Institut für Politikwissenschaft

 

Helmut Martens

Primäre Arbeitspolitik und gewerkschaftliche Interessenvertretung in der New Economy - konzeptionelle Überlegungen und neuere empirische Befunde

Abstract:

Der Aufsatz bündelt Zwischenergebnisse eines empirischen Forschungsprojekts in dem Erfahrungen aus einigen ambitionierten gewerkschaftlichen Modellprojekten in der IT-Branche und im Bereich der AV-Medien evaluiert werden. Aus gewerkschaftlicher Sicht zielen die Projekte in letzter Konsequenz auf die 'Rekrutierungsfalle', in der sich unsere 'arbeiterlastigen', fordistisch geprägten Gewerkschaften im Lichte der Erfahrungen der letzten Dekade immer unabweisbarer befinden. Vor dem Hintergrund der Metamorphosen der Arbeit, die heute in der so genannten New Economy die Arbeit der Zukunft im Zeichen einer globalisierten und vernetzten und von den neuen Informationstechnologien durchherrschten Ökonomie nachhaltig verändern, sind diese Modellprojekte aber auch Lernprojekte im Hinblick auf die Entwicklung neuer arbeitspolitischer Ansätze, die die Gewerkschaften angesichts des Epochenbruchs im zu Ende gehenden fordistischen Regulationsmodells dringlich entwickeln müssen, wenn sie den Funktions- und Bedeutungsverlusten, denen sie heute erkennbar unterliegen, wirksam begegnen wollen. Ob die Modellprojekte in diesem Sinne als Lernprojekte erfolgreich genutzt werden können, ist im Lichte der bisherigen Projektergebnisse offen.

                                                                                                                   August 2003

1.        Einleitung

Das Trauerspiel, das die IG Metall im Sommer 2003 aufgeführt hat, ist von einer Medienöffentlichkeit, für die inzwischen das Wort ihrer „FDP-isierung“ geprägt worden ist, in einer Weise aufgenommen worden, dass es, bei wenigen Ausnahmen, für deren Repräsentanten nunmehr zu einer fast unumstößlichen Gewissheit geworden ist, dass der Funktions- und Bedeutungsverlust der Gewerkschaften als der 'Dinosaurier' des zu Ende gehenden Industriezeitalters sich nunmehr beschleunigt fortsetzen muss, wenn die als dringend erforderlich angesehene Sicherung unseres Wirtschaftsstandortes noch gelingen soll. Für Stimmen aus der Politik, die hier nur noch eine „Plage für unser Land“ sehen (F. Merz), mit der aufgeräumt werden muss, scheint der Boden in einer Weise bereitet, die so qualitativ neu ist.[1] Eine durch die politischen Angriffe auf die Gewerkschaften ausgelöste politische Debatte hatte noch kaum begonnen[2], da wurde die Szene auch schon durch die hausgemachte Führungskrise der IG Metall beherrscht. Die Gewerkschaften waren noch ausgeprägter in der Defensive, aber die Frage nach ihrer Zukunftsfähigkeit ist nun ein Thema von öffentlichem Interesse.

Aus der Sicht einer wissenschaftlicher Beobachtung, die bereits in der Phase des noch ungebrochenen wirtschaftlichen Booms den äußerst tiefgreifenden Charakter der derzeitigen Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft betont und zugespitzt auf die Formel des „Epochenbruchs“ gebracht hat (Martens u. a. 2001, Wolf 2001a), ist dies freilich nur die konsequente und durchaus krisenhafte Zuspitzung, und interessierte politische Übertreibung, von im Prinzip absehbaren Entwicklungen. Wir leben in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche und Orientierungsbedarfe. Im Blick auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeit ist es zunächst deren dynamischer Formwandel, sind es die vielfältigen Prozesse der Flexibilisierung, Entgrenzung, Virtualisierung, die auf neuen Klärungsbedarf verweisen. Das was Arbeit ist und sein soll oder sein wird, unterliegt dramatischen Veränderungen und bleibt in der Diskussion.[3] Dabei kann die Arbeitsbezogene Forschung immer weniger auf alte Gewissheiten zurückgreifen, denn die gesellschaftlichen Transformationsprozesse sind tiefgreifend und entwerten vielfach vermeintlich gesicherte Erfahrungen aus Praxis und Wissenschaft. Der Dauerdiskurs über die Zukunft oder das Ende der Arbeitsgesellschaft hält angesichts verstetigter Arbeitslosigkeit und schwindender Solidarität in der Gesellschaft an.[4] Dahinter zeigt sich ein dramatischer Abbau der national gesellschaftlichen Institutionen der Arbeit mit ihren Leitorientierungen, Integrationsleistungen und Alltagsgewissheiten einschließlich der damit bislang verbundenen Zahlungsgewissheiten für Gegenwart und Zukunft. [5]

Ein relativ bescheidenes empirisches Forschungsprojekt[6], in dessen Zentrum die Evaluation dreier gewerkschaftlicher Modellprojekte steht, die von ihrer Genese her vor allem darauf abzielen, in Bezug auf Beschäftigte in unterschiedlichen Bereichen der so genannten New Economy Dialogräume aufzubauen, neue Dienstleistungsangebote zu entwickeln, den Aufbau von Betriebsräten zu unterstützten, in letzter Konsequenz dann aber auch neue Mitglieder auf einem bis dahin eher fremden Terrain zu gewinnen, muss sich bei der Diskussion seiner Befunde in den Kontext dieser aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stellen. Es muss sich so seiner Verwendungszusammenhänge vergewissern, um sich aktiv und hinreichend selbstreflexiv in ihnen zu verhalten - und es muss dabei den spezifisch wissenschaftlichen Charakter seines potentiellen Beitrags zu gut begründet darlegen.[7]

Im Folgenden gehe ich dazu in mehreren Schritten vor. Zunächst skizziere ich in knappen Umrissen die Metamorphosen der Arbeit, so wie sie sich im engeren Gegenstandsbereich der Untersuchung darstellen (Kapitel 2). Daran schließ sich ein knapper Überblick über Ansätze des „primären“ arbeitspolitischen Handelns der Beschäftigten an, das sie angesichts der Herausforderungen des „neuen Marktregimes“ (Dörre/Röttger 2003) und der „Kulturrevolution“ einer sich v. a. in den Start-ups durch das überkommene Institutionengefüge der industriellen Arbeitsgesellschaft kaum mehr gebrochenen „Totalisierung von Arbeit“ (Meschnig/Stuhr 2000) entwickeln (Kapitel 3). Danach können die gewerkschaftlichen Modellprojekte im Blick auf ihre Zielsetzungen, Erfolgsbedingungen und Chancen für nachhaltige Lern- und Veränderungsprozesse diskutiert werden (Kapitel 4). Abschließend werden die Ergebnisse auf den einleitend unter den Stichworten des Epochenbruchs und der Krise der Gewerkschaften aufgespannten Rahmen rückbezogen. Fertige Antworten wird dabei wohl niemand angesichts des tiefgreifenden Charakters der gegenwärtigen Umbrüche erwarten können. Aber Anhaltspunkte und Anregungen zur eigenen Weiterarbeit, in wissenschaftlichen wie außerwissenschaftlichen Praxisbezügen, sind immerhin möglich.

2.        Metamorphosen der Arbeit

Ein wesentlicher Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen - und eine wesentliche Ursache für die großen Anpassungsprobleme der Gewerkschaften an eine sich dramatisch verändernde Organisationsumwelt - sind die Metamorphosen der Arbeit. Die kontroversen Diskussionsstränge entlang derer sie in der sozialwissenschaftlichen Diskussion behandelt werden, habe ich anderer Stelle gemeinsam mit anderen Autoren systematisch erörtert (Vgl. Martens u. a. 2001, Scholz u. a. 2003). Ihre Systematische empirische Überprüfung war nicht ziel des Projekts, über das hier berichtet wird. Man kann aber sagen, dass die neu zugänglich gewordene Primärempirie, vor allem aber die Auswertung vielfältigen Dokumentenmaterials sowie die Sekundäranalyse wissenschaftlicher Literatur allen Anlass geben, an den Ausgangshypothesen festzuhalten.

Die Arbeit der Zukunft verändert sich tiefgreifend, und in der New Economy vollziehen sich diese Entwicklungen in paradigmatischer Weise. Die marktvermittelte, subjektivierte, stärker wissensbasierte und entgrenzte Arbeit bleibt ein Knotenpunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Neue Verknüpfungen von Arbeit und Leben (Entgrenzung, „Arbeitskraftunternehmertum“, „unselbständige Selbständige“) sind entstanden. Sie begegnen einem nicht zuletzt in den Biographien der neuen gewerkschaftlichen ProjektmanagerInnen, die die hier untersuchten Modellprojekte betreiben. Auch wenn die in Rede stehenden Branchen im Ausgang der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts ihren ungetrübten Glanz verloren haben mögen, Neue Arbeit war hier für die Beschäftigten prägend und bleibt attraktiv.

Es gibt Unterschiede zwischen den näher betrachteten Branchen (vgl. auch Boes 2003, Marrs/Boes 2002, Satzer 2001). In den AV-Medien finden wir eher die ganze Spanne von Beschäftigungsverhältnissen, zwischen dem erfolgreich praktizierten „Arbeitskraftunternehmertum“ befristeter Beschäftigter oder Freier Mitarbeiter und den einem alten „Tagelöhnertum“ ähnlichen Arbeitsbedingungen weniger qualifizierter Beschäftigter, die ebenfalls in zeitlich befristeten Projekten arbeiten. Dabei sind die Grenzen zwischen den Branchen/Segmenten unscharf - im Bereich von New-Media sowohl gegenüber den traditionellen AV-Medien wie auch gegenüber der IT-Branche. Die Arbeit wird hier „männlicher“, hoch qualifizierte Beschäftigte dominieren, der Begriff des Arbeitskraftunternehmers lässt seine heimliche männliche Codierung erkennen. Aber es gibt auch überwiegend durchgängig Gemeinsames der neuen Arbeit, das in den Interviews zu finden ist: „Das war für alle, die da gearbeitet haben, eine prägende Zeit. Eine Zeit mit unendlich vielen Freiheiten, gerade auch in der Organisation der eigenen Arbeit. (...) Du kommst da von diesem Ideal nicht mehr runter“, sagt eine ehemalige Betriebsrätin und jetzige gewerkschaftliche Projektmanagerin über ihre Erfahrungen in einem New-Media-Betrieb - nicht ohne kritischen Seitenblick auf ihre jetzige Arbeitsorganisation. Alles was wir über die Wirklichkeit 'neuer Arbeit' erfahren, bestätigt: sie entwickelt sich in einem Spannungsverhältnis „zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung“. Aber die darin tatsächlich enthaltenen Ambivalenzen gilt es ernst zu nehmen. Szenarien einer drohenden neuen Verelendung gehen an der Wirklichkeit vorbei.

Unter den Bedingungen einer „Entzauberung“ nach dem Ende des lange Zeit ungebrochenen Booms entwickeln sich (klassische, aber auch neue) Interessenlagen, die im primären arbeitspolitischen Handeln der Beschäftigten zum Ausdruck kommen, und an die die verschiedenen Modellprojekte der Gewerkschaften anzuschließen versuchen. Auch von der allgemeinen weiterführenden These, dass damit eine neue materiale Reflexivität der Arbeit[8] entsteht - und damit auch neue Chancen des Umbruchs - sind letztlich keine Abstriche zu machen. Dass solche Chancen eher nur am Rande der Gespräche gelegentlich aufscheinen, im Einzelfall aber auch in herausgehobenen sozialen Konflikten virulent werden können, besagt ja nur, dass die Gewerkschaften in ihren Versuchen der Anknüpfung an eine primäre Arbeitspolitik, und auch Wissenspolitik, der Beschäftigten in der New Economy erst am Anfang stehen.

3.        Primäre Arbeitspolitik als Anknüpfungspunkt für gewerkschaftliches Handeln

Die primäre Arbeitspolitik[9] der Beschäftigten ist vor diesem Hintergrund zunächst einmal stark auf das eigene, in weiten Bereichen viel stärker wissensbasierte Leistungsvermögen, und auf dessen Sicherung und soziale Anerkennung, orientiert. Hierfür haben die je eigenen Erfahrungen Zukunftsversprechen eröffnet. Das Ideal, von dem in dem obigen Zitat die Rede ist, hat hier, nicht zuletzt in Erfahrungen von mehr Freiheit und Gemeinschaftlichkeit in der Arbeit, seine materiellen Grundlagen - und ebenso die Distanz gegenüber Gewerkschaften. Es sind nicht nur, vielleicht gar nicht so sehr deren immer noch spürbare Affinitäten zu anderen sozialen Milieus, wobei insbesondere die IG Metall als „Arbeitergewerkschaft“ wahrgenommen wird. Es sind die Merkmale, die sie als Organisationen immer noch als „Kinder des Fordismus“ (vgl. Frerichs 2001) erkennen lassen. In Formulierungen wie 'Was glauben die denn, wer wir sind? Dass die Welt nun wirklich ein bisschen komplizierter ist, wissen wir ja doch', kommen entsprechende Reaktionen gegenüber einer immer noch vorherrschenden simplifizierenden Semantik zum Ausdruck. Im hier zitierten Fall interessanter Weise auf dem Hintergrund einer grundsätzlich geteilten Kritik gegenüber dem Irak-Krieg, die auf einem Plakat am schwarzen Brett eines Betriebes der IT-Branche sehr holzschnittartig formuliert wurde. Dass die alten, vermeintlichen Gewissheiten nicht mehr stimmen, wird selbstverständlich ganz genau gesehen; dass sie im Rahmen überkommener Hierarchien und Arbeitsteilungen überprüft und dann sogar Schritte auf richtungsweisende Lösungen hin entwickelt werden könnten, wird zu Recht stark bezweifelt; dass die Gewerkschaften „wo es noch geht, plakativ die Gemeinsamkeit mit der SPD herausstellen und dann wieder 'herumeiern'„ verringert die Distanz in keiner Weise. Der Verdruss über die politischen Parteien erfasst vielmehr auch die intermediären Organisationen, die sich so schwer damit tun, der in der Arbeit geforderten und entwickelten neuen Subjektivität der Arbeitenden Räume und ernsthafte Angebote zu eröffnen. Dort allerdings, wo nach dem Ende des Booms und im Zeichen einer forcierten Orientierung unternehmerischen Handelns am Shareholder-Value, in Jahrzehnten gewachsene Unternehmenskulturen aufbrachen, die innerhalb großer Konzerne auch für dort entwickelte Segmente der IT-Branche prägend wurden, sind auch dramatische Schritte der Überwindung solcher in Jahrzehnten aufgebauter Distanzen möglich, wie sich im Rahmen des Siemens-Projekts der IG Metall im Einzelfall belegen lässt.[10]

Was sich im Hinblick auf die Entwicklung betrieblicher Interessenvertretungen in den hier interessierenden Bereichen der New Economy sagen lässt, ist folgerichtig und durch die sonst vorliegende empirische Forschung gut bestätigt: Die zunächst organisatorisch und sozial kaum zu bewältigenden Folgen des rasanten Wachstums[11] und dann die Krise der Branche haben die Entstehung von Betriebsräten selbstredend befördert und neue Ansatzpunkte für die gewerkschaftlichen Modellprojekte eröffnet (vgl. Gesterkamp 2002,politik-digital,de 2001, Ittermann 2003): „Ohne die Krise wäre das schon enger geworden, aber es ist auch sehr schwierig das auseinander zuhalten, was ist Krise, was ist Anderes. Das ist ganz schwer zu sagen, weil sich das von Person zu Person, von Laden zu Laden unterscheidet“, sagt einer unserer Gesprächspartner unter den Projektmanagern. Auffällig ist aber, dass dann durchgängig davon berichtet wird, dass neue Formen der Kundenorientierung und der Vernetzung der Betriebsräte untereinander ganz wesentliche Bedingungen dafür sind, dass die Entwicklung von Betriebsratsgremien unterstützt werden kann und es gelingt, sie in Arbeitszusammenhänge der Modellprojekte zu integrieren. „Vernetzungen lassen sich schwer steuern, funktionieren aber. Nur darf man sich das eben nicht so vorstellen, als säße man da als Projektmanager wie die Spinne im Netz. Das funktioniert anders wie ein Spinnenetz, und das geht ziemlich gut.“ Das Zitat einer Projektmanagerin steht stellvertretend für viele. In seinem Sinne vernetzte Arbeitsweisen, die z. B. die IG Metall in den vergangenen Jahren mit großen Anstrengungen im Umgang mit ihrer klassischen Klientel zu entwickeln begonnen hat (Kaßebaum 1999, TBS 2003), kommen hier unseren Interviews zufolge ganz selbstverständlich zustande - selbstverständlich aus Sicht der Betriebsräte oder auch der Beschäftigten selbst, die sie aus ihrem Arbeitsalltag gewohnt sind, aber auch aus Sicht der hauptamtlichen Funktionäre, die die hier interessierenden Neuansätze in der IT-Branche und bei den AV-Medien zu unterstützen bemüht sind.[12]

4.        Erfolge und Grenzen gewerkschaftlicher Modellprojekte

Im Zentrum der empirischen Untersuchung, deren vorläufige Ergebnisse hier diskutiert werden, stehen wie erwähnt drei Modellprojekte, zwei davon sind im Organisationsbereich der IG Metall angesiedelt, eines in dem von ver.di. An Stelle einer detaillierten Darstellung ihrer Merkmale, für die hier der Raum fehlt, mag die schematische Übersicht auf der folgenden Seite genügen. (Abbildung 1) Über die Erfolge und die Grenzen der gewerkschaftlichen Modellprojekte lassen sich zusammenfassend mehrere Aussagen treffen. Ich will an dieser Stelle kurz eingehen auf: (1) die Projektziele, die zunehmend realistisch gefasst worden sind, und die erreichten Erfolge, (2) die Erfolgsbedingungen der Modellprojekte sowie (3) auf die bislang sichtbar werdenden Ansätze einer sekundären Arbeitspolitik und damit aber auch die Grenzen der Modellprojekte.

Im Blick auf die Ziele und erreichten Erfolge zeigt vor allem die Sichtung der vorliegenden Dokumente[13]: aus Sicht der an der Entwicklung solcher Modellvorhaben maßgeblich beteiligten Spitzenfunktionäre ist zwar unstrittig, dass es immer auch um Lernprojekte geht, aber die Frage der Mitgliedergewinnung ist immer prioritär. Die Projekte sind so gesehen Reaktionen auf die „Rekrutierungsfalle“. Sie stehen, z. T. sehr eindeutig, durchaus auch in der Tradition der früheren Angestelltenprojekte (vgl. Fröhlich u. a. 1996). Wo mehrere Dokumente über einen längeren Zeitraum hinweg vorliegen, in die dann auch die Erfahrungen und Vorstellungen der inzwischen an den Projekten arbeitenden Projektmanager einfließen, zeigt sich aber auch, dass dieses Ziel der Mitgliedergewinnung zwar festgehalten, zugleich aber auch relativiert wird. Das allmähliche Aufschließen der Branchen(segmente), der Aufbau von Betriebsräten, deren Unterstützung, ein erwarteter Imagegewinn der Gewerkschaft, alle diese Punkte rücken stärker in den Vordergrund. Wie die bisherigen Ergebnisse belegen, geschieht dies realistischer Weise so. Modellprojekte, die bewusst „unter eigener Flagge segeln“, wie etwa connexx.av werden von den beschäftigten als deutlich getrennt von den jeweiligen Gewerkschaften wahrgenommen[14]. Die Distanz zu den Gewerkschaften bleibt groß. Das Beitrittsverhalten der Beschäftigten ändert sich nur sehr langsam- oder aber auch dramatisch, aber räumlich eng begrenzt, in der Folge eines einzelnen herausgehobenen Konflikts. Was die Bildung und Unterstützung von Betriebsräten anbelangt, so sind die Erfolge der Modellprojekte unstrittig, auch wenn es, wie oben von einem meiner Gesprächspartner ausgeführt, schwierig ist, im Einzelnen zu sagen, was beim erfolgreichen Aufbau eines Betriebsratsgremiums den maßgeblichen Ausschlag gegeben hat.[15] Ebenso sind die gewerkschaftlichen Imagegewinne unstrittig und ganz erheblich - nicht nur im Licht der Expertengespräche sondern v. a. auch belegt durch repräsentative Erhebungen (Satzer 2001, Knorr 2003). Hinzufügen muss man weiterhin, dass die Gewerkschaften mit dem Personal der Projektteams neue Kompetenzen aufgebaut und außerdem neue Erfahrungen mit Projektarbeit gesammelt haben.

 


Abbildung 1:       Schematische Übersicht über die drei Modellprojekte

 

Connexx-av

Siemensprojekt

IT-Netzwerk Rhein-Main

Projektgenese

Frühe Aktivitäten der IG Medien, Impuls durch externe Beratung, Pilotprojekt zusammen mit DAG

Aktivisten in der Branche von Beginn an einbezogen

Initiative der Bezirksleitung Bayern

trifft zusammen mit Impulsen von Aktivisten aus der Branche

Defizite auf Ebene der Verwaltungsstellen und Impulse aus dem OE-Prozess der IGM münden in ein Projekt des Bezirks

Projektziele

­           von Beginn an klar definiert

­           Relativierung der Mitgliedergew.

­           Aufbau von BR i. d. Branche

­           Imagegewinne für ver.di

­           punktuell Organisationsfähigkeit

­           Die Lücke der VS-Betreuung schließen

­           Mehrheit in BR-Gremien erob.

­           Mitglieder gewinnen (vorsichtig gewichtet)

­           Die Lücke der VS-Betreuung schließen

­           Mehrheit in BR-Gremien erob.

­           Mitglieder gewinnen (hoch gewichtet)

Projektfinanzierung

­           Innovationsfond von ver.di

­           Vorstand IGM

­           Vorstand IGM

Projektsteuerung

­           Steuerungskreis (2x Jährlich)

­           über Ziele und Berichtspflicht

­           Supervision

­           Steuerungskreis (1x jährl.)

­           über Ziele und Berichtspflicht

­           Beirat (zahlenmäßig groß)

­           Berichtspflicht

Projektmanagement

­           Projektleitung (wechselt, wird optimiert)

­           Projektmanager aus der Branche

­           Projektleitung

­           Projektmanager z. T. aus der Branche

­           Projektleitung

­           Projektmanager aus der Organisation

Projektorganisation

­           systematische Teamentwicklung

­           vernetzt und arbeitsteilig arbeitend

­           kleines Team + freie Mitarbeiter

­           partiell vernetzt

­           Tandem am gleichen Ort

Instrumente

­           Kundenorientierung (Erreichbarkeit)

­           Betriebsbetreuung

­           Starke Nutzung neuer Medien

­           selbstgesteuerte BR-Netze

­           Kundenorientierung (Erreichbarkeit)

­           Betriebsbetreuung

­           Starke Nutzung neuer Medien

­           selbstgesteuerte BR-Netze

­           Kundenorientierung

­           traditionelle Formen schrittweise erweitert

­           Nutzung neuer Medien

­           Zwischen Netzwerk und AK

Ressourceneinsatz

­           aus dem Innovationsfonds

­           klar u. eher kurzfristig definiert

­           erheblicher, wachsender Umfang

­           klar definiert

­           wachsender Umfang

­           unscharf nach Projektende

­           klar definiert

­           konstanter Umfang

­           unscharf nach Projektende

Zielerreichung

­           hoher Imagegewinn

­           Erfolge bei BR-Gründungen

­           geringe Mitgliederzuwächse

­           Imagegewinne

­           Positionsgewinne in BR-Gremien

­           punktuell deutliche Mitgliedergewinne

­           Aufbau eines Dialograumes

­           Schließung einer Betreuungslücke

­           Neugründung von BR

­           geringe Mitgliederzuwächse

Quelle: Martens, Helmut (2003): Primäre Arbeitspolitik und Interessenvertretung in der New Economy - Erste empirische Befunde im Lichte konzeptioneller Debatten und aktueller empirischer Untersuchungen

 


Was die Erfolgsbedingungen anbelangt, so sind die bisherigen Befunde eindeutig: Es ist von großer Bedeutung, dass die Modellprojekte als wirkliche Projekte neben der formalen bürokratischen Organisation aufgelegt worden sind. Es handelt sich also um Projekte mit klar definierten[16] Zielen, Ressourcen und Zuständigkeiten. Und es handelt sich um Projekte, in denen andere, neue Arbeitsformen entwickelt und ausprobiert werden, z. B. solche vernetzter Arbeit, in die gewissermaßen Primärerfahrungen einfließen, die die jeweiligen ProjektmanagerInnen in der New Economy selbst gemacht haben. Überhaupt nicht hoch genug bewertet werden kann, dass die jeweiligen ProjektmanagerInnen aus den jeweiligen Branchen(segmenten) kommen, das Milieu kennen, dort eigene Berufserfahrungen und in der Regel auch Erfahrungen als Betriebsratsmitglieder gemacht haben.[17] Dies ist die Voraussetzung dafür, dass sie zu der jeweiligen Klientel den erforderlichen „Draht“ herstellen können und überhaupt erkennen, dass und wie man „die Leute bei ihrer corporate Identity packen“ kann. Hinzukommen muss aber weiter, dass die angebotenen Dienstleistungen stimmen. Das entscheidende Stichwort ist hier das der Kundenorientierung. Es gilt, ständig erreichbar zu sein (Handy, Internet), sich dabei selbstverständlich der neuen Medien zu bedienen (gut gepflegte Homepage) und dann auch die geforderte (gewerkschaftliche) Expertise zügig anbieten zu können. Es ist dabei kein Zufall, dass die ersten Verknüpfungen zu Akteuren im Alltagsgeschäft neben den Projekten in aller Regel zu juristischen Experten und Rechtsberatern hergestellt werden. Deren Expertise ist gefragt, sei es dass es um die Neugründung eines Betriebsrates geht oder um Abfindungen und Sozialpläne im Falle massiver Einschnitte bei einzelnen Betrieben geht, sei es dass die individuelle Rechtsberatung wichtig wird, von der Gestaltung von Arbeits- oder Werkverträgen bis hin zur Klärung von Fragen des Urheberrechts.[18]

Der soziale Raum der Verknüpfung von primärer und sekundärer Arbeitspolitik ist damit schon zu einem Teil umrissen. Um das Bild zu vervollständigen, müssen noch die zentralen Themen benannt werden, auf die sich das Handeln der betrieblichen Interessenvertretungen richtet.[19] Wir finden hier einerseits gewissermaßen 'klassische' Themen der Interessenvertretungsarbeit. Es geht um das Gehalt, und hier nicht zuletzt um die Herstellung von Transparenz und darüber die Unterstützung auch bei der individuellen Aushandlung von Verträgen. Es geht, bei Voraussetzung von Entgrenzungsprozessen, um die Arbeitszeit und offenbar darum, ob Betriebsräte hier für bessere flexible Regelungen (Freizeitausgleich) sorgen können, um Erwartungsenttäuschungen im Zusammenhang mit Aktienoptionen und die Frage entsprechender arbeitsvertraglicher Veränderungen, oder in einem Wort und in der Formulierung einer Projektmanagerin, um „klare Rahmensetzungen mit Spielräumen“ und darum, dass „die Leute erkennen, wo sie instrumentalisiert werden und wo sie Rückgrad haben müssten und zeigen könnten, (...) von daher (komme es) in der Tat erst einmal auf die Emanzipation der Leute an“. Und es geht, im Maße wie langfristige Unternehmensstrategien und/oder krisenhafte Branchenentwicklungen bislang als stabil eingeschätzte Beschäftigungsperspektiven der Arbeitenden gefährden, um Fragen der Sicherung von Arbeitsplätzen.

Wenn damit das Gesamtbild näherungsweise umrissen ist[20], dann sind nun auch Aussagen über die Grenzen einer sekundären Arbeitspolitik möglich, die durch die hier näher betrachteten Modellprojekte gegenwärtig entwickelt werden kann. Was bislang im Hinblick auf die Entwicklung einer sekundären Arbeitspolitik in der New Economy beschrieben wurde, sind unterschiedliche Formen der Artikulation und Regulierung von Interessen, die insbesondere seit dem Ende des lange Zeit ungebrochenen Booms auf betrieblicher Ebene virulent geworden sind. Die Einrichtung von Betriebsräten wurde damit forciert - und somit auch der Bezug auf darüber erst wirksame institutionell befestigte Schutz- und Beteiligungsrechte. Zugleich zeigte sich, dass Infrastrukturen - in den Gewerkschaften und/oder projektförmig neu aufgebaut und an sie angebunden - für die Gründung und effiziente Arbeitsweise solcher Betriebsräte eine unverzichtbare Bedingung wurden. Was sich abzeichnet, insbesondere im Blick auf das Spektrum der Start-ups, ist so vielleicht eine neue, eher schwache Form der Regulierung bei der die institutionalisierte betriebliche Mitbestimmung zunehmend zentral ist, sich auf sie bezogen und durch sie forciert, betriebliches Personalmanagement weiterentwickelt und für die Betriebsräte Gewerkschaften als wichtiger Teil externer Unterstützungsstrukturen ihre Bedeutung haben, im Übrigen aber eine über Verbände[21] und Tarifverträge strukturierte Regulierung nur ausnahmsweise und partiell stattfindet.

Aber an diesem Punkt der externen Unterstützungsstruktur für eine Instanz, die im Betrieb virulent werdende Interessen professionell zur Geltung bringen soll, entsteht in den Köpfen offenbar der meisten Beteiligten auch immer wieder eine Frage, die einer der Projektmanagern als Frage aus den Betrieben wie folgt reformuliert hat: „Die sagen also sehr schnell, gut, wir brauchen eine Gewerkschaft.(...) Das funktioniert wie bei letsbuyit.com, um z. B. günstig eine Digitalkamera zu kaufen. Aber muss es unbedingt die IG Metall sein?“ Er sehe daher durchaus die Gefahr „der Bildung von so etwas wie Cockpit auch im EDV-Bereich“, das seien ja durchaus Angestellte in Schlüsselpositionen. Eine andere Gesprächspartnerin, immerhin selbst Projektmanagerin bei einer DGB-Gewerkschaft, sagt im gleichen Zusammenhang sehr offen, dass sie durchaus Sympathien für Organisationen wie Cockpit habe. Jedenfalls spreche sehr viel für kleinere Einheiten.

Diese Frage verweist noch einmal auf die schon weiter oben angesprochenen geringen Erfolge beim Versuch neue Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen - und sie weist darauf hin, dass der Schlüssel zum Erfolg, also zum Durchbruch bei der Mitgliederwerbung, hier nicht in der Hand der Projektmanager liegt.[22] „Um Durchbrüche zu schaffen, müsste die Gewerkschaft sich neu definieren“ heißt es in einem anderen Interview. Hier wäre die Anschlussstelle für die Frage nach den Möglichkeiten eines gewerkschaftlichen Organisationslernens gegeben, das R. Zoll (2003) unlängst als die Entwicklung einer neuen Identität bezeichnet hat. Aber der Weg vom „alten Arbeiterverein zur modernen Empowermentagentur“ (Klotz 2001) ist weit und beschwerlich, und welche Konturen die einmal haben könnte, ist durchaus noch ungeklärt. Nimmt man die These vom „Epochenbruch“ nach dem Ende des Fordismus, die als eine Ausgangsüberlegung am Beginn dieses empirischen Projekts steht, gebührend ernst, dann folgt aus ihr, dass die überkommenen Institutionen der Arbeit in tiefe Krisenprozesse mit durchaus offenem Ausgang geraten können. Das gilt für die Institutionen der sozialen Sicherung ebenso wie die der beruflichen Bildung, der Mitbestimmung, der Tarifautonomie und natürlich auch für die Gewerkschaften selbst. U. Klotz, der die im Lichte der Anforderungen einer informationalen Ökonomie „anachronistischen Ablauf- und Aufbauorganisationen der Gewerkschaften“ besonders pointiert kritisiert hat[23], hat auch die Risiken einer nicht gelingenden organisatorischen Modernisierung besonders prägnant formuliert, indem er feststellt, „dass in der Abenddämmerung der Industriegesellschaft insbesondere solche Institutionen unterzugehen drohen, die erst im verlauf der Industrialisierung entstanden sind“. (Klotz,2003, 40).

Darüber, wie interne Organisationsstrukturen in Bezug auf die Bereithaltung und stetige Anpassung eines „marktgerechten“ Angebots politischer Dienstleistungen aussehen könnten und wie in diesem Sinne eine lernende Organisation aussehen müsste[24], belehren die hier näher betrachteten Modellprojekte durchaus. Ob sie nach den im Wesentlichen „stecken gebliebenen“ Bemühungen um Schritte zu einer systematischen Organisationsentwicklung in den 1990er-Jahren nunmehr entsprechende Impulse auslösen können ist offen. Die Frage schließlich, wie die Gewerkschaften darüber hinausgehend zur Entwicklung einer gewerkschaftlichen Arbeitspolitik auf der Höhe der Zeit beitragen können, die als ein attraktives Angebot für die neuen Arbeitnehmergruppen wirkt, das die vielfältigen unmittelbaren Interessen - neuer wie alter Klientelen - zusammenführt, ist ebenso offen. Sicher scheint allerdings, dass ihre Beantwortung die Macher von Modellprojekten überfordern muss, die schon in dem von ihnen innovativ organisierten Arbeitsbereich oft an den Grenzen ihrer Belastbarkeit arbeiten - nicht viel anders als viele der Beschäftigten, an die sich ihre Arbeit richtet, „zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung“.

Es geht hier um Zukunftsfragen, die sich an ihre Gewerkschaften insgesamt richten, an die Funktionsträger in ihren Leitungsgremien, externe Berater, wissenschaftliche Experten usw. Betrachten wir die Antworten der von uns befragten ExpertInnen aus den Modellprojekten, so finden wir Antworten, die - durchaus im Bewusstsein dieser Begrenztheit - im Wesentlichen in zwei Richtungen zielen. Die eine Richtung ergibt sich in unmittelbarer Anknüpfung an das eigene Tagesgeschäft. Sie kommt z. B. in dem folgenden Zitat besonders schlagend zum Ausdruck: „Ja, das ist eine total schwierige Frage: Wie findet man die gemeinsamen Interessen? Wenn ich mir unseren Bereich anschaue erst Recht. Da ist der Tarifvertrag ja etwas, was meiner Meinung nach in den nächsten zwanzig Jahren gänzlich verschwindet. Der Anteil der befristeten und Freien Beschäftigten beträgt ja heute schon an manchen Stellen bis zu 80 %.(...)Also ich komme immer nur zu der Antwort, dass es erst einmal darauf ankommt, dem Einzelnen das Rückgrad zu stärken.“ Dabei mag man mit einer internen Organisation auf der Höhe der Zeit so weit vorankommen, wie anhand der erfolgreichen Modellprojekte beschrieben, aber genau an dem Punkt, diese Ansätze in eine verallgemeinernde Arbeitspolitik zu überführen, stecken bleiben. Die zweite Richtung ergibt sich aus einer kritischen Wendung gegen die vorherrschende gewerkschaftliche Politik: „Warum tun sich die Gewerkschaften dann so schwer mit den Angestellten? Leider haben die Gewerkschaften in Deutschland angesichts von Bündnissen, sozialen Dialogen, paritätischer Mitbestimmung etc. ihre erste Aufgabe teilweise verlernt: die Organisierung der Betroffenen zur Durchsetzung von Interessen, der Aufbau einer gewerkschaftlichen Basis als Zusammenschluss von Betroffenen.“ (Müller 2002,140)

Räumt die erste Antwort eine gewisse Begrenztheit und Ratlosigkeit ein, so erweist sich die Zweite, so bestimmt sie in ihrer Kritik ist, letztlich doch ein Stück weit als zirkulär. Durch die Ablenkung auf die Handlungsfelder, die mit den Erfolgen der alten Arbeitergewerkschaften im Korporatistischen Regulationsmodell geschaffen wurden, wurde die wichtigere, erste Aufgabe z. T. verlernt. Worauf es deshalb ankäme, wäre die, z. B. in der Arbeit der Modellprojekte, begonnene Orientierung an unmittelbaren Mitgliederinteressen zu forcieren. Die Kampagnepolitik US-Amerikanischer Gewerkschaften wird so - im Fortgang des Zitats - zum orientierenden Modell: knallharte Interessendurchsetzung gegen einen „knallharten Kapitalismus“ (ebd.). Aber die Frage der Transformation von arbeitsbezogener Interessenvertretung in Arbeitspolitik bleibt damit doch unbeantwortet. Sie weist über die effiziente Organisation betrieblicher Interessenvertretung weit hinaus. Es geht, allgemein formuliert, um die Frage, wie angesichts der Metamorphosen der Arbeit im Zeichen der Forderung nach immer größerer Flexibilität ein angemessenes, in der Gesellschaft als gerecht angesehenes Maß an Sicherheit für die Einzelnen gewährleistet und mit den betrieblichen Auseinandersetzungen verknüpft werden kann. Sie betrifft gegenwärtig vor allem die erbitterten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Ab- oder Umbau sozialstaatlicher Regulierungen von Arbeit. Und sie betrifft natürlich auch den engeren Regelungsbereich gewerkschaftlicher Tarif- und Betriebspolitik, wo es darum geht, alte (Arbeitsplatzsicherheit, Gehälter, Arbeitszeiten etc.) und neue (Weiterbildung z. B.) Gegenstände nach der Maßgabe auszugestalten, dass sich die Einzelnen hinreichend absichernde Rahmensetzungen mit Spielräumen für flexible Umsetzungen verknüpfen lassen - und wo hinter solchen einfachen Formeln in der Praxis in aller Regel in der Tat knallharte Interessengegensätze virulent sind. Wo sie sich in großen Konflikten geltend machen, die sich vor dem Hintergrund jahrzehntelanger sozialpartnerschaftlicher Traditionen als „Arbeitnehmeraufstand“ ausnehmen mögen, kann sich dabei in der Tat, wie im Falle der Auseinandersetzungen im Werk Hoffmannstr. der Siemens AG, zu der begründeten Frage eines Betriebsratsmitglieds führen, ob der Kampf um die Siemenskultur zum „Modell für Deutschland“ werden kann (vgl. Martens 2003).

Solche Fragen zu beantworten, kann selbstredend auch nicht der Anspruch dieses Aufsatzes sein, und auch nicht der einer einzelnen empirischen Untersuchung zu neueren gewerkschaftlichen Modellprojekten. Ohnehin gilt hier die Vermutung, dass Antworten hier nicht durch Experten(kommissionen) zu finden sind, sondern letztlich nur unter Beteiligung der Betroffenen, also von vielen Laien-Experten - und das heißt nach Lage der Dinge wohl über wachsende soziale Konflikte, jedenfalls so lange, wie es Politik und Verbänden nicht in den Sinn kommt, im Prinzip verfügbare Modelle von Betroffenen- und Bürgerbeteiligung systematisch zu nutzen[25]. Es ging an dieser Stelle vielmehr darum in Verbindung mit der empirischen Überprüfung der Grenzen, an die die hier näher betrachteten Modellprojekte stoßen, die Frage nach den tiefer liegenden Gründen dafür, dass solche Grenzen derzeit augenscheinlich nicht überschritten werden können, etwas genauer zu erörtern. Für die Frage nach Weiterentwicklungen gewerkschaftlicher Politik und Organisation ist es schließlich nicht unerheblich, ob innovative Modellprojekte aufgrund immanenter Fehler und Schwächen an Grenzen stoßen, oder ob solche Grenzen durch den Gesamtzustand der jeweiligen Mitgliedsgewerkschaften im DGB gezogen werden.[26] Bejaht man, wie im vorliegenden Fall[27] die zuletzt genannte Auffassung, so hat dies Konsequenzen nicht nur für die Bewertung der fraglichen Modellprojekte sondern ebenso für denkbare praktische Schlussfolgerungen.

Die Erfolgsbilanz, die im Blick auf die Modellprojekte aufgemacht werden kann ist nahe liegender Weise umso höher zu gewichten, je stärker man das Argument macht, dass diese Projekte nicht nur gewissermaßen gegen die Schwerkraft tradierter Organisationsstrukturen und Handlungsmuster entwickelt und durchgesetzt werden müssen[28], sondern auch gegen retardierende Wirkungen einer gewerkschaftlichen Arbeitspolitik, die es noch nicht geschafft hat, im Epochenbruch nach dem Ende des fordistischen Regulationsmodells mit eigenen innovativen Konzepten und Entwürfe in die gesellschaftspolitische Diskussion einzugreifen.[29] Und umgekehrt wird man den Umstand, dass die Modellprojekte unbestreitbar bestimmte Grenzen bislang nicht durchstoßen konnten, dann keinesfalls eben diesen Modellprojekten anrechnen können. Eher schon gilt die bekannte Brecht'sche Maxime, lieber an das schlechte Neue anzuknüpfen als an das gute Alte - mit der wichtigen Umakzentuierung freilich, dass das Neue, um das es hier geht, in Vielem alles andere als schlecht ist und das Alte, unbeschadet seiner Leistungen in der Vergangenheit, sich heute in dem Sinne als schlecht erweisen mag, als es eben nicht mehr zur Bewältigung der neuen Herausforderungen taugt.

Im Blick auf die Frage nach der Nachhaltigkeit der Modellprojekte lässt der im Zuge der bisherigen Evaluation sichtbar gewordene Stand der jeweiligen innergewerkschaftlichen Debatten um die Bewertung von deren Erfolg noch kein abschließendes Urteil zu. Die formell abgeschlossenen Modellprojekte werden derzeit gewissermaßen in einem vertragsfreien Raum fortgeführt. Augenscheinlich stellt derzeit niemand den relativen Erfolg der Projekte in Frage. Sie werden unter der Hand fortgeführt und z. T. auch (Siemensprojekt) mit weiteren Schritten zur Stärkung einer auf den Konzern gerichteten gewerkschaftlichen Politik verknüpft. Auf der anderen Seite wird aber auch nicht der Schritt vollzogen, ihre Erfolge und spezifischen Erfolgsbedingungen abschließend so zu bewerten, dass darauf ganz förmliche Schlussfolgerungen für Anschlussaktivitäten gezogen werden könnten und müssten. Eine generellere Diskussion über Sinn und Nutzen projektförmiger Arbeit erfolgt damit auch nur so weit, wie sie die Mitglieder der Modellprojekte in ihren partiell erweiterten Arbeits- und Diskussionszusammenhängen anstoßen können. Die Organisationsspitze ist in diesem Zusammenhang als strukturierender Akteur nicht zu erkennen - wie schon in mancher Hinsicht im Zuge vorausgegangener OE-Prozesses auch (Martens 2003d). In Bezug auf das noch laufende Projekt connexx.av ist die Lage einerseits naturgemäß noch offener. Klärungen in Bezug auf die Bewertung, ggf. die gezielte Fortführung und ggf. auch gezielte Anschlussaktivitäten in Richtung auf andere Klientelen erfolgen gerade. Dies bedeutet, dass alle Beteiligten einerseits in gespannter Erwartung auf die Organisationsspitze schauen, der bei der Entscheidung über solche strategische Fragen natürlich größte Bedeutung zukommt, dass sie sich andererseits aber auch allesamt selbst überlegen wie sie, von ihren jeweiligen Erfahrungen und Einschätzungen ausgehend, den internen Kommunikationsprozess über das Modellprojekt aktiv beeinflussen können.

5.        Ein vorläufiges Resümee

Abschließend bleibt so zunächst festzuhalten: Die theoretisch-konzeptionellen Ausgangsüberlegungen, die für dieses empirische Projekt orientierend waren, wurden in einem ersten Schritt fixiert, als die so genannte „New Economy“ nach einem weithin ungebrochenen zehnjährigen Boom noch im Glanz ihrer Zukunftsversprechen erstrahlte. Die Ausgangsthese, dass sich die „neue Arbeit“ zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung bewege, war insofern durchaus provozierend. Sie fasste die Entwicklung zu einem „Arbeitskraftunternehmertum“ kritischer und mit mehr Vorbehalten als diejenigen Autoren, die das Neue der Arbeit im Postfordismus mit dieser Kategorie zunächst einmal kenntlich gemacht hatten.

Die Erhebungen, zu denen hier Zwischenergebnisse diskutiert werden, fanden nach dem Ende des Booms statt. Krisenerfahrungen und -entwicklungen kennzeichnen inzwischen die Erfahrungen der befragten Akteure. Erste soziale Konflikte brechen auf, die im Lichte der vorgängigen wissenschaftlichen Diskussion eher überraschend sind. Zugleich gewinnt die in den 1990er-Jahren vor allem als latente Organisationskrise wahrgenommene Krise der Gewerkschaften einen veränderten Charakter. Die Gewerkschaften befinden sich nicht nur in der ‚Rekrutierungsfalle‘. Im Zeichen der ökonomischen Krise verstärkt sich der politische Druck auf sie erheblich und die Schwächen ihrer überkommenen sekundären Arbeitspolitik sowie der Mangel an überzeugenden neuen arbeitspolitischen Konzepten, mit dem sie dem verschärften politischen Druck offensiv begegnen könnten, wird offensichtlich. Wie sie dem zukünftig begegnen können – inhaltlich mit arbeitspolitischen Innovationen und organisatorisch auf dem Weg zur „nachhaltig vernetzten Gewerkschaft“ (Arlt 1003) kann bestenfalls als offen bezeichnet werden.

Ich sehe mich vor diesem Hintergrund darin bestätigt, dass die Unterscheidung von primärer und sekundärer Arbeitspolitik in dieser Lage fruchtbar gemacht werden kann. Die bisherigen Befunde belegen eindeutig, dass in der so genannten New Economy Ansätze einer neuen primären Arbeitspolitik von den dort beschäftigten verfolgt werden. Deren betriebliche Protagonisten benötigen zu ihrer weiterer Entfaltung geeignete außerbetriebliche Supportstrukturen. Zumal unter den Bedingungen zunehmend krisenhaft erlebter Entwicklungen gewinnen entsprechende gewerkschaftliche Angebote an Attraktivität, insbesondere dort, wo sie von Personen repräsentiert werden, die selbst auf dichte Erfahrungen mit Berufs- und Interessenvertretungsarbeit in der jeweiligen Branche verweisen können. Dies verweist darauf, dass die Arbeitsmilieus, in denen so neue Ansätze von Interessenvertretungsarbeit entstehen, sich nachhaltig von denen unterscheiden, auf die sich gewerkschaftliches Interessenvertretungshandeln traditioneller Weise bezieht. Mit den Modellprojekten ist eine Chance ergriffen worden, neue Kompetenzen zu erwerben und verfügbar zu machen. Die offene Frage ist, ob und wie sie weiter genutzt werden wird.

Es geht aber nicht nur um eine neue Generation von handelnden Personen. Es geht um Kulturbrüche (vgl. Meschnig/Stuhr 2001), die auch die überkommenen gewerkschaftlichen Organisationskulturen gewissermaßen im Innersten berühren. Die alte, in den Zeiten des Fordismus zu voller Blüte entfaltete gewerkschaftliche Organisation und die ihr zugrunde liegenden, selten einmal systematisch reflektierten, Organisationsverständnisse sind selbst von den zunehmend als krisenhaft erfahrenen Umbrüchen zutiefst berührt. Schon der Aufbau von Dialogräumen gegenüber den neuen Klientelen, erst recht aber die Herstellung effizienter Handlungsstrukturen erfordern ein verändertes Organisationsverständnis. Projektförmige Arbeit auf Grundlage von Zielvereinbarungen und einem darauf abgestimmten Ressourceneinsatz, Kundenorientierung, Dezentralität und Vernetzung der Strukturen auf der einen, sowie darauf zugeschnittene Stabsfunktionen, ein entsprechendes Wissensmanagement und eine erst darüber wirklich handlungsfähige Führung auf der anderen Seite sind die Stichworte. Damit eine handlungsfähige Gewerkschaft der Zukunft wirklich weiß, was sie wissen kann, weil entsprechendes Wissen ihr in ihren Organisationsgliederungen im Prinzip zugänglich ist, wird sie geeignete Strukturen entwickeln müssen, die Netzwerke und formale Organisation in neuer Weise verknüpfen. Die bisher vorliegenden Befunde belegen, dass die Gewerkschaften in der Bundesrepublik allenfalls am Beginn eines solchen Prozesses stehen. Alle, zumeist ‚stecken gebliebenen‘ Bemühungen um Organisationsentwicklung und Organisationslernen aus den 1990er-Jahren (Martens 2003d) belegen, dass sie hier weitreichende und schwierige Veränderungsprozesse erst noch vor sich haben. Ob diese Veränderungsprozesse tatkräftig angegangen werden, wird entscheidenden Einfluss darauf haben, ob es den Gewerkschaften als alten und unter diesem Blickwinkel traditionsbelasteten Organisationen der Arbeit gelingen kann, an das neue primäre arbeitspolitische Handeln der Beschäftigten einer postfordistischen Ökonomie produktiv anzuknüpfen und unter aktiver Beteiligung alter und neuer Klientelen neue arbeitspolitische Konzepte auf der Höhe der Zeit zu entwickeln.

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[1]     Kern (2003) hat diese neue Qualität einer politischen Kampagne, in der das alte Konsensmodell, das viele Jahrzehnte der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland sehr zu deren Vorteil prägte, nun wirklich aufgekündigt wird, sehr prägnant heraus gearbeitet. Sie erinnert einen, bei allen Vorbehalten gegenüber falschen Analogieschlüssen, inzwischen geradezu an die 1920er Jahre.

[2]     Sie auszulösen intendierte das Symposium „Gewerkschaften in der Zivilgesellschaft“, das die OBS im Juni 2003 veranstaltete. Vgl. in diesem Zusammenhang Forum Zukunft 2003 sowie Kocka 2003a und b).

[3]     Vgl. u. a. Kocka, Offe 2000, Engelmann, Wiedemeier 2000, Martens u. a. 2001, speziell im Blick auf die New Economy Meschnig/Stuhr 2001 sowie Kilger/Bieneck 2001

[4]     vgl. hierzu ausführlicher Martens 2001 a und b

[5]     vgl. hierzu auch verschiedene Texte im Zusammenhang des Forums Neue Politik der Arbeit (www.neue-politik-der-arbeit.de), insbesondere G. Peters Einleitung zur ersten Veranstaltung des Forums sowie die von D. Scholz u. a. verfassten „Spandauer Fragen“.

[6]  Die im Folgenden Diskutierten Zwischenergebnisse stützen sich empirisch auf 17 qualitative Interviews mit ProjektmanagerInnen, Supervisoren, Gewerkschaftsexperten sowie auf eine Fülle von z. T. bemerkenswert gut aufbereitetem Dokumentenmaterial. Die „Auswanderung' der Sozialwissenschaften aus dem engeren Wissenschaftssystem in die Gesellschaft fand sich hier mit Vorteilen für die eigene Untersuchung bestätigt. Eine ausführliche Darstellung des methodischen Vorgehens - vereinfacht formuliert orientiert an H. Blumers Überlegungen zum „Methodischen Standort des symbolischen Interaktionismus“ (Blumer 1973 - sowie der vorläufigen Projektergebnisse findet sich bei Martens 2003b.  

[7]  Zu der von mir eingenommenen Position hinsichtlich der damit angesprochenen grundlagentheoretisch zu behandelnden Begründungsproblemen anwendungsorientierter Forschung vgl. Martens 2001c und 2003b, zur allgemeinen Debatte zuletzt Franz u. a. 2003.

[8]     In Bezug auf (1) Güte und Qualität von Arbeitsprozess und –produkt, (2) ihre Materialität und Leiblichkeit, ihre kulturelle Einbettung und die Persönlichkeitsentwicklung der Arbeitenden sowie (3) die Ökologie als letzten Horizont für den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur und einen systematischeren Stellenwert in der Arbeit selbst.

[9]     Zur Unterscheidung von „primärer“ und „sekundärer“ vgl. Wolf 2001a. Primäre Arbeitspolitik meint das eigenständige, ‚spontane‘ Handeln der Arbeitenden im Blick auf die Artikulation und Wahrung ihrer arbeitsbezogenen Interessen. Es ist insofern Politik konstituierendes Handeln. Sekundäre Arbeitspolitik kann daran anknüpfen. Als eine diese Artikulationen aufgreifendes und spezifisch weitertreibende Arbeitspolitik von auf Institutionalisierung drängenden sozialen Bewegungen und daraus hervorgehenden Organisationen und Institutionen ist sie aber auch immer schon davon abgehoben und in institutionellen Kontexten vermittelnd.

[10]   Hier kam es im größten Werk des Konzerns am Standort München im Herbst 2002 aus Anlass drohender Massenentlassungen im Jahr der zweithöchsten Gewinne in der Konzerngeschichte - der Shareholder-Value hinterlässt Spuren - zu bemerkenswerten Aktivitäten und auch Organisationserfolgen der IG Metall (vgl. Schuhler 2003, Martens 2003c).

[11]   Die sich in alteingesessenen Großunternehmen und Start-ups natürlich vielfältig unterscheiden, wie die Ergebnisse zu connexx.av, einem ver.di-Projekt im Bereich der av-Medien und zum Siemensprojekt der IG Metall überzeugend belegen.

[12]     Charakteristisch ist aber auch, dass Repräsentanten aus solchen Netzwerken im IT-Bereich sich innerhalb der IG Metall dort nicht beteiligt haben, wo die Gewerkschaft in ihren traditionellen Organisationsbereichen versucht hat, den Erfahrungsaustausch zwischen den in ihren traditionellen Organisationsbereichen entstehenden Betriebsräte- und Beraternetzwerken zu befördern, wie die teilnehmende Beobachtung entsprechender zentraler Workshops der IG Metall über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg belegt.

[13]   Hier sind vor allem Anträge zur Durchführung bzw. Verlängerung von Modellprojekten und Verträge zwischen mehreren Gewerkschaften gemeint, in denen solche Modellprojekte vereinbart wurden.

[14]   Und sie werden, wie insbesondere eine repräsentative Befragung im Rahmen von connexx.av gezeigt hat, auch ganz anders, nämlich sehr viel positiver als die dahinter stehende Gewerkschaft, bewertet (Satzer 2001, Knorr 2003).

[15]   Es mag sein, dass die betrieblichen Erhebungen der zweiten Phase hier zusätzliche Aufschlüsse geben werden.

[16]   Die Ziele wurden allerdings, wie gezeigt, im Projektverlauf ein wenig modifiziert.

[17]   Wo dies nicht der Fall ist (Rhein-Main-Projekt, vgl. die Übersicht in Abbildung 1) fällt aber auf, dass die Projektkoordinatoren, mit denen ich gesprochen habe, jedenfalls nicht den typischen „Stallgeruch“ aufweisen und statt dessen eher atypische Berufsbiographien und im übrigen auch eine akademische Ausbildung aufweisen.

[18]   Wenn dies bis auf weiteres der Fokus eines möglichen Beitrittsinteresses ist, wobei die Gewerkschaften auf diesem Feld mit den Angeboten anderer Rechtsberater, etwa freier Anwälte konkurrieren, liegt es im übrigen nahe, dass die Beitrittsschwelle zu einer Organisation hoch ist, die ihre Beiträge im wesentlichen auf die Unterstützung im Streikfalle hin ausgelegt hat. Eine hier anknüpfende Diskussion über unterschiedliche Mitgliedschaften oder Anwartsrechte mit unterschiedlichen Beiträgen ist aber bislang noch nicht einmal in Ansätzen auszumachen.

[19]   Hier ist zu berücksichtigen, dass der Zwischenbericht sich vornehmlich auf Aussagen von ProjektmanagerInnen über deren Arbeit richtet. Zwar sind meine GesprächspartnerInnen zuvor in aller Regel selbst BetriebsrätInnen in Unternehmen der New Economy gewesen; aber diese Erfahrungen liegen doch schon ein paar Jahre zurück – „und ein Monat ist in dieser Branche wie ein Jahr“ heißt es in einem der Interviews. Vor allem aber betrachten sie das Feld inzwischen aus der Perspektive eines Hauptamtlichen - wenn auch 'neuen Typs' und nicht selten zunächst einmal auf Zeit. Es liegt auf der Hand, dass sich damit Akzente verschieben. Die betrieblichen Erhebungen der zweiten Projektphase mögen das Gesamtbild also noch ein Stück weit verändern.

[20]   Nach den im Ergebnis des sfs-Forums „Neue Arbeit-neue Gesellschaft. Nach dem Umbruch“ formulierten Ausgangshypothesen, durch einzelne Hinweise in den bisherigen Gesprächen durchaus bestätigt, sollte allerdings mit der „Individualisierung im Kopf“ und dem „Selbertun“ bei der Arbeit auch die Frage der Transparenz von Entscheidungsprozessen, und als nächster Schritt die der Teilhabe an ihnen, auch noch von einiger Bedeutung sein. Als Motiv bei der Gründung von Start- ups von einem bestimmten Größenwachstum an hat sich die Bedeutung dieses Aspekts im übrigen ja auch bestätigt.

[21]   Über die mögliche Rolle von Arbeitgeberverbänden können im Rahmen unserer empirischen Befunde im übrigen keine Aussagen getroffen werden. Hier sind die Ergebnisse des Projekts von J. Schmid und R. Menez (2003) abzuwarten.

[22]   Vgl. auch die Ausführungen und Zitate in Abschnitt 5.2., in denen es darum geht, dass die die jeweiligen Projekte tragenden Gewerkschaften in ihrem Alltagsgeschäft „mit dem Arsch wieder umreißen, was wir gerade aufbauen“.

[23]   „Verglichen mit modernen Wissensmanagementsystemen von Consultingfirmen (...) hinken die Arbeitsweisen und informationstechnischen Infrastrukturen der Gewerkschaften heute technisch und organisatorisch um ein bis zwei Jahrzehnte hinterher (Klotz 1999) Die folgende in einem der Interviews getroffene Aussage formuliert die Folgen dieses Timelags sehr plastisch: Wenn die IG Metall wüsste, was die IG Metall weiß, dann könnte sie wieder eine handlungsmächtige Organisation werden“.

[24]   Zu erinnern ist nochmals an die Formen vernetzter Arbeit bei connexx-av: monatliche Telefonkonferenzen zwischen den vier Standorten, quartalsmäßige Klausurtagungen der Projektmanager, kontinuierlich fortgeschriebene Arbeitsprogramme, arbeitsteilige Spezialisierungen und eine gemeinsam abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit bilden hier den Rahmen für gemeinsame Strategiebildungs- und Lernprozesse innerhalb eines vernetzten Teams, in dem zugleich Jede(r) nach den Prinzipien ständiger Erreichbarkeit kundenorientiert zu arbeiten hat. Zu den spezifischen Schwierigkeiten von Gewerkschaften, zu lernenden Organisationen zu werden vgl. Zech (1998) sowie Dilcher (1993).

[25]   Zu denken ist hier an Konzepte von R. Jungks Zukunftswerkstätten bis zu H. Dienels „Planungszellen“. Zur systematischeren Diskussion solcher Beteiligungsansätze, die aufgeklärtere Großunternehmen partiell durchaus immer wieder einmal adaptiert haben (vgl. zuletzt Martens 2002).

[26]   So wird abzuwarten, aber im Herbst dieses Jahres auch überprüfbar sein, ob im Ergebnis der Führungskrise der IG Metall ob die Gewerkschaft die wenn auch geringen so doch immerhin feststellbaren Mitgliedergewinne im Bereich der IT-Branche hat halten können.

[27]   Das geschieht hier unter Bezugnahme auf die z. T. in Abschnitt 5.1. behandelte wissenschaftliche und gewerkschaftsnahe politische Diskussion (vgl. Hattinger Kreis 2002, Frerichs/Pohl 2001) sowie vor dem Hintergrund eigener Reflexionen und Beiträge zur Debatte um die Reform der Gewerkschaften (vgl. z. B. Martens 2001 und 2002).

[28]   Und letztere sind in Gewerkschaften mit einem „Überhang informeller Macht“ und einem im Alltagshandeln „kaum einlösbaren moralischen Anspruch“ (Dilcher 1993, 5) derart institutionalisiert, dass es besonders schwierig ist, „innerhalb der bestehenden Strukturen neue Themen aufzunehmen und alternative Lösungsansätze zu entwickeln Dilcher 1993,4). Dies gilt um so mehr als im Gegensatz zu Wirtschaftsorganisationen die Kriterien von Erfolg und Misserfolg nicht so einfach am Markterfolg festgemacht werden können (vgl. auch Zach 1998).

[29]   Wobei neben den gemeinhin zum 'Kerngeschäft“ gezählten aufgaben auf absehbare Zeit vor allem die fragen des Umbaus der sozialen Sicherungssysteme von arbeitspolitisch herausragender Bedeutung sein dürften.