Institut für Politikwissenschaft

Jürgen Hoffmann

 

Thesenpapier zur Abwicklung des „Modells Deutschland“ (auch ein Statement zur anlaufenden Lohnrunde)

 

 

  1. Das deutsche Corporate Governance – System in der „sozialen Marktwirtschaft“ ist in einem hohen Maße auf Vertrauen aufgebaut – Vertrauen zwischen den Unternehmen, den Unternehmen und Banken und zwischen den Tarifpartnern und Vertrauen in das System (daher in der Wissenschaft die Bezeichnung: „Koordinierte Marktwirtschaft“). Dadurch ist (oder war?) es den Unternehmen möglich, ökonomisch langfristige und nachhaltige Unternehmensplanungen und – in der verarbeitenden Industrie – Produktionen umzusetzen, die in einem erheblichen Maße den so genannten Exportweltmeister Deutschland ermöglichten.

 

  1. Vorausgesetzt war (und ist noch) diesem – bei allem Reformbedarf ökonomisch wie gesellschaftlich erfolgreichen! – Modell eine Finanzierungsstruktur, die auf „geduldigem Kapital“ („patient capital“) gründete; langfristig gewährte Bankkredite bzw. Stakeholder an der Börse dominierten die Finanzierungsstruktur und  die Akteure waren bzw. sind in der Regel miteinander vernetzt („dual board“ – System: Vorstand - Aufsichtsrat; Aufsichtsratssitze der Banken und anderer Anteilseigner durch Überkreuzbeteiligungen), zugleich sind die Belegschaften über ihre Vertreter/innen in der Corporate Governance – Struktur vertreten (Mitbestimmung in den Aufsichtsräten).

 

  1. Dieses System war und ist „schwerfällig“, weil es permanente Kommunikation unter einer Vielzahl von Akteuren erforderlich macht, zugleich ist es gerade deshalb nachhaltig erfolgreich, weil eben diese Kommunikation Vertrauen schafft und so eine Qualitätsproduktion (oder qualitativ hohe Dienstleistungen) auf Basis qualifizierter Arbeit ermöglicht. Der aktuell immer wieder zur Disposition gestellte Kündigungsschutz  ist – so paradox es scheint – dabei ein Kern der Qualitätsproduktion, weil er Arbeitnehmern wie Arbeitgebern die Investition in die Qualifikation („Humankapital“) erlaubt, ohne dass der Druck einer Entlassung seitens der Arbeitnehmer oder ein „Trittbrettfahren“ anderer Unternehmen seitens des Unternehmens gefürchtet werden muss.

 

  1. Auf dieser Basis war und ist (?) das Unternehmensziel nicht nur auf kurzfristige Gewinnerzielung und Preiskonkurrenz orientiert, sondern zugleich auf einen langfristigen Erhalt von Marktsegmenten und auf Erhalt der Beschäftigung zumindest der qualifizierten Arbeitnehmerschaft. Zugleich – das soll nicht verschwiegen werden - werden in diesem System die Beschäftigungsprobleme auf den unqualifizierten Teil der Arbeitnehmerschaft konzentriert und der Dienstleistungssektor kann dies aufgrund des vorherrschenden industriellen Regulierungsregimes schwerlich kompensieren (womit zugleich ein wesentlicher Reformbedarf benannt ist!).

 

  1. Dieses allgemein durchaus erfolgreiche Modell wird z.Zt. seit Mitte der 90er Jahre sukzessive durch ein alternatives Modell, das aus liberalen Marktökonomien bekannt ist, unter Druck gesetzt – und zwar durch veränderte Finanzierungsbedingungen der Unternehmen: Die deutschen Universalbanken mutieren zu Investmentbanken, ziehen sich aus Beteiligungen zurück und zielen hohe Renditeziele im Finanzmarkt an, die sie in der Realökonomie nicht erzielen können; zugleich orientieren sich die Unternehmen immer stärker an der Börse und meinen, mit der Einführung von shareholder value – Strategien in das Corporate Governance – System besser den beschleunigten globalen Märkten („Globalisierung“) und den am Finanzmarkt orientierte Ansprüchen der Anlegern entgegnen zu können. Die bislang dominante ökonomisch langfristig und nachhaltig orientierte Unternehmensführung wird auf kurzfristige, an der Börse vorzeigbare Ziele umgepolt, auf das kurzfristig rentable Kerngeschäft konzentriert – weshalb Quersubventionierungen abgebaut werden – und unternehmensintern marktmäßig restrukturiert, „saniert“. Vertrauen wird so extern wie intern durch die alleinige Dominanz des Marktes ersetzt!

 

  1. Fazit dieser Entwicklung ist, dass der Finanzmarkt seine exorbitant hohen Renditeziele der Realökonomie aufdrückt und dass sich das Management – befördert durch Aktienoptionen – der Logik des Finanzmarkts unterwirft. Die hohen Renditeziele des Finanzsektors sind aber Resultat eines Nullsummenspiels in der langen Frist (wie die gegenwärtige Hypothekenkrise gerade veranschaulicht), während die niedrigeren Renditen der Realökonomie Resultat eines Positivsummenspiels sind. In der langen Frist droht so die Logik des Finanzmarkts, wenn sie von den Unternehmen der Realökonomie übernommen wird, die eigene Basis in der Realökonomie,  wie sie im deutschen Typ einer „koordinierten Marktökonomie“ (Rheinischer Kapitalismus) existiert, zu zerstören. Als Niedriglohnökonomie mit hire-and-fire – Arbeitsmärkten sind die Qualitätsproduktion und auch die Erstellung qualitativ hochwertiger Dienstleistungen in Deutschland („high road“ der Dienstleistungsökonomie) international nicht konkurrenzfähig (wie übrigens der aktuell dramatische Niedergang der US-Industrie zeigt).    

 

  1. Um es zuzuspitzen: Die Arbeitgeber stehen heute vor der Frage, ob sie eine bislang erfolgreiche, global immer noch hoch wettbewerbsfähige Ökonomie, auf dem Altar der shareholder value –Ökonomie opfern wollen! Die Löhne können dafür schwerlich als Argument herhalten; das deutsche Lohnniveau liegt nach zehn Jahren Lohnzurückhaltung nur noch knapp über dem Durchschnitt der EU 15 Länder und die Länder mit den höchsten Löhnen in der EU (z.B. Schweden, Dänemark, Belgien) gehören zugleich zu den Ländern, die ökonomisch eine gute bis sehr gute Performance vorzuweisen haben – aus der Sicht der Wissenschaft nicht zuletzt deshalb, weil sie die Ökonomie erfolgreich in soziale Institutionen (Vertrauen, Mitbestimmung, hohes Sozialstaatsniveau) eingebunden haben. Dagegen droht, dass durch die Entlassungspolitik im Zuge von Sanierungen und durch die Niedriglohnpolitik der Unternehmen der soziale Kitt in der Gesellschaft durch Verarmung und/oder Verbitterung (Gerechtigkeitsdiskurs!) zerstört und dass dadurch ein nachhaltiges ökonomisches Wachstum behindert, wenn nicht sogar verhindert wird – von den gesellschaftlichen Folgen ganz zu schweigen.