Institut für Politikwissenschaft

Jürgen Hoffmann

Autos kaufen keine Autos

Tarifpolitik ist keine Konjunkturpolitik. Plädoyer für eine nüchterne Einschätzung der Rolle der Tarifpolitik in der Konjunktur und der Ursachen der Beschäftigungskrise.

"Autos kaufen keine Autos" – auf diese Kurzformel, die ausgerechnet vom Erzkapitalisten Henry Ford stammt, wird bei ver.di die bei den Gewerkschaften allgemein so beliebte "Kaufkrafttheorie" des Lohns gebracht. In der Tat eine attraktive und eingängige Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme, verknüpft sie doch den Wohlstand der Arbeitnehmer/innen mittels Lohnerhöhungen mit den Profitaussichten des Kapitals. Eitel Sonnenschein allerorten! Wären da nicht die Unternehmer, die borniert ein-zelwirtschaftlich denken und Lohnerhöhungen nur als Kostenerhöhungen betrachten wollen, nicht aber ihre volkswirtschaftlich segensreiche Funktion der Nachfragesteigerung durch Lohnerhöhungen sehen können.

Vorweg: Es geht hier nicht darum, die Berechtigung von Lohnforderungen angesichts eines dramatisch gesunkenen durchschnittlichen Nettoreallohns der Arbeitnehmerhaushalte bei gleichzeitig explodierenden Gewinnen in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. Und Lohnerhöhungen, die zumindest das Produktivitäts- und Inflationswachstum voll ausschöpfen, sind in der gegenwärtigen Situation eine Voraussetzung volkswirtschaftlicher Dynamik. Auch kann eine kontinuierliche Senkung des Lohnniveaus in der Tat Teil einer katastrophalen Deflationsspirale sein, die die Volkwirtschaft insgesamt nach unten zieht. Denn die Lohnsumme garantiert ein gewisses Niveau der Basisnachfrage nach Konsumgütern – so wie die Profitsumme ein gewisses Niveau der Basisnachfrage nach Produktionsmitteln garantieren kann. Und es geht hier auch nicht darum, notwendige staatliche Ausgaben für die soziale Sicherheit und massive staatliche Investitionen angesichts der Verrottung der materiellen Infrastrukturen und angesichts der Bildungs- und Forschungsmisere anzuzweifeln – im Gegenteil!

Worum geht es also?
Es geht um berechtigte Zweifel an der immer wieder von ver.di propagierten Funktion des Lohns als Nachfragefaktor im Konjunkturaufschwung, an der behaupteten nachhaltigen Steigerung der Binnennachfrage durch Lohnerhöhungen – so schön dies auch für die Gewerkschaften und für die Gesellschaft insgesamt wäre!

Schon die Statistik belehrt uns eines Besseren: In den 9 – 11jährigen Zyklen der (west-)deutschen Wirtschaft seit 1950 ging im volkswirtschaftlichen Wachstumszyklus immer der Anstieg der Investitionen dem Anstieg der Lohnsummen und der Löh-ne voraus. Weil dies so ist, sind die Löhne umgekehrt auch immer vor einer Krise am höchsten gewesen. Sind sie deshalb Ursache der Krise, wie die Gegenseite behauptet? Auch Unsinn. Immer sind die Löhne nicht die unabhängige Variable im Wirtschaftswachstum, sondern die abhängige Variable, wie dies schon ein Klassiker der politischen Ökonomie – Karl Marx –  gezeigt hat.  

Aufgrund ihrer Entscheidung über die Verwendung von Profiten – Investition oder Sparen - haben es nämlich die Unternehmen in der eigenen Hand, ihre Nachfragebedingungen durch zusätzliche Investitionen zu bestimmen (was in diesem Falle zusätzliche Nachfrage nach Produktionsmitteln und unter Umständen Nachfrage nach mehr Arbeitskräften und dadurch zusätzliche Nachfrage nach Konsumgütern bedeu-ten würde). Wie ihre Entscheidungen ausfallen, das hängt einerseits von ihren Profit-erwartungen ab, die wiederum von zukünftigen Erwartungen der Nachfrage und von Produktionsfaktoren wie Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz, Arbeitsproduktivität und von der Lohnquote abhängen. Andererseits vergleichen sie diese Erwartungen mit alternativen Auslandsdirektinvestitionen und/oder alternativen finanziellen Anlagemöglichkeiten, die wiederum weltweit durch Zinsraten, Spekulationsgewinne etc. bestimmt werden. Und natürlich spielt auch der steuerliche Abzug eine Rolle, wenngleich oft maßlos überschätzt.

Durch die Europäisierung und Globalisierung der Kapitalbeziehungen sind zudem die Möglichkeiten für Unternehmen, die Alternativen der Anlage von Profiten jenseits nationalstaatlicher Grenzen wahrzunehmen, enorm angewachsen – wobei gilt: Nicht alle Unternehmen können dies wirklich tun und nicht alle, die es können, wollen es, aber alle können – z.B. im Falle von aus ihrer Sicht überzogener Lohnforderungen – damit drohen, und dies hat das Ungleichgewicht zwischen Kapital und Lohnarbeit weiter zugunsten der Kapitalseite verschoben!

Die Unternehmen haben es so selbst in der Hand, ihre eigenen (inländischen) Nachfrageverhältnisse (nach Produktionsmitteln und Konsumgütern) durch Verwendung der Profite zu bestimmen, sich – wie es der Ökonom Michael Kalecki einmal ausgedrückt hat – am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen… Umgekehrt ist eine Erhöhung der Löhne in Krisenzeiten – wenn dies denn angesichts des dann erhöhten Drucks des überfüllten Arbeitsmarkts überhaupt durchsetzbar ist – keine Garantie einer zusätzlichen Nachfrage. Denn auch die Arbeitnehmer/innen als Konsumen-ten/innen handeln mit gutem Recht sehr einzelwirtschaftlich, wenn sie gerade in Krisenzeiten aus Sicherheitsgründen eher ihre Sparquote erhöhen, statt das Geld in zusätzlichen Konsum zu stecken.

Nachfrageseite und Angebotsseite bilden daher ein zusammen hängendes System, das vorrangig durch die Verwertungsinteressen der Kapitaleigner reguliert wird. Und Nachfragepolitik – sei es durch Lohnpolitik oder Staatsausgaben -  kann nicht erfolgreich sein, wenn die Angebotsseite falsche oder für die Unternehmen unprofitable Strukturen aufweist und die Profiterwartungen der Unternehmen zugleich nachhaltig eingeschränkt werden. Denn im real existierenden Kapitalismus ist Endzweck der Produktion die Kapitalverwertung (Rentabilität) und – dies kann man bedauern – nicht  der Konsum. Dabei wird wie oben beschrieben die Nachfrage auf dem Binnenmarkt durch die Nettoinvestitionen des Kapitals bestimmt, die sowohl zusätzliche Sachinvestitionen wie zusätzliche Lohnkosten umfassen.

Diese Nettoinvestitionen sinken aber in Deutschland seit 2000 – trotz enorm gestiegener Gewinne. Ein wesentlicher Grund für dieses Auseinandertreten von Gewinnen und Investitionen ist die gestiegene Rolle des Finanzkapitals und dessen Logik: Die kurzfristig - spekulative Anlage in Finanzprodukten wird im Vergleich mit der produktiven Anlage attraktiver aufgrund der flexibilisierten und enorm aufgeblähten Weltfinanzmärkte; dem produktiven Sektor wird so Anlagekapital entzogen bzw. die Unternehmen werden selbst zu einer kurzfristigen Kalkulation der Investitionen gezwungen.

Zugleich schlägt die kurzfristige Logik der Finanzanlagen auf die Produktion durch, wenn Unternehmen immer mehr zu "shareholder value" - Methoden der Unternehmensführung übergehen, das Produktionsergebnis an den Gewinnen im internationalen Finanzsektor messen, Quersubventionierungen im Unternehmen abbauen und langfristige Anlagen vermeiden. Auch verengen sich aufgrund des Strukturwandels im Bankensektor und durch die restriktiveren Kreditvergabebedingungen nach dem  "Basel II – Abkommen" die Finanzierungsbedingungen gerade für mittlere und kleine Unternehmen, die aber 80 Prozent der Arbeitsplätze stellen. Und für diese i.d.R. beschäftigungsintensiven Branchen spielen die Lohnnebenkosten eine zentrale Rolle, weil diese hier nur bedingt durch Produktivitätssteigerungen kompensierbar sind.     
 
Ein weiterer und zentraler Grund für die Beschäftigungskrise in der Bundesrepublik ist in der Struktur der Ökonomie zu sehen: In allen Ländern, die über eine niedrige Arbeitslosenquote und eine hohe Erwerbsbeteiligung verfügen, ist der Anteil Beschäftigten des Dienstleistungssektors und der Anteil der Frauenerwerbstätigkeit sehr viel höher als in Deutschland, hier hat sich europaweit in den 90er Jahren die Zahl der Arbeitsplätze stark erhöht. Der Dienstleistungssektor in Deutschland hat  – abgesehen vom Umlage - finanzierten Sozialversicherungssystem (also den o.a. Lohnnebenkosten) – kein Lohnproblem, sondern ein Mobilitätsproblem: Denn die Regulierungen des Arbeitsmarktes sind bei uns zu sehr auf den industriellen Sektor ausgerichtet und die patriarchalische Gesellschaftsstrukturen, die durch die Sozialversicherung gestützt werden, verhindern eine Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit. Im Dienstleistungssektor ist die deutsche Ökonomie per Saldo Importeur, und nicht Exportweltmeister – und dies trifft gerade auf die modernen Sektoren dieses Sektors zu!

Kommt hinzu, dass die verfehlte Vereinigungspolitik der Regierung Kohl und die Steuersenkungspolitik Eichels hohe Zinsbelastungen der Haushalte durch Verschuldung nach sich gezogen haben, die ausgerechnet in einer Stagnationsphase unsinnigerweise mit einer Sparpolitik der öffentlichen Haushalte beantwortet werden. Durch die dadurch bewirkte Senkung der Qualität der öffentlichen Infrastruktur wird der Investitionsstandort eher unattraktiver. Aber mit dieser kritischen Position rennt der Autor ja bei ver.di offene Türen ein…

Was das alles mit der Rolle der Tarifpolitik in der Konjunktur zu tun hat?  Nichts oder nicht viel.

Eben.