe der Gewerkschaft für wichtig halten.


Im Vergleich zum Gesamtsample findet die Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen als Gewerkschaftsaufgabe nicht so wichtig:

  • Sicherung des Arbeitsplatzes, Lohnhöhe, Arbeitszeitregeln, Bekämpfung Arbeitslosigkeit, Soziale Gerechtigkeit, Frauenerwerbstätigkeit


gleich bewertet sie:

  • Arbeits- und Gesundheitsschutz, Beratung für berufliche Weiterbildung, Rechtsberatung, Bekämpfung des Rechtsextremismus


wichtiger als allen anderen erscheint ihr

  • Qualifizierte Ausbildung fördern


In Sachen Ausbau der Mitbestimmung (Im Fragenkatalog 16, Tabelle 12) rangiert die Gruppe in allen Fragen auf den niedrigsten (wenn auch noch immer auf hohem) Niveau. Dasselbe gilt fast durchgehend für den Einsatz der IGM (Fragenkatalog 17, Tabelle 13), auch und teilweise gerade da, wo es sich um originäre Aufgabe der Gewerkschaften handelt (Tarifverträge, Lohnforderungen, natürlich Arbeitszeitverkürzung). Bei keiner der im entsprechenden Fragenkatalog angeschnittenen Themen wird von einer Mehrheit dieser Gruppe mehr Einsatz der IGM gefordert. Daraus auf Zufriedenheit dieser Gruppe mit der Tätigkeit der IGM zu schließen, ist sicher nicht richtig, - selbst bei den Themen, bei denen der Anteil der Gruppe, die glaubt, dass die IGM das gerade richtig macht, die 30 % überschreitet. Das ist nur in Bezug auf die Arbeitszeitverkürzung und die Mitbestimmung der Fall, und das sind nach Meinung der jungen Hochqualifizierten unwichtige Bereiche. Die Daten fügen sich vielmehr zu einem Bild, in dem Gewerkschaft insgesamt als politischer wie sozialer Akteur in seiner Bedeutung reduziert erscheinen soll.


Konsequent werden bei der Frage, ob Konfrontation zur oder Kooperation mit der Bundesregierung politisch sinnvoller sei, eher neutrale Werte angestrichen - klar ist für die Gruppe, dass Gewerkschaften weniger streiken, dafür aber mehr Dienstleistungen und Service anbieten sollen (Fragenkatalog 18, Tabelle 14). Gewerkschaft wird so in der Summe die Rolle als politischer Akteur eher nicht zugestanden. Entsprechend fällt auch ihr Urteil bei den Themen des Fragenkatalogs "Meinungen zur IGM" in Bezug auf betriebliche Arbeit, klare Zukunftskonzepte und wichtige politische Kraft negativer aus als bei allen anderen. Knapp die Hälfte hält Gewerkschaften für "überflüssig" - alle anderen Gruppen stimmen diesem Statement zu höchstens einem Viertel zu, die alten Meister nur zu 13 Prozent.
 

Fazit

Die Interessen der Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen sind andere als die der traditionellen Mitglieder, aber durchaus auf die Erwerbsarbeit bezogen. Aber Gewerkschaften werden als soziale Risikoversicherung, für die, die so was brauchen, gesehen nicht als Partner der eigenen Entwicklung. Dazu passt die Forderung nach mehr "Service", also etwas um das man sich nicht kümmert, solange es man es nicht braucht. Das lässt sich in Analogie setzen zum biografischen Konstrukt des " Lebensabschnittspartner" im privaten Bereich. Statt des Modells der lebenslangen und die Identität berührende wenn nicht gar prägende Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation geht es um ein situatives und kontextgebundenes Engagement entsprechend der aktuellen eigenen aber auch allgemeinen Problemlage. Real ist die biografische Bedeutung von Gewerkschaft für diese Gruppe eher gering, weil sie gerade die Leistungen nicht zu bieten scheint, die diese Gruppe zu brauchen glaubt. Bei ihr geht es um Assistenz bei der individuellen Gestaltung von Karriere und entsprechend um fallweise Kommunikation. Dafür sind sie wohl kaum bereit, ständig Mitglied zu sein oder zu werden.

Die Anforderungen, um die es den Mitgliedern dieser Gruppe dann jeweils geht, sind dann variabel. Im Mittelpunkt stehen weniger ständige Aufgaben im so genannten "Kernbereich", sondern eher Projekte, die sich auf bestimmte Situationen beziehen, aber mit der Lösung der entsprechenden Probleme auch zu beenden sind. Die Gewerkschaft hat sich nach einem solchen Verständnis zu wenige Verhaltensmodell der "Mode" auseinandergesetzt, also mit der Akzeptanz des Wechsels als Prinzip bei gleichzeitiger Akzentuierung des unverwechselbaren eigenen Stils, so, wie es erfolgreiche Couturiers praktizieren.

Der entscheidende Unterschied zwischen der den alten und jungen Hochqualifizierten ist der, dass die Meister auf technische Lösungen setzen, bei der Umwelt - aber auch bei den sozialen Fragen. Technisch meint hier den Rückgriff auf institutionalisierte Verfahrensweisen. Die Gruppe der Jungen dagegen will ihre Probleme individuell lösen, für sie sind Organisationen wie die Gewerkschaft eher Sicherheitsnetze, die da sein müssen, wenn Unfälle passieren. Die Gruppe der jungen schon Arrivierten setzt auf die Lösung vieler Probleme durch viele individuell Erfolgreiche, sie vertrauen also auf das Funktionieren der "unsichtbaren Hand" im Sinne des Adam Smith. Gewerkschaften werden insgesamt nicht als Akteure zur Regelung sozialer Interessengegensätze begriffen - die die Gruppe der schon Arrivierten auch nicht für entscheidende strukturelle Faktoren der Gesellschaft halten. Ihre Einstellung entspricht weitgehend dem, was in den Thesen zur Rekrutierungsfalle als Politikmodell der IT-Angestellten geschildert wird, also einem, das wie zitiert, "flexiblen und dynamisch sich entwickelnden Arbeits- und Arbeitszeitmodell, das den beidseitigen Interessen der Betrieb wie Beschäftigten fair Rechnung trägt". Nur, es geht um mehr als Arbeitszeit: Flexibilität und Mobilität beziehen sich auf die Erwerbsbiografie überhaupt – es geht, um es mit alten Begriffen der Gewerkschaft zu beschreiben weniger um Sicherung als um Gestaltung. 
 

2.2. Das Gegenbild: die klassische Klientel

Gemeint ist damit die Gruppe der Frauen und Männer mit Facharbeiterqualifikation, die älter als 45 Jahre ist, und vor allem die Männer erfasst, die nach dem Zukunftsreport der IGM den Hauptbestand ihrer Mitglieder ausmachen. Die Einstellungsmuster der beiden Gruppen sind ähnlich – außer, da wo es um die "Frauenfragen" geht, also um die familienfreundlichen Arbeitszeiten (Fragenkatalog 1, Tabelle2), die für die Frauen wichtiger sind, und die sie seltener gewährleistet sehen als ihre männlichen Kollegen, aber auch als die Vergleichsgruppe der jüngeren Facharbeiterinnen, und um die Förderung der Frauenerwerbstätigkeit (Fragenkatalog 13, Tabelle11), für die genau das Gleiche gilt. Das in den Thesen von der Rekrutierungsfalle entwickelte "weibliche Politikmodell der Arbeitszeit, in dem "gleiche berufliche Chancen der Geschlechter bei insgesamt stärkerer Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Beruf und außerberuflicher Lebensführung" gefordert wird, findet eher bei den älteren als bei den jungen Frauen mit Facharbeiterqualifikation seine Entsprechung – also vielleicht eher aus der Retrospektive, als bei der Formulierung von Zukunftserwartungen. Bei der Analyse der Daten der nächsten Gruppe, der der jungen Facharbeitern und Facharbeiterinnen wird darauf zurückzukommen sein.

Szenarien und Erwartungen

Für beide Gruppen, ältere Facharbeiter und Facharbeiterinnen, ist die Welt noch mehr als für alle anderen ein eher bedrohlicher Ort. Bei allen Kategorien, die mit Ängsten zu tun haben (Fragenkatalog 10, Tabelle 8), rangiert diese Gruppen fast durchgehend hoch, ähnlich nur die Gruppe der jungen Facharbeiterinnen, die sie noch übertrifft. Dabei sind generell die Frauen "ängstlicher" als die Männer. Das gilt analog auch für das Vertrauen in die Zukunft. Denn umgekehrt ist es so, dass auf Wirtschaftswachstum und die eigene Beteiligung daran nur wenige der alten Facharbeiter und Facharbeiterinnen hoffen (Fragenkatalog 8, Tabelle 7). Die Zukunft scheint für sie nur noch wenig bereitzuhalten. Zwar würden es, wie nicht anders zu erwarten, fast alle begrüßen, dass es der Wirtschaft wie den Arbeitnehmern besser geht, aber während in der Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen fast jeder zweite glaubt, dass eine solche Entwicklung eintreten wird, ist es bei den "Alten" gerade mal jeder sechste. Kaum einer von Ihnen (3,7 % der Männer, 1,4 % der Frauen Frage 11, Tabelle 9) geht davon aus, dass die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Zukunft gerechter werden wird. Die Grundeinstellung der Älteren ist, auf zwei Begriffe gebracht, eher pessimistisch und eher defensiv. Das gilt vor allem für die Frauen, aber ihre Einschätzungen entsprechen ja nach wie vor der objektiven Chancenverteilung, sie sind also realistisch..

Dieser relative Pessimismus der Alten kombiniert mit der Tatsache, dass ihre eigenen individuellen Möglichkeiten ihre Situation noch zu verändern schon aufgrund ihres Alters durchschnittlich gering sind, muss in der Konsequenz dazu führen, dass sie auf Erfolge ihrer institutionalisierten Interessenvertretung, also auf kollektive Lösungen, setzen müssen, wenn sich ihre Zukunftserwartungen aufhellen sollen. Sie müssten entsprechend eine hohe Affinität zu gewerkschaftlichen Forderungen vor allem im Schutzbereich entwickeln.


Berufserwartungen und Bilanzen

In Bezug auf die Individualisierungskategorien des Fragenkatalogs 8 (Tabelle7) reagieren beide Gruppen, wie nicht anders zu erwarten, bei durchaus vergleichbaren Einschätzungen der Entwicklung eher ablehnender als die Gruppe der jungen Hochqualifizierten. Während letztere Gruppe vor allem bei den Punkten Mobilität und Steigerung der Arbeitsanforderungen aufgrund der internationalen Konkurrenz mit "satten" Mehrheiten für eine individuellere und leistungsintensivere Gestaltung der Erwerbsarbeit votiert, wird eine Mehrheit bei den alten Facharbeitern und Facharbeiterinnen dafür nirgends erreicht. Die einzige Ausnahme macht die Erwartung der Zunahme der Selbständigkeit, von der aber nur eine Minderheit glaubt, dass sie zutrifft. Hier zeigt sich eine relativ klare und soziologisch einfach begründbare Teilung der Interessen: die ältern hoffen auf Besitzstandwahrung im Sinne von Strukturerhaltung der Arbeitsbedingungen, die jungen Hochqualifizierten und Erfolgreichen wollen genau diesen Strukturen entrinnen, um ihre eigenen Pläne und Hoffnungen realisieren zu können.

Dazu passt, dass sich die "Alten" in Bezug auf die Bedeutung von beruflicher Bildung und Weiterbildung kaum von allen anderen unterscheiden, aber, die Bereitschaft sich selbst (noch) weiterzubilden ist in dieser Gruppe, wie nicht anders zu erwarten, am geringsten. Auch auf diesem Weg, so lässt sich ein Fazit der Resignation ziehen, ist ihre berufliche Situation nicht oder nicht mehr zu ändern.

Arbeit, so wäre die Schlussfolgerung, ist für die Gruppe, die den einmal eingeschlagenen Berufsweg im guten Falle, so wie er ist, zu Ende gehen kann, etwas, was getan werden muss - nicht (mehr) etwas, in dem man sich selbst entwickelt und entfaltet. Aber zumindest auf den ersten Blick ist die Berufsidentifikation wie die Auslastung durch die Arbeitsanforderungen (Fragenkatalog 2, Tabelle 3) durchaus vergleichbar mit den anderen Gruppen, natürlich etwas niedriger als bei den jungen und alten Hochqualifizierten. Arbeit ist auch für sie zentraler Orientierungspunkt im Leben. Andererseits würden die Angehörigen dieser Gruppe eher als alle anderen aufhören, wenn sie das Geld, das sie verdienen, zum Leben nicht brauchten. Arbeit ist notwendig, sowohl ökonomisch wie sozial – aber der eigenen Identität, verstanden als Identifikation mit den Arbeitsinhalten, bleibt sie ein Stück fremd: Ganz altmodisch, marxistisch, ausgedrückt, schimmert die Erfahrung der Entfremdung durch diese ambivalente Einstellung zur Arbeit. Arbeit, etwas plakativ ausgedrückt, ist Schicksal, und damit hat man sich abgefunden und insofern identifiziert. Ganz früher wäre das als Arbeitertugend "Pflichtbewusstsein" bezeichnet worden. Vier von fünf fordern, dass Arbeit ihr Privatleben nicht beeinträchtigen darf (Fragenkatalog 2, Tabelle 3). Das ist im Vergleich zu den anderen Gruppen nicht sehr hoch – aber es hat eine andere Grundlage, weniger als andere beklagen sie, dass sie zu wenig Zeit für ihr Privatleben haben und sehen ihre Freizeitbedürfnisse insgesamt erfüllt (Fragenkatalog 1, Tabelle 2). Sie haben, so scheint es, eine tatsächliche Trennung von Erwerbsarbeit und Privatem, wo sie möglicherweise die Arbeit verrichten, mit der sie sich auch der Sache nach identifizieren (was sicher zu überprüfen wäre, aber vom Fragebogen nicht erfasst wird) vollzogen und suchen ihre persönlichen Interessen möglicherweise eher dort umzusetzen.

Dazu passt, dass sie Erfolg im Beruf noch am ehesten für nicht so wichtig halten und Arbeit stärker als alle andere als Mittel zum Geldverdienen begreifen (Fragenkatalog 2, Tabelle3). Das zeigt sich auch in der Bewertung der Entwicklung der Arbeit (Fragenkatalog 6, Tabelle 7), zunehmende Eintönigkeit wird weniger ausgeschlossen als von allen anderen, Abwechslung in den Arbeitsabläufen wird eher nicht erwartet. Wieder ist diese Tendenz bei den Frauen ausgeprägter als bei den Männern. Die Erwartung, dass der eigene Arbeitsplatz in Zukunft wegfallen wird, also eigentlich außer für sie bzw. ihren Lebensunterhalt selbst, nicht mehr gebraucht wird, ist bei dieser Gruppe vergleichsweise ausgeprägt und bestätigt die schon vermutete Distanzierung von dem, was sie arbeiten. Wieder sind bei den jüngeren Facharbeiterinnen die Resultate ähnlich, oft sogar noch pessimistischer – aber diese Gruppe stellt möglicherweise Arbeit auch nicht im Sinne von Pflicht in das Zentrum ihres Lebens.

Dass als Folgen der technischen und organisatorischen Veränderungen (Fragenkatalog 8, Tabelle 7) betriebsbezogenere Regelungen und Anpassungen der Arbeitszeiten an die Betriebserfordernisse eintreten, wird von weniger Mitgliedern dieser Gruppe für sicher gehalten als von denen der anderen Gruppen, und auch seltener begrüßt. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich in der vergleichsweise geringen Anzahl derer, die glauben, dass die meisten technischen und organisatorischen Veränderungen in den Betrieben noch nicht eingetreten seien. Die These, dass sich alles gerade und in Zukunft verändert, gehört nicht zum Orientierungsmuster der älteren Facharbeiter und Facharbeiterinnen. In fast allen Einschätzungen des Auftretens der im Fragenkatalog 8 aufgezählten Entwicklungen weichen die Werte für diese Gruppe in dieser Richtung von denen der anderen Gruppen, vor allem der jungen Hochqualifizierten in Führungspositionen, nach unten ab. Der Pessimismus relativiert sich dadurch zumindest bezogen auf die konkreten eigenen Arbeitswelten, er bezieht sich eher auf die ökonomische und politische Großwetterlage, deutet also wieder drauf hin, dass diese Gruppe auf politische Akteure setzen muss, oder umgekehrt, befürchten muss, dass sich die Chancen der Gewerkschaften als ein solcher Akteur Einfluss zu nehmen, verringern. Für das letztere spricht, dass die älteren Facharbeiter und Facharbeiterinnen den sozialen Frieden eher gefährdet sehen als alle anderen Gruppen (Fragenkatalog 10, Tabelle 8). Sie glaube also, einerseits, dass nicht (mehr) technische bzw. organisatorische Veränderungen die Zukunft noch entscheidend verändern werden, sondern die Situation politisch beeinflussbar ist. Anderseits erwarten sie für die Zukunft die Verschärfung sozialer Konflikte. Die Frage ist, wie sie in diesen die Erfolgsaussichten einer an ihren Interessen ausgerichteten Politik einschätzen.


Politische Horizonte und die Rolle der Gewerkschaften

Mehr als zwei Drittel der Befragten glauben eher nicht, dass die Macht der Gewerkschaft zunehmen wird, und nur jeder sechzehnte glaubt, dass die Solidarität der Beschäftigten, schließlich die Grundlage der gewerkschaftlichen Macht, zunehmen wird. Da unterscheiden sich die Zahlen bei den älteren Facharbeitern und Facharbeiterinnen nicht wesentlich von denen der anderen Gruppen (Fragenkatalog 8, Tabelle 7). Begrüßen würden das bezogen auf die Machtfrage in dieser Gruppe aber jeweils zwei Drittel der Männer und drei Viertel der Frauen. Zum Vergleich: bei der Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen liegt diese Zahl bei 57 und bei den "alten Meistern" bei 52 Prozent. Während eine Zunahme der Solidarität von immerhin mindestens zwei Dritteln in allen Gruppen positiv bewertet wird. Im Gegensatz dazu begrüßt jeder dritte bei der Gruppe der jungen schon Aufgestiegenen eine Schwächung gewerkschaftlicher Macht durch Globalisierung, während das nur für etwas mehr als jeder zehnte in der Gruppe der alten Facharbeiter und Facharbeiterinnen der Fall ist. Die Abweichungen zeigen in die vermutete Richtung, zwar identifizieren sich die ältern Facharbeiter und Facharbeiterinnen mit der Gewerkschaft- aber sie halten sie nicht gerade für "mächtige" Akteure, was sie aber bedauern.

Während nur ein gutes Viertel der Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen das soziale Systems, so wie es ist, erhalten will, sind es bei der Gruppe der alten Facharbeiter über gut zwei Drittel bei den Facharbeiterinnen sogar drei Viertel (Fragenkatalog 12, Tabelle 10). Eine Einschränkung der sozialen Leistungen bzw. eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer wird in der Gruppe der jungen Hochqualifizierten von knapp der Hälfte, bei der Kontrastgruppe von lediglich einem Fünftel für richtig gehalten. Auch bei der Umstellung der Finanzierungsarten der sozialen Sicherung liegen die Werte für diese Gruppe im Vergleich niedrig. Dieser Konservativismus im Bereich der Vorsorgesysteme ist nicht nur ein Alterseffekt - also eine Konsequenz der Einsicht in die Tatsache, dass für die eigene Zukunft nur noch wenig zu gewinnen und vorzusorgen ist. Die jungen Facharbeiter und Facharbeiterinnen denken ähnlich. Hier scheint wieder eine klare Teilung der Interessen und zwar eine, die nicht durch die Zeit geheilt werden kann, weil sie auf einer zunächst überraschend ähnlichen Einschätzung der jeweiligen soziostrukturellen Situation beruht und zwar sowohl aus der Perspektive des Rückblicks aber eben auch der Aussicht auf eine Erwerbsbiografie, deren Verlauf keine Einkünfte nach Meinung der Betroffenen verspricht, mit denen sich eine individuelle oder auch nur teurere Vorsorge gegen Krankheit und Alter zuverlässig gewährleisten lässt. Das bestätigt sich durch den Blick auf die Vergleichsgruppen. Die beiden Gruppen der Hochqualifizierten reagieren anders, die jungen halten das System der sozialen Sicherung nur zu einem Viertel für erhaltenswert, die alten Meister halten daran fest, sind aber bereit, die Finanzierungsart in Frage zu stellen.

Die höchsten Werte als wichtige Aufgabe der Gewerkschaft (Fragenkatalog 13, Tabelle 11) erreichen in der Gruppe der alten Facharbeiter und Facharbeiterinnen die eher defensiven Schutzaufgaben: Sicherheit der Arbeitsplätze, Verringerung der Arbeitslosigkeit (mit je mehr als 70 %) und, mit Werten zwischen 40 und 50 %, offensivere, aber konventionelle Forderungen wie Durchsetzung von Lohnforderungen, soziale Gerechtigkeit und, bei den Frauen, Förderung der Frauenerwerbstätigkeit, dazu gehört auch, wie bei allen anderen, Arbeits- und Gesundheitsschutz. Individuelle Förderung (Weiterbildung, Ausbildung) rangieren, vor allem im Vergleich zur Gruppe der jungen, hochqualifizierten und bereits Aufgestiegenen deutlich weiter hinten. Auch Arbeitszeit und Arbeitsrecht wie die Unterstützung der Betriebsräte werden nur von einem Drittel der älteren Facharbeiterinnen und Facharbeitern für wichtig gehalten. Es sieht fast so aus als ob der Erhalt des Arbeitsplatzes, die Sicherung des Einkommens auch über die Zeit der Erwerbsarbeit hinaus und Gesundheit das ist, was letztlich wichtig ist. In allen anderen Bereichen ist bei vielen wirkliches Engagement nicht (mehr) zu erkennen. Ähnlich, aber nicht so abweichend von den anderen Gruppen zeigt sich das Bild bei der Frage, wofür sich die IGM besonders oder eben nicht einsetzen soll (Fragenkatalog 17, Tabelle 13). Gestaltungsspielräume und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten sind eben nicht das, was von dieser Gruppe in der Arbeit gesucht wird, sie wollen ihre Interessen als Gruppe vertreten sehen, verstehen sich als soziale Kategorie, oder, politischer ausgedrückt, als Interessengemeinschaft.

In der Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern (Fragenkatalog 18, Tabelle 14) setzt, im Vergleich zu den anderen Gruppen, die Gruppe der älteren Facharbeiter und Facharbeiterinnen eher auf das bewährte Mittel des Streiks als auf Verhandlungen. Diese Konfliktbereitschaft zeigt sich auch bezogen auf den Umgang mit der Arbeitslosigkeit wie für das Verhältnis zu den Arbeitgebern überhaupt – ähnlich agieren nur die jungen Facharbeiter. Die Frauen zeigen sich in beiden Gruppen kooperativer. In Bezug auf die Bundesregierung als möglicher Kooperationspartner ist das Bild über alle Gruppen hinweg vergleichsweise einheitlich (Ausnahme die in dieser Frage relativ indifferenten Gruppe der jungen bereits Aufgestiegenen), der relativ größte Teil setzt auf Kooperation.

Über alle Gruppen hinweg – mit der schon gewohnten Ausnahme der jungen Hochqualifiziertengruppe in Sachen Service – sehen alle, also unabhängig vom Alter und Geschlecht, die Gewerkschaften als Organisation, die sich auf ihre klassischen Arbeitsfelder zu beschränken hat (Fragenkatalog 18, Tabelle 14). Während in der Unterscheidung zwischen Service und Überzeugungsarbeit noch eher Indifferenz mit einem leichten Akzent auf Service vorherrscht, meint nur ein Zehntel von allen Gruppen, dass Gewerkschaften Dienstleistungen eher im Alltag statt bei der Arbeit bringen soll und zwischen knapp 10 und 18 Prozent, dass sich die Gewerkschaften in die Tagespolitik einmischen sollen statt sich auf die Arbeitswelt zu beschränken. Diese Resultate mögen dadurch mitverursacht sein, dass einige Entscheidungen als Alternativen formuliert sind die in Wirklichkeit so nicht bestehen (vgl. dazu im Fragebogen die Fragen 18, 13, bzw. 18,16). Aber trotzdem schein klar zu sein, dass die IGM als traditionelle Gewerkschaft wahrgenommen wird und sich für die meisten in diesem Punkt auch nicht ändern soll.


Fazit

Auf die Gruppe der älteren Facharbeiter und Facharbeiterinnen können sich die Gewerkschaften verlassen: die Interessen, die sie äußern, decken sich weitgehend mit dem, was die Gewerkschaften im System der Erwerbsarbeit als Politik verfolgen und, das wird im folgenden zu prüfen sein, sie teilen diese Einstellungen mit den jüngeren Kollegen und Kolleginnen gleicher Qualifikation und Position. Danach können die Gewerkschaften auf den ersten Blick optimistisch in die Zukunft sehen, denn diese Qualifikationsgruppe stellt nach wie vor den größten Anteil der Arbeitnehmer und das wird auch zumindest mittelfristig in der Zukunft so bleiben. Die Frage ist trotzdem, ob das eine gute Nachricht ist. Denn es ist so, dass zwar einerseits Gewerkschaften und gewerkschaftliche Politik von dieser Gruppe akzeptiert werden, aber andererseits diese Politik nicht als eine eingeschätzt wird, die sich in Zukunft durchsetzen lässt

Subjektive Resignation, die sicher nicht nur eine Folge der Tatsache ist, dass das Ende der Berufsbiografie in Sicht ist, und politischer Pessimismus prägen die Einstellungen dieser Gruppe. Dabei ist der Pessimismus weniger der Erwartung zuzurechnen, dass der technische und organisatorische Wandel die Art von Arbeit, die diese Gruppe, zum Teil ein Arbeitsleben lang, verrichtet hat, überflüssig macht, sondern vielmehr der Angst, dass das politische und soziale System brüchig wird. Die Schlussfolgerung, die daraus zu ziehen ist, ist die, dass die älteren Facharbeiter und Facharbeiterinnen Einschnitte in die politischen Möglichkeiten der Gewerkschaften und Leitungen des sozialen Systems als Staats- bzw. politisches Versagen werten werden. Die Hoffnung, dass die Gewerkschaften diesen Prozess aufhalten werden, ist nicht sehr ausgeprägt.

Gewerkschaft scheint auch für diese Gruppe wie schon für die der jungen hochqualifizierten Jungen in Führungspositionen kein Zukunftsprojekt zu sein. Ist es in dem einen Fall die Auffassung, dass Gewerkschaften nicht die Partner der eigenen Berufswege oder Karrieren sein können, die die Gewerkschaften also in ihren Funktionen für die eigenen Interessen in Frage stellt, ist es im andern Falle die Besorgnis, dass Gewerkschaften nicht mehr in der Lage sind, Politik entscheidend zu beeinflussen. Diese Besorgnis kann zur Gewerkschafts-"treue" sicher beitragen, aber zukunftsfähig macht es die Gewerkschaften sicher nicht. Ein eigenes Politikmodell ist für diese Gruppe rasch entworfen: Es geht im Wesentlichen um die Sicherung des Status quo in einer Zeit, in der vor allem sicher geglaubte soziale Ansprüche innerhalb wie außerhalb der Erwerbsarbeit zu verteidigen sind.

Die Frage stellt sich, inwieweit die jüngeren Facharbeiterinnen und Facharbeiter die Orientierungen der einen oder der anderen der beiden hier als gegensätzlich gesetzten und in vieler Hinsicht auch so zu beschreibenden Gruppen teilen, mit denen sie ja einerseits das Alter andererseits den sozialen Status gemeinsam haben.
 

2.3. Zukunft oder Vergangenheit:
       Die jüngeren Facharbeiterinnen und Facharbeiter

Es liest sich auf den ersten Blick wie eine falsche Frage: Was entscheidet über Orientierungen, die Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte oder zum Geschlecht oder der soziale Status, hier gemessen als berufliche Qualifikation und Position? Selbstverständlich prägt beides, aber nicht in allen Lebensbereichen. Aber, die Frage ist, was ist der Faktor, der wo genau den größeren Unterschied macht? Eine erste Antwort auf Basis des hier zugrunde liegenden Materials kann durch die Interpretation der Daten der Gruppen gewonnen werden, die nach Alter und Geschlecht eher als gewerkschafts"fern" im Sinne der Rekrutierungsthese gelten, nach ihrer Qualifikation und Position aber als gewerkschafts"nah" eingestuft werden können, also die Gruppe der jüngeren Facharbeiterinnen und Facharbeiter.

Szenarien und Erwartungen

Das Alter spielt keine große Rolle: In Bezug auf die Befürchtungen, sowohl bezogen auf die eigene wie die allgemeine Situation, (Fragenkatalog 10, Tabelle 8) äußern sich die jüngeren Facharbeiterinnen und Facharbeiter fast genau so pessimistisch wie ihre älteren Kollegen und Kolleginnen. Dabei sind wie dort auch die Frauen stets pessimistischer als die Männer. Das gilt auch für die Frage nach der Koinzidenz von Wirtschaftswachstum und der Verbesserung der Situation der Arbeitnehmer (Fragenkatalog 8, Tabelle 7) und für die Einschätzungen der Zukunft in Folge der Globalisierung und bezogen auf den eigenen Betrieb und die Beschäftigungsentwicklung dort. Das Gleiche zeigt sich für die Verteilungsfrage (Frage 11, Tabelle 9). Insgesamt lässt sich aus diesen Resultaten auf eine These vom typisch weiblichen Pessimismus schließen – oder aber darauf, dass die Frauen ehr dort Befürchtungen äußern, wo sie sich nicht im Kern getroffen fühlen. Aber, nicht zu beantworten ist aufgrund fehlender Fragestellungen, inwieweit sich die einzelnen Gruppen durch allgemeine politische und soziale Entwicklungen überhaupt betroffen fühlen. Es kann ja sein, dass die Einschätzung der individuellen Betroffenheit und der Pessimismus in Bezug auf bestimmte Entwicklungen nicht positiv korrelieren – bei der Gruppe der jungen hochqualifizierten und schon Arrivierten war in Bezug auf die Entwicklungen im Beschäftigungssystem eine solche Tendenz festzustellen.

Die Differenz zwischen den Gruppen der alten bzw. jungen Facharbeiter und Facharbeiterinnen ist also bezogen auf die allgemeine soziale Entwicklung und das Verhältnis zur Umwelt kein Alterseffekt, sondern eher auf die ähnlichen Positionen im Beschäftigungssystem zurückzuführen. Wenn das stimmt, führt die Perspektiven aufgrund des sozialen Standortes zu einer Resignation - Verbesserungen der allgemeinen Situation werden eher nicht erwartet.

Zu den Daten der Frauen passt dieses Bild noch mehr als zu Männern – die Frage ist, inwieweit der allgemeine Pessimismus zusammenfällt mit der Einschätzung der Risiken bzw. Erwartungen für die eigene Situation. Von Arbeitslosigkeit bedroht sehen sich die Jungen so wenig wie die Alten (jeweils etwas über 10 %), dem Wandel der Arbeitswelt fühlen sie sich eher gewachsen als diese – vergleichbar der Gruppe der jungen Hochqualifizierten. Daraus könnte eine These abgeleitet werden, nach der sich bei den Jungen ein sozialer und politischer Pessimismus mit einem individuellen Optimismus paart. Wenn das so ist, müsste in dieser Gruppe häufig Meinungen geäußert werden, die eine Ausnahmestellung in dem Sinne beansprucht, dass das eigene Schicksal auch unter widrigren Bedingungen gemeistert werden kann. Das müsste sich vor allem in den Antworten zum nächsten Komplex widerspiegeln.
 

Berufserwartungen und Bilanzen

In den Erwartungen über die Entwicklung der Arbeitswelt (Fragenkatalog 8, Tabelle7 erster Teil) ähneln die Resultate der Gruppe der jungen Facharbeiterinnen und Facharbeiter durchgehend eher denen der älteren mit gleicher Qualifikation und Position als denen ihrer hochqualifizierten Altersgenossen, wieder ist also der Blick aus der gleichen Position auch der gleiche. Das gilt nicht mehr, wenn des um die Akzeptanz der Entwicklung geht. Die Trends sind da uneinheitlich.

Ein Beispiel: Die Gruppe der jungen Facharbeiterinnen, die die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit für sicher hält (Fragenkatalog 1, Tabelle 2) begrüßt diese Entwicklung, wie nicht anders zu erwarten, mehr als alle anderen, die diese Erwartung teilen. Die Frage ist, wie diese Erwerbstätigkeit aussehen soll: Eine Erhöhung der Mobilitätsanforderungen halten sie für sicher, aber sie lehnen sie ab wie sonst keine Gruppe. Beschäftigung in mehreren parallelen Tätigkeiten dagegen akzeptieren sie eher als alle anderen. Die Zunahme der Teamarbeit(Fragekatalog 1, Tabelle 2) akzeptieren sie die Zunahme der Leiharbeit eher weniger als die anderen, obwohl mehr von ihnen sie für wichtig halten als bei anderen Facharbeitern und Facharbeiterinnen. Der Arbeitsplatz ist, so lässt sich das erst einmal zusammenfassen, für sie nicht der Ort, wo sie ihre zentralen sozialen Beziehungen suchen oder finden. Die Abhängigkeit der beruflichen Chancen von der Erstausbildung sehen sie, wenn auch bei hohen positiven Werten, skeptischer als andere. Die Rolle der beruflichen Weiterbildung schätzen sie vergleichsweise geringer ein als andere. Der Arbeitsplatz scheint also auch nicht der Ort zu sein, an dem sie ihre Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten suchen. Beides spricht dafür, dass sie Erwerbsarbeit anpassen wollen an ihre Lebensumstände- an ein bestimmtes Arbeitszeitmodell, das die Möglichkeiten in dem für sie zentralen privaten Bereich nicht zu sehr einschränkt. Dabei bleibt etwas vage, worauf sich das bezieht, auf die Bedeutung der Familie wurde im Fragebogen nicht eingegangen. Jedenfalls rangieren die jungen Frauen bei der Identitätskategorie, "Beruf ist Sinn meines Lebens" als einzige Gruppe (Fragenkatalog 2, Tabelle 3) unter 50 Prozent. Erfolg im Beruf ist für sie nicht so wichtig und Arbeit ist für fast zwei Drittel lediglich Mittel zu Geldverdienen, aber nur ein Drittel, und das ist der niedrigste Wert aller Gruppen, würde aufhören zu arbeiten, wenn es finanziell möglich wäre.

Erwerbsarbeit ist, so wäre eine mögliche Schlussfolgerung, zwar wichtig als Statusmerkmal aber zumindest weniger wichtig als Identitätskategorie- das verweist auf das was eingangs als "weibliches Politikmodell" bezeichnet wurde, nach dem also die Vereinbarkeit von Beruf und außerberuflichem Leben von großer Bedeutung ist. Aber, nur ein gutes Viertel beklagt sich aber darüber, dass der Beruf zu wenig Zeit für das Privatleben lässt. Die jungen männlichen Facharbeiter dagegen setzen eher auf den Beruf als Sinnstifter für ihr Leben, fühlen sich mehr durch die Arbeit gefordert und meinen fast zur Hälfte, zu wenig Zeit für das Privatleben zu haben. Mit anderen Worten: sie sind wesentlich mehr eingebunden in das Arbeitsleben und akzeptieren daher auch eher als die gleichaltrigen Frauen die Entwicklungen, die sie erwarten (Fragenkatalog 8, Tabelle 7, erster Teil) und die neue Anforderungen an sie stellen – eine deutliche Ausnahme bilden die Antworten auf die Frage nach Akzeptanz "mehrerer Jobs" nebeneinander, was aber zu ihren stärkeren Bindung an Beruf und Arbeitsplatz passt.

Dieses Muster setzt sich bei den Fragen nach den Berufserwartungen (Fragenkatalog 1, Tabelle 2) fort, auch bezogen auf die Folgen des technischen und organisatorischen Wandels (Fragenkatalog 7, Tabelle 6), von denen die Frauen eher negative Auswirkungen erwarten. Aber bei dem Thema "Zeit" zeigt sich ein neuer, und zunächst überraschender Unterschied zwischen Frauen und Männern in der "jungen" Gruppe. "Geregelte Arbeitszeit" für junge Frauen wichtiger als für Männer, aber für fast alle sind sie, wieder im Unterschied zu den Männern, auch geregelt. Freizeit und auch familienfreundliche Arbeitszeiten sind für die Männer wichtiger, die Männer meinen eher nicht, dass sie genug Freizeit haben, die Frauen dagegen sind damit zufriedener. Wenn das richtig ist, sehen sie die Zeitarchitektur nicht als Problem betrieblicher Organisation oder politischer Interessenvertretung. Ein großer Teil der jungen Frauen sieht Zeitmanagement als eine von ihnen selbst zu lösende Aufgabe, was der These vom weiblichen "Politik"modell erst einmal widerspricht.

Natürlich setzen die Jungen eher auf Weiterbildung als die Alten (Fragenkatalog 3, Tabelle 4), wenn auch nicht so sehr wir die Gruppe der jungen Hochqualifizierten. Dabei liegen die Werte bezogen auf die Funktion der Weiterbildung für die Zukunft, vor allem bezogen auf die Sicherung des Arbeitsplatzes, für die Frauen durchgehend höher als die für die Männer. Frauen, so scheint es, setzen eher darauf, sich Optionen zu sichern, sie handeln und entscheiden individualistischer. Im Quervergleich ähneln die jungen Frauen darin eher der Gruppe der jungen hochqualifizierten bereits Arrivierten, als den älteren Facharbeiterinnen und Facharbeitern, während es bei den jungen Männern eher umgekehrt ist. Geschlecht macht also in dieser Altersgruppe einen deutlichen Unterschied.


Politische Horizonte und die Rolle der Gewerkschaften

In Bezug auf die Zunahme der Macht der Gewerkschaften sind die Jungen nicht viel optimistischer als die Alten, auch sonst unterscheiden sich beide Gruppe in der Beurteilung des politischen Szenariums kaum (Fragenkatalog 8, Tabelle 7). Das gilt auch für die Einstellungen zur Zukunft des Sozialstaates (Fragenkatalog 12, Tabelle 10). Nur eine Minderheit ist bereit, Leistungen einzuschränken oder zur sozialen Sicherung selbst mehr beizutragen. Die Gruppe ist in dieser Beziehung eher strukturkonservativ.

Das gilt auch für die Aufgaben der Gewerkschaften (Fragenkatalog 13, Tabelle 8). Mehrheiten werden in der Kategorie "wichtig" zwar nur bei den Themen Arbeitsplatzsicherheit und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und fast bei der Förderung der sozialen Gerechtigkeit erreicht, aber die übrigen Werte liegen ähnlich wie bei den anderen Gruppen – mit Ausnahme der jungen Hochqualifizierten. Männer, das überrascht jetzt nicht mehr, setzen durchweg eher auf die Gewerkschaften als Frauen. Mitbestimmung dagegen ist fast allen Dimensionen für fast alle ein wichtiges Thema, bei den Facharbeiterinnen und Facharbeitern wie bei Meistern rangiert alles meist weit jenseits der 50 %-Marke. Ausbau der Mitbestimmung scheint ein zentrales Anliegen zu sein, im Unterschied eben zur Rolle der Gewerkschaften. Das gilt, wenn auch abgeschwächt, sogar für die Gruppe der jungen Hochqualifizierten.

Wenn es Themenkatalog geht, wofür die IGM sich eher einsetzen soll (Fragenkatalog 17, Tabelle 13) liegen die Werte niedriger als die für die Mitbestimmung aber höher als die für die Gewerkschaften. Je betriebsnäher die Akteure, umso höher die Anforderungen an sein Engagement. Das gilt ausdrücklich nicht für die für die IGM so zentrale Frage der Arbeitszeitverkürzung. Fast alle Gruppen (einzige Ausnahme: die jungen Facharbeiterinnen) votieren in diesem Punkt eher für einen geringeren Einsatz der IGM. Überhaupt scheint sich bei einer Reihe von Fragen auf den ersten Blick das gewohnte Bild in sein Gegenteil zu verkehren. In Bezug auf gemeinsame Tarifverträge für Berufsberatung, Erhalt der sozialen Sicherungssysteme, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, allen Arbeitszeitthemen (Ausnahme Abbau von Überstunden), der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Gleichstellung, Ost-West-Ausgleich aber auch dem Ausbau der Mitbestimmungsrechte fordern die jungen Facharbeiterinnen eher mehr politischen Einsatz der IGM als die gleichaltrigen Männer. Aus dem Themenkatalog lässt sich nur in wenigen Punkten (Zeitfragen, Gleichstellungsproblematik) eine Genderproblematik konstruieren, also nicht durchgehend. Fazit ist: die jungen Frauen erwarten von der IGM mehr Einsatz als alle anderen Gruppen. Das steht im Widerspruch zu den Resultaten im Block Berufserwartungen und Bilanzen, wo festgestellt wurde, dass die Frauen eher auf individuelle als politische Lösungen setzen. Vielleicht liegt eine Erklärung darin, dass bei den als brisant empfundenen Problembereichen Aktivität überhaupt erwartet wird und wenn ein Akteur fragt, ob er etwas machen soll, bekommt er die entsprechende Antwort.

Aber die jungen Facharbeiterinnen erwarten deswegen nicht unbedingt eine höhere Konfliktbereitschaft der IGM (Fragenkatalog 18, Tabelle 14). Überall wo Kooperation und Konflikt mit anderen Akteuren in Beziehung gesetzt werden setzen die jungen Frauen eher als alle anderen Facharbeiter und Facharbeiterinnen auf Kooperation. In Bezug auf die Unterscheidung zwischen Service und Überzeugungsarbeit als Schwerpunkt der Tätigkeit der IGM sind sie indifferenter als andere Gruppen.


Fazit:

Die eingangs dieses Abschnitts gestellte Frage ob eher Alter und Geschlecht oder die soziale Position den Unterschied in den Orientierungen ausmacht, erfordert ein differenzierte Antwort. In vielem bilden alle Facharbeiter und Facharbeiterinnen eine ähnlich strukturierte Gruppe. Die Gruppe ist relativ strukturkonservativ, sie setzt nicht viel Vertrauen in die Zukunft und ihre Interessen decken sich weitgehend mit dem, was im Fragebogen als Arbeitnehmerfrage vorformuliert wurde. Alterunterschiede spielt da keine so große Rolle, wohl aber und zwar in beiden Altersgruppen der Facharbeiter und Facharbeiterinnen, wenn auch ausgeprägter in der jüngeren, das Geschlecht. Das weibliche Modell einer Arbeitszeitpolitik lässt sich zumindest als Forderung an die Gewerkschaften nur in Ansätzen identifizieren, deutlicher dagegen die Akzentuierung von Gleichstellungsfragen, aber beide Themen erscheinen in den Köpfen nicht wirklich politisiert zu sein.

Weiterbildung ist für alle Jüngeren, wie im entsprechenden Politikmodell postuliert, ein Thema, aber es prägt eben auch nicht mehr als andere den politischen Forderungskatalog. Es scheint ein wenig, als hätte die hier untersuchte Alterskohorte ihren spezifischen politischen Themenkatalog noch nicht gefunden – oder, als hätte der Fragebogen die Themen dieser Gruppe nicht richtig erreicht. 
 

2.4. Fazit des Gruppenvergleiches:

Der Vergleich der sechs Gruppen führt zu folgender Struktur: einerseits das erwartete, aber nicht so einfach, dass einfach ein Gradient konstruiert werden kann, auf dem sich die Gruppen nach Gewerkschaftsnähe oder -ferne anordnen lassen. Sondern eher lassen Koalitionen ausmachen: mal verbindet die soziale Situation, mal das Geschlecht mal auch die Qualifikation, aber grosso mode scheint die Kombination aus Qualifikation und möglicherweise Position ausschlaggebend zu sein: Das heißt, die Facharbeiter lassen sich unhängig von Alter und Geschlecht den beiden Gruppen der Hochqualifizierten gegenüberstellen. Eine relativ hohe Qualifikation ist nicht nur die (notwendige, wenn auch möglicherweise nicht ausreichende) Voraussetzung für eine mögliche Mobilität sondern für die Chance auf eine "attraktive" Erwerbsbiografie", sagen nicht nur die Befragten, sondern ist seit langem eine Selbstverständlichkeit der Arbeitmarkt- und Berufsforschung. Es liegt daher nahe, den Einfluss der Qualifikation auf die Orientierungsmuster für sich anzuschauen, um zu sehen, was dieser Faktor an Unterschieden ausmacht, um fragen zu können, ob und wie daran anzuknüpfen ist, um der Rekrutierungsfalle zu entkommen.

Die Politikmodelle, die im Zuge der Entwicklung des Theorems von der Rekrutierungsfalle als typisch für die hier verglichene Gruppen der Jungen, Frauen und, abgeleitet aus dem Politikmodell der IT-Angestellten, für Hochqualifizierte, konstruiert wurden, finden zumindest zum Teil ihre empirischen Entsprechungen in den Daten. Aber zumindest ein Element kommt für alle diese Gruppen hinzu, ein doppeltes Misstrauen, das sich einerseits auf die politische wie soziale Zukunft unsere Gesellschaft anderseits auf die Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaft als politischer Akteur bezieht. Dahinter liegt, wie eingangs schon angedeutet, vielleicht ein allgemeineres Phänomen: die Überzeugung, dass die Zeit der institutionellen Großakteure und damit die der Gestaltbarkeit der Gesellschaft überhaupt vorbei ist, und dass es auf die Einzelnen ankommt, sich in einer Entwicklung zu behaupten, die sich sozusagen natürlich, im Sinne nicht hinterfragbarer Gesetze, vollzieht. Diese Überzeugung muss nicht im subjektiven Pessimismus münden. Vielmehr kommt es darauf an, wie sich die Einzelnen in dieser Entwicklung positionieren können. Die Schlüsselvariable dazu scheint objektiv wie subjektiv die Qualifikation zu sein. Deshalb wird diese im zweiten Teil dieser Studie als die Ausgangsvariable gesetzt.




3. Die strategische Größe: Qualifikation

Die Stichprobe wurde nach Berufsausbildung polarisiert (vgl. Tabelle 16), alle Gruppen, die über keine, eine Berufausbildung im dualen System oder eine beruflich schulische Ausbildung verfügen wurden denen gegenübergestellt, die entweder eine Techniker- oder Meisterschule abgeschlossen haben oder über einen Hochschulabschluss verfügen. Diese grobe Strukturierung wurde deswegen gewählt, weil in der Feinanalyse viele der Thesen für die Gruppen statistisch deswegen riskant sind, weil die Teilgruppen teilweise sehr klein waren. Die Teilung des Samples in 2326, die der unteren, und 305, die der oberen Qualifikationsgruppe zuzurechnen sind, sorgt im Ausgleich dafür, dass auch kleine Unterschiede zwischen diesen Gruppen statistisch signifikant sind.

Der Qualifikationsbegriff wird hier rein formal verwendet, also an den erreichten Abschlüssen in der Berufsausbildung gemessen. Im Bericht werden der Kürze halber die Gruppen als "Hoch-" bzw. "niedrig" oder "weniger" Qualifizierte bezeichnet, obwohl die untere Gruppe auch die mittleren Qualifikationen also die dualen und diesen entsprechende Abschlüsse umfasst. Die Vorgehensweise folgt, schon wegen der besseren Vergleichbarkeit der gleichen Gliederungslogik wie die Gruppenanalyse.


Szenarien und Erwartungen

In Bezug auf die Zukunft (Fragenkatalog 8, Tabelle 24) sind die Hochqualifizierten durchgehend etwas optimistischer, solange es um ihre Position in der Erwerbsarbeit und Umweltfragen geht, diese Differenz ebnet sich ein, sobald es um soziale Fragen geht, einschließlich der nach der Verteilungsgerechtigkeit (Tabelle 25) und der nach der Teilhabe der Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Wachstum. Das unterscheidet diese Gruppe deutlich von der der bereits arrivierten jungen Hochqualifizierten. Diese Teilgruppe reagiert, wie im entsprechenden Abschnitt festgestellt, in sozialen Fragen "gelassener" bzw. optimistischer. Aufstieg, so die nahe liegende These, führt, entsprechend dem sozialpsychologischen Theorem von der "kognitiven Konsonanz" zur Akzeptanz des Systems, in dem dieser Aufstieg sich vollzieht. Bildung, so die Gegenthese macht gerade in Bezug auf soziale Fragen eher sensibel und kritisch. Welche These wann genau gilt, lässt sich aus den Daten nicht weiter begründen, sondern müsste eigens untersucht werden. Die Beantwortung dieser Frage ist aber zentral wichtig, wenn es um die Einbindung gerade der Gruppe der bereits Arrivierten in den Kontext gewerkschaftlicher Politik geht. Wenn der eigene Aufstieg sozusagen natürlicherweise als "gerecht" empfunden wird, reduziert sich, wie ja auch in der Feinanalyse für diese Gruppe festgestellt, die Solidarität mit den Anderen auf die Forderung nach einem besonderen Schutz für die Schwächeren.

Ein zentrales Resultat der Gruppenanalyse scheint sich aber zu bestätigen. Wie dort festgestellt, teilt sich bei allen, die aufgrund ihrer Qualifikation und / oder ihres Alters auf Zukunftschancen hoffen könne, die Sicht der Dinge in einen relativen Pessimismus, was die Entwicklung der Gesellschaft, und einen relativen Optimismus, was die eigene Zukunft in dieser Gesellschaft angeht. Das schlägt sich auch in den Meinungen zur Zukunft des eigenen Betriebes bzw. der Gefährdung durch Globalisierung (Tabelle 21) nieder, die Hochqualifizierten glauben, dass allgemeine negative Entwicklungen sie weniger betreffen und damit, so bestätigt es ihnen die Qualifikations- und Arbeitmarktforschung, liegen sie im Vergleich zu anderen Gruppen auch richtig. Bezogen auf ihre politischen Interessen heißt das, dass sie auf die Förderung der Entwicklungen setzen müssen, die ihre Qualifikationen zum Zuge bringen – das bringt sie in einen Gegensatz zu all denen, die darauf angewiesen sind, dass der Status quo der Erwerbsarbeit in ihren Sektoren des Beschäftigungssystems weitgehend erhalten bleibt. Das muss sich entsprechend in den Berufserwartungen niederschlagen.
 

Berufserwartungen und Bilanzen

Ein größerer Teil der Hochqualifizierten hält Entwicklungen, von denen sie möglicherweise profitieren können, für wahrscheinlicher als die weniger Qualifizierten und akzeptiert sie auch eher (Fragenkatalog 8, Tabelle 22), das gilt für die Punkte

  • Betriebsbezogene Regelungen statt Tarifverträgen,
  • Teamarbeit,
  • Anpassung der Arbeitszeiten an die Erfordernisse der Betriebe,
  • die Steigerung der Leistungsanforderungen durch die internationale Konkurrenz,
  • Ausbildung und Weiterbildung,
  • Arbeitsintensität,
  • Leistungsorientierung.

Diese durchgehende Differenz konstituiert ein nach Qualifikation verschiedenes Bild der Arbeitswelt. Hochqualifizierte setzen auf eine Entwicklung, die die Differenzen in den Betrieben zu ihren Gunsten eher vergrößern. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Fragen nach den Folgen technischer und organisatorischer Veränderungen für den eigenen Arbeitsplatz (Fragenkatalog 7, Tabelle 21): im Unterschied zu den weniger Qualifizierten glauben sie, dass der Leistungsdruck steigen, die Arbeit abwechslungsreicher wird und ihr Arbeitsplatz sicher bleibt.

Entsprechend ist die Identifikation mit der Arbeit bei den höher Qualifizierten vergleichsweise hoch (Fragenkatalog 2, Tabelle 18). Die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben bei Akzentuierung des letzteren ist zwar mit mehr als zwei Dritteln, die diese Trennung für sich akzeptieren deutlich, aber nicht so ausgeprägt wie bei den weniger Qualifizierten. Dabei zeigt sich, wie schon bei den bereits jungen arrivierten Hochqualifizierten aber auch den "alten Meistern", ein Widerspruch: Zwar wird das Privatleben bei jeweils deutlich mehr als 60 Prozent für "wichtiger" gehalten als die Erwerbsarbeit, aber zwei Drittel und mehr votieren gleichzeitig für Beruf als "Sinn ihres Lebens". Das kann nur gehen, wenn beides zueinander nicht in Beziehung gesetzt wird, also die beiden "Hälften" des Lebens unabhängig voneinander bewertet werden – das würde auch, wie sich im nächsten Abschnitt wieder zeigt, die bei allen Gruppen relativ ausgeprägte Einschränkung der Gewerkschaften auf die Rolle als Akteur im Bereich der Arbeit erklären.

Werden die Berufserwartungen nach Qualifikation verglichen (Fragenkatalog 1, Tabellen 17) zeigt sich als Erstes, dass die weniger Qualifizierten häufiger die Kategorie "sehr wichtig" vergeben wie die Hochqualifizierten. Diese sind mit positiven Extremwerten eher vorsichtig, was entsprechende Abweichungen von der Vergleichsgruppe noch akzentuiert. In den Tabellen wurde eine Rangfolge der positiven Wertungen, orientiert an den Resultaten der Hochqualifizierten, aufgestellt. Dabei zeigt sich, dass bei beiden Gruppen, die ersten drei Rangplätze, also die mit den meisten "sehr wichtig" Nennungen, durch die gleichen Erwartungen markiert werden und zwar bei den Themen

  • "Arbeitsplatzsicherheit",
  • "Betriebsklima"
    und
  • "Verdienst",

die drei verschiedene Dimensionen der Bewertung markieren. Sicherheit und Entgelt stehen für klassische Aktionsfelder der Gewerkschaften. Betriebsklima ist kein Politikfeld – aber es erscheint auch unproblematisch, denn die meisten bestätigen, dass in ihren Betrieben ein gutes Klima herrscht. Nur wenige, die das Thema für "sehr wichtig" halten, sehen ihre Erwartungen in diesem Bereich nicht erfüllt. Die gleichen Präferenzen gelten dafür gelten für alle Gruppen der Feinanalyse mit Ausnahme der schon arrivierten Hochqualifizierten, bei denen "Verdienst" und "Arbeitsplatzsicherheit" hinter "Betriebsklima" und, typischerweise, "Weiterbildungsmöglichkeiten" rangieren. Die Konzentration auf gewerkschaftliche Politik im Kernbereich erfährt durch diese Übereinstimmungen ihre Legitimation. Anders ausgedrückt, sie steht für die Stabilität des Rahmens, in dem dann andere Interessen, an der Skala gemessen sekundäre, realisiert werden können. In diesen Feldern unterscheiden sich die Beschäftigten nach Qualifikation eindeutig: Beide setzen zwar "Teamarbeit" und "Gesundheits- und Arbeitsschutz" auf vergleichbare Positionen aber während für die Gruppe der Hochqualifizierten auf den mittleren Positionen Erwartungen stehen, die in der Dimension "Entwicklung in der Arbeit liegen", also "abwechslungsreiche Tätigkeit", "Verantwortung", "Weiterbildung" und "Aufstieg", rangieren auf diesen Positionen bei den niedriger Qualifizierten "bezahlte Überstunden", geregelte Arbeitszeit" , dazwischen zwar auch "abwechslungsreiche Tätigkeit" und schließlich "familienfreundliche Arbeitszeiten", also Begriffe, die im Wesentlichen in der Dimension "instrumentelle Arbeitsorientierung" liegen, insofern sie das Verhältnis von Arbeit und Privatleben betreffen. Die Aussage "Arbeit ist etwas, womit ich Geld verdiene" wird fast von doppelt so viel niedriger Qualifizierten bejaht wie Hochqualifizierten. "Aufstieg" liegt für die untere Qualifikationsgruppe am Ende der Skala. Hier unterscheiden sich die Interessen deutlich. Ein Politikmodell, das den Entwicklungserwartungen der Hochqualifizierten entspricht, muss die Offenheit der Hierarchien und einen Zuschnitt der Arbeit, der die Identifikation mit der Tätigkeit ermöglicht, betonen. Ein Politikmodell für die weniger Qualifizierten muss die Einhaltung der Regeln enthalten, die das Verhältnis von Arbeit und Privatleben ordnen.

Beide Gruppen setzen, wie nach der Feinanalyse nicht anders zu erwarten, "viel Freizeit" und "wenig Stress" an das Ende der Skalen, ob aus den gleichen Motiven, lässt sich ansatzweise aus den Daten der Umfrage herauslesen, wenn die "nicht erfüllt" Kategorien zur Interpretation hinzugezogen werden: Der Grund scheint in dem einen Fall der sein, Stress aushalten und auf Freizeit zugunsten der Karriere verzichten zu können, in dem anderen, der, nicht so viel Stress erleiden zu müssen und über genug Freizeit zu verfügen. Die entsprechenden "nicht erfüllt"-Werte liegen für die weniger Qualifizierten jeweils unter denen der Hochqualifizierten, auch wenn die Werte für beides bei beiden Gruppen sehr hoch liegen.

Nach Zufriedenheit, gemessen an den Nennungen in der Kategorie "nicht erfüllt" lassen sich die Qualifikationsgruppen klar unterscheiden. In den Spitzenbereichen liegen, bis auf "Verdienst", die Werte zwar im gleichen Bereich. Die Hochqualifizierten sehen ihre Erwartungen bezogen auf die Situation am Arbeitplatz (Kategorien "abwechslungsreiche Tätigkeit", "Verantwortung", Teamarbeit") erfüllt, aber fast jeder zweite, der die entsprechenden Kategorie als "sehr wichtig" wertet, ist unzufrieden mit den Aufstiegschancen und jeder vierte mit den Weiterbildungsmöglichkeiten. Bei denen, die diese Kategorien nicht so wichtig fanden, sind die entsprechenden Werte sogar extrem hoch. Vertikale Mobilität im Betrieb ist offensichtlich für die Hochqualifizierten ein Thema. Auch die weniger Qualifizierten sind mit den Aufstiegschancen im gleichen Maße unzufrieden, aber nicht so viele von ihnen finden diesen Punkt so wichtig. Ansonsten pendeln die Werte für "nicht erfüllt" in den mittleren Kategorien des Bewertungsgrades "sehr wichtig" zwischen 20 und 30 % - also auf einem mittleren Niveau. Es besteht als Regelungsbedarf. "Gesundheits- und Arbeitsschutz" dagegen scheint als Thema erfolgreich abgehakt. Nach Wichtigkeit rangiert es bei allen, das gilt auch für die Gruppen der Feinanalyse, im mittleren Bereich und nur relativ wenige sehen diese Forderung als "nicht erfüllt" an.

Es überrascht nicht, dass bezogen auf Weiterbildung (Fragenkatalog 3, Tabelle 19) die Gruppe der Hochqualifizierten die höheren Werte erreicht. Nur bei Weiterbildung für den Aufstieg liegen die Werte in etwa gleich – das spiegelt das Ergebnis wieder, dass junge Facharbeiter zumindest zum Teil aufstiegs- und weiterbildungsorientiert sind.

Qualifikation macht in Bezug auf die Berufserwartungen den erwarteten Unterschied. Die Arbeitsidentifikation aber auch die Ansprüche an die Arbeit wachsen mit dem ereichten Qualifikationsgrad. Sicherheits- und Regelungsansprüche treten im Vergleich dazu zurück – einerseits. Andererseits ist es so, dass Arbeitsplatzsicherheit und Verdienstmöglichkeiten durchgängig die Interessen aller am stärksten prägen. Abschließend gilt es zu untersuchen, wie sich diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Erwartungen an die Gewerkschaften umsetzen.


Politische Horizonte und die Rolle der Gewerkschaften

Zunächst einmal spielt der Qualifikationsgrad keine große Rolle bei der Beurteilung der Rolle, die die Gewerkschaften in Zukunft auf der politischen Bühne spielen können (Fragenkatalog 8, Tabelle 22, letzter Teil). Alle sind skeptisch und nur wenige, etwas ausgeprägter bei den Hochqualifizierten, begrüßen die erwarteten Entwicklungen. Unterschiede dagegen zeigen sich in der Beurteilung der Veränderungen im System der sozialen Sicherheit (Fragenkatalog 12, Tabelle 25). Die Hochqualifizieren lehnen zu über einem Drittel (Vergleichswert bei den weniger Qualifizierten ein Fünftel) die Erhaltung des sozialen Systems, so wie es ist, ab. Auch die Werte für die Begrenzung der sozialen Leistungen wie der Steigerung der finanziellen Beiträge weisen in die gleiche Richtung. Die Tendenz gleicht der bei der Gruppe der bereits arrivierten, jungen Hochqualifizierten. Individualisierung der Verantwortung ist also nicht nur für diese, sondern für viele Hochqualifizierten ein Thema.

Das zeigt sich auch, wenn es um die Wichtigkeit von Gewerkschaftsaufgaben geht (Fragenkatalog 13, Tabelle 26). Überall wo es um Regelungen geht, und das gilt auch für den Verdienst und die Sicherheit der Arbeitsplätze, entscheiden sich die höher Qualifizierten seltener, wenn auch zum Teil noch oft, dafür, dass die entsprechenden Problem "sehr wichtigen" Gewerkschaftsaufgaben entsprechen. In den anderen Kategorien, wo Service oder soziale Aufgabenfelder das Thema sind, macht der Qualifikationsgrad keinen großen Unterschied. Ausnahme ist natürlich die "Förderung einer qualifizierten Ausbildung", die für die Hochqualifizierten wichtig ist. Die dahinter liegende Einstellung scheint die gleiche, wenn auch nicht so ausgeprägt, zu sein wie bei der Gruppe der bereits Arrivierten. Gewerkschaft ist eher eine Organisation für die "Anderen". Viele Hochqualifizierte wollen, das, was traditionell im Aufgabenfeld der Gewerkschaften liegt, für sich und alleine regeln. Das zeigt sich auch in den Antworten auf die Fragen nach dem Ausbau der Mitbestimmung (Fragenkatalog 16, Tabelle 27). Unabhängig vom Thema liegen die Werte für die Hochqualifizierten zwar auf hohem Niveau aber mit einer Ausnahme, Arbeitsschutz, unter denen der weniger Qualifizierten. Das setzt sich bei den Fragen nach dem Einsatz der IGM (Fragenkatalog 17, Tabelle 28) fort, wenn auch in verschieden starker Ausprägung und nicht immer widerspruchsfrei (bei der Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit). Die Ausnahmen sind

  • Rechtsanspruch auf bezahlte Qualifizierung,
  • Selbstverantwortliche Einteilung der Arbeitszeit,

was die eigenen Interessen und

  • Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,
  • Gleichstellung von Männern und Frauen
    und
  • die Verringerung der sozialen Kluft zwischen Ost und West,

was die sozialen Aufgaben betrifft. Diese Akzentuierung bezieht sich aber, auch in diesem Fragenkatalog, nicht auf die Erhaltung der sozialen Sicherungssysteme. Die Resultate passen ins Gesamtbild: Gewerkschaft als politischer Akteur spielt für Hochqualifizierte ein vergleichsweise geringe Rolle und wenn, dann entweder als eine Art Sozialanwalt für die Interessen anderer und, bezogen auf die eigenen Pläne, wenn es gut geht, als eine Art "gate keeper" für Ansprüche, die dem eigenen Fortkommen dienen kann.

Entsprechend wollen die Hochqualifizierten die IGM öfter als die anderen als Akteur im Bereich der Arbeitswelt sehen und nicht als einen, der sich in die Tagespolitik einmischt (Fragenkatalog 18, Tabelle 29). Konflikte als solche auszufechten, halten weniger von ihnen für das geeignete Mittel gewerkschaftlicher Interessendurchsetzung als Kooperation und zwar bezogen auf alle Akteure. Sie sind in diesen Fragen, auch was die Frage nach der Serviceorientierung und als Dienstleister im Alltag betrifft entschiedener als die weniger Qualifizierten. Das heißt, sie liegen mit den Nennungen auf den Extrempunkten der Skalen jeweils über denen der Vergleichsgruppe. U-Verteilungen wie diese verweisen immer auf eine im statistischen Sinne starke Diskriminierungskraft einer Fragestellung. Anders ausgedrückt, die Gruppe der Hochqualifizierten ist in ihrer politischen Meinung zur Gewerkschaft geteilt. Das zeigt sich so klar aber nur in diesem Fragenkatalog. In den Meinungen zur IGM (Fragenkatalog 19, Tabelle 30) schneidet diese ganz gut ab. Die Werte liegen zum Teil höher als die für die weniger Qualifizierten. Das gilt nicht für die Frage, ob die IGM klare Zukunftskonzepte hat und ein Ansprechpartner lediglich für die Interessen der traditionellen Arbeitnehmer ist – was sich aus dem Vorhergehenden schon vermuten ließ. Aber diese kritischere Beurteilung erstreckt sich auch auf die Frage, ob die IGM "gute Arbeit in den Betrieben leistet". Da liegen die Werte jedoch insgesamt niedrig, d.h. die jeweils größten Gruppen votierten eher unentschieden, so, als ob sie sich ihres Urteils nicht sicher seien. Das kann entweder heißen, dass die IGM in den Betrieben zu wenig wahrgenommen wird oder dass ihre Aktivitäten mal so und mal so bewertet werden. 
 

Fazit

Der Qualifikationsgrad ist in vielen Fragen entscheidend – aber nicht einfach so, dass er als Gradmesser für Gewerkschaftsnähe oder -ferne genommen werden kann. Vielmehr ist es so, dass die Einstellungen zur Funktion der Gewerkschaften verschieden sind. Der entscheidende Unterschied ist der, dass Gewerkschaften für Hochqualifizierte eher mit Interessen der "anderen" eher schutzbedürftigen Arbeitnehmer assoziiert werden und nicht mit den eigenen. Höhere Qualifikation erzeugt das Selbstbewusstsein, alleine nicht nur zurecht sondern auch vorwärts zu kommen. Aber, als Wegbereiter der eigenen Erwerbsbiografie werden die Gewerkschaften eher nicht wahrgenommen. Umgekehrt ist es bei den weniger Qualifizierten, diese setzen eher auf Absicherung durch kollektive Regelungen als auf die Eröffnung individueller Chancen. Diese Haltungen entsprechen alles in allem realistischen Einschätzungen den verschiednen Situationen, in denen sich die Befragten jeweils befinden, und den daraus resultierenden Interessenlagen.

Die Analyse entlang den Ausprägungen der eine Variable "Qualifikationsgrad" bestätigt in vieler Hinsicht die Resultate der Feinanalyse der einzelnen Gruppen, die jeweils durch die Kombination der Ausprägungen auf den vier Variablen Geschlecht, Alter, Qualifikation und betriebliche Position konstruiert worden waren. Jugend und schon ereichter Aufstieg verstärken die Trends der Individualisierung der Ansprüche und das damit verbundene Selbstbewusstsein, Alter und Verharren in der Facharbeiterposition verbinden sich eher mit der Hoffnung auf, aber nicht sehr oft mit dem Vertrauen in die Gewerkschaften als Kraft, die kollektive Regelungen für die Wahrung der eigenen Interessen durchsetzen kann. 


4. Rahmen aber nicht Käfig: Gewerkschaft in vielen Funktionen

Zum Schluss zuerst zwei Einschränkungen:

  1. Die hier entwickelten Interpretationen folgen der Logik Abweichungen als Trends zu interpretieren   und zwar als Trends der Auseinanderentwicklung von Einstellungen zum Beruf, zur Erwerbsarbeit und zu den Gewerkschaften. Diese Interpretationslinie folgt den Thesen, die von einer zunehmenden Differenzierung des Beschäftigtensystem und einer entsprechenden Vielfalt der dadurch konstituierten Interessenlagen ausgehen, so wie sie auch dem Theorem von der Rekrutierungsfalle zugrunde gelegt sind.. Demgegenüber kann geltend gemacht werden, dass die Abweichungen in vielen Fällen keine neuen Mehrheiten konstituieren, sonder nur graduell sind, und dass vor allem in der Feinanalyse einige der Gruppen aufgrund der Definition durch vier Variablen sehr klein geraten und die Interpretationen daher statistisch unsicher sind. Deshalb wurde die "grobe" Analyse entlang der Ausprägungen der Schlüsselvariable "Qualifikationsgrad" angefügt, um einerseits deren Bedeutung zu belegen und andererseits die Resultate der Gruppenanalyse zumindest teilweise zu validieren.
  2. Die Trends zur Abkehr von Großorganisationen treffen nicht nur die Gewerkschaften. Vieles was als auf den ersten Blick als "Gewerkschaftsferne" gekennzeichnet werden kann, hat weniger mit deren Politik und Engagement zu tun als vielmehr mit ihrem Status als Großorganisation der "Vergangenheit". Trotzdem, dieses Bild von Gewerkschaften ist eines ihrer Probleme. Aber, es lässt sich zumindest im Prinzip korrigieren und zwar durch eine Differenzierung der gewerkschaftlichen Aktivitäten, die denen im Beschäftigtensystem folgt.

Als Widerspruch formuliert lässt sich das eine zentrale Resultat der Analyen auf die Formel des Gegensatzes von Öffnung und Schließung bringen. Diejenigen die ihre Entwicklungschancen in der Erwerbsarbeit eher als eingeschränkt einschätzen, also die weniger Qualifizierten, eher Älteren und diejenigen, die als Facharbeiter arbeiten, sehen die Gewerkschaft als Institution, die durch kollektive Regelungen ihren Status im und über das Erwerbsleben hinaus absichert. Solche Regelung betreffen die Bewahrung, also das Geschlossenhalten der in ihren Augen bewährten Abgrenzungen der Arbeiten gegen Ansprüche von Mobilität, beruflichem Wechseln, die Auflösung fester Zeitstrukturen und die teilweise Tilgung von Ansprüchen an das System der sozialen Sicherung. Die Chancen, eine entsprechende Politik auch durchzusetzen, werden von diesen Gruppen oft skeptisch beurteilt. Diese Gruppen stellen in der Stichprobe wie in dem hier untersuchten Sektor des Beschäftigtensystems insgesamt nach wie vor die große Mehrheit. Die Minderheit, also diejenigen, die aufgrund von Alter, Qualifikation und erhofftem oder bereits ereichten Aufstieg auf ihre Karrierechancen setzen, hoffen auf die Öffnung von Grenzen, um sich "freier" bewegen zu können, auch wenn das mit hohen persönlichen Belastungen erkauft werden muss. Ihre Identifikation mit dem Beruf ist so hoch, dass sie Belastungen nicht als Zumutungen ansehen. Beide Interessenpositionen sind legitim, weil sie die offen stehenden bzw. verschlossenen Optionen der beiden Gruppen widerspiegeln. Den Widerspruch zwischen diesen beiden Typen von Ansprüchen zu lösen ist nicht unmöglich. Die Voraussetzung dafür ist, sich nicht in auf eine der Scheinalternativen von Regulierung und Deregulierung festzulegen, sondern auf verschiedene Positionen verschieden einzugehen, also kollektiven Schutz da zu bieten, wo er notwendig ist und Entwicklungswege da offen zu lassen oder zu öffnen, wo sie aufgrund von Qualifikation und Kompetenz begangen werden können.

Das andere zentrale Resultat der Analyse ist schnell auf eine Formel gebracht: Die Gewerkschaft ist eine Organisation zum Schutz in der Erwerbsarbeit. Fast alle sehen ihre Kompetenzen vorwiegend in diesem Bereich. Das bestätigt zwar sozusagen plebiszitär die eher traditionelle Auffassung das Engagement der Gewerkschaften vor allem auf den so genannten Kernbereich auszurichten. Aber, diesem Plebiszit zu folgen, senkt Zugangsschranken. Das gilt für allem bezogen auf zwei sehr unterschiedliche Teilgruppen. Die Frauen, vor allem die jüngeren unter ihnen, begreifen Gewerkschaften nicht als diejenigen, die ihre Probleme lösen, sondern sind der Meinung, dass sie das selbst in die Hand nehmen müssen. Diese Attitüde teilt, wenn auch anderen Feldern die Gruppe der Hochqualifizierten, besonders die jüngeren und schon arrivierten unter ihnen, auch sie sehen Gewerkschaften nicht als Agenten ihrer Interessen. Insgesamt wollen sie den Spielraum gewerkschaftlicher Aktivitäten eher auf allgemeine soziale Probleme und Schutzfunktionen einschränken, ohne in ihrer überwiegenden Mehrheit gewerkschaftsfeindlich zu sein. Aber, sie sehen das Risiko der Einschränkung ihrer Chancen, wenn gewerkschaftliche Politik als Schutzpolitik sich sozusagen flächendeckend durchsetzt. Wenn sich das ändern soll, muss der Kompetenzbereich der Gewerkschaften in Richtung Service einerseits und über den Bereich der Erwerbsarbeit im engen Sinne hinaus erweitert werden. Das entspricht zwar nicht dem Bild, das die meisten sich von der Gewerkschaften machen und verstößt auch gegen die Vorstellungen der meisten, was Gewerkschaft sein soll, aber die Zukunftsfähigkeit der Gewerkschaft hängt möglicherweise davon ab, dass sich dieses Bild ändert, denn aufgrund eines zu engen Verständnisses von Sinn und Aufgabe der Gewerkschaften hat sich die Rekrutierungsfalle gestellt. 


 

Quellen:
Hattinger Kreis 2002
Interne Manuskripte des Hattinger Kreises zum Thema Rekrutierungsfalle
Kurzfassung:
Wege aus der Rekrutierungsfalle
Gewerkschaftliche Monatshefte 9 /2002
 

IGM 2001
Daten und Materialen aus der IGM Zukunftsdebatte
Übersicht in:
IGM-Vorstand
IG-Metall Zukunftsreport
Ergebnisse im Überblick
Frankfurt 2001