Institut für Politikwissenschaft


 

 

Helmut Martens

Professionelle Interessenvertretungsarbeit und Ansätze einer neuen Arbeitspolitik in der New Economy[1]

 

1.        Vorbemerkung

Der folgende Text geht über den vorliegenden Zwischenbericht zu dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt über „Primäre Arbeitspolitik und Interessenvertretung in der New Economy“ insofern hinaus, als er sich sehr stark auf Ergebnisse der betrieblichen Erhebungen konzentriert, die in einer zweiten Erhebungsphase zwischen Dezember und Februar 2003/4 durchgeführt wurden und im Zwischenbericht zu dem Projekt noch nicht berücksichtigt wurden. Die Auswertung dieser Interviews folgt einem qualitativ-hermeneutischen Verfahren, ähnlich dem, das für die erste Phase der Gespräche mit Gewerkschaftlichen Experten und ProjektmanagerInnen ausgewählter Modellprojekte im Zwischenbericht ausführlich erörtert wurde (Martens 2003, 13 ff. und 100 ff.).

Ich halte meinem Projekttitel entsprechend, am Begriff der New Economy fest, auch wenn er nach dem Ende des Hype zu Recht etwas aus der Mode gekommen ist, weil sich zeigte, dass diese New Economy zum einen nicht nur in ihren ersten Anfängen aus dem Kern der Old Economy hervorgegangen ist (vgl. Hack 2001) und zum anderen so neu und ganz anders (im Sinne der Verheißung eines stetig dynamischen und krisenfreien Selbstbetätigungsfeldes für die neuen Arbeitskraftunternehmer gewissermaßen) doch nicht war und v. a. unscharfe und fließende Grenzen zur Old Economy aufwies. Es spricht insofern manches für andere Etikettierungen, etwa für den Begriff der informationalen Ökonomie (Castells 2000). Es geht in den folgenden Ausführungen im Kern um Entwicklungen in der IT-Branche wie auch im Bereich der AV Medien.

In dem zugrunde liegenden Vortrag habe ich mich, im Interesse einer zuspitzenden Diskussion, darum bemüht, meine Ausführungen möglichst scharf zu pointieren. Manche, auch durch meine Empirie zweifellos gut begründbaren, Differenzierungen bleiben auch noch in dieser verschrifteten Fassung unterbelichtet. Anders als im Vortrag habe ich aber an verschiedenen Stellen Interviewzitate aufgenommen, sei es um generellere Aussagen plastisch zu unterlegen, sei es um bestimmte Differenzierungen kenntlicher zu machen.

2.        Ausgangsüberlegungen, Projektfragestellungen und methodisches Vorgehen

Die Ausgangsüberlegungen und Projektfragestellungen sind im Zwischenbericht ausführlich dargestellt (Martens 2003a, 6 ff.) Ihnen ist in anderen vorlaufenden und parallelen Arbeitsprozessen, insbesondere in dem sfs- Forum „Zukunft der Arbeit – Arbeit der Zukunft. „Nach dem Umbruch“ (Martens u. a. 2001) sowie dem Forum „Neue Politik der Arbeit“ (Scholz u. a. 2004, www.forum-neue-politik-der-arbeit.de ) ist systematisch zugearbeitet worden. Dort finden sich also ausführlichere Argumentationen und Literaturverweise. Im Kern kreisen die Vorüberlegungen, Fragestellungen und Hypothesen um die „Metamorphosen“ der Arbeit, die nach meiner Auffassung in vielem richtungsweisend, also paradigmatisch ausgebildet, in der so genannten New Economy zu finden sind. Es geht also um:

1.   die Debatten um die Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit,

2.   die entsprechenden Organisatorischen Veränderungen in den Unternehmen (Dezentralisierung, Vernetzung, Teamwork, Kundennähe, Vermarktlichung),

3.   um die Schwierigkeiten der alten bürokratischen Großorganisationen – v. a. im Bereich der intermediären Organisationen, aber auch in der Wirtschaft selbst – sich an diese dynamischen Umbrüche anzupassen. Ich spreche hier durchaus von einer Krise der alten Institutionen unserer „institutionell verfassten Arbeitsgesellschaft“ (v. Ferber 1961).

4.   Es geht schließlich um die Frage, ob sich in den Start-ups der New Economy oder den aus der Old Economy outgesourcten neuen IT-Unternehmen betriebliche Interessenvertretungen unter Nutzung vorgegebener rechtlich-institutioneller Möglichkeiten herausbilden und vor allem wie sie arbeiten.

5.   Und es geht darüber hinaus auch um die Frage, ob sich dabei neue Ansätze einer primären Arbeitspolitik bereits abzeichnen.

Die Projektfragestellungen überschreiten damit die Debatte über neue Formen unselbständiger Selbständigkeit (Glissmann 1999, Peters 2001) bzw. eines neuen Arbeitskraftunternehmertums (Voß/Pongratz 1998), die primär unter dem Blickwinkel einer weiter voranschreitenden flexiblen Anpassung der Arbeitenden (Sennet 2001) an tiefgreifende Veränderungen der Arbeitswelt geführt wurden. Globalisierung, verschärfter Standortwettbewerb, weiter fortschreitende Erosion des Normalarbeitsverhältnisses – und parallel die Krise und der begonnenen Versuch eines Umbaus der sozialen Sicherungssysteme – Interessieren in diesem Forschungsprojekt als arbeitspolitische Herausforderungen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich diese Herausforderungen nicht nur für die alten institutionellen Akteure stellen, sondern auch für die Arbeitenden selbst. Die „Kehrseite“ des „Arbeitskraftunternehmers“ sind unter diesem Blickwinkel „neue individuelle gesellschaftliche Subjekte“ die auch (arbeits)politisch handeln können und handeln (Wolf 2001). Insoweit in diesem Zusammenhang die Frage nach der Reformfähigkeit traditioneller Institutionen der Arbeit, hier insbesondere der Gewerkschaften, aufgeworfen wird, sind außerdem organisations- und verbandssoziologische Fragestellungen aufgeworfen.

Das methodische Vorgehen in diesem Projekt ist im Wesentlichen qualitativ. Damit verbindet sich freilich kein „Glaubensbekenntnis“, das dann ja auch leicht zu kritisieren wäre (Katenkamp u. a. 2003). Vielmehr bereite ich z. Z. sowohl gezielt vertiefende qualitative als auch quantitative Erhebungen vor, die an das Projekt anschließen, z. B. auch noch in seinem Rahmen eingesetzt werden sollen.

Der erste Zugang (Stufe 1) erfolgte im Zugriff auf ausgewählte gewerkschaftliche Modellprojekte (connexx.av/ver.di, IT-Netzwerk-Rhein/Main und Siemensprojekt/IG Metall).[2] Interviewt wurden ProjektmanagerInnen und –bearbeiterInnen, Gewerkschaftsexperten, externe Supervisoren. „Eingesammelt“ und ausgewertet wurden in diesem Zuge vielfältige Dokumente und auch Analysen, die im Zuge dieser Modellprojekte durchgeführt worden waren. Die gesellschaftliche Verbreitung von Wissensarbeit erwies sich so als großer Nutzen für das Projekt. Die Erhebungen wurden ergänzt und flankiert durch zahlreiche Wissenschaftlerkontakte, v. a. aber auch durch mehrere Anhörungen von betrieblichen Praktikern und hauptamtlichen Gewerkschaftern im Hinblick auf gewerkschaftliche Modellprojekte und OE-Prozesse, die im Rahmen von Workshops des Hattinger Kreises stattfanden.

Der zweite Zugang erfolgte derart, dass in inzwischen insgesamt 15 Fällen einzelbetriebliche Erhebungen durchgeführt wurden. Ich würde vorsichtig von ersten „Sonden“ sprechen, mit denen ich mich den einzelbetrieblichen Entwicklungen angenähert habe. Mit allen GesprächspartnerInnen sind Feedback-Prozesse vereinbart worden. Ihr Interesse, jede sich bietende Möglichkeit zu nutzen, um über den „Tellerrand“ ihrer einzelbetrieblichen Arbeit hinaus zu blicken, ist sehr ausgeprägt.

Das Spektrum der Betriebe ist groß: Es reicht von Klein- und Kleinstbetrieben im New-Media-Bereich über private Sender und outgesourcte Produktionsdienstleister im Bereich der AV-Medien, outgesourcte IT-Betriebe (mit im Schnitt ca. 200 Beschäftigten) über die Tochter eines am Markt führenden US-Multis, die kaum von der Krise nach dem Ende des Hype berührt ist, bis hin zu zwei großen Betrieben des Siemens-Konzerns, also zur New-Economy in der Old Economy. Das Bild, das sich ergibt, ist folgerichtig sehr vielschichtig. Wenn ich im Folgenden dennoch bestimmte Entwicklungstrends hervorhebe und auf bestimmte Grundmuster der Interessenvertretungsarbeit zuspitze, bin ich mir bewusst, dass ich dabei bestimmte Vereinfachungen und Zuspitzungen vornehme.

3.        Veränderungen der Arbeit und Schwerpunkte der Interessenvertretungsarbeit nach dem Ende des Hype

Bereits im Ergebnis der ersten Erhebungsphase konnte festgehalten werden, „dass die neu zugänglich gewordene Primärempirie, vor allem aber die Auswertung vielfältigen Dokumentenmaterials sowie die Sekundäranalyse wissenschaftlicher Literatur allen Anlass (gaben) an den Ausgangshypothesen (im Zusammenhang der Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit) festzuhalten.“ (Martens 2003a, 78) Die jetzigen Interviews liefern zum einen Material, dass diese Entwicklungen bis zum Höhepunkt des Hype noch einmal sehr plastisch illustrieren, sie zeigen aber auch, dass sich bestimmte Änderungen erkennen lassen, wobei man vermutlich von einem allgemeinen Trend sprechen kann.

Für die Boomphase mögen die folgenden drei Aussagen, die sich auf die Entgrenzung von Arbeitszeit beziehen, stehen. Die Erste stammt von einer Befragten aus dem New Media Bereich mit Erfahrungen aus mehren Start-ups, die Zweite vom Betriebsratsvorsitzenden eines aus einem Konzern der Old Economy outgesourcten IT-Betriebs und die Dritte von einem Befragten aus einem Unternehmen der Siemenskonzerns:

„Wenn man abends um sieben Uhr gegangen wäre, auch wenn man morgens schon kurz nach acht begonnen hatte, da hätten einen die Leute ganz irritiert angeguckt. Auch Wochenendarbeit war da völlig normal. Da wurde gesagt, das und das müssen wir noch schaffen, und dann wurde das auch getan. Und man fühlte sich großartig dabei und hatte Einfluss. Man war beflügelt, psychisch auf einem ganz hohen Level. Und dann sind wir aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht, als der Boom zu Ende ging und im Betrieb die Probleme auftraten.“

Wir haben das nicht so erlebt wie die Start-ups, das ist sicherlich nicht vergleichbar. Also der B-Konzern (in der Old Economy) war eigentlich ein ‚Beamtenladen‘. Wenn man was wollte, das hat immer gedauert. Und es gab dann schon eine gewisse Begeisterung als wir outgesourced wurden. Alles ging flexibler und schneller. Dann wurden wir eine AG. Es gab Aktienoptionen für jeden Mitarbeiter.(...) Und das ist hier schon ein wissensintensiver Bereich mit hohem Termindruck durch die Marktnähe. Die Leute arbeiten in ihren Projekten, wie ist ihnen weitgehend überlassen. Das Ergebnis muss eben stimmen. Wir haben eine Gleitzeitregelung ohne Kernarbeitszeit. Die Leute kommen und gehen also fast beliebig. (...) Außerdem hat ja inzwischen fast jeder Beschäftigte einen Laptop mit direktem Zugriff auf den Server. “

„Dann hat sich so schleichend das Arbeiten ohne Ende entwickelt: Man bekam größere Spielräume, Teamarbeit war angesagt, man sollte selbst entscheiden und Verantwortung übernehmen. Aber da war die Arbeit erst mal gut und zunächst auch vom Arbeitsumfang her noch halbwegs normal, aber dann hat der Druck zugenommen, je länger desto schlimmer.(...) Wer da noch regelmäßig um 16 Uhr ging, der bekam Probleme.“

Die sichtbar werdenden Unterschiede zwischen den drei Segmenten der New Economy sind vermutlich charakteristisch, auch wenn es im Blick auf alle 15 Betriebe sicherlich „Ausreißer“ in die eine oder andere Richtung gibt. Auch kann für die einbezogenen Betriebe im Bereich der AV-Medien gesagt werden, dass sich hier ein uneinheitlicheres Bild ergibt. Es ist zum einen dadurch geprägt, dass im wesentlichen Private Fernsehsender und von ihnen outgesourcte Produktionsdienstleister erfasst wurden – zwar durchaus auch Vorreiter in Bezug auf Deregulierungsprozesse, aber immer noch mit stabileren Strukturen als „bei anderen Dienstleistern auf der anderen Straßenseite, wo sie diese Dienstleistungen zu einem um ein Drittel günstigeren Preis bekommen können.“ Es gibt hier auf der einen Seite Vertrauensarbeitszeit, auf der anderen stärker regulierte Arbeitszeiten. Die Sender seien inzwischen ja auch fast schon zwanzig Jahre alt, „und da gibt es zwar auch Projektarbeit, wo das mit der Entgrenzung der Arbeit wohl zutrifft, aber da hat sich dann z. T. auch eine Arbeitsweise entwickelt, die wieder eher mit der Old Economy zu vergleichen ist.“ Zum anderen liegen die Dinge hier deshalb etwas anders, weil nach auch hier schon massiven Einsparungen seit dem Ende des Hype nun auch weitere technische Rationalisierungsmöglichkeiten greifen:

„Insgesamt ist die Arbeit sehr gestrafft worden. Eine Regiebesetzung hat früher z. B. bis zu sechs Personen umfasst. Heute sind das nur noch zwei Leute. Der Toningenieur nimmt da auch die Funktion des Kameramannes wahr. Das Berufsbild des Mediengestalters hat das mit befördert. Auch die Redakteure schreiben nicht nur ihre Texte, sondern sie schneiden z. T. auch schon selbst die Filme, ihre Arbeit ist also weitgehend mit der der Cutter verbunden.“

Kommen wir aber wieder auf den Versuch der Charakterisierung eines allgemeineren Trends zurück, so ergibt sich für die jüngere Vergangenheit folgendes Bild:

„Mit dem Ende der Boomphase ist dann viel kaputt gegangen. Meine Erfahrung ist: Die Chefs in den New Media Betrieben haben selbst vieles nicht mehr auf die Reihe gekriegt. Aber die haben noch abgestaubt und überhaupt nicht mehr korrekt informiert. (...) und die Arbeitsbedingungen sind inzwischen geregelter. Bei der D-AG hatte niemand Familie, nicht mal ne Beziehung. Jetzt haben die Leute öfter ne Familie. Also meine Firmen sind mit mir quasi älter geworden.“

„Also wenn früher gegolten hat, ‚das muss gemacht werden, egal wie, erledigt das mal‘, dann ist heute doch eher ein 8-Stunden-Tag Normalität.“

„Mit dem Ende des Hype gab es dann einige Kollegen, die Familie hatten, die haben dann eine bewusste Entscheidung für die Familie getroffen.“

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: In Bezug auf die bis zum Ende des Hype augenscheinlich ungebrochene Dynamik der Entgrenzung von Arbeit, das „we are all family“ in den Start-ups und der deutlichen Bereitschaft in den anderen Unternehmen, ein entsprechendes Changemanagement aktiv mit zu tragen, und ebenso hinsichtlich der den Interviewaussagen nach z. T. exzessiv ausgedehnten Arbeitszeiten, nicht nur in den Start-ups, hat sich augenscheinlich einiges geändert. Manche Gesprächspartner meinen, nicht zuletzt in Bezug auf diesen Aspekt der Arbeit sei ein Stück Old Economy in die New Economy zurückgekehrt:

4.        Das erkennbare Grundmuster: professionellen Interessenvertretungsarbeit

Aus einer Reihe von Untersuchungen ist bekannt, dass mit dem Ende des Hype auch in Start-ups vermehrt Betriebsräte entstanden sind – jedenfalls von einer bestimmten Betriebsgröße an (Ittermann 2003). Es gibt zwar auch Untersuchungen, die auf große Zahlen betriebsratsfreier Klein- und Kleinstbetriebe in der IT-Branche verweisen. Man kann aber berechtigt fragen, ob wir es hier nicht eher mit einem Phänomen zu tun haben, das im Kern kleinbetriebstypisch ist, aber wenig mit der IT-Branche zu tun hat.[3] Der Zugang dieser Untersuchung zielt auf Betriebe mit Betriebsräten. Die GesprächspartnerInnen waren in aller Regel die Betriebsratsvorsitzenden.[4]

Stellt man die selbstverständlich vorhandenen Unterschiede einmal zurück (ein Betriebsobmann im Kleinstbetrieb kann nun einmal nicht im Team arbeiten, wir haben uns um kontrastierende Fälle bemüht, also neben Betriebsräten, die erst seit zwei bis drei Jahren existieren und sich im Zuge der Anstrengungen um eine Bewältigung der seit dem Ende des Booms oft als krisenhaft erlebten Prozesse dynamisch entwickelt haben, auch den Betriebsrat im Sample, der schon länger im Amt ist und mit den seit Ende des Hype erschwerten Bedingungen seiner Arbeit nicht so gut zurecht kommt. Wir haben gewerkschaftlich organisierte und gewerkschaftlich nicht organisierte Betriebsratsmitglieder interviewt usw.) und lässt die wenigen langjährig existierende Betriebsräte aus Großbetrieben (New-Economy in der Old Economy) einmal außer Betracht, dann ergibt sich folgendes Bild:

Die Betriebsratsvorsitzenden nehmen ihr Amt i. d. R. nicht mit einer vollen Freistellung wahr (10 : 5) wollen in ihrem Beruf bleiben, oder in ihn zurückkehren, sehen im Einzelfall die BR-Funktion als Durchgangsstation zu einer Funktion im Personalmanagement an. Die, die freigestellt sind, sehen dies (Ausnahme Siemens) im Gespräch als begründungsbedürftig an. Trotz Freistellung ist Betriebsratsarbeit für sie nur ganz ausnahmsweise die ‚berufliche‘ Langfristperspektive. Einige Zitate mögen dies illustrieren:

„Ich mache die Betriebsratsarbeit hier ja nicht hauptamtlich, ich bin hier immer noch Softwareentwickler, auch wenn ich im Augenblick v. a. Aufgaben der Personalabteilung wahrnehme. (...) Also, die Frage der eigenen Berufskarriere war, angefangen bei der Entscheidung zu kandidieren, immer ein ganz wichtiger Punkt.“

„Für meine Kollegen gibt es da Zielkonflikte zwischen beruflicher Karriere und Betriebsratsarbeit an jeder Ecke. Drei Kollegen sind da voll ausgebremst worden. Allerdings in einem Fall haben wir es dann nach zwei Jahren geschafft seinen beruflichen Weg zu sichern und in einem anderen Fall hat sich eine alternative berufliche Entwicklungsmöglichkeit finden lassen.“

„Als wir vor 10 Jahren hier den ersten Betriebsrat gewählt haben, da wollte sich von meinen männlichen Kollegen, die das damals initiiert haben, keiner freistellen lassen. Wir hatten aber Anspruch auf eine Freistellung und den wollten wir nicht aufgeben. Aber keiner wollte seine berufliche Karriere aufgeben. Nur ich, ich war noch nie so karriereorientiert, Und so habe ich das dann gemacht.“

Die Betriebsräte in der New Economy machen ihre Arbeit hoch professionell, so wie vorher, oder immer noch, ihren Job. Es handelt sich gewissermaßen um eine neu hinzugekommene Arbeitsaufgabe. Zwar könnte man von ihr sagen, dass sie in einem mikropolitischen Raum, nämlich dem des Betriebes stattfindet; aber gerade das Selbstverständnis, mit dem an sie herangegangen wird, spricht dafür, sie als Arbeit innerhalb eines eigentlich noch vorpolitischen Raumes zu begreifen. Aus diesem Grunde wird im Folgenden sehr bewusst von Interessenvertretungsarbeit gesprochen.

·         Innerhalb der Betriebsratsgremien arbeiten die hier befragten Betriebsräte eher teamförmig, auch wenn natürlich bei den Betriebsratsvorsitzenden vieles zusammenläuft, zumal dort, wo sie freigestellt sind. Z. T. wird nicht mit Ausschüssen sondern mit themenbezogenen ad-hoc-Arbeitsgruppen gearbeitet, bei Bedarf werden projektförmige Arbeitsweisen gewählt. In den Betrieben ohne Freistellungen wird seitens der Betriebsratsvorsitzenden in der Regel, d. h. für Phasen, in denen die Arbeit ruhig verläuft, über einen zeitlichen Aufwand von einigen Stunden neben den wöchentlichen Sitzungen berichtet:

„Das ist unterschiedlich. Es hat Phasen gegeben, wo alles sehr ruhig gelaufen ist und man als Betriebsratsvorsitzender vielleicht ½ Tag in der Woche aufwenden musste. Und dann hat es aber auch Phasen gegeben, etwa bei Verhandlungen um einen Interessenausgleich und Sozialplan, wo sich das ganz anders darstellte. Da haben wir alle 30 bis 40 Prozent mehr Arbeitszeit verschwendet.“[5]

Wo Fragen der Arbeitsplatzsicherung eine große Rolle spielen, kann die für Betriebsratsarbeit aufgebrachte Zeit der Betriebsratsvorsitzenden also durchaus auch außerplanmäßig ausufern, insbesondere dann wenn im Zusammenhang mit Verhandlungen um einen Interessenausgleich auch noch externe Berater hinzugezogen werden:

„Das ist jetzt in den letzten beiden Monaten zu einem richtig gehenden Vollzeitjob geworden. Also, wenn es nicht ständig um den eigenen Job gehen würde, dann würde mir die Betriebsratsarbeit richtig Spaß machen.“

Gegenüber ihrer Wählerschaft ist allen Gesprächspartnern Transparenz wichtig. Einige haben Homepages im Intranet. Wegen des damit verknüpften zeitlichen Aufwandes haben andere die Nutzung dieses Instruments aber auch wieder aufgegeben. Alle nutzen aber E-Mails (ziemlich regelmäßig nach BR-Sitzungen), um über ihre Arbeit zu informieren. Die meisten Gremien scheinen in den verschiedenen Funktionsbereichen der Betriebe mit einzelnen Mitgliedern präsent zu sein, so dass auch während der Arbeit Feedbacks möglich sind.

·         Gegenüber dem Management sind die Betriebsräte auf Kooperation und Mitgestaltung orientiert, scheuen aber auch nicht vor Konflikten zurück. In vielen Interviews, vor allem mit jenen Betriebsratsvorsitzenden aus Gremien, die mit dem Ende des Hype neu entstanden sind, wird zweierlei deutlich: Zum einen liegt ein ganz wesentliches Motiv für die Befragten, sich in einem Betriebsrat zu engagieren, darin, Prozesse im Unternehmen, die mit dem Ende des Hype offensichtlich ‚aus dem Ruder liefen‘ mit zu gestalten und als unzulänglich erkannte Strukturen zu verändern. Die folgenden Aussagen mögen dies Illustrieren:

„Ich wollte hier im Betrieb etwas mitgestalten“, oder „ also die Selbstherrlichkeit des Chefs und dass gleichzeitig Entscheidungen gegen den gesunden Menschenverstand getroffen wurden und es Probleme gab, das Chaos zu managen, das hier entstanden ist, das waren für mich die Motive“.[6]

Zum anderen sind die Befragten durchgängig in der Lage sich in der Verfolgung dieses Ziels die erforderliche Anerkennung seitens des Managements zu erarbeiten, auch wenn dies in der Regel nicht ohne Konflikte abgeht. Einigungsstellenverfahren, auch bei Betriebsratsvorsitzenden, die erst seit 2 ½ Jahren im Amt sind, sind nicht ungewöhnlich. Drei Charakterisierungen des Verhältnisses von Betriebsrat und Geschäftsführung seien an dieser Stelle zitiert:

„Also aus Sicht der Geschäftsführung sind wir hier wohl ein furchtbar notwendiges Übel. Sie betont zwar ständig die vertrauensvolle Zusammenarbeit, praktiziert sie aber nicht. Bei sensiblen Themen handelt sie dann am Betriebsrat vorbei. Im Augenblick haben wir gerade wieder zwei solche Flächenbrände, wo wir uns im Stadium der Klage befinden“

„Das ist dann ein Hauen und Stechen gewesen, das bis auf die persönliche Ebene herunter gegangen ist. (...) Das Klima hat sich jetzt seit ungefähr ¼ Jahr und mehreren Einigungsstellenverfahren geändert. Man muss sich arrangieren.“

„Also das Verhältnis zueinander ist grundsätzlich konstruktiv, auch wenn es in den Sachauseinandersetzungen schon mal Konflikte gibt. Man kommt also miteinander aus. Aber es kommt eben auch zu größeren Konflikten, wenn wir z. B. bei einer Einstellung mal nein sagen. Dass wir da überhaupt gefragt werden müssen ist eigentlich immer noch ein Problem für den Firmengründer“

Es gibt hier die Fälle, wo der neu gewählte BR-Vorsitzende und der Geschäftsführer sich nach 1 ½ Jahren einig waren, einer von ihnen „sei zu viel im Unternehmen“, inzwischen aber miteinander zurechtkommen oder wo beide in den outgesourcten Unternehmen langjährig arbeiten und persönlich befreundet sind und die jetzigen Rollenkonflikte auf die persönliche Beziehung durchschlagen.

Die neuen gewerkschaftlichen Infrastrukturen werden von den Befragten betriebsratsvorsitzenden durchgängig als nützlich angesehen. Im Einzelfall eines Betriebsrats aus dem New Media Bereich ist der Kontakt mit connexx.av geradezu als ein befreiender Impuls erlebt worden, „das war so was wie ein Dammbruch, oder eine Explosion, es war jedenfalls zu dem Zeitpunkt einfach ganz toll.“ Generell kann man aber von einer offenen Kontaktbereitschaft ohne falsche Leidenschaften sprechen. Vier Betriebsräte sind trotz guter langjähriger Kontakte nicht Mitglied einer DGB-Gewerkschaft, zwei, die lange Mitglied sind, wissen eigentlich nicht recht, warum sie es immer noch sind, einer hat nach längerer Mitgliedschaft die Gewerkschaft wieder verlassen, jetzt aber über ein Betriebsrätenetzwerk wieder Kontakte aufgenommen. Das „Netzwerk mit anderen Betriebsräten“ und „der Anwalt meines Vertrauens“, so die bündige Formulierung eines anderen Befragten, sind die wichtigsten Ressourcen der eigenen Interessenvertretungsarbeit. Über das Betriebsrätenetzwerk ist dieser Betriebsratsvorsitzende dazu veranlasst worden, einer DGB-Gewerkschaft beizutreten. Durchgängig werden die neuen gewerkschaftlichen Infrastrukturen als wichtig und hilfreich im Hinblick auf die eigene Betriebsratsarbeit angesehen.

In einem anderen Gesprächsteil wurde dann noch einmal genereller anhand gezielter Vorgaben nach Einstellungen in Bezug auf die Gewerkschaften gefragt. Hier ergibt sich ziemlich durchgängig das Bild einer kritischen Distanz, in der manche der Einschätzungen, die vor allem seit dem Sommer 2003 - vor dem Hintergrund der Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie Ostdeutschlands sowie der Führungskrise der IG Metall – in der medialen Öffentlichkeit eine große Rolle gespielt haben. Einschätzungen, dass die Gewerkschaften mit relativ einfachen Wirklichkeitsdeutungen zu besserwisserisch aufträten und selbst keine innovativen Vorschläge machten fanden hohe Zustimmung. Das folgende Zitat mag die Schwierigkeiten so mancher Befragter im Umgang mit den Gewerkschaften besonders gut verdeutlichen:

„Also in unserem Netzwerk da gibt es sowohl IG-Metall-, als auch ver.di-Mitglieder. Die meisten Kollegen sind aber, denke ich, unorganisiert. Ich selbst bin Gewerkschaftsmitglied, und eigentlich ist das sehr widersinnig. Ich will mich da aber jetzt nicht weiter ausbreiten. Irgendwie ist das Verhältnis zur IG Metall ähnlich wie das zur Kirche: Der Glaube ist ja OK, aber die Organisation nicht. Das ist dann ohne Worte.“

Durchaus bemerkenswert ist aber noch ein weiteres Ergebnis: In mehreren Interviews haben die Befragten, gewissermaßen außerhalb des Leitfadens, an dieser Stelle mit großer Vehemenz auch Kritik an „der Politik“ geäußert – und zwar ausdrücklich quer über alle Parteien hinweg und im Kern auf den Punkt mangelnder Professionalität hin. Auch hier kann ein besonders ausdrucksstarkes Zitat für mehrere stehen:

„Also mein Bild von den Gewerkschaften hat sich in den letzten zwei Jahren schon sehr verändert (zum Positiven aufgrund der konkreten Kooperationserfahrungen), aber die haben natürlich ein riesiges Imageproblem und sind daran z. T. auch selbst schuld. Am schlimmsten ist das in den Talkshows. Wenn man da einen Politiker fragt, ob eins und eins zwei sind, dann gibt der ja keine klare Antwort, sondern redet drum, herum. Aber die Gewerkschafter, die da dann dabei sitzen, die äußern sich dann ja ähnlich nichts sagend wie die Politiker und das finde ich am schlimmsten.“

Kritik und Erwartungsenttäuschungen in Bezug auf die Arbeitspolitik der Gewerkschaften und auf die ‚große Politik‘ klingen so in den Interviews an. Aber auf beides bezogen sind unsere Gesprächspartner eher unzufriedene Zuschauer. Die örtlichen gewerkschaftlichen Willensbildungs- und Entscheidungsgremien sind das Terrain der Betriebsräte, und z. T. noch Vertrauensleute aus der ‚klassischen‘ gewerkschaftlichen Klientel.[7] Der Handlungsrahmen und der Handlungshorizont aller von uns befragten Betriebsräte ist ganz ausdrücklich die einzelwirtschaftliche Rationalität von Unternehmen und Betrieb.[8] Hier machen sie Interessenvertretungsarbeit in einem nach dem eigenen Selbstverständnis eher vorpolitischen Raum.

·         Die Nachfolgende Übersicht fasst die wesentlichen Elemente des damit charakterisierten Grundmusters professioneller Interessenvertretungsarbeit noch einmal zusammen. An ihm ist bemerkenswert, dass es hinsichtlich der beschriebenen Arbeitsformen viele Elemente beinhaltet, die die IG Metall im Hinblick auf ihre klassische Klientel seit Mitte der 1990er-Jahre über entsprechende Modellprojekte zu implementieren versucht hat (vgl. Frerichs/Martens 1999). Dies ist zwar in den allermeisten dieser Modellprojekte gelungen, hatte aber zunächst keine ‚Schneeballeffekte‘. In den hier betrachteten Fällen entwickeln sich vergleichbare Arbeitsformen demgegenüber gewissermaßen ganz selbstverständlich – und zwar auf Grundlage der beruflichen Professionalität der Betriebsräte.

5.        Einige Bemerkungen zu den gewerkschaftlichen Modellprojekten

Einleitend wurde auf das zweistufige empirische Vorgehen im Rahmen dieses Projekts kurz eingegangen. Die Ergebnisse der diesbezüglichen Erhebungen sind an anderer Stelle aufbereitet worden und stehen hier nicht im Zentrum der Betrachtung. Gleichwohl sind an dieser Stelle sind ein paar generellere Bemerkungen zu den verschiedenen gewerkschaftlichen Modellprojekten und den Bedingungen ihres Erfolgs angebracht. Sie werden in einem weiteren Schritt in Bezug auf eines dieser Modellprojekte, nämlich connexx.av von ver.di noch etwas vertieft.

Zunächst sollen Merkmale und Erfolgsbedingungen der gewerkschaftlichen Modellprojekte etwas näher betrachtet werden. Die Modellprojekte, denen hier die besondere Aufmerksamkeit gilt, haben nicht vor nunmehr fünf Jahren gewissermaßen „bei Null“ begonnen. Betrachtet man sie genauer, so bemerkt man, dass es jeweils lange Vorläufe, externe Impulse und niemals gradlinige Entwicklungen gegeben hat, die zu ihnen hingeführt haben. Im Zusammenhang der Modellprojekte der IG Metall ist insbesondere auf das ‚Verbundprojekt Angestellte’ zu Anfang der 1990er-Jahre zu verweisen, gelegentlich aber auch auf das spätere Organisationsentwicklungsprojekt der IG Metall. In beiden Zusammenhängen spielen auch externe Impulse von Wissenschaftlern und Organisationsberatern eine Rolle. Auch im Zusammenhang mit connexx.av sind solche externen Impulse von großer Bedeutung und es hat „vorlaufende“ Aktivitäten seit etwa Mitte der 1990er-Jahre gegeben.[9]

Bei allen näher betrachteten Modellprojekten handelt es sich um Aktivitäten, die neben der bestehenden formalen Organisation entwickelt werden. Es sind Projekte mit definierten Zielen, Ressourcen, Zuständigkeiten, Berichtspflichten usw. Im Einzelfall, nämlich bei connexx.av kann das so weit gehen, dass das Projekt zunächst einmal „unter anderer Flagge segelt“, also auch im Namen nicht ohne weiteres als Projekt derjenigen Gewerkschaft zu erkennen ist, die darüber Dialogräume mit neuen Klientelen öffnen und neue Organisationspraktiken erproben will. Konsequenter Weise sind es ganz überwiegend Beschäftigte aus den jeweils angezielten neuen Klientelen, die in den Modellprojekten als Projektmanager (nicht nur hier ist das ‚wording’ wichtig) arbeiten.

Solchen Projektmanagern fällt es leicht, Akzeptanz zu gewinnen, während ‚gestandene Gewerkschafter’ mit ‚Stallgeruch’ schon wegen ihres Habitus Gefahr laufen, als der berühmte Elefant im Porzellanladen wahrgenommen zu werden. Die erforderliche reflexive Distanz zu der neuen Klientel, kann allerdings auch anders hergestellt werden. Kundenorientierung, ständige Erreichbarkeit und das Bemühen, an den „beim Wort genommenen“ Ansprüchen jeweiliger corporate identities und den widersprüchlichen Erfahrungen der Beschäftigten anzuknüpfen charakterisieren das Handeln der Projektmanager.

Die Bedeutung von projektförmiger Arbeit im Hinblick auf die experimentelle Entwicklung von Neuem und eine gleichzeitig eingebaute Erfolgskontrolle wird im Wesentlichen von allen GesprächspartnerInnen aus dem hauptamtlichen gewerkschaftlichen Bereich bestätigt. Zugleich wird aber auch in allen Gesprächen deutlich, wie schwer den Gewerkschaften Projektarbeit fällt. Derartige Arbeitsformen liegen quer zur gewohnten gewerkschaftlichen Organisationspraxis. Es gibt allerdings Hinweise, dass bei der IG Metall im Versuch, ‘in die Fläche zu gehen’, einzelne regionale Initiativen nach dem Modell projektförmigen Arbeitens begonnen wurden und zu ersten Erfolgen führen. Projektförmiges Arbeiten ist augenscheinlich auch eine Generationenfrage, wie sich an anderen Arbeitskreisen im Organisationsbereich der IG Metall zeigen lässt, die außerhalb solcher dezidierten Projektstrukturen aber doch mit neuem Personal begonnen wurden.

Andererseits ist zu beobachten, dass überall dort, wo personell oder organisatorisch Verschränkungen zur laufenden Organisationsroutine eingebaut sind, diese eingeschliffenen Handlungsmuster sehr schnell gegenüber dem Neuen der Projektarbeit die Oberhand gewinnen können. Da eine externe Supervision nur in einem der drei Modellprojekte überhaupt vorgesehen ist, mangelt es hier auch oft an einem systematischen Korrektiv. Die Durchsetzung der neuen Arbeitsformen hängt so in hohem Maße von den jeweils handelnden Personen ab. Ihnen sind entsprechende Arbeitsformen aufgrund ihrer persönlichen Berufserfahrung z. T. selbstverständlich. Die Modellprojekte sind ganz ohne Zweifel ein weiterer wichtiger Impuls für gewerkschaftliches Organisationslernen. Ihre nähere Analyse zeigt aber auch, dass es noch viel Arbeit erfordern wird, diese Impulse wirklich zu nutzen.

Am Beispiel von connexx.av sollen die Modellprojekt im Folgenden noch etwas näher betrachtet werden, denn in bestimmtem Sinne geht es hier um gewerkschaftliche Handlungsansätze auf einem besonders schwierigen Terrain. Ein großer Teil der Referenzbetriebe dieses Modellprojekts von ver.di sind Klein- und sogar Kleinstbetriebe deutlich unterhalb der Betriebsgröße von ca. 200 Beschäftigten, bei der seitens der IG Metall eine Regelbetreuung durchgängig einsetzt. Die Betriebe im New-Media Bereich sind typischerweise Start-ups. Hier waren die Dynamiken vor dem Ende des Hype ebenso besonders ausgeprägt, wie die Verwerfungen danach. Und hier finden sich die Beschäftigten, für die die vielberufenen Patchworkbiographien und das Arbeitskraftunternehmertum besonders ausgeprägt zuzutreffen zu scheinen. Hierfür spricht die im Zwischenbericht ausgewertete Literatur und dies ist durch die entsprechenden Zitate in den voranstehenden Abschnitten zusätzlich illustriert und belegt.

Aber auch in größeren Betrieben im Bereich der AV-Medien, etwa bei privaten Fernsehsendern - mit mehreren 1000 und am Standort eines Befragten Betriebsratsmitglieds z. B. weit über 500 Beschäftigten – oder bei deren Produktionsdienstleistern mit jeweils mehreren hundert fest Beschäftigten plus „Freie“, sind die Verhältnisse schwierig. Denn auch hier ist das Selbstunternehmertum besonders ausgeprägt (welcher bekannte TV-Moderator hat inzwischen nicht seinen eigenen Produktionsbetrieb?) Die Zahl der freien MitarbeiterInnen ist hoch. Projektarbeit ist verbreitet. Die Branche ist, vor allem jenseits der öffentlich-rechtlichen Sender, geradezu ein Vorreiter für Deregulierungsprozesse (Marrs/Boes 2003).

·         Auf das Modellprojekt ist an anderer Stelle ausführlicher eingegangen worden Jeder Versuch seiner einer vorläufigen Bewertung muss diese Rahmenbedingungen berücksichtigen. Im Blick auf die neu entstandenen gewerkschaftlichen Strukturen ist dann festzuhalten:

·         Der Aufbau einer neuen Infrastruktur für Betriebsräte mit hauptamtlichem Personal, dass die Branche kennt und zu den dort Beschäftigten einen „Draht“ herstellen konnte, ist gelungen.

·         Es sind Durchbrüche bei der Implementierung von Betriebsräten gelungen.

·         Connexx.av bedeutet für ver.di einen beachtlichen Imagegewinn.

·         Zugleich konnte viel neues Know-how innerhalb der Gewerkschaft aufgebaut werden.

·         Erhebliche Fortschritte bei der Gewinnung und Bindung von Mitgliedern wurden hingegen noch nicht erreicht.

Blickt man auf die vorliegenden Betriebsratsinterviews, so ist zu ergänzen:

·         Es gibt hier vermutlich mehr Probleme damit, einzelnen Personen in ihrer Betriebsratsarbeit den Rücken zu stärken und die Hürden für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft mögen hier immer noch größer sein.

·         Es gibt aber, wie durchgehend, einen Anspruch und ein auch hier überwiegend beachtliches Potential für eine auf Mitgestaltung gerichtete Betriebsratsarbeit. Bei größeren Betrieben entspricht sie mehr oder weniger dem oben skizzierten Grundmuster.

Connexx.av wurde voranstehend als eines der im Rahmen dieser Untersuchung näher betrachteten Modellprojekte genauer in den Blick genommen. Wie bei den anderen Modellprojekten kann man hier von sozialen Innovationen sprechen: Im Blick auf die Gewerkschaften, die sie initiiert haben und tragen sind sie in diesem Sinne Teil eines Organisationsentwicklungsprozesses. Im Blick auf ihren jeweiligen Referenzbereich kommt ihnen eine katalytische Funktion zu. Wenn man die Arbeit der ProjektmanagerInnen in den Modellprojekten unter diesem Aspekt rekonstruiert (auf Basis der Interviews der ersten Erhebungsstufe, der vielfältigen Dokumente, aber auch der Einschätzungen der betrieblichen GesprächspartnerInnen aus der zweiten Erhebungsstufe) stellt man fest, dass man es in allen Fällen mit langjährigen Entwicklungs- und Lernprozessen zu tun hat. Es gibt die erwähnten Vorläuferprojekte, Anfangskonflikte mit gewachsenen gewerkschaftlichen Kulturen und Selbstverständlichkeiten, viel mühsame Kleinarbeit, Teil- aber auch Misserfolge, Personalwechsel im hauptamtlichen Bereich, die u. U. kleine Rückschläge bedeuten, einen mühsamen Aufbau von Vernetzungen in den jeweiligen Referenzbereichen usw.

Mit anderen Worten: der Aufbau von neuen und anders funktionierenden gewerkschaftlichen Infrastrukturen (dezentral, immer erreichbar, flexibel, auf fachliche Hilfen und Lösungen orientiert, nah an den betrieblichen Kulturen der Referenzbereiche) war ein langer und mühsamer Prozess. Aber er war nicht nur lang und mühsam. Es gab in ihm auch Entwicklungsschübe – z. T. als Ergebnis lange geplanter und vorbereiteter nächster Schritte, z. T. aber immer auch Ergebnis von veränderten Handlungskonstellationen, die den gewerkschaftlichen Handlungsansätzen sozusagen zugearbeitet haben. Die Gründung des Betriebsrats bei Pixelpark, als erste Implementierung eines Betriebsrats im New Media-Bereich mit großer öffentlicher Resonanz war z. B. eine solche „Durchbruchaktion“, ebenso vermutlich die Entwicklung von sich selbst tragenden Betriebsrätenetzwerken im IT-Bereich (in München nach dem Streik bei Digital Equipment schon 1993). Und auch im Zusammenhang mit dem Siemensprojekt hat es einen solchen Entwicklungssprung gegeben, auf den ich noch eingehen werde. Dies im Blick zu haben scheint mir bei einer Diskussion über die gewerkschaftliche Organisationsfähigkeit der IT- und AV-Branche wichtig zu sein. Es verweist auf die begrenzte Prognosefähigkeit sozialwissenschaftlicher Analyse.

Sozialwissenschaftler sind in ihrer Prognosefähigkeit bekanntlich nie besonders gut gewesen – vermeintlich ist der Blick immer wieder allzu leicht von der, zumeist ja auch bemerkenswert großen, Stabilität alter institutioneller Strukturen geprägt. Wir können aber schwer wissen, welche eventuellen neuen Sprünge sich gerade wieder vorbereiten – z. B. angesichts drohender neuerlicher Arbeitsplatzverluste im Zeichen von Offshoring trotz hoffentlich anspringender Konjunktur. Ich würde z. B. auch nicht davon ausgehen, dass eine Evaluation wie meine, egal wie dicht sie an den jeweiligen Modellprojekten dran sein mag, möglicherweise gerade wieder laufende Vorbereitungen auf einen nächsten versuchten Sprung nach vorne zu erfassen vermag. Solche Vorbereitungen erfolgen gewöhnlich verdeckt – also mindestens so konspirativ wie die Vorbereitungen zu ersten Betriebsratswahlen, die in manchen Interviews geschildert wurden.

6.        Die Entwicklung der „New Economy“ in der „Old Economy“ – Das Beispiel des Siemenskonflikts

Wenn von der New Economy die Rede ist, richtet sich der Blick für gewöhnlich auf Start-ups und Technologiezentren (vgl. Deckstein/Felixberger 2000, Meschnig/Stuhr 2001, Staman/Kalcik 2003). Dieser Blick auf das vermeintlich ganz Neue war nahe liegend, aber so doch in die Irre führend. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass es sich bei der New Economy nicht um einen ausdifferenzierten neuen Bereich der Ökonomie handelt, sondern um neue Strukturierungsmuster, die zuerst in High-Tech-Unternehmen der Old Economy forciert worden sind. L. Hack (2001) hat das am Beispiel von ITT gezeigt. Das Siemens- Projekt der IG Metall zielt auf einen vergleichbaren Konzern und steht zunächst einmal in der Tradition früherer „Angestelltenprojekte“ der IG Metall.[10] U. a. wegen der von L. Hack vertretenen These wurde es in diese Untersuchung einbezogen. Wir versprachen uns eine zusätzliche kontrastierende Fallstudie – und wir wurden in dieser Erwartung vollauf bestätigt.

Dabei ist dieser kontrastierende Fall, auf den nun näher eingegangen wird, weniger das „Siemens-Projekt“ der IG Metall als vielmehr ein bemerkenswerter Konflikt im Werk Hoffmannstraße der Siemens AG, mit dem man so im Blick auf die wissenschaftliche Diskussion über die „unselbständigen Selbständigen“ oder das „Arbeitskraftunternehmertum“ nicht rechnen konnte. Er bestätigt die Ausgangshypothese, dass man angesichts der tiefgreifenden Metamorphosen der Arbeit durchaus mit neuen Ansätzen einer primären Arbeitspolitik rechnen sollte. Schon deshalb ist es angezeigt, ihn hier ausführlicher zu behandeln (vgl. auch Martens 2003c).

In Rede steht hier ein Konflikt, der sich seit dem Sommer 2002 über mehr als 1 ½ Jahre hingezogen hat. Er entzündete sich daran, dass der Konzern von ca. 7.300 Beschäftigten seiner ICN-Sparte im Werk Hoffmannstraße in kurzer Frist (noch im Herbst 2002) 2.600 Beschäftigte entlassen wollte. Es handelt sich um Entwicklungsbereiche. Über 50 Prozent der Beschäftigten haben einen Hochschulabschluss, ca. 40 Prozent arbeiten im außertariflichen Bereich. Vielleicht sechs Prozent sind damals gewerkschaftlich organisiert. Im Betriebsrat hat die IG Metall eine knappe Mehrheit gegenüber der „Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsräte“ (AUB) aufgebaut und von dem früheren „Verbundprojekt Angestellte“ profitiert. Die Arbeit hat sich im Laufe der 1990er-Jahre zunehmend im Sinne der eingangs genannten Stichworte (Flache Hierarchien, Teamwork, Vernetzung, Kundennähe, Entgrenzung) verändert. Changemanagement und Commitment waren angesagt und wurden von den Beschäftigten mit vollzogen. Aber die angekündigten Entlassungen – im „Hause Siemens“ mit seiner in Jahrzehnten gewachsenen Unternehmenskultur - bedeuteten einen Bruch.

Für den Betriebsrat eröffnen die herkömmlichen institutionellen Handlungsmuster (betriebliche Mitbestimmungsmöglichkeiten, Einflussnahmeversuche im Aufsichtsrat) keine ernstlichen Optionen. Die Welt ist hier anders als früher einmal im Bereich der Montanmitbestimmung und heute noch in der Automobilindustrie. Und das Management ist für ihn erkennbar in keiner Weise auf auch nur geringe Kompromisse hin orientiert. Im Zeichen des Shareholder Value sei Quersubventionierung ausgeschlossen und die Synchronisierung der internationalen Marktentwicklung zwinge zu einer drastischen Verringerung der Stammbelegschaft, das ist der Kern seiner Argumentation. Also konfrontiert der Betriebsrat die Belegschaft offensiv mit diesem tief einschneidenden Bruch. Die Beschäftigten hätten auf die Ankündigung des Managements auf einer ersten außerordentlichen Betriebsversammlung mit „einem großen Nicht-Begreifen“ reagiert meint ein Betriebsratsmitglied, das weiterhin von „Schockzuständen, aber auch viel Verdrängung“ spricht.

Der Betriebsrat beteiligt sich an der systematischen Herstellung einer betrieblichen und konzernweiten Öffentlichkeit, während zugleich aus der Belegschaft heraus selbsttätig eine virtuelle Öffentlichkeit aufgebaut wird, in der nicht zuletzt die zutiefst betroffenen Emotionen der Beschäftigten artikuliert werden können. Ein Mitglied, des nun entstehenden Belegschaftsnetzwerkes schildert das wie folgt:

„Dann sind also die ‚blauen Briefe‘ gekommen und ich habe schon gewusst, dann kommt für die Einzelnen der Schock. Also haben wir mit den Leuten geredet. Und es ist unheimlich wichtig gewesen, mit der persönlichen Betroffenheit, da selektiert zu sein, nicht allein zu bleiben. Das war wie eine unsichtbare Mauer. Nicht weil die Kollegen dich geschnitten hätten, sondern einfach von der Arbeit her. Du hattest die normalen Arbeitskontakte nicht mehr. Du warst wie in einer anderen Welt, und das in dieser Drucksituation. (...) Ich kann mich an einen Informatiker erinnern, der hat in so einem Gespräch in einer Gruppe, wie wir die dann organisiert haben, plötzlich ohne Sinn und Verstand gesagt, er muss jetzt Semmeln kaufen gehen. Und später haben wir mit dem dann über den Sinn des Lebens geredet.“

Der Betriebsrat verschafft sich im weiteren Verlauf ökonomische und juristische Expertise von außen, entwickelt darüber in der intensivierten Kommunikation mit der Belegschaft ein auf die Sparte bezogenes Gegenkonzept, das die Beschäftigten überzeugt, und wird unversehens zum organisierenden Gegenpol eines Großkonflikts, in dem das Management sehr schnell die Meinungsführerschaft verloren hat.

„Der Betriebsrat hat bei den Leuten angesetzt: Die hatten ja ihr Wissen langjährig, v. a.: „learning by doing“, erworben. Und wir haben dann gefragt: Was passiert dann mit euch, wenn dieses ‚synchrone Fehlverhalten des Arbeitgebers‘ wirklich erfolgt? Und die Leute haben dann sehr schnell begriffen, dass hier die Basis ihrer Qualifikation gefährdet sein würde – ganz abgesehen von der Frage, wie die, die zu Leiharbeitern würden, in den Konjunkturtälern über die Runden kommen sollten.“

Aus Sicht der befragten Betriebsratsmitglieder war die wachsende Resonanz unter den beschäftigten eine nahezu überwältigende Erfahrungen. Habe man früher in den einzelnen Büros und Abteilungen praktisch jeden einzelnen Beschäftigten aufs Neue einzeln ansprechen müssen, wenn es z. B. darum gegangen sei, Unterschriften für Wählerlisten zu Betriebsratswahlen zu sammeln, so sei man nun regelmäßig von Menschentrauben umgeben gewesen.

„Es galt aber festzuhalten: das allein ist auch kein tolles Programm. Also kam es darauf an, ein Alternativprogramm zu entwickeln. Und da haben wir viel davon profitiert, dass wir nach § 111 BtrVG externe Berater hinzuziehen konnten. Außerdem haben wir mit den Branchenanalysen der IG Metall auch einen kleinen Vorlauf von der Analyse her gehabt. (...) Die Grundfigur war dann: Wenn überhaupt ein Markt, dann ist der IT-Markt gut. Er hat allerdings diese „Synchronschwäche“. Es wird allerdings nach der Krise – vor der viele Abnehmer viel Geld in den Stand der IT-Technik investiert und dann verloren haben, keinen großen Schub in neue Technik sondern einen Aufschwung auf Basis der vorhandenen geben. Darauf gilt es sich einzustellen, durch intelligente Überbrückungen, Weiterbildung etc. Damit hatten wir die Grundströmung für uns und für viele überzeugend die Frage nach der unternehmerischen Verantwortung gestellt. Von daher war unser Modell tragfähiger“.

In der ersten Phase des Konflikts (August bis Oktober 2002), die schließlich in ein erstes Ergebnis mündet (Stichworte: Arbeitszeitverkürzungen, Einrichtung einer Beschäftigungs“such“gesellschaft (so die Formulierung des Betriebsrats), Maximal 1.100 Entlassungen, wobei nur Beschäftigte entlassen werden sollen, die jünger als 45 Jahre sind und von denen man noch hoffen kann, dass sie auf dem Arbeitsmarkt nicht chancenlos sind) ist eine erstaunliche Entfaltung von Öffentlichkeit zu beobachten. Zu verzeichnen sind u. a.:

·         Sieben außerordentliche Betriebsversammlungen, sowie eine beachtlich große Demonstration vor der Hauptverwaltung des Konzerns (ca. 3000 TeilnehmerInnen, von denen allerdings nur ein Teil aus dem Werk kommt).[11]

·         Aufbau eines (virtuellen) Netzwerkes von ca. 700 Beschäftigten der Sparte, die von den drohenden Kündigungen betroffen sind.

·         Aufbau eines Internetauftritts (www.netzwerkit.de), in dem die Betroffenen kommunizieren können (mit 8000 Klicks täglich (!) in der heißen Phase des Konflikts).

·         Das Management versucht zeitweilig mit einer eigenen Intranetseite Meinungsführerschaft zurückzugewinnen, gibt diesen Versuch aber nach drei Wochen (mit insgesamt 53.000 Klicks) auf.

Höchst bemerkenswert ist dann, dass der Konflikt mit einer vorläufigen Einigung im Herbst 2003 keineswegs beendet ist. Ca. 400 Beschäftigte wechseln in die Beschäftigungsgesellschaft, weitere 350 werden gekündigt. Mehr Kündigungen sind im Ergebnis der Handhabung der ersten Vereinbarung durch das Management nicht mehr möglich, denn gekündigt werden darf danach nur, wer zuvor auf seine Bereitschaft zum Wechsel in die Beschäftigungsgesellschaft angesprochen worden ist. Die IG Metall dokumentiert den Konflikt bis zu diesem Punkt in mehreren Broschüren (vgl. v. a. Schuhler 2003) , die dem Konzern augenscheinlich derart unangenehm sind, dass er diese Dokumentationen selbst zum Gegenstand eines Rechtsstreits macht, in dem er unterliegt. Ca. 200 der Gekündigten reichen, unterstützt vom Betriebsrat, eine Kündigungsschutzklage ein. Normalerweise wären sie damit aus dem Blickfeld der bis dahin entstandenen betrieblichen Öffentlichkeit herausgetreten. Aber im vorliegenden Fall ist das nicht so:

·         Mitglieder des virtuellen Belegschaftsnetzwerke gehen als „Prozessbeobachter“ zu jedem einzelnen Arbeitsgerichtsprozess.

·         Berichte über jeden Prozess werden im Netz veröffentlicht. (Nebenbei: die Arbeitsrichter gehören sehr schnell zu den eifrigsten Lesern. Externe Supervision ist für sie neu und offenbar sehr reizvoll.)

·         Das Belegschaftsnetzwerk, bzw. dessen Kern oder organisierende Knoten, veranstalten zudem Besuche im Landtag und Podiumsdiskussionen mit Politikern, über die ebenfalls im Netz berichtet wird.

·         Nach 89 Arbeitsgerichtsprozessen steht es im Übrigen zu Beginn des Jahres 2004 89 : 0 gegen Siemens.

Der hier skizzierte Konflikt endet im Februar 2004. In einem Bündel von Betriebsvereinbarungen, kann aus Sicht des Betriebsrats ein weitgehender Erfolg festgeschrieben werden. [12] Der Konflikt und sein vorläufiges Ergebnis sind hoch spannend – nicht nur für einen Sozialwissenschaftler, der vor dem Hintergrund der sozialwissenschaftlichen Diskussion niemals mit ihm hätte rechnen dürfen. Festzuhalten ist zunächst:

1.   Anders als in der oben vertretenen These von dem Grundmuster einer Interessenvertretungsarbeit von Betriebsräten in der New Economy haben wir es hier mit einem hoch politischen Prozess zu tun, an dem im Übrigen auffällt, dass er den meisten aktiv Beteiligten augenscheinlich auch Spaß macht, obwohl die eigenen Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Hier hat sich in der Tat ein Neuansatz von Arbeitspolitik entfaltet.

2.   Hochqualifizierte Angestellte haben im vorliegenden Fall den Beweis erbracht, dass sie in der Lage sind, solidarisch zu handeln und gewissermaßen gewerkschaftliche Solidarität für sich neu zu entdecken. (Nebenbei bemerkt: in der ersten Phase des Konflikts hat die IG Metall ungefähr 900 neue Mitglieder gewonnen. Im darauf folgenden Jahr, während und nach der Führungskrise der IG Metall lagen die Austritte deutlich niedriger als im Durchschnitt der Verwaltungsstelle. „Da ist was gewachsen, das bleibt“, meint einer der Befragten. )

3.   Sie haben ferner gezeigt, dass sie durch eigenständiges Handeln, durch ihr „Selbertun“ massiven Widerstand gegen ein ihnen nicht einsichtiges Managementkonzept aufbauen konnten.

4.   Hierfür war allerdings die Entwicklung eines Gegenkonzepts, das ihnen sachlich gut begründet und überzeugend schien, unabdingbar. Die einzelwirtschaftliche Rationalität bleibt also auch in diesem Konflikt mit seinen erheblichen arbeitspolitischen Weiterungen unhintergehbar.

5.   Das auf betriebliche Modernisierung zielende Changemanagement von Konzernspitze und Spartenleitung, für das nach Auffassung des Betriebsrats US-Vorbilder stilbildend gewesen sind, hat so im Verlauf und Ergebnis dieses Konflikts ziemlich ‚alt‘ ausgesehen.

Natürlich stellt sich hier die Frage, weshalb es im vorliegenden Fall der drohenden Entlassung von 2.600 Beschäftigten in einem Konzern zu einem derart spektakulären Konflikt kam, der im Übrigen in den Medien oberhalb der lokalen Öffentlichkeit eher wenig Aufmerksamkeit auf sich zog, während gleichzeitig in der IT Branche zig-tausend Arbeitsplätze eher geräuschlos verloren gegangen sind.[13] Augenscheinlich sind verschiedene Faktoren in einer bestimmten Handlungskonstellation zusammengekommen, die eine besonders „brisante Mischung“ gebildet haben. Zu nennen sind:

·         Der massive, vom Management gewollte, Bruch mit einer in Jahrzehnten gewachsenen Unternehmenskultur,

·         Fehler, zum Mindesten aber Ungeschicklichkeiten im Vorfeld des Konflikts, die katalytische Wirkungen für die Bildung des Belegschaftsnetzwerkes hatten,

·         ein Betriebsrat, der ganz bewusst den riskanten Weg ging, sich nicht auf die in diesem Fall augenscheinlich wenig aussichtsreichen alten institutionellen Muster einzulassen,

·         eine infolge des Siemens-Projekts der IG Metall bereit stehende gewerkschaftliche Supportstruktur.

Schließlich und nicht zuletzt ist dann aber auch wieder auf die viel diskutierte „Subjektivierung der Arbeit“ zu sprechen zu kommen, die uns hier in Gestalt hoch qualifizierter Angestellter begegnet, die sich im Verlauf dieses Konflikts als neue individuelle zivilgesellschaftliche Subjekte (Wolf 2001) entpuppt haben und die hier in ihrem Handeln so gar nicht dem Bild entsprechen, das der Idealtypus des Arbeitskraftunternehmers von ihnen zeichnet oder das dem Bild einer weiter fortschreitenden Individualisierung entsprechen würde[14]. Sie erst haben die arbeitspolitischen Dimensionen des Konflikts artikuliert, die sichtbar werden, wenn man den Zusammenhang verschiedener gesellschaftlicher Teilsysteme denkt und herstellt: Dann geht es nämlich um die Sicherung der Qualifikation derjenigen, die zukünftig nicht mehr zur Stammbelegschaft gehören und nur noch „Freie“ oder Leiharbeiter sein sollen. Es geht um den Umgang mit Einkommensverlusten und dem Verlust von sozialem Status. Es geht um die Frage nach integrierenden Konzepten, die Stakeholderinteressen berücksichtigen, um die Abwehr einer drohenden Zerstörung von lokal gebundenem ökonomischem Potential, um die Verteidigung von bis dahin sozial als lebenswert erfahrenen Arbeits- und Lebenszusammenhängen. All dies hat sich in dem hier skizzierten Konflikt artikuliert und all dies bedarf in Zeiten tiefgreifender Umbrüche arbeitspolitischer Gestaltung.

7.        Schlussbemerkung: Verkürzte Sichtweisen auf hoch komplexer sozialinnovative Prozesse und eine neue Politik der Arbeit

Der skizzierte arbeitspolitische Großkonflikt ist zunächst einmal ein Einzelfall und wie gezeigt ist er an besondere Bedingungen gebunden. Gleichwohl ist er zweifellos überraschend:

·         Für Akteure im ökonomischen System, die im Ernst davon ausgehen, dass sie es bei den neuen „unselbständigen Selbständigen“ nach den Metamorphosen der Arbeit mit „homini oeconomici“ zu tun haben, den Thesen einer weit vorangeschrittenen Individualisierung aufsitzen und sich Arbeitspolitik im Kern nur in institutionell vorgestanzten aber von Erosion bedrohten Mustern vorstellen können.

·         Für Akteure im politischen System, die im Blick auf das gesellschaftliche Teilsystem Wirtschaft im Wesentlichen den Blickwinkel von Spitzenmanagern nachvollziehen und auf deren Expertise setzen, dann aber für die Folgeprobleme einer Wirtschaftspolitik, die nur noch in der Wirtschaft stattfindet, immer weniger überzeugende sozialpolitische Lösungen haben;

·         Für wissenschaftliche Beobachter, die im Zeichen von Globalisierung und vermeintlich unausweichlicher Verabschiedung des alten Sozialstaates zugunsten eines modernen Wettbewerbsstaats nur noch nach einzelwirtschaftlichen Best-Practice Modellen suchen und Beteiligung oder gar Mitbestimmung letztlich nur noch unter Effizienzgesichtspunkten ihr Recht zubilligen.

Muss man deshalb nicht sagen, dass der skizzierte Konflikt Anlass dazu geben sollte, den neoliberal verengten „Tunnelblick“ auf Effizienz im Rahmen einzelwirtschaftlicher Rationalität endlich aufzugeben? Könnte es nicht sein, dass der skizzierte Konflikt viel eher als manche Expertenkommission „von oben“ darüber belehren könnte, wie es aussehen könnte, wenn wieder „ein Ruck durch unser Land geht“, bei dem die Experten „von unten“ sozial innovative und ökonomisch tragfähige Lösungen entwickeln? Zeigt er nicht, dass die Unzufriedenheiten und latenten Kritiken an „der Politik“ und „den Gewerkschaften“, die in den anderen betrieblichen Einzelfällen, denen in diesem Projekt nachgegangen worden ist auch sichtbar wurde, in denen sich sonst vor allem ein bemerkenswertes Grundmuster von betrieblicher Interessenvertretungsarbeit herauskristallisiert hat, sich unter bestimmten Bedingungen in einer Weise artikulieren können, die aus Vereinzelung und Frustration heraus führt und eine bemerkenswerte Produktivität befördert. Es ist natürlich nicht ausgemacht, dass dies geschehen wird und die entsprechenden Potentiale werden von verschiedenen Beobachtern, je nach ihren Interessen und arbeits- oder wirtschaftspolitischen Überzeugungen ganz unterschiedlich als Chancen oder Risiken beurteilt werden. In jedem Falle aber ist mit ihnen zu rechnen. Es spricht von daher einiges dafür, dass der soziale Konflikt wieder stärker als ein wichtiger Aspekt industriesoziologischer Forschung angesehen wird.

Ich möchte an dieser Stelle die These vertreten, dass das, was wir am Beispiel dieses Konflikts in einem Zentrum der so genannten New Economy beobachten können, einiges mit dem zu tun hat, was die radikale Demokratin Hannah Arendt in ihren nachgelassenen Schriften als das im Raum der Politik mögliche „Wunder der Freiheit“ bezeichnet hat. Menschen sind noch immer in der Lage „einen neuen Anfang zu setzen, etwas neues zu beginnen, die Initiative zu ergreifen, oder kantisch gesprochen eine Kette von selbst anzufangen.“ (Arendt 1993, 34) Es ist nicht überraschend, dass dies in einer Arbeitsgesellschaft, die sich in einem „Epochenbruch“ befindet (Scholz u. a. 2004) gerade auf dem Feld der Arbeitspolitik zu beobachten ist. Auch Arbeitspolitik als ein Raum der Freiheit, kann so durch das Handeln und „Selbertun“ von Vielen entstehen, sich aus der Zivilgesellschaft heraus neu entwickeln. Und „individuelle Freiheit kann“ – entsprechend der Leitvorstellung von Z. Bauman's Bruch über „die Krise der Politik“ – „nur das Ergebnis gemeinsamer Anstrengung sein (kann nur kollektiv gesichert und garantiert werden). (Bauman 2000, 15)

Nun ist ein Einzelfall ein Einzelfall und wie angedeutet immer an spezifische Bedingungskonstellationen gebunden. Zudem sind seine Ergebnisse nur Zwischenergebnisse im Blick auf weitere Entwicklungen. Die kommenden Probleme für die IT-Branche zeichnen sich schon ab. „Going East“, „Offshoring“ und „Nearshoring“ sind die Stichworte. Wenn alle Beteiligten aus den alten Konflikten nicht dazu lernen, werden sich damit, so steht zu vermuten, neue Konflikte abzeichnen. Über die Entwicklungen, die weiter oben als Herausbildung eines Grundmusters professioneller Interessenvertretungsarbeit bezeichnet wurden, sind in den letzten Jahren allerdings veränderte Ausgangsbedingungen entstanden. Es gibt Betriebsräte - und oftmals zwischen ihnen vernetzte Strukturen. Sie sind aus dem Segment der so genannten neuen Wissensarbeiter oder Arbeitskraftunternehmer hervorgegangen und sie agieren in einem entsprechenden Rahmen, der hier als vorpolitischer Raum bezeichnet wurde. Aber sie stehen zugleich auch für jene „neuen individuellen zivilgesellschaftlichen Subjekte“, die – so wurde hier argumentiert – nichts anderes als die Kehrseite eben des Arbeitskraftunternehmertums sind. Und auch in den Gewerkschaften haben sich über die Modellprojekte, von denen hier die rede war, Veränderungen fortgesetzt, auch wenn sie in Vielem nach wie vor bürokratische Großorganisationen geblieben sind. Und in dem neuen betrieblichen Grundmuster kann man bei genauem Hinsehen schon heute „Fadenrisse“ erkennen: Ein Poster im Büro eines Betriebsratsvorsitzenden, dessen Interessenvertretungsarbeit exemplarisch für dieses Grundmuster stehen könnte, zeigt, auf einem kleinen Podest stehend, einen aufbegehrenden römischen Sklaven. Ein wenig ähnelt er der Figur des Asterix. Der ballt die Faust und ruft: ‚Man kann uns nicht entlassen, Sklaven kann man nur verkaufen!‘

Gewiss handelt es sich hier zunächst einmal nur eine kleine Karikatur, die vor allem ein befreiendes Lachen ermöglichen soll. Aber sie signalisiert nicht nur Protest gegen einschneidende Erfahrungen nach dem Ende des Hype – in diesem Betrieb gab es eine drastische Reduzierung der Beschäftigten um knapp ein Drittel -, sie signalisiert zugleich eine äußerst kritische Sicht auf die Bedingungen und Konsequenzen entgrenzter Arbeit. Dieses kleine Poster könnte, wenn die verschiedenen Akteure ihre „Tunnelblicke“ eines „neoliberalen Einheitsdenkens“ nicht überwinden durchaus das Menetekel zukünftiger sozialer Konflikte werden. Empirische Sozialforschung hätte darauf bezogen ihre „konflikt-simulierende Funktion“ wahrzunehmen, und „eine reflexive Alternative zur praktischen Auseinandersetzung, zum Kampf“ zu entfalten (v. Ferber 1970, 23).[15]

Literatur

Arendt, H. (1993): Was ist Politik?, Fragmente aus dem Nachlass. Herausgegeben von Ursula Ludz, München/Zürich

Bauman, Z. (2000): Die Krise der Politik. Fluch und Chance einer neuen Öffentlichkeit, Hamburg

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[1]     Es handelt sich bei dem folgenden Text um die verschriftete und leicht erweiterte Fassung eines Vortrags zum Workshop der HBS „Primäre Arbeitspolitik und Organisationsfähigkeit von Interessenverbänden in der New Economy“, Düsseldorf 20.04.2004

[2]     Eine ausführliche Darstellung dieser drei Modellprojekte findet sich bei Martens 2003b. Eine Zusammenfassende Darstellung der diesbezüglichen Befunde findet sich aber auch auf der Homepage der Hattinger Kreises (www.hattinger-kreis.de)

[3]     In einem auf ca. 7 000 Klein und Kleinstbetriebe im IHK-Bezirk Dortmund bezogenen Projekt, in dem es um die Entwicklung und Implementation eines internetgestützten und rechtssicheren Angebots zur Prävention im Arbeits- und Gesundheitsschutz geht, haben wir z. B. gut ein Dutzend betrieblicher Fallstudien durchgeführt. In allen Betrieben, zwei wären der IT-Branche zuzurechnen, gab es keine Betriebsräte (Georg u. a. 2002).

[4]     Ein Gespräch fand zusätzlich mit einem Gewerkschaftsmitglied ohne Funktion in einer betrieblichen Interessenvertretung statt. In zwei Fällen waren 2 bzw. 3 Personen aus der „Betriebsratsspitze“ an den Gesprächen beteiligt. In einem Fall war das Interview auf Wunsch des Betriebsratsvorsitzenden mit einer Präsentation und anschließenden Diskussion des Projekts gegenüber dem Gesamtgremium verknüpft. In der Regel dauerten die Interviews zwischen 90 und 120 Minuten. In zwei Fällen waren sie kürzer als eine Stunde.

[5]     Auch diese Formulierung „verschwendet“ verweist darauf, dass dieser Betriebsratsvorsitzende stärker auf seine berufliche Karriere orientiert ist als auf die Betriebsratsarbeit. „Irgendwann werde ich das Kapitel (der Betriebsratsarbeit) für mich abschließen“, sagt er an anderer Stelle des Interviews.

[6]     Das muss freilich nicht heißen, dass alle Befragten, das Betriebsratsamt systematisch angestrebt haben. Es gibt auch die Fälle, in denen der spätere Betriebsratsvorsitzende zunächst nur als interessierter Beschäftigter zur Wahlversammlung gegangen ist und dann unversehens Vorsitzender des Wahlausschusses und später gewähltes Betriebsratsmitglied war und dann aber mit eben den oben genannten Motiven an die Arbeit gegangen ist, „denn wir saßen hier ja im dicksten Mist“. Auch soll nicht unterschlagen werden, dass manche Gesprächspartner meinen, etliche Kollegen hätten vor allem deshalb kandidiert, weil schon die Kandidatur eine gewisse Absicherung im Falle drohender Entlassungen geboten habe.

[7]     Noch ein Betriebsratsmitglied aus dem Werk Hoffmannstraße der Siemens AG sagt: „Wir können natürlich in die örtliche IG Metall hinein berichten, aber wir können damit keine Wirkung erzielen. Man ist bereit die wenigen Delegierten von uns anzuhören. Aber der erste Bevollmächtigte war früher bei BMW und da ist die Masse der Mitglieder. (...) Siemens wird von der örtlichen IG Metall also eigentlich nicht richtig begriffen.“

[8]     Das gilt für andere Betriebsräte, sofern sie als Betriebsräte agieren, selbstredend auch, aber sie agieren eben außerdem auch als ehrenamtliche Funktionäre in den gewerkschaftlichen Entscheidungsstrukturen von der örtlichen bis hin zu den zentralen Ebenen, je nach persönlichen Ambitionen und Gewicht.

[9]     Zu den gewerkschaftlichen Organisationsentwicklungsprozessen in den 1990er Jahren (vgl. Martens 2003b) (www.hattinger-forum.de).

[10]   Zu nennen ist hier insbesondere das Verbundprojekt Angestellte der IG-Metall, das von 1989 - 1993 durchgeführt wurde, an das sich das OE-Projekt der IG-Metall anschloss und aus dem heraus dann sowohl das Siemens-Projekt als auch das IT-Netzwerk Rhein-Main Impulse bekamen. (vgl. Martens 2003b).

[11]   Einer der befragten Betriebsräte schildert:„Da kam natürlich die Frage: woher kriegen wir die Transparente. Und da haben wir gesagt, die müsst ihr selbst malen. (...) Für das Management ist es unvorstellbar gewesen, dass hoch qualifizierte Angestellte aus dem Werk Hoffmannstraße in großer Zahl in ein Gewerkschaftshaus der IG Metall gehen. Die sind aber gekommen und haben mit den Malfarben ihrer Kinder auf teuren Stoffen gemeinsam Transparente gemalt. (...) Also, Solidarität geht auch mit Studierten. Man muss sie nur arteigen ansprechen.“

[12]   In einer Sonderausgabe von „Information & Kommunikation. Zeitung von IG Metall Vertrauensleuten und Betriebsräten der Siemens AG“ werden als Ergebnisse u. a. aufgelistet. (1) Reintegration von 217 Mitarbeitern statt Beendigung des Arbeitsverhältnisses, (2) Neues Vergleichsangebot für die Mitarbeiter, die gegen Kündigungen klagen, (3) Sicherung des Standortes auf absehbare Zeit, (4) vorerst Beendigung des Personalabbaus, (5) Interessenausgleich für Beschäftigte, die an einen anderen Standort versetzt wurden.

[13]   Der Beschäftigtenrückgang betrug nach den Jahren dynamischen Wachstums bis zum Ende der 1990er-in den Jahren 2002 38.000 und 2003 nochmals 30.000 (vgl. Menez 2004, ).

[14]   Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ohne Interesse, dass in der empirischen angelsächsischen industrial-relations-Forschung die Individualisierungsthese kaum Anhänger findet und eher von einer „Dekollektivierung“ ausgegangen wird, die stärker auf Folgen von Managementhandeln und staatlicher Intervention abhebt (Williams 1997, Gall u. McKay 2001)

[15]   C. v. Ferber fährt an der zitierten Stelle in Bezug auf diese gesellschaftliche Funktion der Wissenschaft fort: „Sie geht im Gesellschaftsprozess nicht auf, sie ist kein aufscheinendes Moment im gesellschaftlichen Wandel, sondern sie ist eine Alternative zum strategischen Handeln. Dieser Charakter tritt desto deutlicher hervor, je mehr der Kampf ruinösen Charakter anzunehmen droht.“ (v. Ferber 1970, 23)