Institut für Politikwissenschaft

Zeitpolitik, Gendermainstreaming und Gewerkschaften

 „Entgrenzte Arbeitswelt - Hat die gewerkschaftliche Interessenvertretung noch Zukunft?“

Eine Anhörung mit ExpertInnen aus der

betrieblichen und gewerkschaftlichen Praxis

Zeit: 7./8. Dezember 2001 Ort: DGB-Bremen

Zeitpolitik, Gendermainstreaming udn Gewerkschaften

Moderation: Kerstin Jürgens (K.J.), Uni Hannover

Eingangsstatements:

1.  Maria Kathmann (= M.K.) (DGB BV-Berlin, Abt. Frauenpolitik)

2.  Ilona Schulz-Müller (= I.SM.) (ver.di)

3.  Werner Sauerborn (= W.S.) (ver.di-Stuttgart)

 

Hinweis: Die Aufnahme war insgesamt nicht sehr gut; häufig waren Diskussionsbeiträge nicht richtig zu verstehen. Diskussionsbeiträge aus dem Plenum sind oft nur sehr leise zu verstehen, zudem noch mit starken Nebengeräuschen begleitet. Wir bitten dies bei der Lektüre zu berücksichtigen.

 

K.J.:   Gestern konnten wir sehr spannende Diskussionen zum Thema Arbeitszeit, zum Thema Globalisierung und zu Fragen von Entgrenzung verfolgen. Heute soll es darum gehen, die Themen Zeitpolitik, Gender Mainstreaming und Gewerkschaften zusammenzubringen. Das sind schon für sich drei anspruchsvolle Themen, für die jeweils allein ein ganzes Diskussionsforum nötig wäre. Dennoch wollen wir in den nächsten zwei Stunden versuchen, diese drei Themen in ihren Wechselwirkungen zu diskutieren. Wir haben diese recht schwierige Aufgabe zu erleichtern versucht, indem wir uns kompetente und interessante GesprächspartnerInnen hier in die Runde eingeladen haben; zwei von ihnen sind bereits Mitglieder des Hattinger Kreises geworden. Wir haben hier zu meiner Linken Maria Kathmann vom DGB Bundesvorstand, aus der Abteilung Frauenpolitik.

Maria hat 1998 schon interessante Ideen zum Thema Arbeitszeit hier in den Kreis eingebracht und hat u.a. 1999 mit ihren Kolleginnen eine Initiative gestartet mit dem Titel Zeitweise, über die wir heute hier auch noch diskutieren wollen. Dann haben wir hier mit dabei Ilona Schulz-Müller von ver.di. Sie ist Gender-Beauftragte und teilt sich dieses Amt in einer Art „Doppelspitze“ mit ihrem Kollegen Joachim Klett. Und als Dritten haben wir Werner Sauerborn in der Runde, der beim ver.di-Landesverband in Stuttgart arbeitet, hier aber nicht als Funktionär, sondern als einfaches ver.di-Gewerkschaftsmitglied mit uns diskutiert. Werner hat das Thema Geschlechterpolitik und Gewerkschaften seit Jahren kritisch begleitet und bereits 1992 in einem Aufsatz in den WSI-Mitteilungen von der ‘Vater Morgana’ gesprochen.

Einen Problemaufriss zu unserem Diskussionsthema möchte ich uns nicht ganz ersparen. Die Bilanz bleibt negativ: Die Beteiligung von Männern an Familienarbeit und insbesondere auch an der Nutzung von Elternzeit ist marginal. Die Ministerin Bergmann hat eine sehr teure und große Kampagne für fünf Millionen DM gestartet, um auch Männern zu zeigen, dass es eine Bereicherung sein kann, sich stärker in Familienbelangen zu engagieren; diese Kampagne wird auch von großen Unternehmen wie der Telekom oder der Commerzbank und auch Volkswagen unterstützt, wo die Gleichstellungs- und Frauenbeauftragten Genderpolitik voranbringen wollen. Gleichwohl sind es bei VW bislang unternehmensweit lediglich 20 Männer, die derzeit Elternzeit in Anspruch nehmen – während allein bei der TAZ fünf Redakteure, fast das gesamte Wirtschaftsressort, die Elternzeit in Anspruch genommen hat. Das ist schon einen Vergleich wert. Nun soll es aber hier nicht darum gehen, die Politik der Bundesregierung zu kritisieren, obwohl uns sicherlich viele Argumente für eine emanzipatorische Familienpolitik einfallen würden, doch ist unser Ziel ein anderes: wir haben uns heute die Aufgabe gestellt, die Frage zu diskutieren, wie denn die Gewerkschaften zur Geschlechterpolitik stehen, und wo wir hier Ansätze innerhalb der Gewerkschaften sehen, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren; wir wollen dabei auch resümieren, wo in der Organisationsform von Gewerkschaften möglicherweise Grenzen für eine andere Geschlechterpolitik gesetzt sind. Maria, ich möchte dich als erste bitten, den Werdegang Eurer Initiative Zeitweise zu erläutern. Die Initiative ist hier im Kreis bekannt – uns interessiert vor allem, wie sie innerhalb der Gewerkschaften und im DGB aufgenommen wurde und warum, sie – wie wir inzwischen wissen – scheiterte.

M.K.:  Danke schön. Ich will aber dennoch ein paar Vorbemerkungen machen, das Familienministerium macht nämlich jetzt noch eine neue Kampagne zur Familienpolitik, und ich betrachte dieses Vorhaben mit Sorge: Eine solche Kampagne ist zwar einerseits richtig und gut, aber die andere Seite ist, dass das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft nun gerade ad acta gelegt wurde. Wenn die Bundesregierung die Familienpolitik jetzt ins Zentrum rückt, muss man befürchten, dass die Familienpolitik die Frauen- und Gleichstellungspolitik ersetzen soll. Und wenn die Debatte im Wahlkampf auf Familienpolitik zugespitzt wird, kann man damit sozusagen die gesamten gleichstellungspolitischen Fragen erst mal an die Seite schieben. Wir sollten im Sommer aufpassen und aus frauenpolitischer Sicht einen Gegenpart aufbauen – nicht gegen Familienpolitik, aber für eine mindestens ebenso konsequente Gleichstellungspolitik.

Zur Initiative ZeitWeise. Ich will vielleicht noch mal ganz kurz zusammenfassen, wie das Ganze entstanden ist. Wir hatten 1997 auf der Bundesfrauenkonferenz einen Beschluss, dass der DGB Bundesvorstand aufgefordert werden soll, eine Kampagne durchzuführen zur Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Der DGB Bundeskongress 1998 hat einen umfangreichen Antrag von einigen der heutigen ver.di-Gewerkschaften, der ebenfalls auf die Umverteilung von Arbeit und u.a. auch auf Arbeitszeitverkürzung unter Einbeziehung der Geschlechterfrage zielte, beschlossen und damit auch eine breite gesellschaftliche Debatte gefordert. Diese beiden Beschlüsse haben den Bundesfrauenausschuss ermutigt, ein Konzept zu entwickeln und dieses der gesamten Organisation anzubieten. Wir haben ein Konzept für eine breite Kampagne entwickelt, ein Leitbild dieser Initiative beschrieben, warum man zur Arbeitszeitverkürzung kommen muss und Umsetzungsschritte vorgeschlagen. Und wir haben organisationspolitische Voraussetzungen für diese Initiative entwickelt: was muss die Organisation leisten und welchen Rahmen muss sie setzen, damit eine gesellschaftliche Debatte initiiert wird und stattfinden kann. Vor Ort in den DGB-Kreisen und Betrieben, sollten dann Initiativen und Zeitzirkel entstehen und überall sollte eine Diskussion in Gang gesetzt werden mit dem Ziel, dass eine Arbeitszeitverkürzung wieder gesellschaftsfähig wird, dass sie wieder zum gesellschaftlichen Thema wird. Die Initiative sollte dann in einen großen Arbeitszeitkongress münden, der die Erfahrungen aus den Betrieben und Kreisen und die Ergebnisse der Kampagne zusammenfasst und letztendlich auch Konsequenzen für die Tarifpolitik diskutiert. Will man ein solches Konzept beim DGB umsetzen, nützt es nichts, wenn die Frauen allein dahinter stehen. Das muss dann schon von der gesamten Organisation getragen und umgesetzt werden. Folglich musste ein Verfahren eingeleitet werden, um die Organisation zu gewinnen, unser „Geschenk“ anzunehmen. Wir haben uns im Bundesfrauenausschuss darauf verständigt, dass alle in den Gewerkschaften und im DGB mit den jeweils zuständigen Abteilungen das Konzept ZeitWeise diskutieren. Das sind beim DGB Bundesvorstand die Tarifpolitik, die Arbeitsmarktpolitik, die Grundsatzabteilung und die Sozialpolitik. Wir haben die Initiative bei uns im DGB diskutiert; die Kolleginnen in den Einzelgewerkschaften haben das ebenso gemacht. Und das Fazit der ganzen Geschichte war: Alle, denen wir die Initiative vorstellten, waren begeistert. Sie fanden die Initiative gut: „Tolle Idee, tolles Angebot!“ Aber dennoch: Sie haben es nicht angenommen, sie haben das Angebot nicht wirklich angenommen. Und somit konnten wir dem Bundesvorstand unsere Idee nicht vorlegen. Denn die Abteilung Frauenpolitik kann keine Vorlage in den Bundesvorstand bringen, wenn andere Abteilungen vom Inhalt/Vorhaben betroffen sind und diese keine Zustimmung geben. Nur abgestimmte Vorlagen gehen in den Bundesvorstand und die Vorlage ZeitWeise bekam schlichtweg von den anderen Abteilungen keine Zustimmung.

Und so hat man uns – ja, ich sag es mal so – eigentlich regelrecht auflaufen lassen. Dieses Konzept ist ein gutes Konzept; aber es liegt in der Schublade und keiner will es haben. Da fragt man natürlich nach den Gründen: Kann es sein, dass das Konzept nicht ausgereift genug ist? Mit dieser Bewertung hätten wir leben können; dann hätte man ja diskutieren und verbessern können – das wäre nicht das Problem gewesen. Wir als Abteilung Frauenpolitik, aber auch Mitglieder des Bundesfrauenausschusses fürchten jedoch schlicht und ergreifend, dass das Konzept aus anderen Gründen nicht angenommen wurde: Es war eben eine Idee von Frauen, und die muss man scheinbar nicht so ernst nehmen, die kann man getrost an die Seite legen. Möglicherweise hätte unser Konzept im DGB und in den Gewerkschaften auch einige Abläufe auf den Kopf gestellt.

Deswegen glaube ich, dass wir auch uns die Frage stellen müssen, inwiefern wir als Partnerinnen in der Organisation ernst genommen werden. Wir sind wohl eher ein Störfaktor: es ist gut, wenn es engagierte Frauen gibt, die sich auch in öffentlichen Debatten einmischen und dort ernst genommen werden, die auch die Medienlandschaft bedienen usw.  – aber bitte keine Unruhe nach innen. Das ist eine der Lehren, die ich daraus ziehe, dass die Organisation dieses Angebot der Initiative ZeitWeise nicht angenommen hat. Eine zweite Frage in diesem Zusammenhang ist, inwieweit unsere Organisation wirklich lernfähig und veränderungsfähig ist. Ich bin da eher skeptisch. Greift sie wirklich neue Ideen auf? Wir werden das sicherlich gleich noch am Beispiel von Gender Mainstreaming diskutieren.

Die Initiative ZeitWeise ist folgendermaßen weiterbehandelt worden: die Grundsatzabteilung beim DGB hat angeregt, zu bestimmten Themen Projekte durchzuführen, z.B. Zukunft des Sozialstaates, Zukunft der Arbeit. Dabei hieß es, unsere Initiative solle hierbei aufgenommen werden. Arbeitsgruppen wurden gegründet, und diese haben letztendlich Leitanträge für den DGB Bundeskongress 2002 formuliert. Also wird jetzt auch ein neuer Antrag eingebracht, der sich mit Arbeitszeitgestaltung befasst und der Antrag wird sicherlich beschlossen und so schließt sich dann wieder der Kreis: Dann haben wir wieder eine neue politische Beschlusslage. Ich behaupte mal, dass solche Anträge eingebracht, diskutiert und beschlossen werden als Politikersatz  nicht um Politik neu zu gestalten. Ich finde, die Organisation muss diese Praxis reflektieren. Die Frauen im DGB und in den Gewerkschaften müssten allerdings auch mal genauer untersuchen, woran es liegt, dass und warum wir nicht vorwärts kommen. Da liegt ein Problem auch in unserer eigenen Arbeitsweise: Wir nehmen uns auch zu wenig Zeit für Reflexionen. Wenn etwas schief läuft, versuchen wir einen neuen Ansatz zu starten. Ich habe vorhin kurz das Scheitern des Gleichstellungsgesetzes erwähnt. Wir haben uns in einer kleinen Arbeitsgruppe mit den Industriegewerkschaften zusammengesetzt und haben überlegt, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Wir haben verschiedene Ideen entwickelt, z.B. ein Handbuch für Betriebsräte zur Chancengleichheit heraus zu geben. Und wir haben uns überlegt, dass der Bundesvorstand ein Aktionsprogramm verabschieden soll mit Maßnahmen und Aktivitäten zur Herstellung der Chancengleichheit, die der DGB und die Gewerkschaften durchführen. Ein Aspekt dieses Aktionsprogramms ist beispielsweise Arbeitszeitpolitik. Dieses Thema wollen wir erneut in den Bundesvorstand transportieren. Falls wir damit die gleichen Erfahrungen machen wie mit ZeitWeise, dann wird das Programm als Antrag beim Bundeskongress eingebracht. Ich möchte also festhalten, dass wir in der Frauenpolitik ständig vor neuen Herausforderungen stehen und uns nicht lange mit Niederlagen befassen können. Wir müssen ganz schnell wieder den nächsten „Zipfel der Tischdecke“ erwischen und wieder neu durchstarten. Vielleicht gelingt es uns, das eine oder andere dann tatsächlich mal weiterzubringen.

 

K.J.:   Vielen Dank für diesen spannenden Bericht über die Initiative. Auch wenn das Ergebnis unerfreulich ist, so können wir doch aus dem Prozess einige Schlussfolgerungen über die Organisation ziehen. Ich möchte aber jetzt zunächst unsere zwei anderen DiskussionpartnerInnen zu Wort kommen lassen. Maria hat geschildert, wie wichtig es für sie und ihre Kolleginnen war, einen Prozess „bottom up“, also von der Basis her zu starten. Ver.di hat zunächst in umgekehrter Richtung ein Vorbild gegeben: In einer Doppelspitze leiten Ilona Schulz-Müller und ihr Kollege den Bereich Gender Politik. Ihr habt Euch bislang stark am Konzept Gender Mainstreaming orientiert; einem Konzept, das eher top down, also von oben nach unten wirken soll. Vielleicht kannst du uns kurz erläutern, warum Ihr Euch für diesen Ansatz entschieden hat, und welche Erfahrungen Ihr bislang gemacht habt?

I.SM.: Ja, zunächst herzlichen Dank für die Einladung. Ich möchte zunächst kurz erläutern, was wir konkret machen und welche Projekte es im Zusammenhang von Geschlechter- und Zeitpolitik gibt. Ich will dazu zunächst Revue passieren lassen, wie durch den Verschmelzungsvertrag für ver.di ein Riesenunterfangen auf den Weg gebracht worden ist: Es ist keine leichte Aufgabe, die unterschiedlichen Kulturen der fünf beteiligten Gewerkschaften unter einen Hut zu bringen. Die formalen Grundlagen gibt es; die Satzung ist da; es sind Richtlinien etc. da. Aber die Diskussion zu einer politisch-inhaltlichen Strategie hat eigentlich gerade erst begonnen – und damit natürlich auch die Diskussion, wie denn die Frage der Geschlechtervielfalt in der Organisation verankert werden soll. Wir hatten im Mai 2001 eine große Veranstaltung mit ca. 200 Kolleginnen und Kollegen, bei der wir darauf geachtet haben, dass die Geschlechterparität berücksichtigt wird. In dieser Veranstaltung wurde die Frage, wie Gender Mainstreaming als Instrument in die unterschiedlichen Wirkungsbereiche der Gewerkschaft eingebaut werden kann, sehr intensiv diskutiert: also beispielsweise: wie beeinflusst es Bildungspolitik? wie beeinflusst es Betriebspolitik? wie beeinflusst es Tarifpolitik? Und es war dabei eine Aufbruchstimmung spürbar, von der wir hoffen, dass wir sie mit unseren Überlegungen und Strategien weiter vorantreiben können.

Ich will noch kurz einen zweiten Schlenker machen: Was im Flyer zu dieser Anhörung als Fragen und Herausforderungen an Gewerkschaften formuliert worden ist, sind auch unsere Fragen: was wir unter „Dienstleistungsorientierung“ verstehen, wie wir auf Mitgliederinteressen eingehen müssen usw. Für uns ist die spannende Frage: Wie wird all dies, was wir als Herausforderungen für Gewerkschaften sehen, mit der Geschlechterdemokratie in Verbindung gebracht werden können? Wir haben in unserer Satzung in zwei Paragraphen die Implementierung des Gender Mainstreaming verankert: einmal im § 5, mit dem sich ver.di für die Herstellung der Chancengleichheit einsetzt. Hier ist als Ziel fixiert: Verwirklichung der Geschlechterdemokratie und die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in Wirtschaft, Gesellschaft und Gewerkschaft auch unter Anwendung des Gender Mainstreaming. In einem weiteren Paragraphen, der allerdings noch unter Frauen- und Gleichstellungspolitik firmiert, wird festgelegt, dass für Gender Mainstreaming Strukturen zu entwickeln und Beauftragte zu benennen sind. Für die Frage der Umsetzung dieser Inhalte sind dies ganz schöne Pfunde. Was in der Satzung verankert ist, macht die Frage der Implementierung doch ein bisschen leichter. Es ist noch hervorzuheben, dass die Beharrlichkeit von uns Gewerkschaftsfrauen, den ehemaligen Bundesfrauensekretärinnen  bei der Gründung der ver.di dazu geführt hat, dass die Herstellung demokratischer Verhältnisse von Männern und Frauen nun in der Satzung steht. Und ich bin ziemlich sicher: Wenn nicht die ver.di-Gründung, d.h. also das Aufgehen der fünf beteiligten Gewerkschaften in eine neue große stattgefunden hätte, hätten wir es höchstwahrscheinlich in den einzelnen Organisationen nicht ganz so leicht gehabt, das Prinzip des Gender Mainstreaming zu integrieren. Maria Kathmann merkt sicherlich bei der Diskussion hin zum DGB-Bundeskongress, wie schwierig es ist, das tatsächlich in Köpfe, Herzen und in Handlungen zu bringen.

Wir haben in den letzten Wochen bemerkt, dass es entscheidend ist, Gender-Politik nicht als die Fortsetzung von Frauenpolitik mit anderen Mitteln zu betrachten. Thomas Gesterkamp hat den Ansatz als „Tarnkappenpolitik“ bezeichnet. Da ist etwas dran: Es kann nicht sein, dass wir Gender Mainstreaming letztendlich nur als Durchsetzung von Fraueninteressen vorantreiben. Es ist ebenso wichtig, die Perspektive für beide Geschlechter zu öffnen. Ziel ist ein gleichberechtigtes Einbeziehen von Männern und Frauen in alle Planungen, Handlungen und Ergebnisse. Joachim Klett und ich als gleichberechtigtes Gender-Team auf der Bundesebene sehen unsere Aufgaben folgendermaßen: Wir haben uns daran gemacht, in Zusammenarbeit mit Gender-Beauftragten auf den unterschiedlichen Ebenen einen Prozess der Qualifizierung und Sensibilisierung in ver.di auf den Weg zu bringen. Damit soll ein Prozess in Gang gesetzt werden, um Gender Mainstreaming in der tatsächlichen konkreten Arbeit zu verankern. Von den neunzehn Fachbereichen bei ver.di haben bereits fünfzehn Gender-Beauftragte benannt, drei haben ein Gender-Team (Kollege&Kollegin) benannt. Natürlich stehen diese KollegInnen nicht voll und ausschließlich für diese Aufgabe zur Verfügung. Aber wir finden es richtig,. Wir haben 13 Landesbezirke in ver.di, von denen mittlerweile zehn Gender-Beauftragte benannt haben – der größte Landesverband, Nordrhein-Westfalen, hat eine Kollegin voll für Gender-Arbeit abgestellt; und in den Bezirken des Landesbezirks Nordrhein-Westfalen gibt es für die jeweiligen Fachbereiche Gender-Beauftragte. Da tut sich eine ganze Menge. Wir wollen den Verankerungsprozess initiieren und begleiten, aber uns nicht als eine Art „Gender-Polizei“ oder das schlechte Gewissen der Organisation verstehen. Wir verstehen uns als Prozess-Manager und ‑Managerinnen, die dazu beitragen sollen, das Verständnis von Geschlechterdemokratie, das Verständnis der Umsetzung des Instruments Gender-Mainstreaming voranzutreiben und nicht die Kontrolleure sozusagen der Vorlagen von irgendwelchen Gremien sein. Wir hätten natürlich am allerliebsten einen ganz breit angelegten Organisationsentwicklungsprozess. Wir sind uns aber darüber im Klaren, dass das zur Zeit nicht leicht ist: Wir wachsen ja noch zusammen... und es beginnen natürlich auch heiße Diskussionen um Finanzen: Wie wird strukturiert, wie wird verteilt? Zudem es gibt vielfältige andere Aufgaben, die anstehen – z.B. die Betriebsratswahlen etc. Ein groß angelegter Prozess könnte dann eine Überforderung sein und ein Händehochreißen der Kolleginnen und Kollegen zur Folge haben, nach dem Motto: „Nun kommt ihr auch noch mit dem!“ Wir haben uns darauf verständigt, dass es wichtiger ist, projektorientiert vorzugehen. Der Bundesvorstand hat ein Projekt beschlossen, „Kick off“  genannt– ich weiß: lauter Anglizismen, aber es passte gut. Dieses „Kick off“ bedeutet, dass wir unserem Bundesvorstand ein Konzept vorgelegt haben, wie wir uns dieses Einbeziehen, das Implementieren von Qualifizierung und Sensibilisierung von Gender Mainstreaming vorstellen; dass es top down ansetzen muss, d.h. bei den Führungskräften beginnend und gleichzeitig auch eine Strategie des bottom up. Konkret: Wir planen für das erste Quartal im nächsten Jahr Beratungsgespräche und Gender-Trainings für Bundesvorstand und Landesbezirksleiter und ‑leiterinnen. Gleichzeitig initiieren wir einen Prozess, der heißt „Informationsveranstaltung in Landesbezirken und Bezirken“, um auch von der Basis her das Bewusstsein und die Kenntnisse zum Thema und zu den Inhalten zu stärken. Wir wollen damit sicherstellen, dass möglichst viele an diesem Prozess der Zielfindung, der Diskussion beteiligt sind. Ein weiterer Schritt ist das Schaffen einer umfangreicheren Datengrundlage in der Organisation, mit der Folge einer veränderten Besetzung von Gremien und Vorständen mit Männern und Frauen. Soll Gender Mainstreaming wirklich implementiert und die Zielsetzung der Geschlechterdemokratie erreicht werden, dann müssen wir die Frage stellen, welche Rahmenbedingungen die Menschen haben, die bei uns beispielsweise ehrenamtliche Arbeit leisten; welche Rahmenbedingungen (Zeit, Verfügbarkeit, Familie und Privates) die Menschen haben, die wir als Mitglieder haben oder gewinnen wollen. Wir wollen uns bei unserer Arbeit von Expertinnen und Experten unterstützen lassen. Es gibt ja mittlerweile eine ganze Reihe von externem know how, was die Frage des Einbeziehens, des Implementierens von Gender Mainstreaming anbelangt. Wir wollen ein Projekt auflegen, das wir erst mal mit dem Arbeitstitel beschrieben haben „Männerrollen in Gewerkschaften“. Es soll reflektiert werden, wie sich Männer im Kontext mit ihrer Rolle  innerhalb einer Organisation verhalten. Wie kann man das männliche, patriarchale Leitbild aufbrechen? Welche Wege sind möglich, welche sind notwendig? Wir beteiligen und unterstützen daneben Projekte anderer Bereiche, wie beispielsweise zur Zeitpolitik. Hier gibt es einige Ansätze beispielsweise im Handelsbereich oder im Bereich Frauen- und Gleichstellungspolitik oder auf der Bundesebene im Bereich der Tarifkoordination. Für den Bereich Personalentwicklung planen  wir die Qualifizierung von hauptamtlichen Teamern und Teamerinnen um einen Pool von Experten und Expertinnen zum Thema innerhalb der Organisation zu haben, die dann als – so hat das Barbara Stiegler mal genannt – „flying experts“ in der Organisation tätig sein sollen. Um alles dies bewältigen zu können, haben wir einen eigenen Haushalt, eigene Mittel und Arbeitsgrundlagen. Deshalb hat der Bundesvorstand zugestimmt, eine „Aufgaben- und Funktionsbeschreibung der Arbeit von Gender-Beauftragten“ festzulegen. Damit haben wir verankert, welches unsere Arbeitsfelder sind, unsere Funktion verdeutlichst und wie wir uns regional zusammensetzen. Es soll bei der Ausübung der Funktion der Genderbeauftragten darauf geachtet werden, dass  Frauen- und Gleichstellungspolitik und Gender-Politik  nicht in einer Person wahrzunehmen, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Unterschiede in der Vorgehensweise und in der Strategie nicht klar werden. Das heißt, dass z.B. Landesfrauensekretärinnen nicht gleichzeitig Gender-Beauftragte sein sollen, sondern dass sich andere Kolleginnen und Kollegen und vor allem auch Männer an dem Prozess beteiligen, indem sie diese Aufgabe übernehmen.

Wir wissen, dass alle Beteiligten einen langen Atem haben müssen. Wir wissen, dass es eine Zielsetzung ist, die nicht innerhalb der nächsten zwei Jahre erreicht sein wird, sondern dass es Zeit in Anspruch nehmen wird, nicht nur die Qualifizierungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen und deren Ergebnisse, sondern auch die Entwicklung hinein in die konkreten Fachbereiche, in die konkrete Facharbeit. Und wir wissen, dass damit auch verbunden ist, nicht nur eine neue Strategie einzubringen, sondern ein verändertes Bewusstsein und ein verändertes Handeln zu bewirken, und sind trotzdem guten Mutes, dass wir beim nächsten Kongress, der 2003 stattfinden wird, die ersten positiven Ergebnisse mitteilen können.

K.J.:   Ja, vielen Dank. Hier bietet schon allein die Parallelstruktur von Frauenpolitik und Genderpolitik spannende Anknüpfungspunkte für die weitere Diskussion. Aber zunächst möchte ich einen Begriff weitergeben an unseren nächsten Diskussionspartner: „Gender Mainstreaming als Tarnkappenbegriff“. Werner, vielleicht kannst du diese Kritik zum Anlass nehmen, uns deine Einschätzung zur Geschlechterpolitik der Gewerkschaften insgesamt oder vielleicht konkret von ver.di vorzustellen?

W.S.:  Ich will hier nicht der Versuchung erliegen, jetzt auf vieles, was Maria und Ilona gesagt haben, einzugehen, sondern euch stattdessen überschriftenartig eine These nahe bringen: In der Geschlechterpolitik ist ein nachhaltigerer Paradigmenwechsel erforderlich, als die beiden Kolleginnen ihn geschildert haben.

Ich beschränke mich also wirklich auf Überschriften und überlasse es eurer akademischen Fantasie oder Diskussion, das Argumentative dieser Überschriften noch zu unterfüttern.  Meine erste These ist: Es gibt zwei Geschlechter, und Geschlechterpolitik war immer Frauenpolitik von Frauen für Frauen. In Folge von ‘68 hatte sie den Focus in der betrieblichen Frauenförderung auch unter dem Slogan „Wir wollen die zweite Hälfte – Frauen erobern die männlichen Bastionen in der Arbeitswelt“, also den Focus auf betriebsbezogene Frauenförderpolitik. Die Geschlechterpolitik oder die Frauenpolitik war immer mit dem Leitbild überschrieben: Ein Vorteil für die Frauen kann nur zu Lasten der Männer gehen; es war also ein antagonistisches Leitbild: Vorteil der einen nur um den Preis von Nachteilen der anderen. Meine These ist, dass es in der Geschlechterpolitik, in der so formulierten Geschlechterpolitik, eine relative Stagnation gibt – weit vor dem Ziel einer gesellschaftlich verwirklichten Chancengleichheit von Männern und Frauen. Und wenn man als Parameter die Frage der weiblichen Erwerbstätigkeit nimmt und das  nicht nach Köpfen, sondern nach geleisteten Arbeitsstunden, so muss man feststellen, dass in den letzten Jahren kaum noch Anstiege der weiblichen Erwerbstätigkeit zu konstatieren sind. Darüber hinaus hat es eine Segmentierung der weiblichen Erwerbstätigkeit gegeben; Frauen ohne familiäre Rückbindung oder vor und nach der Familienphase haben nur begrenzt am Arbeitsmarkt partizipieren können. Und das leitet schon  zu dem Kern des Problems hin, von dem aus man geschlechterpolitisch Strategien entwickeln müsste. Es ist ein Phänomen, das allen, die mit Arbeitszeitpolitik und Geschlechterpolitik zu tun haben, bekannt ist: Dass die weibliche und die männliche Erwerbsbiographie einen Kurvenverlauf nehmen, der zunächst parallel geht, etwa bis zum Alter von 25-30. Während die männliche Erwerbskurve aber ungebrochen weitergeht – es ist eigentlich keine Kurve, sondern eine Gerade –, knickt die weibliche Erwerbsbiographie in der Familiengründungsphase ab – nur noch 6% der Frauen mit Kindern sind voll erwerbstätig. Erst nach rund zehn Jahren nimmt sie langsam wieder zu, aber auf einem im Vergleich zu Männern erheblich abgesenktem Niveau. Dieses Auseinanderlaufen der Kurve im Zuge der Familiengründungsphase bezeichnen Fthenakis und andere Soziologen als Traditionalisierungsphase. Ich denke, hier muss man strategisch ansetzen und überlegen, wie man diesen Bruch in der Entwicklung mit einer neuen Geschlechterpolitik beantworten kann.

Das  Schlüsselwort ist kein neues: Es geht um die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Nur fürchte ich, dass daraus bis jetzt nicht die erforderlichen politischen Konsequenzen gezogen worden sind. Ansatzpunkte für Vereinbarkeitspolitik sind erstens die betriebliche Arbeitszeitpolitik, im wesentlichen die Frage der Arbeitszeitgestaltung; zweitens die Frage der öffentlichen Kinderbetreuungsangebote und drittens, und das meine ich ist der entscheidende Punkt, ohne den auch die beiden erstgenannten kaum eine Chance auf Verwirklichung hätten: die Frage der Veränderung der Geschlechterverhältnisse im Reproduktionsbereich, d.h. von Männern in der Familie. Also wenn man die Überschrift wählt „Die Frauenfrage ist die Vereinbarkeitsfrage“, muss nachgesetzt werden: „Die Vereinbarkeitsfrage ist die Männerfrage“. So gesehen ist das Konzeptangebot der herkömmlichen Frauenpolitik nicht in der Lage, diese strategischen Anforderungen einer neuen Geschlechterpolitik aufzugreifen – weil sie eben in diesen zwei genannten Punkten anders angesetzt hat. Das ist keine Kritik an dem, was bis jetzt gelaufen ist, sondern es heißt nur: Mit diesem Konzept wird es nicht möglich sein, weitere Erfolge in der Geschlechterentwicklung zu erzielen. Einerseits hat sie eben den Focus auf der betrieblichen Frauenförderung, während es erforderlich ist, zumindest zusätzlich, ich meine auch mit einem gewissen Schwerpunkt, die Orientierung auf die familiäre Arbeitsteilung zu legen, und zweitens ist sie eine Politik von Frauen für Frauen und beschäftigt sich, wenn mit der Männerfrage, nur im Sinne eines Objektbereichs von Politik, aber bezieht Männer nicht auch als Subjekte in ihr Politikkonzept ein.

Das heißt, mein Plädoyer lautet: Wir brauchen eine integrierte Geschlechterpolitik, die einerseits die Vereinbarkeitsfrage, den Reproduktionsbereich in den Mittelpunkt rückt und andererseits nicht nur reine Frauenpolitik ist. Sie muss in dem Sinne eine integrierte Politik sein, dass sie Männer auch zu den Subjekten von Politik macht. Zu der Frage, die sich hier sofort  stellt: Sind Männer subjektfähig im politischen Sinne? Da werden wir vielleicht gleich in der Diskussion noch drauf eingehen können. Es bleibt eigentlich nur noch in der Kürze der Zeit, die ich jetzt habe, eine Reaktion auf das Thema Gender Mainstreaming, das ja zum politischen Symbol geworden ist und zu dem man sich so oder so verhalten muss. Meine Reaktion auf dieses Konzept ist eigentlich in erster Linie Achselzucken: Mir ist nicht einleuchtend, warum das jetzt einen Durchbruch in der Geschlechterpolitik ermöglichen soll. Wenn man sie mal inhaltlich so skizziert hat, wie ich es gerade gemacht habe, dann muss man sehen, Gender Mainstreaming – und da ist Barbara Stiegler meine Kronzeugin – ist eigentlich ein Organisationsentwicklungsmodell, das  nicht mehr sagt, als dass Geschlechterpolitik nicht nur von frauenpolitischen Stäben, in Stabsfunktion von Organisation gemacht werden soll, sondern dass sie erstens überall und zweitens von allen gemacht werden soll. Und das ist m.E. ein – was den politischen Inhalt anbelangt – ein so offenes Konzept, dass es geradezu dazu verführt, dass jeder seine geschlechterpolitische Sicht in diesem Projekt verwirklicht sehen kann: Viele Männer sagen: „Das ist es jetzt, wir sind angesprochen, wir sind jetzt auch mit im Boot der Geschlechterpolitik!“ Die klassische Frauenpolitik sagt: „Das ist eigentlich so gemeint, dass wir jetzt Frauenpolitik überall machen können, und das Tolle ist sogar, dass die Männer jetzt auch noch verpflichtet sind, überall Frauenpolitik zu machen.“ Damit leben alle Missverständnisse über Geschlechterpolitik fort und die eigentlich inhaltliche Debatte bleibt aus. Ich sehe es daher als Handicap: Denn von der inhaltlichen Frage der Geschlechterpolitik wird ablenkt. Mein Anliegen wäre also: Lasst uns inhaltlich darüber diskutieren. Warum hat Geschlechterpolitik in der herkömmlichen Weise im Moment keine großen Erfolgsmeldungen mehr zu bieten? Wie müsste man ansetzen, damit das, was wirklich noch aussteht in der Geschlechterfrage, weiterverfolgt werden kann?

K.J.:   Herzlichen Dank. Ja, wir haben jetzt vielfältige Ausgangspunkte für eine Diskussion. Wir öffnen die Runde zunächst für konkrete Nachfragen an die einzelnen Personen und versuchen dann die drei Beiträge im Zusammenhang zu diskutieren.

H.S.:   Meine Frage geht an Maria Kathmann: Warum ist Eure Organisation in der Geschlechterfrage so schwerfällig? Das würde ich gerne konkret wissen, weil ich sehe, dass die Tarifpolitik sich mit Arbeitszeitpolitik im Augenblick äußerst schwer tut, und das hat auch viele objektive Gründe, das liegt nicht nur an vernagelten Personen. Die zweite Frage ist: Wie reagiert Gewerkschaft auf neue politische Angebote? Das Teilzeitgesetz ist ja ein Angebot, das seit dem letzten Jahr läuft... Was macht ihr damit? Welche Unterstützung gebt ihr den Leuten, die das Angebot wahrnehmen wollen?

K.J.: Vielleicht erweitern wir diese Frage: Wie schätzt Ihr die Arbeitszeitpolitik der Gewerkschaften im Zusammenhang mit Gender Mainstreaming ein? Die Initiativen zur weiteren linearen Arbeitszeitverkürzung sind ja gescheitert; sie sind aber – unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – aus geschlechterpolitischer Sicht, für die Umverteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern von zentraler Bedeutung.

W.S.:  ... auch wenn ich die Kritik an verkrusteten Strukturen, den Führungen, die alles abbremsen, teile: Ich glaube, weitere lineare Arbeitszeitverkürzung ist wirklich im Moment in der Mitgliedschaft beim besten Willen nicht durchsetzbar. Wir haben in der ÖTV ein Arbeitszeitprojekt mit einer empirischen Untersuchung, einer Befragung von 5.000 ÖTV-Mitgliedern durchgeführt. Das Ergebnis: Es gibt im Moment keine Bereitschaft, kollektive Arbeitszeitverkürzung aufzugreifen. Das Thema ist zur Zeit dermaßen diskreditiert – auch durch die Fehler der Arbeitszeitpolitik in den letzten Jahren, dass es aus dem Stand nicht mehr auf die Beine zu stellen ist. Es hat mehrere Versuche in der ÖTV gegeben ... das ist alles gescheitert. Und wenn eine Gewerkschaftsführung in dieser Situation sagt: „Im Moment bitte nicht!“, dann hat sie leider recht. Man muss sie nicht daran messen, ob sie im Moment einen Schritt in Richtung Arbeitszeitverkürzung macht und diese zum Tarifthema macht, sondern man muss sie daran messen, ob sie bereit ist, das Thema langfristig wieder aufzubauen. Da sind sehr viele Fragen unbeantwortet geblieben: Die Frage des Lohnausgleichs ist eine strategische Frage, die völlig unklar ist. Die Frage der Arbeitsplatz- und Beschäftigungseffekte ist unbeantwortet – ein Punkt, weshalb das Thema auch so diskreditiert ist. Und deshalb muss das Thema rehabilitiert, muss strategisch aufbereitet werden. Und grundsätzlich hat es natürlich mit der Schwäche von Gewerkschaften insgesamt zu tun: Arbeitszeitpolitik ist sozusagen die besonders anspruchsvolle Variante der Tarifpolitik gegenüber der Lohn- und Gehaltspolitik. Sie erfordert höhere Solidarleistung in Tarifbewegungen, und das ist nicht gerade das, wozu Gewerkschaften in ihrem derzeitigen Schwächezustand in der Lage sind. Also bei aller Bereitschaft, mich an der Kritik an Führungen und Apparaten zu beteiligen, ich glaube, dass bei dem Thema das Problem ein bisschen tiefer liegt.

W.F.:  Also mich hat sehr beeindruckt, was Maria Kathmann über die Initiative „Zeitweise“ berichtet hat: wie vergeblich die Versuche sind, sozusagen auf der Programmebene, auf der Vorstandsebene solche Dinge zu regeln und vorwärts zu kommen: Und bei dem Intro von Ilona Schulz-Müller hat mich eigentlich sehr gewundert, du hast gesagt: „Zeitweise“? Ich kenne das Programm nicht, es ist vorgesehen, solche Zirkel zu bilden, Zeitzirkel, in allen Hauptverwaltungen Zeitzirkel. Was mir dabei durch den Kopf gegangen ist: Warum macht ihr das denn nicht? Warum hört ihr denn nicht auf, auf dieser Programmebene Programme zu schreiben und auf Bundeskongressen oder zunächst einmal also zu versuchen, überhaupt den Weg zum Bundesvorstand zu finden ... auf Bundeskongressen irgendwelche Programmdebatten zu machen und das auch noch vorzubereiten, das ist ja sehr anstrengend. Mein Vorschlag ist, dass man vielleicht überlegt, wie man in kleinen Zirkeln wirklich in Aktionen und problemnahen Diskussionen Verständnisprozesse zwischen Männern und Frauen vielleicht organisiert – nicht als Alternative zu Programmhinweisen von politischen Regelungen und tarifvertraglichen Regelungen, aber mindestens um diese mit Leben, mit Praxis zu füllen. Also direkt an Maria: Warum nutzt ihr eure Energie nicht stärker dafür?

M.K.:  Fangen wir mal beim letzten an: Ich denke manchmal auch, wir sollten unsere eigenen Positionen und Ideen in den Raum stellen, diese so gut es geht umsetzen und auf die zeitintensive Überzeugungsarbeiten verzichten. Das ist aber leichter gesagt als getan. Erstens haben wir dafür nicht die Kapazitäten: Wir haben beim Bundesvorstand für Frauenpolitik drei volle Personalstellen. In den DGB-Landesbezirken oder Bezirken haben wir nicht einmal mehr halbe Stellen und in den Kreisen gibt es nur noch wenige Organisationssekretärinnen und weibliche Kreisvorsitzende nur noch in einzelnen Kreisen (meines Wissens keine 10). Wie hätten wir diese Initiative alleine starten sollen? Und die zweite Geschichte ist, dass es auch noch andere Ansprüche gibt. Wir sehen die Gleichstellungspolitik als Querschnittsaufgabe und wollen, dass die Chancengleichheit von Frauen und Männern in allen Politikbereichen des DGB eine zentrale Rolle spielt.

Vorhin wurde gefragt: Was macht ihr jetzt mit der Teilzeitgeschichte? Ja, was macht die Organisation in dieser Frage? Die Abteilung Frauenpolitik hat eine Broschüre herausgegeben, die stark nachgefragt wird. Ob andere Abteilungen dazu arbeiten, entzieht sich meiner Kenntnis. Sicherlich muss man dabei bedenken, dass der DGB in erster Linie die Lobbyarbeit machen soll und für die Mitgliederbetreuung die Gewerkschaften zuständig sind. Meines Erachtens lässt sich diese Aufgabenteilung nicht immer durchhalten.

Ich will noch auf einen anderen Aspekt hinweisen. Wir neigen dazu, brisante Themen in Projekten bearbeiten zu lassen. Es gibt doch das Projekt „Arbeit – Leben – Zeit“. Das ist ja direkt nach dem Bundeskongress initiiert worden und ist bei der Hans-Böckler-Stiftung angesiedelt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich spreche nicht gegen Projekte. Wenn man aber in der die Organisation etwas verändern will, muss man die Projekte in der Organisation lassen und nicht ausgliedern. Es gab nämlich die Idee ZeitWeise beim o.g. Projekt anzusiedeln. Damit wäre dann die notwendige Arbeitzeitdebatte ausgegliedert worden und wir würden Gefahr laufen, wichtige Gestaltungsfelder abzugeben.

Als einen „Überzeugungsschritt“ wollten wir die Initiative im tarifpolitischen Ausschuss des DGB vorstellen – wir wurden dort nicht „zugelassen“. Und solange wir diese Chance nicht kriegen, z.B. auch mit den KollegInnen der Tarifpolitik gemeinsam zu diskutieren, ist es in der Tat so, dass man tolle Ideen entwickeln und aufschreiben kann, sie haben keine Umsetzungschancen. Einige Kollegen der Mitgliedsgewerkschaften haben in bilateralen Gesprächen eine Unterstützung „unter Vorbehalt“ zugesagt. Wenn die oder die Gewerkschaft mitmacht, dann machen wir auch mit. Wir kamen uns manchmal vor wie auf einem Karrussel, das sich dauernd dreht und Leute aufspringen und wieder abspringen und irgendwann weißt du gar nicht mehr, wohin sich diese Kiste noch dreht.

I.SM.: Lernende Organisation heißt eben, sich über Geschlechterfragen Gedanken zu machen. Und das, was Maria erzählt, was ich auch die letzten 14 Jahre erlebt habe, heißt ganz einfach: Es scheitert in den Köpfen – aber ich wollte noch zum Thema „Zeitpolitik in Gewerkschaften“, zur Arbeitszeitverkürzung etwas sagen: Ich bin da nicht so pessimistisch wie Werner Sauerborn. Wenn man Zeitpolitik mit der Überschrift Arbeitszeitverkürzung versieht, dann kann ich mir vorstellen, dass etliche unserer Mitglieder zurückzucken. Aber ich weiß, dass bei uns geplant ist, unter der großen Überschrift Arbeitszeitpolitik einen Prozess in Gang zu setzen, der im Diskurs mit Mitgliedern und mit Funktionärinnen und Funktionären laufen soll. Im Bereich „Grundsatzarbeit in der Tarifpolitik“ ist man übereingekommen, dass es ein Prozess ist, der nicht innerhalb des nächsten Jahres und auch vor allen Dingen nicht in Form einer Kampagne aufgegriffen werden soll. Sondern es soll auf die Mitglieder zugegangen werden: durch Befragungen, durch Entwicklung gemeinsamer politischer Zielsetzung soll etwas entwickelt werden anstatt etwas von oben quasi vorzugeben. Und gleichzeitig läuft an vielen Ecken bei uns einiges: Beispielsweise hat der Fachbereich Handel das Thema aufgegriffen und durch eine Befragung dazu beitragen, das Bewusstsein der Beschäftigten in ihren eigenen Umgang mit ihrer Zeit  zu schärfen. Ich glaube, das ist das größte Problem: das Thema Arbeitszeitpolitik, andere Verteilung von Arbeit etc. aus den häufig negativen Erfahrungen, die die Menschen gemacht haben, zu entwickeln. Wir sollten mit den Beschäftigten in Betrieben und Verwaltungen in eine Diskussion eintreten und mit ihnen gemeinsam entwickeln, was sie mit ihrer Zeit anfangen, wie sie mit ihrer eigenen Zeit stehen umgehen und umgehen lassen. Dabei soll dann auch den Brückenschlag zwischen der Arbeitszeit und der Lebenszeit gefunden werden. Vielleicht bin ich blauäugig, aber als mir die Kollegen (des Handels) das Projekt vorgestellt haben, habe ich die Hoffnung gewonnen, dass es Stück für Stück und dann  flächendeckend wirklich Platz greift. Der Bereich Frauen- und Gleichstellungspolitik plant das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ im Rahmen der „Zeitpolitik“ stärker in den Vordergrund zu rücken. Dazu soll es zunächst mal im Februar eine große Veranstaltung geben, bei der auch aus  der Geschlechterperspektive das Thema „Lebens- und Arbeitszeit“ aufgegriffen werden soll. Welche Zeitbedarfe sind da? Wie kann realistischerweise Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Zeitnotwendigkeiten unter einen Hut gebracht werden u.s.w. Also, bei uns ist eine Menge im Gange, und ich hoffe sehr, dass es erfolgreich wird,  sonst sind Fragen um Zukunftsfähigkeit von Gewerkschaften wieder heftig auf dem Prüfstand...

M.K.:  Ja, in dem Zusammenhang noch mal zur Teilzeitarbeit: Die IGBCE macht derzeit eine Teilzeitkampagne –  nicht nur in Bezug auf Fragen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine Kollegin berichtete kürzlich von einer betrieblichen Umfrage u.a. zur Teilzeit. Dabei wurde festgestellt, dass die wichtigste Begründung für Teilzeitwünsche Stress in der Erwerbsarbeit ist.

K.J.:   Ich würde jetzt gern eine letzte Runde einleiten und dabei zunächst noch mal Werner Sauerborn das Wort geben. Wir hören nun aus den Berichten der beiden Kolleginnen, dass es die Männer in den zuständigen Abteilungen, in den Schlüsselpositionen sind, die häufig solche Initiativen ablehnen und zum Scheitern bringen. Du hast vorhin die Frage aufgeworfen: Sind Männer subjektfähig? Und damit Gestalter einer von Dir favorisierten integrierten Geschlechterpolitik. Kannst Du darauf bitte noch mal eingehen?

W.S.:  Die Arbeitszeitfrage hat ja zwei Verteilungsebenen: die eine zwischen den Geschlechtern und die andere zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten. Ich glaube, sobald sie die Verteilung zwischen den Geschlechtern anbelangt, ist sie schon politisierbar und mobilisierbar, weil da viele Bedürfnisse sind und weil das auch nicht so ein Konflikt mit der Kapitalseite ist – in welchen Proportionen gearbeitet wird und wie flexibel die Arbeitsabläufe gestaltet sind, das ist nicht so sehr eine Verteilungsfrage zwischen Kapital und Arbeit als zwischen den Geschlechtern. Ich glaube, das wäre schon zu thematisieren, auch mit Kampagnen und mit solchen Zirkeln. Aber die Verteilungsfrage Kapital – Arbeit, die ist im Moment sehr schwer zu entwickeln. Und ich wäre wirklich vorsichtig und skeptisch und würde jeden verstehen, der sagt: Da machen wir im Moment keine große Kampagne und keine große Missionierung, keinen weiteren Mobilisierungsversuch, sondern hier ist ein Stück Kopfarbeit gefordert von den Gewerkschaften. Das heißt nicht, dass sich in irgendwelchen Hinterzimmern ein paar Leute was ausdenken, das muss man auch mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen machen – aber nicht im Sinne von Kampagnen, sondern im Sinne von Konzeptentwicklung. Da sollten wir aus den Fehlern lernen, die in der letzten großen Bewegung zur Arbeitszeit gemacht worden sind. Und solange das nicht aufgearbeitet worden ist, würde ich mich nicht noch einmal aufs Publikum  zu wagen. Denn es ist auch im Moment so, das jeder weitere Versuch, der scheitert, uns noch weiter zurückwirft in der Arbeitszeitpolitik. Also wir sind im Moment in der Frage so verunsichert und so konzeptionslos, dass es wirklich fahrlässig wäre, da noch mal was aufzulegen – und das halte ich auch nicht  für eine Männerfrage, in dem Sinne, dass Männer Frauen ausbremsen, sondern  für  verständliche gewerkschaftliche Zurückhaltung.

 Was die Frage der Subjektfähigkeit von Männern anbelangt: alle Einstellungsuntersuchungen gehen ja davon ausgehen, dass Männer Lebensentwürfe haben, die weit von dem entfernt sind, was sie praktisch leben. Die Zahl von 1,5 % Männern im Erziehungsurlaub bzw. Elternzeit drückt überhaupt nicht aus, wie die Zeitwünsche von Männern und die Wünsche nach Partnerschaftlichkeit wirklich aussehen. Das wiederholt sich in allen empirischen Untersuchungen und Einstellungsmessungen, dass  bei den Männern eine Riesenkluft, viel größer noch als bei Frauen, klafft. Ich glaube, dass das ein Ansatzpunkt wäre, auch Männer in die Politik und in die Organisation dieses Themas reinzuholen. Ich bin ein bisschen skeptisch, ob denn dieser Prozess von oben nach unten gestaltet werden kann, dass man ein Thema jetzt in die Organisation importiert. Ob das der Weg ist, die Männer mit „ins Boot“ zu holen? Vielleicht wäre es da sinnvoller, die Männernetzwerke, die sich bis jetzt nicht in Gewerkschaften artikulieren, in die Geschlechterpolitik reinzuholen. Ich kenne viele Männer, die in den Gewerkschaften sind, um Männerarbeit oder in Männerzusammenhängen arbeiten, aber das tun sie nicht innerhalb der Gewerkschaften, das tun sie außerhalb, und meine Vorstellung wäre, die Männer reinzuholen, diese Netzwerke mal zu entwickeln und in die Gewerkschaften reinzuholen. Das wäre praktisch ein Gegenprogramm zu diesem von oben nach unten.

M.K.:  Es hindert euch ja niemand dran, diese Männer „reinzuholen“ und Netzwerke zu schaffen.

W.S.:  Nun ja; jetzt hast du vorhin gesagt, man muss organisatorische Ressourcen haben, um Politik machen zu können. Dann sag mir mal, wo unsere organisatorischen Ressourcen sind, um dies zu leisten....

M.K.:  ... Ich will noch mal auf unsere Zeitinitiative eingehen. Diese sollte keine Werbung für irgendein Arbeitszeitverkürzungsmodell werden, überhaupt nicht: weder 32-Stunden-Woche oder weniger. Sondern Ziel war, dass wir mal wieder diskussionsfähig werden und vor Ort was entwickeln. Und ich glaube nach wie vor, dass eine solche Initiative umsetzbar ist..

I.SM.: Ich habe abschließend noch zwei Informationen. Die eine ist, dass eine der  Zeitpolitik-Initiativen, die sich über den Grundsatzbereich Tarifpolitik anbahnt, in der Verantwortung des Bereichsleiters, Jörg Wiedemuth, auch darin begründet liegt, dass HBV und ÖTV noch in ihren ehemaligen Konstellationen das DGB-Projekt  „Zeitweise“ aufgegriffen hatten. Ich erinnere mich, dass in der ÖTV eine intensive Diskussion noch mit Herbert Mai zum Thema Arbeitszeitpolitik gelaufen ist. Und insofern ist, (das ist zwar sicherlich nicht das, was Dich sehr zufrieden stellt, Maria), aber dennoch ist das Projekt „Zeitweise“ mit ein Initiator gewesen, um das Thema in ver.di erneut in den Vordergrund zu rücken. Der Bereich Frauen- und Gleichstellungspolitik  arbeitet an der Frage Zeitpolitik und Zeitbedarfe mit Ulrich Mückenberger und  mit Barbara Dürk, ISA-Consult zusammen im Rahmen der Projekte „Zeiten der Stadt“ in Berlin und Augsburg. In Berlin geht es darum, die Beteiligten einer KITA und eines Krankenhauses zusammenzubringen, in Augsburg geht es um ein Warenverteilzentrum. In beiden Projekten sollen die Beteiligten ihre Arbeitszeitbedarfe, aber auch ihre Lebenszeitbedarfe diskutieren. Und daraus sollen dann letztendlich positive und verwertbare, übertragbare Ergebnisse zur Frage Gestaltung  von Zeitpolitik für beide Geschlechter entstehen. Letzter Punkt: Männernetzwerke...  Joachim Klett und ich haben vor, genau das tatsächlich für ver.di zu realisieren, sodass es nicht außerhalb der Gewerkschaft zunehmend Diskussionen über die Veränderung der Rolle des Mannes gibt, sondern dass auch innerhalb ver.di eine Diskussionsebene und eine Basis entwickelt werden soll, die rollenspezifischen Verhaltensmuster von Männern zu überprüfen und zu verändern:

U.M.:  Ja, ich wollte zunächst mal sagen, die einführende Charakterisierung der beiden Ansätze jetzt mit „Zeitweise“ und mit „Gender Mainstreaming“ als bottom up und top down ist meiner Ansicht nach irreführend. Das sind beides top down-Ansätze. Nur das die Initiative dann sozusagen auf andere Prozesse setzt. Allerdings, das hat Ilona genauso gesagt, dass diese top down-Initiative, die dort klarer als solche bezeichnet wird, von einer bottom up sozusagen gefolgt oder in sie einleiten soll. Und da steckt jetzt mehr dahinter, glaube ich, als nur die falsche Einordnung, sondern da steckt das ganze Problem drin, was uns die ganze Tagung über schon begleitet.

Es finden nämlich auf beiden Entwicklungen sowohl auf der Ebene der Menschen, mit denen wir es zu tun haben, wie auf den Systementwicklungen interessante Prozesse statt, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Also ich will das mal konkretisieren. Werner, du hast bei deinen Andeutungen der Kritik der Arbeitszeitverkürzungsdebatte meiner Ansicht nach die Uraltargumente nur im Kopf gehabt: nämlich Lohnausgleich, wie ist das mit Arbeitsplatzeffekt usw. Das haben wir vor 10, 15 Jahren diskutiert. Das eigentliche Argument ist meiner Meinung nach, ob die Leute Arbeitszeitverkürzung wollen, und zwar nach unserer gestrigen Diskussion, die wir hier den ganzen Tag gehabt haben mit der Vertrauensarbeitszeit usw., ob das Setzen auf eine Verkürzung der bezahlten Arbeitszeit wirklich ein attraktives und utopiefähiges Ziel in unserer Gesellschaft ist, das ist das Problem. Und ich behaupte – da bin ich aber sicher, dass das auch unter uns kontrovers ist –, ich behaupte, dass einfach so ein Umverteilungsmodell und Solidaritätsmodell usw., was immer hinter dieser Vorstellung von Arbeitszeitverkürzung steckt, einfach nicht klappt. Also ich habe das am eigenen Beispiel erlebt: Ich bin auf eine Zwei-Drittel-Stelle gegangen und wollte dadurch einen Teil für die Schaffung einer Frauenprofessur geben. Dennoch ist es gescheitert. Zwar habe ich trotzdem verkürzt und wissenschaftlichen Nachwuchs fördern können, doch lief es bei allen Kollegen, die ich angesprochen habe, auf den Kernsatz hinaus: „Was soll ich denn mit der Zeit anfangen, wenn ich reduziere?“ Also mein Modell war, und so habe ich es ja auch gemacht, zwei Jahre volle Arbeit und dann ein Jahr auszusetzen. Das habe ich auch gemacht, ist irgendwie ganz gut gelaufen. Das Argument war immer, so etwas sei eine Sparstrategie für den Hamburger Senat, und „was soll ich denn mit dieser Zeit anfangen“. Da ist mir klar geworden, das hat nicht mit diesen technischen Fragen zu tun, die du gestellt hast, sondern hat mit den Strukturen zu tun: nämlich ob die Leute eigentlich tatsächlich in dem Nichterwerbsarbeiten unter Preisgabe eines bestimmten Teils von Geld einen Gewinn ihrer Persönlichkeitsentwicklung sehen. Da geht es um das Verhältnis von Push und Pull: also Push ist sozusagen das Solidaritätsargument: Du musst aber jetzt ein bisschen abgeben, da sind welche arbeitslos. Und das Pull ist die Frage gewesen: Was ist für Leute so attraktiv an einem Sabbatjahr mit Einbußen von Gehalt, dass sie sagen, das mache ich. Und an diesen Sachen hängt es in der Frage. Und wir haben ja diese amerikanischen Untersuchungen, wo Leute sogenannte „Familienflucht“ betreiben, nämlich dass sie sagen, ich möchte gerne aus diesem Scheißladen Familie raus morgens, und zwar so schnell wie möglich aus diesem Stress, und da ist die Arbeit der Bereich der Freiheit – also ich vergröbere jetzt ganz stark. Aber um das noch mal deutlich zu machen (und das ist nämlich auch die Hintergrundargumentation für den Erfolg der Vertrauensarbeitszeit): Die Beschäftigten sind nicht einfach manipuliert oder gezwungen usw., sondern da ist ein viel tieferes Motivationsproblem, an das wir rankommen müssen. Das ist aber nur die eine Ebene, das ist die Ebene der Subjekte, die wir ernster nehmen müssen. Auf der anderen Seite: Ich verstehe nicht die Ablehnung oder das Schulterzucken, wie man in so einer Frage wie Gender Mainstreaming nur Schulterzucken kann. Das kommt stark von der Systemebene, das ist mir klar, das kommt jetzt nicht unbedingt aus den Betrieben usw., sondern durch die demographische Entwicklung sind wir in der Klemme und da ist die Ökonomie in der Klemme, in der Frauenerwerbsarbeitsdiskussion ist das System in der Klemme, guckt euch doch mal die Zielvorgaben vom Lissabonner EU-Gipfel in der Beschäftigungsfrage an. Also diese Gender-Frage ist auch für das System im Moment ein Hindernis geworden, eine vernünftige Ökonomieplanung zu machen usw. Und das etwa gering zu schätzen, das finde ich vollkommen abwegig, sondern wir müssen genau diese Ansatzpunkte aufgreifen, aber sozusagen aus dieser technokratischen Verkürzung, die das in der EU hat, rausbringen: also dass das ein Demographieprojekt sein könnte oder Erwerbstätigkeitsprojekt sein könnte allein – das funktioniert auch wieder nicht. Sondern es geht nur, wenn wir diese System- und diese Orientierungsebene der Menschen irgendwie vernünftig zusammenbringen. Und  deshalb ist die Zeitpolitik oder die Alltagszeitpolitik so wichtig. Und deshalb, ich will das jetzt nicht weitermachen, aber deshalb ist es so wichtig, dass man da konkrete Projekte macht. Also wir machen das nur an Projekten, immer wieder an Projekten: nämlich zu gucken: was geht da? was kann man umgestalten usw.? und dass man daraus Netzwerke entstehen lässt, also wir haben dieses Netzwerk „Zeit in der Stadt“. Das ist ein kleines Ding, was läuft, aber was jetzt wahrscheinlich auch vom Deutschen Städtetag aufgegriffen wird und als ein großes Netzwerk verstanden wird, aus dem natürlich bestimmte Politiktypen folgen.

M.S.:  Also ich finde Maria hat das da auch sehr klar dargestellt: Wie diese Initiative „Zeitweise“ möglicherweise auch einfach daran gescheitert ist, dass es eben eine reine Fraueninitiative war und die als solche in den Gewerkschaften keine Sorgfalt erfährt... Jetzt stellt sich sofort die Frage, was für Möglichkeiten jetzt bestehen, und was habt ihr da eventuell auch noch im Auge mit dieser neuen Struktur durch ver.di... Dann finde ich auch die ganze Frage eben von Arbeitszeitverkürzung oder Umverteilung von Arbeit eine, die unmittelbar ja mit Frauenpolitik und Geschlechterpolitik zusammenhängt – und zwar in dem Sinne, den Du, Werner, reklamiert hast und von dem du gesagt hast, dass es nicht der Fall sei: Es geht da also bei „Zeitweise“ um die Umverteilung von Arbeit, also von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten einerseits, und Männern und Frauen andererseits. Genau um diese ganzen Fragen, die du aufgelistet hast, was ich auch völlig richtig finde, Und ich halte es auch ehrlich gesagt nicht für so aussichtslos, die Arbeitszeitverkürzungsfrage auf die Tagesordnung zu bringen, vielleicht nicht unter diesem Titel, aber praktisch gibt es wieder – aus dem Druck – klare Impulse in diese Richtung. Also wenn z.B. die Zukunftsdebatte der IG Metall zu Tage gefördert hat, dass Arbeitszeitverkürzung das Letzte ist, was die Mitglieder wollen, hat sie aber gleichzeitig auch zu Tage gefördert, dass das Wichtigste, was sie von der Organisation wollen, Beschäftigung ist. Aber wie soll man ohne Arbeitszeitverkürzung zu mehr Beschäftigung kommen? Ich glaube, das wird die Frage von Beschäftigung und Arbeitszeitverkürzung so oder so auf die Tagesordnung bringen. Und das ist an andere Befragungen anschlussfähig – Werner hat es angesprochen: Es gibt auch viele Männer, die gern kürzer arbeiten würden, die aber aufgrund der Normen, die in den Betrieben herrschen, dies nicht umsetzen können. Da ist m.E. das Teilzeitgesetz ein Hebel, der zumindest mal das Denken verändern könnte. Und ich stimme da in einer Hinsicht Werner auch zu: Man muss da wirklich mal die Gründe auswerten, die zum Scheitern bzw. enormen Ansehensverlust von Arbeitszeitverkürzung geführt haben. Du hast sie ja aufgeführt: die Frage des Lohnausgleichs ist nicht geklärt, die Frage der Beschäftigungseffekte ist nicht geklärt, die Arbeitsverdichtungsfrage ist nicht geregelt, das sind allein drei Punkte, die müssten in schlüssigen Konzepten beantwortet werden, bevor man das Thema wieder vernünftig aufnehmen kann.

H.E.:   Wir haben nun in Referaten gehört, dass die Institution „Gewerkschaft“ weder die Systemnotwendigkeit noch die Bedürfnisse ernst nimmt, und es wurde gesagt, eine „lernende Organisation“ ist eine, die das wahrnehmen muss. Das ist aber ein völlig falscher Begriff von „lernender Organisation“. Eine lernende Organisation ist eine, die ihre Interessen so verfolgt, dass sie Informationen so filtert, dass sie ihre eigenen Interessen durchsetzen kann, das ist eine lernende Organisation. Das ist zwar eine technische Definition von lernender Organisation, aber das heißt nicht, dass sie „Gutes“ lernt und dass sie sich irgendwie emanzipatorisch entwickelt, sondern dass sie sich in ihrem eigenen Interesse zu entwickeln versteht. Das ist der technische und neutrale Aspekt von „lernender Organisation“. Und wenn eine Organisation nicht das lernt, was sie nach unseren Vorstellungen lernen soll – denn darum geht es nämlich eigentlich – dann heißt das, dass das, was sie von uns lernen soll für sie nicht interessant oder härter ausgedrückt: nicht riskant ist, d.h. sie kann es ignorieren, ohne dass sie wirklich ihren Bestand gefährdet sieht. An den Beispielen haben wir es gesehen, am Scheitern der Initiative „Zeitweise“: Die Organisation hat gelernt, dass man Fragen dadurch beantworten kann, dass man sie nicht  beantwortet – auch eine Art, mit Turbulenzen umzugehen ...

U.M.:  Was die Gewerkschaften tun sollen, um langfristig zu überleben, das ist unser Thema im „Hattinger Kreis“ seit 20 Jahren... wo man nach zehn Jahren schon sagen kann: „Seht mal, das haben wir doch gesagt, dass das so nicht geht!“ Aber ein Prophet, der am Schluss Recht gehabt hat, weil er eine Katastrophe vorausgesagt hat, ist kein Gewinner. D.h. wir müssen uns fragen,  warum die Organisation „Gewerkschaft“ nicht auf diese Fragen, die wir in der Expertenanhörung bestätigt fanden, offensiv eingeht.