Institut für Politikwissenschaft

 

 

 

Protokoll der Internationalen Fachtagung des Hattinger Kreises

„Gewerkschaftliche Solidaritätspolitik unter den Bedingungen globaler Konkurrenz“,

DGB Bildungszentrum Hattingen, 12./13. Juni 2008

 

An der Tagung nahmen etwa 40 Personen aus Wissenschaft, Gewerkschaft und NGOs teil.

 

Frank Gerlach begrüßte die TeilnehmerInnen im Namen der Hans Böckler Stiftung und betonte die Aktualität und Relevanz der Thematik der Tagung, insbesondere gelte  es die Gestaltungschancen internationaler Solidarität herauszuarbeiten.

 

Ulrich Mückenberger (Uni Hamburg) leitete die Tagung mit einem Referat ein, das die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Solidarität in die workshops des Hattinger Kreises zum Organisationslernen von Gewerkschaften in den vergangenen Jahren einordnete. Er verwies auf die praktische Konkretisierung dieser Arbeit im Dialogprojekt des HK mit der IG Metall Bremen, das derzeit im zweiten Jahr läuft und erste interessante Ergebnisse verspricht. Unter dem Begriff kosmopolitische Solidarität formulierte er als wichtige Frage an die Tagung: Wie weit ist für Gewerkschaften globale Solidarität möglich, die nicht eurozentrisch argumentiert oder protektionistisch geleitet ist? Wie kann zwischen armen und reichen Ländern ein Interessenausgleich stattfinden, der eine  an den ILO Kernnormen orientierte Durchsetzung von Menschenrechten mit sozialpolitischen Unterstützungsmaßnahmen verknüpft, damit die Kosten letztlich nicht die armen Länder tragen?

 

In der Diskussion zu diesem Referat wurde u.a. auf die Verantwortlichkeit der transnationalen Unternehmen verwiesen, die in die Pflicht genommen und vor allem kontrolliert werden müssten. Dabei sei ein Monitoring unter Beteiligung der Gewerkschaften wichtig. Die Einhaltung der ILO-Kernnormen sei aber nicht nur ein finanzielles Problem, das mit Unterstützungsgeldern zu lösen sei, es gehe auch um Machtbeziehungen in den betroffenen Ländern, in denen Regierungen oder Gerichte (wie in Indien) und sogar einzelne nationale NGOs sich gegen die Implementation der ILO-Normen wenden.

 

Richard Hyman (LSE London) präsentierte zehn Thesen über „Gewerkschaftliche Strategien und Solidaritätspolitik unter globalen Konkurrenzbedingungen“, mit denen er sein schriftlich vorliegendes Referat zusammenfasste (s. Anlage zum Protokoll). Er betonte angesichts der unterschiedlichen gewerkschaftlichen Traditionen und Kulturen die Pfadabhängigkeit von Modernisierungsprozessen in den Organisationen und sah die Entwicklung von strategischen Fähigkeiten der Gewerkschaften in Abhängigkeit von einem komplexen Organisationslernprozess, bei dem die Dialektik von Führung und interner Demokratie eine zentrale Rolle spiele. In diesem Kontext könne ein Verständnis von Solidarität entstehen, das vom Prinzip Gegenseitigkeit trotz Unterschiedlichkeit geprägt werde und zu einer Interessengemeinschaft höheren Entwicklungsgrades führen könne. Eine Alternative zu der alten Form diplomatischer, bürokratisierter und institutionalisierter Solidarität liege in der Einsicht, dass Solidarität die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten einbezieht, die das Bewusstsein unterschiedlicher und partikularer Interessen erweitert, aber nicht beseitigt. Das gehe nur, wenn Arbeitnehmer der Basis aktiv an diesen Prozessen beteiligt würden.

 

In drei Arbeitsgruppen wurden unterschiedliche Facetten der Thematik mit Experte/innen aus den jeweiligen gesellschaftlichen Politikbereichen diskutiert. Die Ergebnisse wurden in Thesenform im Plenum präsentiert und besprochen.

 

AG 1: Ansätze internationaler Solidarität auf Betriebs- und Unternehmensebene

Stefan Rüb und Torsten Müller (FH Fulda) stellten Formen institutioneller gewerkschaftlicher Solidaritätspolitik vor. Sie berichteten über Stand und Erfahrungen der Internationalen Rahmenabkommen (IFA), die Gewerkschaften mit multinationalen Konzernen zur Durchsetzung der ILO Kernnormen vereinbaren sowie über die Praxiserfahrungen der Europäischen Betriebsräte (EBR).

Wilfried Schwetz (Hannover) berichtete über eine erfolgreiche strategische transnationale Kampagne der United Steelworker (USW) gegen Kürzungen der Krankenversicherungsleistungen für Pensionäre bei Continental.

 

Als Ergebnis der Diskussion wurden drei Thesen formuliert:

1. Erfolgsbedingung für internationale Solidarität auf der Betriebs- und Unternehmensebene ist in erster Linie die Schaffung transnationaler Interaktionsräume und Kommunikationsstrukturen, wie sie EBR eröffnen und die IFA fallweise bieten. Die Schaffung solcher Räume und Strukturen ist wesentliche Voraussetzung für die notwendige Vertrauensbildung und für Verständigungs- und Lernprozesse, die auf die Bildung gemeinsamer Identitäten abzielen.

2. Hilfreich ist dafür die Existenz einer europäischen Managementebene als Verhandlungspartner der EBR. Ebenso wichtig sind handlungsfähige Gewerkschaftsstrukturen auf dieser Ebene. Dort, wo sie nicht vorhanden sind, bedarf es der Entwicklung angemessener gewerkschaftlicher Strategien, um sie zu etablieren. Das gilt vor allem auch für die Verhältnisse in den MOE-Ländern, die noch stärker durch asymmetrische Beziehungen gekennzeichnet sind und oft der Unterstützung durch westeuropäische Gewerkschaften bedürfen.

3. Strategische transnationale Kampagnen, die unter Einbeziehung der Beschäftigten und von Akteuren der Zivilgesellschaft von Gewerkschaften getragen oder mitgetragen werden, sind ein zusätzliches Instrument, das zur Zeit noch zu wenig genutzt wird und zu wenig mit institutioneller gewerkschaftlicher Macht verknüpft wird. Für solche Kampagnen müssen mehr Ressourcen bereitgestellt werden. Die Bereitschaft der Gewerkschaften, solche Kampagnen zu unterstützen, muss geweckt werden. Ziel sollte es sein, über transnationale strategische Kampagnen nachhaltige und funktionierende gewerkschaftliche Strukturen dort zu schaffen, wo sie benötigt werden.

 

In der Diskussion dazu wurde vor allem nach nachweisbaren Effekten der durch die EBRs neu geschaffenen Aktionsräume gefragt. Als Indikatoren kämen dafür in Frage die Anzahl gemeinsamer Aktionen, Stellungnahmen oder Projekte, die initiiert wurden. Es wären darüber hinaus mit Fallstudien Identitätsbildungsprozesse zu untersuchen. Für die IFAs wäre zu fragen, ob sich Gremien der Interaktion etabliert haben, ob regionale Kommunikation zugenommen hat und ob das zu Organisationsbildung geführt hat.

 

 

 

 

AG 2: Allianzen und Nahtstellen zur Zivilgesellschaft

 

In dieser Arbeitsgruppe wurden Formen, Chancen und Grenzen der Kooperation zwischen Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen thematisiert.

Am Beispiel der „clean clothes campaign“ (CCC) stellte Ingeborg Wick (Südwind, Institut für Ökonomie und Ökumene, Siegburg) einige Bedingungen für erfolgreiche langfristige Kampagnenzusammenarbeit von 250 Nichtregierungsorgani­sationen, darunter ver.di und IG Metall, aus 12 europäischen Ländern dar. Vorrangiges Ziel der CCC ist die Schaffung von öffentlichem Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen in der globalen Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Entwicklung und Begleitung von Maßnahmen zu deren Verbesserung.

Über Formen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen VertreterInnen der Katholischen Kirche und dem DGB bzw. Einzelgewerkschaften berichtete Hildegard Hagemann (Deutschen Kommission Justitia et Pax, bischöfliche Einrichtung im Themenfeld Entwicklung, Frieden, Menschenrechte mit Arbeitsstrukturen in ca. 170 Ländern). In den letzten Jahren gab es Kooperationen zu Fragen der Informellen Wirtschaft und Menschenwürdigen Arbeit in der globalisierten Welt, gemeinsame Publikationen (Orientierungshilfen, Stellungnahmen, z.B. zur ILO-Heimarbeitskon­vention) sowie ein gemeinsames ‚Exposure- und Dialogprogramm’ mit deutschen GewerkschafterInnen und SEWA (Self-Employed Women’s Association) in Indien.

 

Als Bedingungen für die relativ erfolgreichen Kooperationen in diesen Fällen arbeiteten die Referentinnen und die AG folgende Aspekte heraus:

Kontinuität und Verlässlichkeit der beteiligten Akteure; thematische Schnittmengen in einem ‚unstrittigen Feld’ (absolute Armut, Arbeitsrecht und –bedingungen im ‚Sü­den’); AdressatInnen stehen nicht in Konkurrenz zu Beschäftigten im Norden; hohe Legitimität von Public Awareness-Strategien bzw. von Austausch und Multiplikation.

Differenzen treten z.B. bei der Frage der Durchsetzung und Verbindlichkeit von Normen auf.

 

Aus der Präsentation und Diskussion der Beispiele gingen u.a. folgende Fragen/Themenfelder hervor, die in der AG vertiefend betrachtet wurden:

 

(1)         Motivstrukturen der beteiligten Akteure: Die Positionierung einer Kampagne bzw. einzelner Akteure darin zwischen humanistischen, moralischen, idealisti­schen usw. Werten auf der einen Seite und der Vertretung von (eigenen oder fremden) Interessen auf der anderen Seite kann zu Konflikten führen. Eine Klärung der Motivstrukturen und z.B. des Verständnisses von Solidarität, Parti­zipation usw. ist – gerade auch angesichts unterschiedlicher ‚Sprachen’ – für langfristige Kooperationen notwendig.

 

(2)   Ziele und Strategien: Erhöhung von Problembewusstsein im Norden und Druck auf Unternehmen sind wichtige Etappen, die relativ konfliktfrei gemein­sam mit anderen Akteuren gestaltet werden können. Bei weitergehenden Ansätze (z.B. Kodifizierung) und deren Implementierung sind Differenzen kaum vermeidbar.

 

(3)   Advocacy beinhaltet die Vertretung der Interessen von Menschen, die diese nicht artikulieren (können). Beide Organisationen verfolgen eine advocacy-Politik für Menschen des Südens.

Welche Wirkungskraft können Formen der Zusammenarbeit und Kampagnen haben, deren Entscheidungszentrum im Norden liegen und die den Partnern im Süden nur wenig Raum für Partizipation geben?

Wie sind Solidarität und Partizipation möglich, wenn die Bedingungen dafür, z.B. Koalitionsfreiheit, (noch) nicht existieren?

 

 

AG 3: Formen transnationaler Gewerkschaftspolitik

In dieser Arbeitsgruppe ging es um unterschiedliche Ansätze transnationale Solidaritätspolitik.

Holger Bartels (IG BAU) stellte die Projekte seiner Organisation zu: „Faire Saisonarbeit“; „Transparenz in Agrarentlohnungssystemen“ (über eine website und gewerkschaftliche Unterstützung bei Klagen) und den im Anfangsstadium begriffenen Dialog mit türkischen und ägyptischen Agrargewerkschaften vor.

Emilija Mitrovica (ver.di, Hamburg) präsentierte die Arbeit der Anlaufstelle für MigrantInnen ohne feste Aufenthaltserlaubnis („Papierlose“).

 

Als Ergebnis der AG lassen sich die folgenden Thesen formulieren.

1. Gewerkschaftliche Unterstützung für MigrantInnen bedarf muttersprachlicher

BeraterInnen.

2. Überwunden werden müssen starke Widerstände im gewerkschaftlichen Apparat, weil sich solche Aktivitäten nicht kurzfristig rechnen.

3. Das Eigeninteressen der Gewerkschaften, gegen Dumpinglöhne und entsprechende Arbeitsbedingungen vorzugehen, muss in den gewerkschaftlichen Gremien und mit den Mitgliedern noch stärker kommuniziert werden.

4. Das wichtigste gewerkschaftliche Organisationspotential in der Zukunft sind (neben der Jugend) Frauen und MigrantInnen, weil sie  über ihren diskriminierenden Status und die unzureichende Entlohnung tendenziell mobilisierbar sind.

 

Hinrich Oetjen (Schifferstadt) berichtete von den Versuchen, den Aufbau  gewerkschaftlicher Organisationen in  Kroatien und Bosnien von westeuropäischer Seite zu unterstützen. In diesen Fällen zeigte sich deutlich, dass das Überstülpen fremder Modelle von Gewerkschaftsorganisation gescheitert ist. Die Pfadabhängigkeit setzt sich durch. Insbesondere in Bosnien hat die ethnische Zersplitterung den Gewerkschaftsaufbau entscheidend torpediert, auch weil ein Minimum an funktionierender Ökonomie und Rationalität in den Abläufen nicht gegeben war. Deshalb bestimmen überwiegend Clanstrukturen die Entwicklung. Bemerkenswert sei, dass sich in diesen Prozessen Frauen als mutiger und weniger korrupt als Männer erwiesen hätten.

 

In der Diskussion wurde auf die massiven Vorurteile in Gewerkschaften gegenüber den etwa 1-3 Mio. Papierlosen hingewiesen („Lumpenproletariat“) und dafür plädiert, nicht nur auf advokatorische Strukturen zu setzen, so mühsam das auch sei. Kritisch  wurde auch angemerkt (im Hinblick auf die Aktivitäten der IG BAU), dass die Integrationskampagnen erst gestartet wurden, als die protektionistischen Strategien nicht mehr funktionierten. Wichtig sei in jedem Fall, die Organisationen aus den Entsendeländern einzubeziehen (was im Falle der IG BAU aber auch weitgehend geschieht). Schließlich ginge es immer darum, das Verhältnis von Eigeninteresse (Standorterhaltung) und Solidarität intensiv zu kommunizieren.  

 

An die Diskussion der Arbeitsgruppenergebnisse schloss sich das Referat von Thomas Greven (FU Berlin): „Gewerkschaftliche Solidarität unter globalem Konkurrenzdruck“ an.

Der Referent ging von der Frage aus, ob es für gewerkschaftliche Solidarität globale gesetzliche Grundlagen geben solle, also sanktionsbewehrte Regulierungen, die die Einhaltung der grundlegenden Arbeitnehmerrechte (ILO-Kernnormen) in Form von „hard law“ gewährleisten. Er bejahte diese Frage. „Soft law“ in Form von Codices (Codes of Conduct, CSR etc.) reiche nicht aus, um die grundlegenden Rechte wie Vereinigungsfreiheit, Recht auf Kollektivverhandlungen etc. angesichts der eingeschränkten Überlebens- und Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften in vielen Ländern (z.B. USA, aber auch einige OECD-Länder, zu schweigen von vielen Ländern der 3.Welt) zu sichern. Codices seinen zahlenmäßig marginal, meist nur in europäisch dominierten Unternehmen eingeführt und nicht kontrolliert. Bei unkooperativen Konzernen sei gesellschaftlicher Druck alleine nicht wirksam, da dieser nicht dauerhaft immer wieder mobilisierbar sei.

Allerdings müsse man sich klar sein, dass auch sanktionsbewehrter Schutz  die Nord-Süd Konkurrenz kaum nivellieren wird. Immerhin werde die ruinöse Süd-Süd Konkurrenz vermindert. Dadurch könnten in der Folge sogar Produktivitätsforschritte erzielt werden, weil Konkurrenz nun über Qualität und nicht mehr über die Kosten allein stattfinde.

Die OECD Gewerkschaften müssten den Protektionismus-Vorwurf ernst nehmen und einen Interessenausgleich organisieren, eine Art „Global New Deal“, vor allem durch Öffnung der Agrarmärkte. Damit könnte die Dynamik der Kommodifizierung („das alles zur Ware wird“) unterbrochen werden.

Den Einwand, es werde zuviel von Regeln erwartet, wies der Referent zurück. Regeln ermöglichten den lokalen Akteuren das Überleben angesichts ausgeübter Repressionen. Standards müssten allerdings erkämpft werden. Die institutionelle Absicherung muss sich auf die Mobilisierungsbereitschaft verlassen können. Diese Dialektik von Institution und Mobilisierung sei sehr wichtig. Hinzu komme die Notwendigkeit der Veränderungen in der politischen Kultur. Regeln funktionierten nur, wenn Institutionen auch von der Gegenseite akzeptiert würden (Stichwort „voluntary compliance“).

Solche Regelsysteme können aber nicht länger nur betrieblich oder national etabliert werden, sonst schützen sie nur in protektionistischer Weise die Kernbelegschaften gegen die Peripherie. Die Frage ist, wie kann man die Regeln international durchsetzen, wie kann ein Global New Deal verhandelt werden. Hier ist die internationale Gewerkschaftsdiplomatie angesprochen, aber auch die Arbeiterparteien sollten mit ins Boot geholt werden. Trotzdem werden Verhandlungen und Lobbying alleine nicht ausreichen, eine transnationale Mobilisierung als Angriff auf die Vormacht des Kapitals ist unausweichlich. Die strukturelle Macht der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften ist immer noch da, auch wenn die organisatorische und institutionelle Macht geschwächt ist. Das globale Kapital ist besonders in seiner Form als Einzelunternehmen durchaus anfällig für Kampagnen, vor allem wenn vorweg gründliche strategische Analysen vorgenommen wurden.

Entscheidend ist der politische Wille, Spielräume auszunutzen. Die notwendige Überwindung wechselseitigen Misstrauens kann im Erleben von Kampagnen ebenso geschehen wie in der Kooperation Europäischer Betriebsräte und in der Erprobung gesellschaftlicher Allianzen. Erfolge sind immer identitätsstiftend und können eine organische Solidarität befördern, die letztlich basale Rechte durchsetzt.

 

In der Diskussion wurde angemerkt, dass es vor allem auf die Effektivität der Normen ankomme, deswegen sollte auch soft law eingesetzt werden, wo man zu vertretbaren Ergebnissen komme. Auch reichten die ILO-Kernnormen nicht sehr weit, nur durch Normativität sei die Veränderung der Realität nicht zu erreichen. Bei der Begründung für globale Regelungen stünden sich das Konkurrenzargument (Standortsicherung) und die Durchsetzung universeller Werte, hinter denen oft nationale Kulturen stünden, gegenüber.

 

Der Referent verwies zur Begründung sanktionsbewehrter Schutzmechanismen darauf, dass für Arbeitnehmerrechte genauso verfahren werden sollte wie bei intellectual property rights, die inzwischen freiwillig befolgt oder von der WTO sanktioniert werden. Im Kern komme es darauf an, mit solchen Regulierungen Repression zu vermindern und zu ermöglichen, dass sich Betroffene wehren könnten. Angesiedelt werden könnten Sanktionsverfahren  auch hier bei der WTO.

 

Schließlich wurde argumentiert, dass mit der zunehmenden Industrialisierung in den Schwellenländern die Hoffnung auf Entwicklung einer durchsetzungsfähigen Arbeiterbewegung verbunden sei, die durch global wirkende Regelungsmechanismen unterstützt werden könne.

 

In der Abschlussdiskussion wurden Vorschläge für die Weiterarbeit des HK gesammelt und der Vorbereitungsgruppe zur weiteren Erörterung übergeben.

 

Demnach sind weiter zu behandelnde Themenkomplexe

1.      Formen transnationaler strategischer Kampagnen

2.      Formen institutioneller gewerkschaftlicher Solidarität

3.      Transnationale institutionelle Verbindungen

4.      Transnationale Gewerkschaftsfusionen

5.      Das Verhältnis von Universalisierung und Protektionismus

6.      Die Bedeutung von Konkurrenzbeziehungen im Süd-Süd Verhältnis und zwischen Nord und Süd

7.      Advokatorische Politik als Stellvertreterpolitik und/oder Empowerment

8.      Das Augenmerk nicht nur auf prekäre/marginale Schichten richten, sondern auch auf die Auswirkungen der Globalisierung auf hochqualifizierte Arbeitnehmersektoren und auf das dortige Organisationspotential

9.      Systematische Klärung des Verhältnisses von hard law und soft law

 

In Zukunft sollte der HK in diesem Bereich weitere vertiefende Tagungen/Workshops anbieten und dabei noch stärker gewerkschaftliche Funktionäre als ReferentInnen und TeilnehmerInnen gewinnen. Dazu sollte die Thematik der Veranstaltungen wieder verengt werden, um die Teilnahme für solche ExpertInnen attraktiv zu machen. Die Möglichkeit praktisch unterstützender Aktivitäten des HK ist auch auf diesem Gebiet zu erwägen (in Anlehnung an das Dialogprojekt Bremen, das demnächst auf den Prüfstand gestellt werden soll).

In Aussicht genommen wird die Publikation geeigneter Beiträge dieser Tagung und der vorbereitenden Workshops, beispielsweise als WSI Sonderheft (Ulrich Mückenberger wird mit Gudrun Linne Kontakt aufnehmen).

 

                                                                                  Protokoll: Eberhard Schmidt

Bremen,15.6.08

ANLAGE

 

Richard Hyman

 

Gewerkschaftliche Strategien und Solidaritätspolitik unter globalen Konkurrenzbedingungen

 

Einleitung

Fast überall, in  Europa wie auch auf globaler Ebene, sind Gewerkschaften in der Defensive: Sie haben an Mitgliedschaft, öffentlichem Status und der Wirksamkeit im Erreichen ihrer Kernziele eingebüßt, und es gibt eine weitverbreitete Diskussion über die Notwendigkeit einer Modernisierung, Revitalisieruing und Erneuerung (Hälker/Vellay 2006). Dabei haben  formelle Organisationsbeziehungen wie auch die informelle Vernetzung auf europäischer Ebene dazu beigetragen, dass Gewerkschaftsführungen zunehmend Erfahrungen in anderen Ländern Aufmerksamkeit schenken

Gewerkschaften entwickelten sich im 20 Jh. als natilonale Akteure. Als Tarifpartei fanden sie ihre Hauptrolle auf der nationalen (Branchen-  oder branchenübergreifenden) Ebene. Als ‚Sozialpartner’ war es ihr Hauptanliegen, auf die  makroökonomische Politik und die Sozialpolitik der nationalen Regierungen Einfluss zu nehmen. Voraussetzung für ihre Effektivität in beiden Rollen war, dass ihre Gegenspieler – Unternehmensverbände und der Staat – relative Autonomie bei der Gestaltung der Lohnverhältnisse (wage relation) hatten. Die zunehmende Integration der globalen, insbesondere aber der Europäischen Wirtschaft stellt diese Autonomie in Frage.

Viele Beobachter haben ‘Globalisierung’ (oder im engeren Sinne; ‘Europäisierung) als eine gleichsam ‚von oben’ kommende Herausforderung gesehen, die den Spielraum für die Arbeitsregulierung auf nationaler Ebene einschränkt und daher die Regelungsmacht der Gewerkschaften selbst untergräbt. Das Unvermögen, Verbesserungen in den Reallöhnen und Sozialleistungen zu erreichen, die Teil der normalen Erwartungen der Beschäftigten geworden waren, wird daher als Grund für den Mitglieder- und Statusverlust angesehen.

Andere haben diese Betrachtungsweise freilich in Frage gestellt. Globalisierung ist ein Begriff der typischerweise „vage und undefiniert bleibt, besser geeignet, die Vielfalt der Mächte heraufzubeschwören, welche die entwickelten industriellen Länder anscheinend ähnlichen unabweisbaren Zwängen unterworfen haben“ (Schmidt 2002: 13). Dagegen spricht allerdings, dass sich einige der (nach herkömmlichen Kriterien) erfolgreichsten Gewerkschaftsbewegungen in relativ kleinen offenen Ökonomien finden. Ein gewichtiger Teil der Literatur hebt darauf ab, dass ‘Globalisierung’ gleichermaßen ein politisches und wirtschaftliches Phänomen und dass der Abgesang auf den Nationalstaat ein Mythos ist (Weiss 1998). Aus dieser Perspektive ist es keineswegs unvermeidlich, dass Erfolge, die Gewerkschaften in früheren Zeiten erzielt haben. rückgängig gemacht werden. Dies ist ein zentraler Teil der These, die Western (1998) in seiner wichtigen Studie entwickelt: Gewerkschaften haben Erfolg, wo sie von den Marktkräften ‚institutionell abgeschirmt’ werden (durch staatliche, nachfrageorientierte Politiken, durch institutionelle Unterstützung der Reichweite von Tarifvereinbarungen, und/oder eine formelle Funktion in der Sozialverwaltung). Wo Gewerkschaften bereits relativ stark sind, sind sie am besten in der Lage, ihren Einfluss auf staatliche Politiken aufrecht zu erhalten, um so die schädlichen Auswirkungen der ‚Globalisierung’ in Grenzen zu  halten. Dieser Interpretation nach wird sich der Abstand zwischen ‚starken’ und ‚schwachen’ Gewerkschaftsbewegungen wohl ausweiten, sodass eher die Verschiedenartigkeit  als die Konvergenz zunehmen wird. Als Folge wird der Druck der externen Herausforderungen, denen sich Gewerkschaften gegenüber sehen, zwischen den Staaten variieren, eben weil sie durch politische Entscheidungen vermittelt werden.

Sicherlich steht als reales Problem hinter dem Globalisierungsdiskurs, dass die Frage der ‚Wettbewerbsfähigkeit’ zu einer ersten Priorität für Gewerkschafter geworden ist. Standortsicherung ist zu einem vorrangigen Prinzip geworden, da standortgebundene Arbeitnehmer zunehmend gezwungen sind, mit Arbeitnehmern anderer Standorte (und Länder) zu konkurrieren - ein Prozess, der mit Bedacht von transnationalen Unternehmen gefördert wird. Gewerkschaften in den meisten Ländern haben den höchsten Organisationsgrad und auch ihre höchste Repräsentativität im Zuge der Ausbreitung großer ‚fordistischer’ Industriebetriebe sowie zentralisierter öffentlicher Dienstleistungen erreicht. In dem einen Bereich entzogen branchenweite Tarifverträge die Löhne dem Wettbewerb und gaben den Unternehmen (zumindest Teil-) Garantien für den Arbeitsfrieden. In dem zweiten Bereich. hatten die öffentlichen Arbeitgeber oft politische Gründe, die kollektive Interessenvertretung zu fördern. Typisch war auch, dass die Stärke der Gewerkschaften ihre Basis unter männlichen Arbeitern in Vollzeit-Beschäftigung und mit mehr oder weniger dauerhaften Verträgen hatte. Oft bildeten die Gewerkschaften die zentralisierten, bürokratischen Strukturen der Unternehmen ab, in denen ihre Mitglieder beschäftigt waren. Dabei förderte die Herstellung von Solidarität unter einer Arbeitnehmerschaft mit geringen individuellem Aufstiegschancen ein standardisiertes, ‚gemeinsames Regelwerk’ (common rule) der Arbeitsverhältnisse.

            Strukturveränderungen der Arbeitgeber- wie auch der Arbeitnehmerseite haben die herkömmlicchen Regulierungsprozesse von unten her in Frage gestellt. Kürzungen öffentlicher Ausgaben, in einigen Ländern eine extensive Privatisiering haben die Größe früherer Kernbereiche des öffentlichen Diensts  vermindert. Die durchschnittliche Größe privater Unternehmen ist zurückgegangen (zum Teil auch aufgrund der Mode des Outsourcing von Aktivitäten, die früher im Unternehmen betrieben wurden), und kleinere Unternehmen weisen in der Regel einen geringeren gewerkschaftlichen Organisationsgrad auf und sind auch weniger geneigt, sich Arbeitgeberverbänden anzuschließen oder tarifvertragliche Regelungen einzuhalten. Zugleich suchen aber selbst große private Arbeitgeber, unternehmensspezifische Regelungen der betrieblichen Organisation und der Beschäftigungsbedingungen zu entwickeln, indem sie entweder die  Mitgliedschaft in ihren Verbänden aufkündigen oder auf einem zweistufigen Verhandlungssystem bestehen, in welchem dezentrale Verhandlungen das Übergewicht erlangen. Im Zusammenhang dieser Tendenzen lässt sich überall eine relative Abnahme des Industriesektors und das Wachstum der privaten Dienstleistungen beobachten, die in den meisten Ländern in der Vergangenheit nur eine schwache gewerkschaftliche Organisation aufwiesen. Insgesamt ist die Struktur der Arbeitgeber, die ein nationales standardisiertes System industrieller Beziehungen stützte, einem „postfordistischen“ Muster gewichten, welches, wie häufig behauptet wird, ein stärker diversifiziertes und fragmentiertes System voraussetzt, oft ohne jegliche Tarifvereinbarungen.

Die gleichzeitigen Veränderungen in der Arbeitnehmerschaft sind teils das Ergebnis, teils eine Spiegelung verschiedener Dynamiken. Weltweit sind heute Angestellte gegenüber Arbeitern in der Mehrzahl. In fast allen Ländern waren erstere traditionell weit weniger in Gewerkschaften organisiert als letztere. Dies lag in einem gewissen Masse daran, dass individuelle Aufstiegschancen die Entfaltung eines Kollektivbewusstesins behinderten, aber auch daran, dass viele Gewerkschaften Bedenken hatten, Berufsgruppen zu organisieren, die als arbeitgeber-nahe angesehen wurden. Unter den Arbeitern hat die berufliche Differenzierung zugenommen und tatsächlich hat sich die Grenze zwischen Arbeitern und Angestellten sowohl formell wie auch tatsächlich zunehmend verwischt. Das Wachstum der nicht-manuellen Berufe ist eng mit der Femininisierung der Arbeitnehmerschaft verbunden, und viele Gewerkschaftsbewegungen haben es in der Vergangenheit nicht geschafft oder oft gar nicht ernsthaft versucht, Frauen als Mitglieder zu gewinnen und zu vertreten. In gewissem Masse ist damit ein anderer Prozess verknüpft: das Wachstum der Teilzeitbeschäftigung. Weitere, zunehmend verbreitete Formen ‚atypischer Beschäftigung’ schließen befristete Verträge, Leiharbeit und selbständige Beschäftigung ein und damit wiederum Gruppen, die in den meisten Ländern traditionell nicht gewerkschaftlich organisiert waren. In vielen Fällen hat auch die ethnische Vielfalt der Arbeitnehmerschaft zugenommen, und Minderheiten wurden oft von Gewerkschaften vernachlässigt.

In Verbindung mit diesen Veränderungen der Beschäftigung wird oft behauptet, dass die Arbeitnehmer in ihren Orientierungen individualistischer geworden seien, oder mit anderen Worten, dass die Bedeutung der Arbeit für die Ausbildung der persönlichen Identität abgenommen hat. In dem Maße, wie grundverschiedene persönliche Lebenswelten die Erwartungen und Ansprueche der Arbeitnehmer an die Arbeit prägen,  vermindern sich auch die Chancen, dass ein standardisiertes gemeinsames Regelwerk für befriedigend gehalten wird.  Wie Björkman (2006,330)  schreibt, „gibt es keine Durchschnittsmitglieder mehr.“ Dies hat für viele Beobachter zur Konsequenz, dass Solidarität nicht mehr möglich ist, oder zumindest nicht mehr in der herkömmlichen, von den meisten Gewerkschaften herkömmlich definierten Weise aufrecht erhalten werden kann.

Auch wenn die oben skizzierten Tendenzen sich über die Ländergrenzen verbreitet haben, zeigen sich doch nationale Unterschiede des Maßes, in dem sich die ökonomische und Beschäftigungsstruktur verändert hat. Zudem unterscheidet sich  auch beträchtlich die Art und Weise, wie Gewerkschaften solche Tendenzen erfahren und bewerten. Locke und Thelen (1995) haben die These aufgestellt, dass die Bedeutung scheinbar ähnlicher Herausforderungen in erheblichem Masse je nach nationalen Bedingungen und Traditionen variiert, während zugleich scheinbar unterschiedliche Herausforderungen dieselben Implikationen haben können. Genauer: Die Geschichte der unterschiedlichen nationalen Identitäten von Gewerkschaften bestimmt die Themen, die konfliktträchtig sind, wie auch die, die es nicht sind. So hat sich in den USA in den Auseinandersetzungen der 1930. und 1940er Jahre ein System ausgebildet, das rigide Job-Definitonen und eine verbindliche, auf der Betriebszugehörigkeit gegründete Hierarchie von Aufstiegschancen und Beschäftigungssicherheit einschloss; dies hat zur Folge, dass der Forderungen der Arbeitgeber nach flexibleren Formen der Arbeitsorganisation in einer Weise Prinzipien der gewerkschaftlichen Politik in Frage stellen, wie dies in den meisten europäischen Ländern kaum seinesgleichen hat. Dagegen treten in Deutschland die Forderungen nach einer flexibleren Gestaltung der Arbeitszeit und nach einer Verbetrieblichung der Festlegung  der Löhne in Widerspruch zur institutionellen Rolle und Grundidee des Flächentarifvertrags. Umgekehrt bildete das Gleichheitsprinzio sowohl in Schweden als in Italien ein zentrales Element gewerkschaftlicher Identität, wenn auch in unterschiedlicher Weise; die Forderungen nach zunehmender Lohnspreizung innerhalb und zwischen den Branchen in dem einen Fall, die nach der Beseitigung der scala mobile im anderen, hatten Konflikte zur Folge, die in anderen nationalen Kontexten kaum aufgetreten wären.

Diese These zeigt Parallelen zu meinen eigenen Überlegungen zu gewerkschaftlichen Identitäten und Ideologien, die jeweils Markt, Klasse und Gesellschaft zueinander in Beziehung setzen (Hyman 2001). Gewerkschaften, die ihr Dasein vor allem aus der Kontrolle des Arbeitsmarkts durch Lohnverhandlungen mit den Arbeitgebern (wie in Grossbritannien) begründen, werden empfindlicher auf eine Erosion der ökonomischen Verhandlungsmacht reagieren als jene Gewerkschaften (wie in Frankreich),  die stärker darauf ausgerichtet sind, durch Mobilisierung der Arbeitnehmer, ob Mitglieder oder nicht, die Regierung dazu zu bewegen, Mindestlöhne und Sozialleistungen zu verbessern. In langer Geschichte ausgebildete Identitäten prägen auch die wahrscheinlichen Verlaufsformen gewerkschaftlicher Erneuerung: Gewerkschaften werden kaum ihre herkömmlichen Definitionen ihres Charakters und ihres Zweckes über Bord werfen; sie werden sich eher in selektiver Weise anpassen und Mitglieder und Funktionäre zu überzeugen suchen, dass die Veränderungen im Einklang mit grundsätzlichen Werten und Zielen früherer Generationen bleiben. Aus diesem Grunde ist der Verlauf von Prozessen der ‚Modernisierung’ mit hoher Wahrscheinlichkeit pfad-abhängig.

Der Kapitalismus befindet sich in einem ständigen Prozess der Restrukturierung und Transformation: Wie Marx schrieb, verlangt das Überleben des Kapitalismus „die  fortwährende Umwälzung der Produktion, ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung.... Alle festen eingerosteten Verhältmisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst“. Allerdings können wir in der Geschichte von relativer Stabilität geprägte Perioden und Perioden radikaler Umstruklturierung ausmachen. Gegenwärtig befinden wir uns deutlich in einer Phase systemischer Transformation, und in solchen Zeiten nehmen Gewerkschaften typischerweise die Rolle von Feuerwehren an, indem sie verzweifelt auf die Infragestellung der herkömmlichen  „industriellen Legalität“ (wie Gramsci es nennt) reagieren. Typisch auch, dass sie dies in einem strategischen Vakuum tun.

Gibt es eine Alternative? Meine These ist, dass Gewerkschaften ihr Verständnis von Solidarität neu definieren, in der Tat neu erfinden müssen, und um dies zu tun, wieder- entdecken müssen, wie sie proaktiv und strategisch handeln können. Beides: Solidarität und Strategie sind viel gebrauchte und missbrauchte Worte, aber ihre Bedeutungen sind komplex und schwer zu fassen. Im Folgenden einige Überlegungen zu beidem.

 

Wie können Gewerkschaften strategisch handeln?

Der Begriff der Strategie wird oft sehr lax benutzt. Seiner sprachlichen Herkunft ist es eine militärische Metapher, die aus dem Griechischen, auf Feldherren bezogen, hergeleitet wird: Strategie bezeichnet die Planung eines ganzen Feldzugs oder eines Kriegs im Gegensatz zur Taktik, die in einem einzelnen Gefecht angewandt wird. Dies verlangt deutlich eine Langzeitperspektive ebenso wie eine effektive Gesamtkoordination - auch wenn sicherlich Uneinigkeit über den Charakter und Dauer von Feldzügen bestehen wird, in denen sich Gewerkschaften engagieren, und wohl auch darüber, ob industrielle Beziehungen in Analogie zum Krieg betrachtet werden können.

Der wörtliche Ursprung weist auch darauf hin, dass Strategie eng mit Führung verknüpft ist. Letzteres ist ein Begriff, der jenen, die sich für die gewerkschaftliche Demokratie einsetzen, oft Unbehagen bereitet. Michels zog den berühmten Schluss:„Wer von Organisation redet, spricht von Oligarchie.“ Gewerkschaftliche Demokratie verlangt für alle Gruppierungen unter den Mitgliedern deutlich einen angemessenen Spielraum, die Prioritäten und Programme ihrer Organisationen zu gestalten. Sie verlangt auch angemessene Strukturen für Beteiligung, Engagement und Selbsttätigkeit der einfachen Mitglieder. Freilich scheint Basis- Selbstbestimmung allein, wie Streeck (1988:312) feststellt, eher als Rezept für eine „pluralistische“ Vielheit kleiner kollektiver Handlungseinheiten auf schmaler Basis, die miteinander um Organisationsressourcen und politischen Einfluss konkurrieren und denen es an der Fähigkeit mangelt , „die makro-ökonomischen Ergebnisse ihres Handelns in Betracht zu ziehen und zu kontrollieren.“

Die zerstörerische Konkurrenz, die die Folge einer rein dezentralisierten Demokratie ist, kann nur vermieden werden, wenn sie durch Koordination von oben vermittelt werden – dies wird unten weiter erläutert.  Wirksame Politik von Gewerkschaften verlangt, „die Fähigkeit, die Forderungen der Vertretenen zu interpretieren, zu dechiffrieren, zu stützen und neu zu definieren, um Konsens und Zustimmung auf breitest möglicher Ebene zu schaffen.“ (Regalia 1988: 351). Dies ist eine der Funktionen der Führung, die daher auch eine Voraussetzung dafür ist, dass partizipative Demokratie vorteilhafte Ergebnisse zeitigt. Wie Barker u.a. (2001: 15-17) hervorheben, ist es von entscheidender Bedeutung, zwischen autoritärer und autoritativer Führung und zwischen Führung als Hierarchie und als Prozess oder Funktion zu unterscheiden: „Führung wird auf allen Arten von Ebenen und Orten ausgeübt  ... und nicht nur von jenen, die offensichtlich als „Führer“ bestimmt sind.“. In diesem Zusammenhang ist Gramscis Begriff des „organischen Intellektuellen“ von Bedeutung: Basis-Aktivisten  können eine Breite von Information und analytischer Fähigkeit entwickeln, welche sie von ihren Kollegen unterscheiden, ohne eine Distanz schaffen. Daher kann und muss es eine komplexe dialektische Beziehung zwischen Führung und Demokratie geben.

Eine der gehaltvollsten Untersuchungen der strategischen Fähigkeit von Gewerkschaften  im Sinne einer solchen Dialektik ist die Studie von Ganz (2000) über die gewerkschaftliche Organisierung der kalifornischen Landarbeitern in den 1960ern. Die United Farm Workers (UFW) verfügten nur über begrenzte Ressourcen, konnten dies aber durch „Einfallsreichtum“ („resourcefulness“), wie Ganz es nennt, kompensieren. Dieser Einfallsreichtum nährte sich aus der Wechselbeziehung zwischen den persönlichen Qualitaten des Führungsteams der UFW und den Binnenstrukturen der gewerkschaftlichen Organisation (Faktoren, die, wie man ergänzen möchte,  oft eine kausale Verbindung miteinander aufweisen). „Strategisches Denken ist reflexiv und phantasievoll und hängt davon ab, wie die Führer es gelernt haben, über die Vergangenheit zu reflektieren, der Gegenwart Aufmerksamkeit zu schenken und die Zukunft vorwegzunehmen.“ (2000: 1009). Solch kreatives Denken ist wesentlich kollektiv. Es entwickelt sich am ehesten, wenn es ein Führungsteam mit unterschiedlichem Hintergrund und mit einer Spannbreite von Organisationserfahrungen gibt, und ist wenig wahrscheinlich, wo es eine homogene Führungsgruppe gibt, die tief in bürokratische Rutinen eingebettet ist. Die Organisationsmerkmale, die Ganz identifiziert, sind: „ abgewogene Übereinkünfte (deliberative arrangements), Ressourcenfluss und Verantwortlichkeits- und Rechenschaftsstrukturen“ (2000: 1007). Der Spielraum für erfolgreiche strategische Initiativen vergrößert sich, wo es effektive Kanale des horizontalen und vertikalen Dialogs über Ziele und Methoden,  mit demokratischem Engagement sowohl der Funktionäre als auch der Basis gibt, und wo allgemein anerkannt ist, dass die Effektivität der Gewerkschaft letztlich von der Bereitschaft der Mitgliedschaft zu zahlen und zu handeln abhängt (Offe/ Wiesenthal 1985). Dieser Punkt wurde auch von Heery (2005) in Grossbritannien und von Milkman in den USA (2006: 152-3) hervorgehoben: Erfolgreiche Organisierung erfordert eine Verknüpfung von „Top-Down“ und „Bottom-Up“- Ansätzen.

Gewerkschaften sind Kollektivorganisationen, und Befunde der Strategieanalyse innerhalb (typischerweise kapitalistischer) Organisationszusammenhänge sind daher mindestens potentiell auch für Gewerkschaften von Bedeutung. Der Begriff des Organisationslernens hat in den letzten drei Jahrzehnten  wachsende Aufmerksamkeit in der Managementliteratur gefunden. Man mag einige der Annahmen in Frage stellen, die diesem Konzept zu Grunde liegen: nicht nur, ob (wie weiter unten zur Diskussion gestellt) Organisationen einheitliche Akteure sind, sondern auch, ob oder in welchem Sinne Organisationen als solche überhaupt handeln. Es ist klar, dass innerhalb Organisationen gehandelt wird, and zwar von Individuen und Gruppen im Namen von Organisationen, die dabei typischerweise Organisationsressourcen einsetzen. Aber diese sozialen und politischen Prozesse werden dadurch  mystifiziert, dass der seinem Wesen nach menschliche Prozess des Handelns (oder, spezifischer: des Lernens) abstrakteren und unpersönlichen Einheiten zugeschrieben wird. Wie auch immer – Organisationen sind klar Kontexte, in denen Lernprozesse stattfinden können, und die Effektivität von Organisationen kann wohl von der Fähigkeit ihrer  Mitglieder abhängen, kollektiv angemessene Antworten auf neue Herausforderungen zu erlernen – und, in diesem Prozess, wie weiter unten erläutert, Antworten zu entlernen, die nicht mehr angemessen sind.

Huber (1991) gibt eine nützliche Übersicht über die neuere Managementliteratur und identifiziert dabei vier Dimensionen des Organisationslernens. Die erste ist der Erwerb neuen Wissens, die zweite dessen Verbreitung und Verallgemeinerung innerhalb der Organisation, denn „Organisationen wissen oft nicht, was sie wissen“ (1991: 100). Wenn Information und Erfahrung zwischen einer Vielfalt von Individuen und Gruppen fragmentiert ist, ohne übergreifende Koordination, ist ihr Potential radikal gemindert. Eine dritte Dimension ist die Interpretation des Wissens: Sinn, und zwar unvermeidlich selektiv, in die zunehmende Informationsüberlastung zu bringen. Schließlich ist das Organisationsgedächtnis wichtig, wenn nützliches Lernen nicht verloren gehen soll. Alle vier Dimensionen haben offensichtliche Bedeutung auch im Zusammenhang von Gewerkschaften.

Von Bedeutung sind auch Unterscheidungen zwischen verschiedenen Typen oder Ebenen des Lernens. Bateson (2000: 167-9, 274) unterscheidet zwischen dem „Proto-Lernen“ ersten Grades und dem „Deutero-Lernen“ zweiten Grades. Beim ersten  löst ein Individuum Probleme durch Versuch und Irrtum; auf der Basis von Erfahrung wird die richtige Lösung auch ohne Notwendigkeit des Experiments angewandt. Beim zweiten lernt das Individuum die Art und Weise, wie zu lernen, und ist in der Lage, schneller Lösungen für neue Probleme zu erfinden. Während Bateson’s  Analyse auf dem Tier- (und individuellem menschlichen) Verhalten basiert, ist eine ähnliche Unterscheidung von Argyris und Schön (1974) auch im Kontext von Wirtschaftsorganisationen getroffen worden. Sie unterscheiden zwischen ‚single-loop’-Lernen und ‚double-loop’-Lernen. Der erste Typ bezeichnet das Lernen, etablierte Verfahrensweisen anzuwenden; der zweite, diese Prozeduren kritisch zu überprüfen. Organisationspolitiken machen letzteres normalerweise schwierig, weil  nur Personen, welche in der alltäglichen Organisationspraktiken stecken, Politiken und Verfahrensweisen, die von denen in Machtpositionen verteidigt werden, in Frage stellen können: e.ist immer sicherer still zu halten. Daher bestärken normale Organisationsprozesse die Untergebenen darin, Zweifel zu unterdrücken und Informationen zu verheimlichen und so ‚single-loop’- Lernen zu verstärken: „double-loop’- Lernen entwickelt sich dagegen am ehesten nur unter „extremen Krisenbedingungen“ (Argyris 1976: 373)

Ein großer Teil der späteren Literatur zum Organisationslernen behandelt die Frage, wie Hindernisse des Lernens zweiten Grades überwunden und positive Anreize geschaffen werden können. Nonaka (1994) weist auf zwei Kernfragen hin: wie erstens die Kenntnisse von Individuen in einer Organisation generalisiert und sozialisiert werden können und zweitens, als übergreifendes Problem: wie intuitives und nicht explizit artikuliertes Wissen explizit gemacht werden kann. Es ist notwendig - so Teil seiner Antwort – ‚Interaktionsgemeinschaften’ (‚interaction communities’) zu schaffen, die den Individuen dazu verhelfen, auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens Erfahrungen zu teilen, so dass unterschiedliche Verständnisweisen zu einem kohärenten Ganzen zusammengefügt werden. Wie geht das? Eine Antwort besagt, dass eine  Krise für eine Organisation ein ‚kreatives Chaos’ schaffen kann, das seinerseits soziales Lernen anregt. Eine andere Antwort lautet, dass Individuen, die über einen Überschuss (‚Redundanz’) an Informationen verfügen, diesen auf innovative Weise integrieren. Eine dritte Antwort besagt, dass Personen in den mittleren Positionen in der Organisation Kommunikation nach oben und nach unten fördern. Schließlich regt er an, solche Prozesse – in Analogie zur Computer-Software – durch den Aufbau einer “Hypertext“-Struktur zu erleichtern, welche der Organisation  die strategische Fähigkeit verschafft, kontinuierlich und stets aufs Neue neues Wissen zu erwerben, herzustellen, auszunutzen und anzuhäufen. Dazu sind nicht-hierarchische Institutionen erforderlich, welche die hierarchischem Arrangements, die Rutineaktivitäten steuern, ergänzen.

Können solche Ansätze auf Gewerkschaften angewandt werden, und wenn, wie? Zoll (2003) hat Bateson’s Kernunterscheidung auf „Gewerkschaften als lernende Organisationen“ übertragen und weiterentwickelt. Indem diese auf spezifische herausforderungen reaktiv antworten, zeigen sie ein Lernverhalten ersten Grades. Sie schreiten zum Lernen zweiten Grades voran in dem Maße, wie sie erkennen, dass neue Herausforderungen auf der Tagesordnung stehen, und in der Lage sind, interne Strukturen und Prozesse zu entwickeln, welche  die Reflexion neuer Probleme und die kollektive Diskussion über angemessene Antworten ermöglichen. Aber Zoll geht weiter und weist auf die Notwendigkeit von Lernprozessen dritten Grades hin; sie schließen die kritische Überprüfung und Neubestimmung der bestehenden Lernstrategien und –strukturen der Gewerkschaften ein und, grundlegender noch, ihres herrschenden Verständnisses darüber, was es heisst, eine Gewerkschaft zu sein. Die Herausforderung, eine bei weitem vielfältigere als noch vor einigen Jahrzehnten zu gewinnen und zu vertreten, bedeutet auch, dass Gewerkschaften sich selbst als Organisationen neu erfinden müssen, um zu überleben und Erfolg zu haben,.

Die neuere Literatur zum Organisationslernen hat nur wenig Einfluss auf die Gewerkschaftsanalyse gewonnen, aber es ist nicht schwer ihre Relevanz zu erkennen. Eine der wenigen systematischen Anwendungen dieser Literatur auf den gewerkschaftlichen Kontext ist die Studie von Huzzard und Östergren (2002) über die schwedische Angestelltengewerkschaft des privaten Sektors, SIF. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Theorien zum Organisationslernen in einem hierarchischen, managementbezogenen Rahmen entwickelt worden sind und die innere Vielfalt und Konflikte um Identität und Zweck der Organisation auszuklammern pflegen. (Huzzard 2001). Dies ist umso problematischer für den Kontext der Gewerkschaften, die – anders als Wirtschaftsorganisationen – ausdrücklich demokratische Grundprinzipien haben und in denen konkurrierende ideologische Strömungen wenigstens eine gewisse Legitimität haben. Huzzard und Östergren fanden eine größere Diskrepanz zwischen den „Modernisierungs-“Konzepten der nationalen SIF-Führung – die auf stärker individuell- orientierte Dienstleistungen die Beschäftigten und größere Partnerschaft mit den Arbeitgebern zielte – und dem fortwährenden Bekenntnis der meisten lokalen Führer zu Werten des Kollektivismus, der Solidarität und (sofern notwendig) der Militanz. Die Autoren interpretieren die ideologischen Differenzen als eine „Barriere für das Organisationslernen“. Nach einer anderen Lesart, freilich, verstanden die lokalen Funktionäre völlig die Probleme, welche die nationalen Führer ausgemacht hatten, lehnten aber die Alternativstrategien, die diese vorschlugen, als falsche Folgerungen ab. Dies jedenfalls ist der Kern ihrer Schlussfolgerungen (2002: 58): Gewerkschaften haben „Schwierigkeiten, gemeinsame Sinngehalte, Visionen, Ideologien und Identitäten“ zu schaffen; aber „sofern Lernen ein dialektischer Prozess ist, können ideologische Unterschiede gerade Reflexions- und Lernprozesse fördern, anstatt sie zu behindern“.

Zwei abschließende Überlegungen zum Organisationslernen sind wichtig. Die erste schließt an Hubers Argument an, dass „Organisationen oft nicht wissen, was sie wissen.“ Im strengen Sinn sind es nicht Organisationen als solche, die wissen; Wissen ist eine menschliche Fähigkeit, wenn auch Wissen vieler Individuen innerhalb Organisationen synthetisiert, verbreitet und festgehalten wird.  Allerdings ist es durchaus möglich, dass  Erfahrung, die auf spezifischen Ebenen oder an besonderen Orten in einer Gewerkschaft (wie auch irgend einer anderen Organisation) erworben wird, nicht verallgemeinert wird (und, wie Argyris und Schön behaupten, mag es sogar strukturelle Hemmnisse geben, wertvolle Erfahrungen zu verallgemeinern.) Um auf die Analyse von Ganz zurückzukommen, sind daher effektive Kommunikationskanäle innerhalb der Gewerkschaft – oder  was Culpepper (2002) in einem anderen Kontext „Dialogfähigkeit“ nennt – von zentraler Bedeutung, und man möchte hinzufügen: In dem Maße, wie die meisten ernsthaften Herausforderungen heutzutage Gewerkschaftsbewegungen als ganze betreffen, sind wirkungsvolle zwischengewerkschaftliche (und tatsächlich auch internationale) Kanäle wichtig.

Als zweiter Punkt ist hervorzuheben, dass, bevor wir lernen können, wir möglicherweise  unsere festen Rutinen und unser herkömmliches Wissen entlernen müssen. Hall (1993: 279) hat in seiner Analyse des „sozialen Lernens“ auf staatlicher Ebene darauf hingewiesen, dass „politische Entscheidungsträger gewohnt sind, in einem Rahmen von Ideen und Standards zu arbeiten, der nicht nur die Politikziele und die zu ihrer Erreichung genutzten Instrumente spezifiziert, sondern  auch die Charakteristika der Probleme, die sie angehen sollen“. Und es ist sicher so, dass gewerkschaftliche Entscheidungsträger „sich auf vertraute Verhaltensrepertoires und -leitlinien verlassen, wenn sie mit neuen Bedingungen konfrontiert sind“,  für die alte Taktiken unangemessen sein mögen (Johnston 1994:37). Milkman (2006) hat gezeigt, wie Organisationsansätze, die sich noch wenige Jahrzehnte zuvor für amerikanische Gewerkschaften in Großbetrieben der Industrie als effektiv erwiesen hatten, sich als gänzlich ungeeignet erwiesen für die wachsende Zahl von Arbeitern in niedrig entlohnten und unsicheren Dienstleistungstätigkeiten, viele von ihnen im Dienst von kleinen Zulieferunternehmen; lokale Organisationseinheiten ohne industriegewerkschaftlichen Hintergrund  hatten die größten Erfolge dabei, solche Gruppen zu organisieren. In der Managementliteratur hat der Begriff der „Kompetenzfallen“ (Levitt und March 1988)  Verbreitung gefunden: die Fertigkeit in der Anwendung von Methoden, die in der Vergangenheit gute Erfolge zeitigten, verwandelt sich unter veränderten Umständen in ein Innovationshemmnis. In Gewerkschaften, insbesondere solchen mit langer Geschichte, bedeutet der weit verbreitete Respekt für das Althergebrachte und das Protokoll häufig, dass die Traditionen all der toten Generationen Lernprozesse behindern. Wie Ross und Martin (1999:4) bemerken, sind Gewerkschaften „pfadabhängig“, werden in ihrer Organisation durch die Zwänge der Vergangenheit geprägt. Sie neigen dazu Wege einzuschlagen, die gemeinsame Ideen, Werte und Gewohnheiten nicht gefährden, und ihr Organisationslernen verengt sich auf das bereits Bekannte.“ Um solch eine konservative Befangenheit zu überwinden, bedarf ein strategischer Neuerungsprozess häufig eines Prozesses der kreativen Zerstörung.

Sinn der bisherigen Argumentation ist, dass die strategische Fähigkeit in Gewerkschaften gleichermaßen ein Ergebnis von Führung und  interner Demokratie ist.

In seiner klassischen vergleichenden Studie stellte Kjellberg (1983) die These auf, dass die effektivsten Gewerkschaftsbewegungen eine starke zentrale Organisation (koordinierte Führung) systematisch mit lebhafter lokaler Aktivität (starke Mitgliederbeteiligung) verknüpften. Diese Kombination bildete eine der Erklärungen für den außergewöhnlich hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in Schweden. Eine ähnliche These ist neuerdings von Lévesque und Murray (2003) aufgestellt worden, die die Mittel der Umgestaltung gewerkschaftlicher Macht angesichts der ökonomischen Internationalisierung untersucht haben. Sie stellen eine Dreiecksbeziehung vor zwischen folgenden Elementen: der strategischen Fähigkeit der Gewerkschaftsorganisation auf Betriebsebene (ihre Fähigkeit, ein proaktives Programm zu entwickeln, statt nur auf Managementinitiativen zu reagieren); dem demokratischen Binnenleben der Gewerkschaft („interne Solidarität“) , welches es den Mitgliedern ermöglicht, sich mit den in ihren Namen verfolgten Politiken zu identifizieren – oder in ihrem geläufigen Jargon: diese Politiken „zu besitzen“ - und schließlich der „externen Solidarität“, dem Maß, in dem die umfassenderen nationalen (und internationalen) Ressourcen und Interessengemeinsamkeiten lokale Prioritäten prägen und dem Wettbewerbsdruck zur Senkung von Standards entgegenwirken. Sie ziehen den Schluss, dass eine effektive Strategie von Gewerkschaften der Ausbildung eines Tugendkreises aus Initiativfähigkeit, aktiver Demokratie und strategischer Unterstützung von oben bedarf: „ es wird immer deutlicher, dass diese drei Machthebel sich gegenseitig verstärken“ (2003: 409).

In einer Folgeuntersuchung behaupten Lèvesque und andere (2005:402), dass die Identifikation der Arbeitnehmer mit Gewerkschaften durch eine „Radikalisierung der Unterschiede“ untergraben worden ist. „Divergierende soziale Identitäten stellen traditionelle Begriffe der Kollektivität in Frage und führen zu einer Erosion der Bedeutung traditioneller Bezugsrahmen“. Die Personen, die Gewerkschaften als für ihre eigenen Lebensverhältnisse für wichtig hielten, hatten - so das Ergebnis ihrer Befragung von Gewerkschaftsmitgliedern in Québec -  das Gefühl, zur Gewerkschaftspolitik zu Rate gezogen zu werden und Einfluss auf ihre Gestaltung nehmen zu können. „Demokratie ist die Grundlage für die Ausbildung gewerkschaftlicher Identität.“ (2005: 409).

In den bisherigen Ausführungen hat ein Argument eine zentrale Bedeutung: dass die strategische Fähigkeit von Gewerkschaften durch internen Dialog, Diskussion und Debatten gefördert werden kann und muss. Gleichförmige Politik kann nicht mechanisch durchgesetzt werden, wenn es kein „Durchschnittsmitglied“ mehr gibt (wenn es sie/ihn denn überhaupt jemals gab); in wachsendem Maße müssen Gewerkschaften „diskursive“ oder „dialogische“ Organisationen sein, welche ausdrücklich die Aushandlung zunehmend offener interner Differenzen zulassen. Dieses Gebot ist natürlich nicht unproblematisch: in allen Gewerkschaften sind einige Personen oder Gruppen mehr als andere motiviert oder fähig, ihre Meinungen und Interessen zur Geltung zu bringen. Traditionell war die formale Demokratie in vielen Gewerkschaften der Bezugsrahmen, in dem bestimmte Gruppierungen (Männer, Vollzeitbeschäftigte, Inländer, relativ Qualifizierte) die Entscheidungsprozesse dominierten. Heute erlauben die elektronischen Kommunikationsmedien eine breitere Beteiligung am strategischen Dialog. Nach der Einschätzung von Teilnehmern an gewerkschaftlichen Diskussions-Plattformen sind es aber in der Regel selbst-ernannte Wortführer einer abweichenden Programmatik, die sich am aktivsten beteiligen. Wie ein „Bottom-Up- Dialog herzustellen ist, der wirklich die Vielfalt der Meinung der Basis repräsentiert, bleibt eine wichtige Aufgabe.

In Anlehnung an Offe und Wiesenthal (1985) kann als eine Antwort gesehen werden, dass es eine der Aufgaben der Führung bei der Programmerstellung  ist, partikularistische und konkurrierende Forderungen und Ansprüche dadurch in umfassendere Politikziele umzuwandeln, dass „spontane“ Eigendefinitionen von Interessen umdefiniert werden. Und hier wird es notwendig, über den Diskurs- und Dialogprozess hinauszugehen und zu seinem Inhalt vorzustoßen. Die Fragmentierung von Identitäten und Eigendefinitionen von Interessen ist kein natürlicher Prozess, sondern eher das Ergebnis politischer Bestrebungen, die nationalen Arrangements der Arbeitsbeziehungen der Nachkriegszeit aufzuweichen und dadurch soziale Sicherungen der Arbeitnehmer zu schwächen oder zu beseitigen und sie untereinander in Konkurrenz und Konflikt zu setzen. Gegenwärtig steht eine radikale Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital an. Dore (2003:32), keineswegs ein Autor, der zur Überdramatisierung oder linker Rhetorik neigt, hat den Angriff auf herkömmliche Beschäftigungssicherungen auf nationaler Ebene als Ergebnis „nicht nur von Flexibilitats-/Effizienzzielen, sondern auch der politischen Zielsetzung, die Macht der Gewerkschaften und ihren Einfluss auf die Wählerschaft zu brechen,“ gesehen. Seiner Einschätzung nach „ging es den Politikern, die für die von der mächtigen Manager-Schicht geforderte Gesetzgebung verantwortlich waren, nicht einfach darum, Bedingungen der nationalen Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Sie betrieben auch Klassenkampf.“ Klassenkampf ist ein guter Ausdruck für den Konsens von Washington, und er passt gleichermaßen zur Charakterisierung seiner gegenwärtigen begeisterten Anhänger in Brüssel.

Die Beschäftigten auf der betrieblichen Ebene ebenso wie auf der Ebene der nationalen (und internationalen) Wirtschaft zu verteidigen erfordert die Auseinandersetzung mit der herrschenden Logik von Politik in unserer Zeit. Dies bedeutet, dass Gewerkschaften zu einem Selbstverständnis als Organisationen, die für Rechte kämpfen und sich in „streitbarer Politik“ (Tarrow 1998) engagieren, finden (oder zurückfinden) müssen. Dies schließt auch die Behauptung der Identität von Gewerkschaften als „Schwert der Gerechtigkeit“ ein (Flanders 1970): Unterdrückung, Ungleichheit und Diskriminierung Widerstand zu leisten. Es kann auch, so unbequem dies häufig ist, Kooperation mit anderen sozialen Bewegungen  einschließen, die niemals ein ähnliches Ansehen wie die Gewerkschaften in den meisten Ländern gewonnen haben. Potentiell werden damit die Gewerkschaften als „Outsiders“ umdefiniert in einem Bereich, in dem sie bis vor kurzem noch  die  bequeme und lohnende Rolle von ‚Insidern’ gespielt haben.

Die zentralen Probleme in diesem Zusammenhang beziehen sich auf Ideen, Sprache und Mobilisierung. Der Rückgang der Gewerkschaften hat zum Teil ideologische Gründe: Europäische Gewerkschaften hatte ihre Blütezeit, als der herrschende Politik-Diskurs kollektive Regulierung, Beschäftigungssicherung und staatliche Wolhlfahrt zum  Gemeinsinn  der Zeit machte. Die ideologische Gegen-Revolution der vergangenen drei Jahrzehnte – in einigen Ländern weiter und schneller fortgeschritten als in anderen – hat Gewerkschaften in starkem Masse in die Defensive gedrängt. Gewerkschaften werden häufig als Vertretung von Sonderinteressen gesehen: der Arbeitnehmer mit relativer Sicherheit am Arbeitsmarkt und mit relativ guten Löhne und Arbeitsbedingungen; der Arbeitnehmer, die meist Gewinner oder wenigstens nicht Hauptverlierer im Prozess der ökonomischen Restrukturierung sind. Aber Gewerkschaften haben sich selbst und andere zu überzeugen, dass sie die Stimme der Mehrheit sind, dass sie die Verlierer wie auch die Gewinner vertreten und dass sie die Verlierer in Gewinner zu verwandeln suchen.

Tilly (2006) hat hervorgehoben, dass sozio-politische Bewegungen auf „Streitrepertoires“ zurückgreifen: Aktionsformen, die in der Vergangenheit entwickelt wurden und den Leitfaden für die Zukunft vorgeben, aber dennoch Gegenstand ständiger Innovation sind. Solche Repertoires, so behauptet er (2006: 184-5), enthalten drei zentrale Elemente: „Identität“ - die Bestätigung, dass die Beteiligten eine Gruppe mit charakteristischen Interessen sind und die Fähigkeit haben, diese Interessen energisch zu verfolgen; „Standing“ - Nachdruck darauf, dass diese Interessen  so ernst genommen werden müssen wie die Ansprüche und Interessen anderer mächtiger sozio-ökonomischer Gruppierungen; und „Programm“ - ein integrierter Katalog von Forderungen. Alle drei Elemente stützen sich seiner Ansicht gegenseitig. Dies ist in der Tat ein nützliches Prisma, um europäische Gewerkschaften zu betrachten: In ihrer mächtigsten Phase konnten sie glaubhaft beanspruchen, eine Basis mit einer starken kollektiven Identität zu repräsentieren, das Standing eines angesehenen Akteurs in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu haben, und ein Programm vorzustellen, welches das Allgemeininteresse wiedergab. In jüngeren Zeiten haben aber in den meisten Ländern diese drei Ansprüche in einem sich wechselseitig verstärkenden Maße an Kraft eingebüsst. Die Entwicklung eines neuen Wortschatzes, welcher der Identität, dem Standing und der Programmatik Bedeutung gibt, ist Teil des Schlüssels für das Überleben und die Erneuerung der Gewerkschaften.

 

Als Schlussfolgerung: Neu-Definition und Neu-Erfindung der Solidarität

Das Prinzip der Solidarität hat eine lange Geschichte, und wie die meisten wertebeladenen Begriffe hat sich seine Bedeutung im Laufe der Zeiten verändert;  auch wird es ganz unterschiedlich interpretiert. Sozialisten und Katholiken beschwören beispielsweise gleichermaßen das Ideal der Solidarität, aber verstehen darunter in vieler Hinsicht sehr Unterschiedliches. Es ist nicht meine Absicht, hier die Herkunft und historische Entwicklung des Konzepts zu analysieren, aber es ist wichtig, einige der kontrastierenden Folgerungen zu beleuchten.

Ein Begriff von Solidarität setzt gemeinsame Identität voraus, den Besitz von Merkmalen, welche Individuen als Mitglieder einer Gruppe – der Nation, des Clans, der religiösen Sekte (vielleicht auch einer Fan-Gemeinde eines Fussballclubs oder einer Pop-Gruppe) – mit einer kollektiven Loyalität und einer klaren Unterscheidung gegenüber den Nicht-Mitgliedern kennzeichnen. Manchmal wird die Homogenität der Gruppe durch Rituale, Uniformen und Geheimsprache verstärkt. Die gemeinsamen Verpflichtungen, die aus der Gleichförmigkeit herrühren, schaffen das, was Dürkheim als „mechanische Solidarität“ bezeichnete: extern auferlegte Verpflichtungen, die kaum bedeutsamen Spielraum für Auswahl oder Reflexion bieten. In der Vergangenheit repräsentierte dieses Modell von Solidarität wohl den vorherrschenden Teil des Kollektivismus der Gewerkschaftsbewegungen. 

Ein zweiter Typ von Solidarität, bisweilen eng verquickt mit dem ersten, gründet auf dem Bewusstsein gemeinsamer, am besten kollektiv durchzusetzender Interessen. Dies 

Ist das klassische Grundprinzip von Gewerkschaften: Arbeitnehmer als Ganzheit sind Opfer von Unterdrückung und Ausbeutung, individuell schwach in der Rolle von Beschäftigten, Konsumenten oder Bürgern; aber die Einheit macht ihre Stärke aus. Die Gründung effektiver Gewerkschaftsbewegungen hing von etwas ab, was ich an anderer Stelle als „Solidarität als mobilisierender Mythos“ beschrieben habe (Hyman 1999). Durch die Betonung gemeinsamer Interessen suchten gewerkschaftliche Organisierer Arbeitnehmer zu überzeugen, dass „Unrecht für einen Unrecht für alle“ ist. Und weil Interessen durch die subjektive Wahrnehmung ebenso wie die objektive Situation geprägt werden, konnte der Glaube seine eigene Realität schaffen. „Solidarität auf immer“ wurde zu einer Tatsache, in dem Masse wie die heroischen Mythen das Verständnis der Arbeitnehmer von ihrer Lage auch wirklich prägten.

Eine dritte, für meine Argumentation zentrale Bedeutung von Solidarität ist die von Gegenseitigkeit trotz Unterschiedlichkeit. Dieses Verständnis von Gegenseitigkeit mag auf einem Gefühl gegenseitiger Abhängigkeit beruhen, das etwas schafft, was als Interessengemeinschaft höheren Entwicklungsgrads bezeichnet werden kann und sich auf die Aufrechterhaltung eines Gemenges sozialer Beziehungen richtet, in das alle positiv einbezogen sind. In diesem Sinne schrieb Dürkheim, dass die differenzierte Arbeitsteilung in modernen Gesellschaften die Basis (oder zumindest das Potential) für eine organische Solidarität schuf, vielfältiger und flexibler als die rigide Einförmigkeit früherer sozialer Strukturen. Nach einem anderen Verständnis ist eine solche Gegenseitigkeit kann auch als Ausdruck des gemeinsamen Schicksals der Menschheit gesehen werden. Kein Mensch ist eine Insel, schrieb John Donne. Aus dieser Sicht gibt es eine starke Verpflichtung für die Starken, die Schwachen zu unterstützen – sei es aus dem pragmatischen Grund, dass sich die Rollen bei Gelegenheit vertauschen könnten, sei es aus einer mehr diffusen Anerkennung der condition humaine, der menschlichen Lage, heraus. Solidarität kann in einigen Deutungsweisen dieses dritten Begriffsverständnis  zu einem Synonym für Wohltätigkeit werden, die barmherzige Hilfeleistung für passive Opfer. Dies ist aber fern vom sozialistischen Verständnis von Solidarität als aktiv und reziprok. Dennoch ist das Prinzip der Gegenseitigkeit trotz Unterschiedlichkeit meiner Ansicht nach von zentraler Bedeutung, um die Solidarität von Arbeiterbewegungen in einer Welt zu orientieren und zu bereichern, in der viele alte Bezugspunkte von Identität und Status erodieren.

Wie Richards schreibt (2001: 35-6), war „Solidarität der Arbeitnehmer immer ein konstruiertes und kontingentes Phänomen, das auf je lokalen Grundlagen aufbaute. Dies trifft heute mehr denn je zu in einer Zeit allgemein dezentralisierter Arbeitsbeziehungen, zunehmender Standortrisiken, fragmentierter Belegschaften und wachsender Unternehmensmacht“. Aber eine Fragmentierung von  Solidarität in einem Kontext, in dem ortsgebundene Arbeitnehmer zunehmend gezwungen sind, mit denen anderer Standorte zu konkurrieren, ist keine effektive Solidarität. Dies heißt zu meiner früheren These zurückzukehren, dass lokales Engagement notwendig, aber nicht hinreichend für eine effektive Gewerkschaftsstrategie ist. Aber wie kann Fragmentierung überwunden werden?

In der Vergangenheit haben Gewerkschaften oft versucht, die Differenzierung dadurch zu überwinden, dass sie durchsetzten, was die Webbs (1897) als „gemeinsames Regelwerk“ (common rule) und ich als von oben aufgezwungene  „mechanische Solidarität“ bezeichnet haben (Hyman 2004). Aber die „Radikalisierung der Unterschiedlichkeit“ bedeutet, dass Vielfalt nicht unterdrückt werden kann; sie muss vielmehr akzeptiert, ja sogar begrüßt werden. Das Problem ist, wie gegenwärtige und potentielle Gewerkschaftsmitglieder ermutigt werden können, gemeinsame Interessen trotz Unterschiedlichkeit  wahrzunehmen und die Spannungen, welche oft zwischen ihren eigenen multiplen sozialen Identitäten bestehen, in einer mit Kollektivismus vereinbaren Weise auszuhandeln. Dies wirft schwierige Fragen menschlicher Subjektivität und Intersubjektivität auf. Wie Zoll (1991) hervorgehoben hat, machen die gewachsene Differenzierung von Lebensverhältnissen und Interessen sowie die wachsende Unschärfe von sozialen Normen und Werten eine effektive Einheit des Handelns nur möglich, wenn Gewerkschaften „diskursive Organisationen“ werden.

In vieler Hinsicht rührt die Malaise, von der die Arbeiterbewegungen in grossen Teilen der Welt heute betroffen ist, aus der Erschöpfung des alten Modells des Kollektivismus her. In seiner traditionellen Form war „Solidarität“ eine Parole, die zu einer  Konzeption von Arbeiterklasse passte, welche nicht als nach Geschlecht, Qualifikation, ethnischer Herkunft oder anderen bedeutsamen Merkmalen differenziert gesehen wurde. Wie verstehen wir die Idee von Solidarität, wenn die alte Vorstellung von einem undifferenzierten Proletariat aufgegeben wird?  Eine Antwort kann in dem Versuch bestehen,  ein „gemeinsames Regelwerk’ von oben aufzuzwingen und diejenigen als Klassenfeinde  zu denunzieren, die in subversiver Weise ihre eigene, unverwechselbare Programmatik aufzustellen versuchen. Eine andere Antwort kann darin bestehen, Solidarität zu einem ritualisierten, weitgehend von der alltäglichen Gewerkschaftspraxis abgekoppelten Beruf  zu machen. Dies trifft sicherlich auf die meisten Ausdrucksweisen gewerkschaftlichen Internationalismus zu. Waterman (1998:81) merkt an, dass vor mehr als einem Jahrhundert australische Hafenarbeiter den Gegenwert von mehreren Tageslöhnen zur Unterstützung ihrer streikenden Londoner Kollegen spendeten, welche sich ein Jahr später mit ähnlich beeindruckenden Beträgen revanchierten, als die Australier sich im Streik befanden. Heutzutage ist solche Solidarität kaum vorstellbar: Internationalismus ist weitgehend das Reservat des professionellen Gewerkschaftsdiplomaten. Man mag  Zweifel haben, wieviele Gewerkschaftsmitglieder überhaupt etwas vom Internationalen Gewerkschaftsbund oder  vom Europäischen Gewerkschaftsbund gehört haben, selbst wenn sie beiden angehören. Diese mangelnde Verknüpfung zwischen bürokratischer, institutionalisierter Solidarität und einem kollektiven Geist von Gegenseitigkeit ist einer der Gründe warum IGB wie auch EGB so wenig Schlagkraft entwickeln.

Gibt es eine Alternative? Man kann sehr wohl eine Antwort vorschlagen, sowohl was die Politik als auch die Organisation betrifft. Sie muss davon ausgehen, dass Solidarität die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten einbezieht, die das Bewusstsein unterschiedlicher und partikularer Interessen  erweitert, aber nicht beseitigt – im Sinne der dritten, oben skizzierten  Bedeutung von Solidarität. Arbeitnehmerorganisationen selbst gewinnen dadurch Zusammenhalt und Effektivität, dass sie die Art und Weise prägen, in der Mitglieder und Anhänger ihre eigene Lage bestimmen und den eigenen Klagen und Ansprüchen einen  Rahmen geben. Dieser Prozess kann zweischneidig sein. Die meisten Gewerkschaftsbewegungen im 19. und 20.Jahrhundert machten als allgemeine Interessen der Arbeiterklasse geltend, was in Wirklichkeit oft nur die spezifischen Interessen der stärksten Gruppierungen waren. An früheren Modellen der Solidarität festzuhalten bedeutet in zunehmendem Masse, die diffenzierteren Anliegen von weiblichen Arbeitnehmern, Mitgliedern von ethnischen Minderheiten, von Personen in marginalem Beschäftigungsstatus, neu in einen zunehmend unfreundlichen Arbeitsmarkt Eintretenden usw. auszublenden.

Solidarität, welche die Personen jenseits der herkömmlichen Rangordnung der Gewerkschaftsbewegung ansprechen soll, muss sich auf die Vielfalt einlassen, ja sie willkommen heißen.   Daher ist es angemessener, von Solidaritäten in der Mehrzahl als in der Einzahl zu sprechen. Solidaritäten müssen facettenreich sein, weil erstens die Arbeitsmarktbedingungen der verschiedenen Arbeitnehmergruppen  unterschiedlich sind (und in mancher Hinsicht in Konkurrenz zueinander stehen) und zweitens die Identitäten außerhalb der Arbeitssphäre (die gleichwohl einen Einfluss darauf haben, wie Beschäftigte sich als Arbeitnehmer sehen) zunehmend differenziert sind. In seinem anregenden Buch Beyond Individualism hat Piore  (1995) ein neues Verständnis von Gewerkschaften vorgeschlagen: erstens als „Aktionsgemeinschaften“ (Organisationen, die den Rahmen für individuelle Selbstverwirklichung schaffen), und 2. als „Grenzland-Institutionen“ (welche die Ideale und Perspektiven unterschiedlicher sozialer und kultureller Gruppen vermitteln). Beides macht es erforderlich, die Prinzipien der mechanischen Solidarität aufzugeben. In anderen Worten: Die Regulierung der Beschäftigung muss flexibel, darf nicht gleichförmig sein; gemeinsame Aktion muss das Ergebnis von Debatte und Diskussion, darf nicht hierarchisch aufgezwungen sein, und die unterdrückten Alternativen zum herkömmlichen kollektiven Handeln müssen wieder entdeckt werden.

Ein konkretes Beispiel mag hilfreich sein. Seit mehr als einem Jahrzehnt  ist die Arbeitswelt von Risiken und Unsicherheit durchdrungen. Die Forderung der Arbeitgeber – und in wachsendem Masse auch der Regierungen – nach „Flexibilität“  bedeutet, dass viele der von Gewerkschaften in mehr als einem Jahrhundert erzielten Erfolge rückgängig gemacht werden, welche sicher stellten, dass Arbeitnehmer nicht einfach wie verfügbare Waren behandelt werden konnten. Zweifellos ist dies für Arbeitnehmer eine Quelle von Orientierungslosigkeit und Verbitterung (wenn es auch oft im Ergebnis dazu führt, Sündenböcke unter den noch verletzlicheren Gruppierungen der Gemeinschaft zu suchen). Der Flexibilitätsdiskurs ist aber auch mit dem Reiz individueller Autonomie und Wahlfreiheit verbunden. Können Gewerkschaften das Grenzgebiet zwischen Unsicherheit und Autonomie überbrücken?

Dies wirft schwierige Fragen auf. Zu Recht ist Misstrauen gegenüber der Idee von Soft Law (oder dem neueren analogen Konzept der „Offenen Methode der Koordination“) angebracht – Konzepten die einen zentralen Stellenwert in der Eurosprache eingenommen haben: Sie gaukeln einen Regulierungsprozess vor, der nicht wirklich reguliert. Aber lasst uns einige spezifische Fragen für die zeitgenössische Gewerkschaftsbewegung betrachten. Etwa: Sollte Mehrarbeit überhaupt verboten,  durch Zulagen abgegolten oder nach eigener Entscheidung der Individuen durch Freizeit  ausgeglichen werden? Einige neuere Tarifvereinbarungen in Dänemark scheinen die Tatsache berücksichtigt zu haben, dass Gewerkschaftsmitglieder unterschiedliche Präferenzen haben, indem ein Menü von Optionen angeboten wird. Sollte (wie es bis noch vor Kurzem noch die reflexartige  Antwort der Gewerkschaften  im größten Teil von Europa war) Teilzeitbeschäftigung bekämpft werden, oder sollte es eine Spannbreite für variable Arbeitsstunden geben – wenn die Beschäftigten selbst dies vereinbaren oder auch ablehnen können und die gleichen Rechte wie Vollzeit-Arbeitskräfte erhalten? Wenn das „Normal-“ Arbeitsverhältnis des 20.Jahrhunderts zunehmend erodiert ist und „atypische“ Formen zunehmend zu typischen werden, können Gewerkschaften entweder Schlachten schlagen, die wahrscheinlich bereits verloren sind, oder sie können für eine wirksame, flexible Regulierung des gegenwärtigen Beschäftigungsdschungels mobilisieren.

Gewerkschaften stehen heute daher vor der Herausforderung, Regulierungsformen zu entwickeln, die einen festen Bezugsrahmen definieren, innerhalb dessen Arbeitnehmer ihre eigen Wahl treffen können. Dies heißt, dass bestimmt werden muss, welche Regeln primär und allgemeinverbindlich und welche sekundär und dem Ermessen freigestellt sein sollen. Es heißt, Flexibilität neu zu definieren: Widerstand gegen Flexibilität als Prekarität und Verletzlichkeit zu leisten, aber Flexibilität als Wahlfreiheit in einem übergreifenden Schutzrahmen zu begrüßen. Dies wäre ein Ausdruck echter organischer Solidarität: eine Kombination allgemeinen Schutzes und individuellen Chancen.

Eine grundlegendere Begründung finden neue Solidaritätskonzepte darin, dass sich das Terrain des Kollektivismus verändert hat: das alte Modell ist wohl sogar unter seinen eigenen  Bedingungen nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten. Obwohl ich nicht  alle seine  Aussagen teile, möchte ich doch Beck (2000: 163) darin zustimmen, dass es im 21. Jahrhundert „keine ‚natürliche’ Gemeinschaft von Nachbarn, Familie oder Nation gibt. Es gibt nur Legenden von ihrer ‚Natürlichkeit’ (die ihrerseits selbstverständlich extrem wirksam sein können).“ Becks provokative Hypothese, die auf seiner früheren Analyse der ‚Risikogesellschaft’ gründet, lautet: „Das Risiko-Regime enthält auch eine verborgene gemeinschafts-stiftende Macht“: ein gemeinsames Bewusstsein der Bedrohung von außen „kann aktive Solidarität unter Fremden“ schaffen.

Es ist eine verlockende Aufgabe, Solidarität begrifflich neu in einer Weise zu fassen, die das Lokale, das Nationale, das Europäische und das Globale umfasst. Wie Hoffmann feststellt (2002: 143-4): „Europäisierung und Globalisierung werden von einer  ‚Krise des nationalen Gewerkschaftswesens’ begleitet. Gewerkschaften müssen sich der Frage stellen, ob sie willens und in der Lage sind, diese Krise als Chance zu begreifen, ihre Organisationsformen und Politiken sowohl national als auch international zu reformieren.“ Aber dies darf nicht nur zu einer Zukunftsdebatte unter einer privilegierten Elite der von der Basis abgeschirmten Entscheidungsträgern führen. Im Gegenteil, notwenig ist ein Prozess, den Offe und Wiesenthal (1985)  - in einer Analyse, die heute sogar noch relevanter ist als zum Zeitpunkt, als sie geschrieben wurde – „dialogisch“ genannt haben. Wenn Interessen in einer Weise begriffen und neu definiert werden sollen, die Komplementaritäten hervorheben und zu neuen Solidaritäten ermutigen, müssen die für einen großen Teil des traditionellen Gewerkschaftswesens charakteristischen bürokratischen, hierarchischen Politiken den Weg für stärker partizipative und interaktive Prozesse frei machen. Wenn Gewerkschaften überleben und Erfolg haben wollen, muss das Solidaritätsprinzip nicht nur neu definiert und neu erfunden werden; Arbeitnehmer der Basis müssen auch aktiv an diesen Prozessen beteiligt werden.     

 

Übersetzung: Rainer Dombois

 

   

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Protokoll des Workshops des Hattinger Kreises

„Neue Formen von Konkurrenz als Herausforderung für gewerkschaftliche Solidarität“

Bildungsstätte Wremen vom 27. - 28.9. 2007

 

Der Workshop zählte insgesamt 26 Teilnehmer/innen

 

I. Analyse der Problemlagen

Nach der Begrüßung der Teilnehmer/innen durch Frank Gerlach (HBS), der die Thematik des Workshops noch einmal erläuterte, und auf die Dreiteilung des Workshops in Analyse der Problemlagen, Fallbeispiele und Vorbereitung der Internationalen Tagung verwies, trug als erster Referent Ulrich Mückenberger (Uni Hamburg) seine Thesen zum Thema „Protektionismus wider Willen“ vor. Er ging von der Frage aus, ob es „zynisch“ genannt werden könne, in allen Erdteilen dieser Welt die Einhaltung universeller kultureller, sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und politischer Rechte einzufordern. „Protektionismus wider Willen?“ meine, ob westlich dominierte Aktivitäten zugunsten universeller Rechte nicht in einen Kontext geraten (sind), der ihre Zielerreichung bedrohlich tangiert. Was sich also seitens der westlichen Welt abzeichne, sei Protektionismus auf dem Gebiet, wo die Entwicklungsländer Spieler auf dem internationalen Handel sein könnten, und Freihandel auf dem Gebiet, wo sie konkurrenzlos stehen. Mit dieser gespaltenen Freihandelspolitik konvergiere – und das sei der Kontext, in den universelle Menschenrechtsdiskurse heute gestellt seien – die Forderung gerade der USA, in internationale Handelsabkommen Sozial- und (in geringerem Umfang) Ökologieklauseln zu stellen. Positionen von NGO’s oder auch Gewerkschaften, die allein auf die universelle Geltung von Sozialstandards pochten, liefen Gefahr, in diesem Kontext Protektionismus wider Willen zu entfalten oder zu unterstützen. Nun besage dieser Befund nicht etwa, dass man den Einsatz und den Kampf um internationale Sozialstandards fallen lassen müsse. Nur besage er, dass nicht allein deren Universalität propagiert werden dürfe. Der Falle des Protektionismus wider Willen entkomme man nur, wenn man in einem Doppelschritt 1. die universelle Geltung grundlegender Sozialstandards und 2. die Befähigung (das „empowerment“) zu ihrer Implementation fordere, fördere und durchsetze oder durchzusetzen helfe. Als positive Beispiele nannte Mückenberger das Textilabkommen zwischen USA und Kambodscha sowie das Abkommen zwischen der EU und den AKP Staaten von Cotonou. Eines müsse aber klar sein: Das Insistieren auf der praktischen Geltung universeller Rechte koste Geld. Und das könne unter den gegebenen Bedingungen nicht das Geld der Schwellen- und Entwicklungsländer – sondern müsse das Geld der entwickelten Welt sein. (Vollständiger Text auf der website des HK unter der Rubrik „Solidarität vs. Konkurrenz: www.hattinger-kreis.de)

 

Beiträge in der Diskussion thematisierten u.a.:

die gespaltene Freihandelspolitik der USA selbst im Konflikt zwischen Präsident und Kongress;

die Aufforderung, Protektionismus nicht nur auf die Handelspolitik zu beschränken, sondern auch die Arbeitnehmermobilität (incl. Illegale) einzubeziehen;

die Notwendigkeit flankierender Maßnahmen zugunsten der Entwicklungsländer vorzusehen;

den Hinweis, dass oftmals nicht Protektionismus das Problem sei, weil nur wenige der ILO-Normen konkurrenzrelevant seien, sondern die Ineffizienz nationaler Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitiken Ursache der Probleme sei;

die Frage nach Ansätzen für einen Perspektivwechsel der Gewerkschaften, nicht auf die Verteidigung von einheimischen Arbeitsplätzen zu beharren, sondern zugunsten der armen Länder auch Arbeitsplatzverluste zu akzeptieren;

die Einbeziehung der MNKs als zentrale Akteure in die Debatte um internationale Normdurchsetzung und –kontrolle;

die Berücksichtigung der Unterscheidung von armen Ländern und Schwellenländern wie etwa China, wo es von inneren Bedingungen abhänge, ob freie Gewerkschaften zugelassen würden;

die Ausweitung der Normen auf Umweltstandards, was bei den Gewerkschaften mit dem Abschluss von International Framework Agreements teilweise schon angekommen sei.

Abschließend betonte der Referent noch einmal, dass die ILO Normen seiner Ansicht nach durchaus etwas mit komparativen Vorteilen zu tun hätten, man denke nur an die Zulassung von Tarifautonomie in der Konkurrenz zwischen den Entwicklungsländern. Normen seien nicht immer billig zu haben.

 

Im zweiten Referat des Nachmittags beschäftigte sich Thomas Greven (FU Berlin) unter dem Titel Zwischen Konkurrenz und Solidarität“ mit „Globalen Handlungsoptionen für Gewerkschaften im Vergleich von Dienstleistungssektor und im verarbeitendem Gewerbe“. Er begründete seine These, dass transnationale Solidarität relativ leichter in bestimmten  Dienstleistungssektoren zu organisieren sei, mit den unterschiedlichen Standortfaktoren beider Sektoren. Dienstleistungen seien stärker an den Standort gebunden und nicht leicht zu verlagern, wenn man als Beispiel an die Wachdienste oder die Gebäudereinigung denke. Andererseits fehle im DL-Sektor eine Tradition der Solidarität, sodass es schwerer sei, Kampagnen zu entwickeln. dennoch sei es der SEIU partiell gelungen, bei den weltweit agierenden Wach- und Gebäudereinigungsunternehmen, Spielräume der Konkurrenz zwischen ihnen zu nutzen und die wechselseitige Unterbietungskonkurrenz zu bremsen, da die Standortgebundenheit keine Verlagerungsoption erlaube und die Gewerkschaften demzufolge günstigere Handlungsbedingungen vorfänden als etwa im Falle von Call-Centern. (s. dazu auch den Vortrag von Peter Bremme auf diesem Workshop).

 

In der Diskussion wurde unterstrichen, dass hier unterschiedlich strukturierte DL-Bereiche unterschieden werden müssten, sodass jeweils auch andere Anknüpfungspunkte für Solidarität entstünden. Beispielsweise sei im Bankensektor nicht nur die Auslagerung von IT- Dienstleistungen gang und gäbe, inzwischen zeichne sich auch die  Auslagerung von Personalentwicklung ab. Es gäbe andererseits auch Rückverlagerungsprozesse. Gegen die These wurde auch eingewandt, dass im Bereich neuer Industrien, z.B. bei der Solarindustrie die Dichotomie von DL und Verarbeitenden Gewerbe nicht mehr so klar sei.

Was die Kampagnen betreffe, so wurde auf die Bedeutung moralischer Aspekte verwiesen, die vor allem von NGOs genützt würden, während Gewerkschaften damit Schwierigkeiten hätten und oft nur den Wettbewerbskontext thematisierten. Erwidert wurde, dass für die Betriebsräte als zentrale Akteure für die Organisierung von Solidarität zumeist nur die Solidarität mit den engeren KollegInnen zähle, alles andere als Luxus betrachtet werde. Von Gewerkschaftsseite wurde darauf verwiesen, dass Gewerkschaften eben anders arbeiteten als NGOs, nicht so spektakulär und vor allem werde nicht alles gleich publiziert. Dennoch werde viel getan.

Der Referent betonte anschließend, dass das Misstrauen der Gewerkschaften gegenüber NGOs durchaus gut begründet sei, weil CSR-Vereinbarungen oft nur zwischen Unternehmen und NGOs geschlossen würden, die an dem Markt für Monitoring interessiert seien. NGOs hätten in der Regel nicht das Ziel des Empowerments der Beschäftigten. Es fließe viel Geld in solche Solidaritätsaktionen, aber es fehle an demokratischen Strukturen. Insgesamt sei sein Eindruck, dass es äußerstenfalls gelingen könne, bestimmte Dinge aus der Konkurrenz zu nehmen, die Konkurrenz selber werde man aber nicht los. Gewerkschaften müssten bis zu einem bestimmten Grad protektionistisch handeln, um die Anpassungskosten zu vermindern.

 

Im abschließenden Referat des ersten Themenblocks beschäftigte sich Andreas Boes (ISF München) auf der Basis mehrerer empirischer Forschungsprojekte mit dem Thema: „Hochqualifizierte unter Globalisierungsdruck - Herausforderungen für Gewerkschaften“

Andraes Boes sieht ein neues Weltproduktionsmodell, das durch den „Informationsraum als Kern eines Produktivkraftsprungs“ charakterisiert ist als zentrale Herausforderung. Die IT-Industrie sei Vorreiter eines neuen Produktionsmodells mit erheblichen Folgen für die dort Beschäftigten, die sich zunehmend als Opfer der Globalisierung begriffen.

Der Aufstieg Indiens sei Ausdruck dieser neuen Phase. Internationale und fluide Wertschöpfungsketten würden zunehmend über Informationssysteme „zusammengehalten“ und reorganisierbar (Informationssysteme als informatorisches Rückrat). Es komme zur Herausbildung neuer Modelle zur global verteilten Erbringung anspruchsvoller, geistiger Tätigkeiten (Stichwort „Offshoring“)

 

Indien sei zu dem Knotenpunkt eines neuen weltweiten Produktionsmodells für Software und Dienstleistungen geworden. Dieses Cluster aus wichtigen Welt-IT-Unternehmen erzeugt einen Silicon-Valley-Effekt und Innovationsimpulse, von denen indische IT-Dienstleister profitieren. Indien verfüge inzwischen über ein eigenständiges Potential im Bereich der IT-Dienstleistungen basierend auf starken Unternehmen, einem industriepolitischen Institutionensystem und einem leistungsfähigen Bildungssystem. Aus einer „verlängerten Werkbank“ sei ein strategischer Ort für IT-Dienstleistungen geworden.

Damit würden positive Erfahrungen in der praktischen Zusammenarbeit in den Unternehmen bei uns häufig überlagert von der Angst vor Personalabbau und von der Sorge um die Zukunft des eigenen Standorts. Es entstehe Konkurrenz statt Kooperation, eine Kultur des „Misstrauens“. Bislang vertrauensvolle Beziehungen zum Management würden in Frage gestellt, Ressentiments und Vorurteile gegenüber ausländischen Kollegen belasteten die Zusammenarbeit, Lernprozesse würden behindert. Die Internationalisierung werde somit zu einem zentralen Ausdruck von Unsicherheit und einer insgesamt negativ wahrgenommenen Zukunftsperspektive.

 

Es sei aber auch festzustellen, dass es keinen „Verlagerungsautomatismus“ gebe –  die neue Phase der Internationalisierung sei ein sozialer Prozess mit offenem Ende. Einerseits entstünden neuartige Konkurrenzverhältnisse, sodass  eine neue Phase

der „Standortkonkurrenz“ zu befürchten sei, andererseits seien die Internationalisierungsstrategien extrem anfällig und voraussetzungsreich, denn auch die großen Konzerne brauchten eine starke Stellung in den heimischen Operationsbasen und seien abhängig von den strategisch wichtigen Beschäftigtengruppen an den zentralen Knotenpunkten der Unternehmensnetzwerke. Wenn es nur um Kostensenkung und Verlagerung von Arbeitsplätzen gehe, könne „Offshoring“ schnell in einer „Sackgasse“ enden.

Daher bestünden Handlungschancen für die Beschäftigten in der IT Industrie in Deutschland. Der Vorschlag von Andreas Boes lautet deshalb: Nachhaltige Internationalisierungsstrategien als Leitbild sind notwendig, da die Logik der Standortkonkurrenz nur passive Anpassungsprozesse ermögliche und eine Vorwärtsstrategie verhindere. Ein solches neues Leitbild sei ein offenes Konzept und gebe der gemeinsamen Suche nach neuen Konzepten eine Richtung, es fokussiere auf gemeinsame Lernprozesse bei der Weiterentwicklung von Strategien und Konzepten. Kernvoraussetzung sei, dass Nachhaltige Internationalisierung nicht auf Kosten anderer funktioniere, heterarchische Beziehungen zwischen internationalen Partnern gebildet würden und damit das Commitment der Mitarbeiter gesichert werde.

 

In der Diskussion wurde vor allem die Übertragbarkeit der These von einem neuen Weltproduktionsmodell auf andere Industriezweige hinterfragt, etwa die Automobilindustrie, wo neue Software eher durch face to face Kommunikation entwickelt werde. Globalisierung bedeute nicht totale Verflüssigung, es gebe eher Pfade der Entwicklung als Brüche. Die Ersetzbarkeit der Beschäftigten sei aber ein Anknüpfungspunkt für gewerkschaftliches Handeln. Andreas Boes gestand zu, dass es hier jede Menge differenzierter Entwicklung, unterschiedliche tempi und Variationen gebe. Der Bruch bestehe aber darin, dass die Industrialisierung der Kopfarbeit einen qualitativen Sprung darstelle, ein neuer Typus nicht tayloristischer Rationalisierung. Die Subjekte spürten, dass sie immer mehr ersetzbar werden durch die Entstehung neuer Informationsräume. Im Moment sei eine historisch offene Situation zu konstatieren, in der die Unternehmer auf die Beschäftigten angewiesen seien bei dieser Transformation von Kopfarbeit, das seien vielleicht 10-15 Jahre, die von den Gewerkschaften genutzt werden könnten. Die zentrale Frage in der Diskussion war, wie können entsprechende Lernprozesse organisiert werden, wo liegen bereits Erfahrungen bei den Gewerkschaften vor, wo sind die Handlungsmöglichkeiten zu verorten? Um ein Aussteigen aus der Standortlogik zu erreichen, müsste der Konflikt auf höherer Ebene reformuliert werden, sonst drohe, dass die Beschäftigten in die falsche Richtung liefen und atomisiert würden.

 

II. Fallbeispiele

 

Sabine Blum –Geenen (IGM Metall Vorstand) und Martin Bartmann (Uni Kaiserslautern) präsentierten mit einem Folienvortrag das General Motors Europa Projekt der IGM Metall  unter dem Titel: „Europäische Arbeitnehmerkooperation vs. Standortkonkurrenz“. Nach einem Überblick über bisherige  Standortwettbewerbe bei General Motors und die darin involvierten kollektiven Akteure auf Arbeitnehmerseite, wurde das “European Employee Forum” (der EBR bei GME) vorgestellt. Den vom Konzern initiierten Delta Standortwettbewerb haben die ArbeitnehmerInnen von GME und die zuständigen Gewerkschaften mit der Bildung der Joint Delta Working Group (JDWG) beantwortet. Das EU-finanzierte Projekt GMEECO, das die IG Metall im Rahmen des EU Programms als „Sozialer Dialog“ zur Förderung der Kooperation der Arbeitnehmervertretungen der Delta-Standorte beantragte hatte, hat sich im Großen und Ganzen als erfolgreich erwiesen. Normalerweise sind die Möglichkeiten im Rahmen der EBR-Richtlinie für die Situation bei GM vollkommen unzureichend, die Möglichkeit von funktional bedingten Arbeitsgruppen wie der JDWG ist überhaupt nicht vorgesehen, eine kontinuierliche Arbeit nicht gewährleistet.  Dennoch ist es hier gelungen, mit dem GMEECO-Projekt als Finanzgrundlage 2,5-tägige Workshops an den 5 Standorten durchzuführen (Organisation und Kostenübernahme für Übersetzungen, sowie wissenschaftlicher Expertise). Gegenseitige Werksbesuche von BR, VKL und AN waren möglich, ein interner Dokumentenserver musste allerdings wg. Problemen mit der Betreiberfirma eingestellt werden.

 

Welche Herausforderungen für transnationale Arbeitnehmerkooperation entstehen, lässt sich am Beispiel Delta ablesen, wo 5 nationale Arbeitsbeziehungssysteme zu berücksichtigen sind.

• Entwickelt werden mussten Vertrauen und ein gemeinsamer Kommunikationscode, eine gemeinsame Arbeitssprache,

• die Bereitschaft zu mehr als symbolischen Handlungen/Aktionen für andere

Standorte,

• die Entwicklung gemeinsamer Aktionsformen mit dem Austarieren von gemeinsamen Aktionen – wer trägt was bei? Das bedeutet ein Risiko für die kampffähigen Werke.

• Die kurzfristige Standortsicherung einzelner Werke muss zugunsten einer mittelfristigen Standortsicherung aller Werke aufgegeben werden.

• Nötig war die Entwicklung ökonomischer Gegenkonzepte – Co-Management, und eine kontinuierliche Information der Beschäftigten über europäische und

globale Themen

• Gehalten werden sollte damit die Balance zwischen Kooperations- und Wettbewerbslogik.

 

Im Ergebnis wurde ein European Framework Agreement (EFA) / Europäisches

Rahmenabkommen zur Zukunft der Delta-Werke erzielt (die Verhandlungen sind allerdings noch nicht abgeschlossen), das die Interessen der ArbeitnehmerInnen bei GME wahrt.

 

Die Vortragenden stellten abschließend die Frage: Können JDWG und GMEECO als Vorlage für die Organisation von Solidarität in multinationalen Konzernen dienen?

Ihre Antwort lautete:

• Die JDWG zeigt: transnationale Kooperation und Solidarität ist möglich

• Die große Beteiligung der ArbeitnehmerInnen an den Aktionen zeigt, dass eine transnationale Solidaritätsstrategie vermittelbar ist

Zur Frage: Welchem Druck hält die Solidarität über welchen Zeitraum stand?

• Das GMEECO-Projekt zeigt, dass Mittel für kontinuierliche europäische Koordination einen neuen Grad an Kooperation bewirken können, aber was passiert nach Ablauf der Projektlaufzeit? Eine inhaltliche Ausdehnung der EBR-Richtlinie ist nötig , aber ist es auch realistisch?

Die Frage, ob die nationalen Gewerkschaften und der EMB in der Lage und

willens sind, in die Bresche zu springen, lässt sich so beantworten, dass der massive Druck und die besonders brutalen Standortwettbewerbe bei GM das Kooperationslevel der AN-Vertretungen befördert haben. Prinzipiell hätten Ansätze wie die JDWG in anderen Unternehmen, die nicht so explizit gewerkschaftsfeindlich sind wie GM, möglicherweise bessere Chancen auf Anerkennung als Verhandlungspartner und zur Entwicklung langfristiger Beschäftigungssicherungskonzepte. Dort sind solche Ansätze aber bisher nicht entwickelt worden.

 

Zukünftige Standortwettbewerbe bei GM werden global sein, aber globale AN-Kooperation ist noch weniger etabliert. Es gibt keine rechtliche Grundlagen wie die EBR-Richtlinie, andererseits ist eine mittel- und langfristige Alternative zur transnationalen Kooperation und Solidarität unabdingbar, denn mit unilateralen Zugeständnissen erkauft man sich nur einen Aufschub bis die Logik der Konzessionsspirale umso unbarmherziger zuschlägt. Nur wenn es den Arbeitnehmern gelingt, transnationale Konkurrenz zurück zu drängen, kann auch wieder Einfluss auf die Arbeitsbedingungen zurück gewonnen werden.

 

In der Diskussion wurde nach den Bedingungen der Vertrauensbildung zwischen den AN-Vertretungen und den beteiligten Gewerkschaften gefragt. Ob es eine Rolle spiele, dass es sich bei GM um ein klassisches US-Unternehmen handle, das hierarchisch und quasi militärisch handle. Von Bedeutung sei sicher, dass es um einen unfairen Standortwettbewerb seitens GM gegangen wäre, was die Vertrauensbildung gestärkt habe, aber auch, dass das polnische Werk Gliwice als Drohfaktor ausgefallen sei, weil es eine Garantiezusage dafür gegeben habe. In frage gestellt wurde, ob es sich bei dem Fallbeispiel um ein Modell transnationaler Solidarität handle oder ob es nicht nur um sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen gehe.

Zur Vertrauensbildung verwiesen die ReferentInnen ergänzend darauf, dass durch hohe Transparenz und Offenheit Bindung erzeugt worden sei, dass es ein gemeinsames Bedrohungsszenario gegeben habe und dass der Steuerungskreis aus Vertretern aller beteiligten Werke gebildet worden sei. Abschließend betonten sie die große Bedeutung der Mitwirkung an der Gestaltung von unterstützenden EU Programmen durch die Gewerkschaften. Der EMB unterstütze ein Nachfolgeprojekt.

(Neben dem Folienvortrag existiert über das Projekt ein Artikel von Sabine Blum-Geenen und Martin Bartmann, in: Mitbestimmung – Magazin der Hans-Böckler-Stiftung, international edition 2007: “Wie die europäische Arbeitnehmervertretung bei GM Europe im jüngsten Standortwettbewerb punkten konnte“, s. website Hattinger Kreis)

 

Im zweiten Fallbeispiel beschäftigte sich Uwe Woetzel (ver.di Hauptvorstand) mit der clean clothes Kampagne, die seit 11 Jahren existiert und in der die Gewerkschaft ver.di mit zahlreichen NGOs und anderen Organisationen zusammenarbeitet, um für Textilarbeiterinnen in der Dritten Welt die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu verbessern. Außerdem stellte er CorA vor, ein Netzwerk für Unternehmensverantwortung, das mehrere Gewerkschaften mit NGOs gemeinsam betreiben und das sich mit Forderungen an die Politik wendet, die u.a. Corporate Accountability, die Verknüpfung der Vergabe öffentlicher Aufträge an gesellschaftliche Anforderungen und weitere Punkte beinhalten: Dazu werden konkrete Aktivitäten entwickelt.

 

Gefragt wurde in der Diskussion nach den gewerkschaftlichen Voraussetzungen und den Folgen der Kampagne für die Gewerkschaften, ebenso wie nach den Problemen der Kooperation zwischen Gewerkschaften und NGOs. Eingie Skepsis wurde gegenüber dem Monitoring geäußert und der Adressierung des Nationalstaats, der die Normeinhaltung gewährleisten solle.

Kritisch wurde angemerkt, dass ILO Normen aus rechtlicher Sicht erst einmal keine Rechtspflichten schaffen, Geltung könnten sie aber im Zusammenhang mit den EBR erhalten. Allerdings könnten unter gewissen Umständen auch nicht-rechtliche Normen effektiver werden als staatliche Normen, z.B. bei repeated play (Wiederholungsgeschäfte); reputation (Rufschädigung) oder network effects (Verstoß gegen informelle Regeln ziehen Network Nachteile nach sich).

Abschließend betonte der Referent die guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den NGOs, die auch zur Bildung von CorA geführt habe. Die Einbeziehung von Gewerkschaftsmitgliedern sei im Laufe der Jahre breiter geworden, insbesondere im Fachbereich Handel bei ver.di sei eine tiefe Verankerung dieses Konzept zu beobachten.

Dazu verwies er u.a. auf die Tagungsbroschüre „Billig ohne Wert und Würde?“ der ver.di Tagung für Fairen Handel im Juni 2006 mit zahlreichen Fallstudien.

 

Im dritten Fallbeispiel zu Möglichkeiten transnationaler Solidarität erläuterte Holger Bartels (IG BAU Vorstand) die „Strategie der BAU und der Europäischen Agrar- und Baugewerkschaften für die Belange der Wanderarbeiter“. Im Fokus stehen hier für die IG BAU seit 2004 die Saison- und Wanderarbeitnehmer (nicht die Gesamtheit der Migranten), die auf den Feldern und Baustellen arbeiten und sich kaum von der Gewerkschaft vertreten lassen wollen. Die IG BAU hatte die Prognos AG Basel beauftragt mit einer Untersuchung über die Interessenlage der meist osteuropäischen Saison- und Wanderarbeiter, wobei sich die Annahme, hier handle es sich um Geringqualifizierte, als falsch erwies. Die Gründung des Europäischen Verbandes der Wanderarbeiter (EVW e.V.), die 2005 gemeinsam mit den tschechischen, polnischen und niederländischen Gewerkschaften erfolgte, sollte zum Ziel haben, die Wanderarbeiter in Gewerkschaftsarbeit zu integrieren, in der Hoffung, sie würden nach der Rückkehr in ihren Heimatländern den dortigen Gewerkschaften beitreten. Es wurden für die Rekrutierungs-.und Beratungsarbeit zunächst Gewerkschaftssekretäre aus den beteiligten Organisationen ausgeliehen, ab 2005/06 auch eigene Sekretäre angestellt. Die Werbung hatte bislang mäßigen Erfolg, lediglich 1500 Mitglieder wurden gezählt, in den Heimatländern ließen sich nur knapp 4% der Geworbenen in die dortigen Gewerkschaften aufnehmen (wer länger als 2 Jahre Mitglied ist, sollte in die Heimatgewerkschaften aufgenommen werden). Allmählich steigert sich jedoch die Effektivität der Arbeit. Die Skepsis gegenüber dem EVW ist besonders dort gewichen, wo die Ausbeutungspraxis am schlimmsten ist. Der EVW schafft Öffentlichkeit und treibt notfalls Löhne ein, es ist noch nicht ausreichend gelungen, Ehrenamtliche für die Arbeit zu gewinnen. Andere Gewerkschaften sehen noch keinen Bedarf und in den meisten Nachbarstaaten gibt es wegen anderer rechtlicher Rahmenbedingungen keine vergleichbaren Strukturen. Dabei gibt es inzwischen eine neue Qualität durch eine globale Wanderungsbewegung, z.B. Saisonarbeiter aus Vietnam und China in Deutschland, aus Bolivien in Spanien und aus Nordafrika in Italien. Allmählich werden sich diese Saisonarbeiter auch ihrer Bedeutung bewusst, wie die Abwanderung aus Deutschland nach Irland oder England zeigt.

Zur Zeit läuft eine Europäische Initiative mit der WSA zur Definition von Saison- und Wanderarbeitern, um zu identifizieren, wie hoch ihre Zahl überhaupt ist. Eine Kampagne „faire Saisonarbeit“ richtet sich an die Arbeitgeber, die damit werben könnten, die Standards einzuhalten, etwa was Mitsprache und Unterbringung betrifft.

In den deutschen Agrarbetrieben sind etwa 300.000 Saisonarbeiter zu finden, davon 10% Einheimische, der Rest kommt aus Osteuropa (150.000 Polen, 30.000 Rumänen). Für Europa schätzt man, dass etwa 3 Millionen Wanderarbeiter unterwegs sind pro Jahr.

 

In der Diskussion wurde die Frage angesprochen, warum NGG und ver.di bisher noch keine vergleichbaren Aktivitäten aufgenommen haben, offenbar warten sie ab, ob der EVW sich bewährt. Jedenfalls soll das Projekt in 1-2 Jahren evaluiert werden.

Zum Thema „Illegale“ gibt es auf der Gewerkschaftsseite  kein genaues Bild. Es werden 300.000 bis 400.000 für Deutschland geschätzt, 2-3 Millionen in Europa, Der Organisationsaufwand, sich mit ihnen zu beschäftigen, sei immens groß, zumal die Betroffenen meist davon nichts wissen wollen. So bleibt es in der Regel bei punktueller Hilfe für die, die in Not geraten sind. Dafür gibt es bundesweite Rufnummern. Auf dem Bau schätzt man, dass es neben 7.000.000 regulären Arbeitskräften ca. 300.000 Wanderarbeiter und 500.000 Nicht-Identifizierbare gibt, teilweise mischt sich das auch mit dem agrarischen Sektor. Schleuserunternehmen bringen beispielsweise  Frauen per Kolonnen nach Spanien, die vorher für den „Gesundheitsschutz“ 1000 € bezahlen müssen. Aber es gebe wenig genaue Zahlen. Mit anderen europäischen Gewerkschaften sei eine Beobachtungsstelle geplant, da z.B. die Berufsgenossenschaften keine entsprechenden Daten erheben.

 

Das letzte Fallbeispiel präsentierte Peter Bremme (ver.di Hamburg) zum Thema „Globale Solidarität am Beispiel von Organizing Kampagnen in weltweit vernetzten Unternehmen des Wachdienstes und der Gebäudereinigung“.

Ausgehend von der These: Global agierende Unternehmen erfordern globale Organisierung und globale Gewerkschaften, stellte er sich die Frage:

Wie kann eine globale Gewerkschaft wachsen?

Dazu müsse vorab das Feld sondiert und geklärt werden: 1. In welchen Städten treffen wir die wichtigsten Unternehmen, die Beschäftigten, und ihre Kunden an? 2. Wo stehen wir dabei? 3. Wie können wir in den jeweiligen Ländern wachsen? 4. Wie können wir unsere Kräfte in den Ländern so bündeln, dass wir auch als Gewerkschaft global wachsen?

Nächste Schritte seien: Neue Unternehmen identifizieren für neue globale Kampagen, Globale Städte identifizieren und identifizieren, wo dort die Kampagne den größten Druck ausüben und erfolgreich sein kann.

Strategisch gelte es dann, Eigentümer und Kunden durch Organisierungskampagnen dazu zu bringen, dass sie auf der verantwortliche Einhaltung der Gesetze und Abkommen ihres Dienstleisters bestehen und diese Übereinkunft in einem globalen Abkommen festzuhalten. Verantwortliche Dienstleisterpolitik drücke sich dadurch aus, dass der Dienstleister sich verpflichte, folgende Punkte eigenständig einzuhalten:

nAlle Gesetze zu achten –besonders die Rechte der Arbeitsgesetzgebung

nAnerkennung von Gewerkschaften ohne offensichtlichen Widerstand

nAnerkennung von Tarifverhandlungen für seine Branche

nGewerkschaften Zugangsmöglichkeiten für direkte Gespräche mit Beschäftigten zu verschaffen

nFaire Löhne/Gehälter zahlen

Den Unternehmen könne „verantwortliche Dienstleisterpolitik“ dadurch „verkauft“ werden, dass sie Werte für Investoren und Eigentümer durch die Zusicherung von Qualitätsdienstleistungen für die Mieter in ihren Besitztümern erhielten.

Die Kernforderungen für ein Abkommen lauteten demzufolge neben der Anerkennung der ILO-Kernnormen:

- Die Gewerkschaft erhält Informationen über die Beschäftigten von den Arbeitgebern

(Anzahl der Beschäftigten, wo werden sie eingesetzt, wann arbeiten sie)

- Die Gewerkschaft nimmt an Treffen für Neueingestellte oder an Trainings teil

- Die Gewerkschaft kann Beschäftigte jederzeit treffen, um sie für gewerkschaftliche Arbeit zu gewinnen.

Wie kann das Abkommen nachhaltig abgesichert werden?

- Das Unternehmen informiert alle Führungskräfte über die Inhalte und den «Geist» des Abkommens

- Es wird eine Implementierungsgruppe ernannt, die die Umsetzung des Abkommens und Beschwerden bearbeitet

- Es gibt klare Absprachen darüber, was passiert, wenn gegen das Abkommen verstoßen wird.

Dafür könne dem Unternehmen von den Gewerkschaften angeboten werden:

- Wir stellen Standards für den Wettbewerb bereit

- Wir empfehlen «gute» Arbeitgeber weiter

- Wir wollen dass jedes Unternehmen diese Standards einhält und arbeiten

  gemeinsam an der Umsetzung von Standards in der Branche

Ein solches Abkommen hat die UNI mit der Group4securicor (weltweit 470.000 Beschäftigte) abgeschlossen. Mehr Informationen darüber unter: www.focusong4s.orgchampagj@seiu.

 

In der Diskussion wurde detaillierter über die ver.di Bemühungen in Hamburg gesprochen, wo im Rahmen der geschilderten Organizing Kampagne bei der Firma Securitas (Wachdienste) mithilfe von Organizern der SEIU ein neuer Tarifvertrag nach großen Startschwierigkeiten abgeschlossen werden konnte, der zur Mobilisierung der Beschäftigten geführt und bislang 200 Neuaufnahmen gebracht hat.

 

III. Bilanz des workshops und Vorbereitung der internationalen Tagung 2008

In der Diskussion darüber, ob das Format dieses Workshops mit seiner Kombination von theoretischer Verortung und konkreten Fallbeispielen ein Modell für die geplante Internationale Tagung sein könne, wurde bemängelt, dass der theoretische Teil noch zu geringe Verbindung zu den Praxisbeispielen gehabt habe. Die theoretische Reflexion müsste sich noch stärker auf die vorliegenden Praxiserfahrungen beziehen, um dann in einem dritten Teil zu fragen: Reichen die Erfahrungen aus? Was müsste dazu kommen, um Erfolge zu erreichen? Was muss sich an den Organisationsformen und der Politik der Gewerkschaften verändern? Angeknüpft werden solle an dem, was in den Gewerkschaften bereits in Bewegung sei.

Es bestehe derzeit ein offenes Zeitfenster für gewerkschaftliches Handeln, das allerdings begrenzt sei.

 

Zur Struktur einen zweitägigen Tagung im Frühsommer 2008 gab es eine Reihe von Anregungen, die eine Arbeitsgruppe, bestehend aus der bisherigen Vorbereitungsgruppe + Werner Fricke, auf einem Vorbereitungstreffen diskutieren und in einen endgültigen Vorschlag bringen soll.

Vorgeschlagen wurde im Einzelnen:

- Bei der geplanten Tagung im nächsten Jahr sollte verschiedenen Ansätzen Raum gegeben werden, um einen übergreifenden Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Dabei sollten die Adressaten gewerkschaftlicher Strategien im Auge behalten werden: Unternehmer, Kunden, Staat, die europäische Ebene. Nicht nur der betriebliche Bereich sei hier wichtig. Auch die Kooperation zwischen den Gewerkschaften und mit nicht-gewerkschaftlichen Akteuren sei zu berücksichtigen.

- An den Beginn gehöre eine systematische Bestimmung, was Solidarität sei. In Kenntnis der Fälle könnten Reflexionen zu Solidarität vs. Konkurrenz präzisiert werden. Das könnte zu einer Struktur führen, die in drei Teilen die Querschnittsfragen: Solidarität versus Konkurrenz, Erfolgsbedingungen von Soldarität, Erfolgsfaktoren bearbeite, wobei die Fallbeispiele in die leitende Orientierung einzubetten wären. Geschlossen werden könnte die Tagung mit einem „open space“.

Die Tagung sollte im Mittelteil mit Arbeitsgruppen arbeiten, deren Ergebnisse im Plenum zu strategischen Konsequenzen verdichtet werden. Dagegen wurde eingewandt, Foren/AGs könnten zu spezialisiert sein, wo gerade die übergreifenden Zusammenhänge interessant seien. Alternativvorschlag: Erst nach der Vorstellung von Fallbeispielen im Plenum werden thematische AGs bilden, die Ergebnisse erarbeiten, die dann wieder ins Plenum eingebracht werden.

 

Weitere Vorschläge: Es sollte nicht ein zu bunter Strauss aufgeblättert werden, sondern 2-3 Fallbeispiele gründlich durchgearbeitet werden.

Zu Beginn der Tagung könnte ein prominenter Akteur die internationalen Zusammenhänge umreißen. Vertreter der europäischen und internationalen Bünde sollten einbezogen werden. NGO-Vertreter sollten hinzugezogen werden.  Wir sollten von den Problemen statt von den Akteuren ausgehen.

Protokoll: Eberhard Schmidt, 12.10.2007

 

Protokoll des Workshops des Hattinger Kreises:

„Distanz und Nähe - Bedingungen gewerkschaftlicher Interessenvertretung vor Ort“

Düsseldorf, 1./2. März 2007, Hans Böckler Stiftung

 

Anwesend: 28 TeilnehmerInnen

 

1.      Nach der Eröffnung des Workshops durch Frank Gerlach (HBS) trug Heiko Geiling, (Uni Hannover) erste Ergebnisse aus einem HBS geförderten Projekt über gewerkschaftliche Nähe- und Distanzbeziehungen mit dem Titel „Gewerkschaften und soziale Milieus“ vor. Im Mittelpunkt der Ausführungen stand neben der Erläuterung des Milieuansatzes das Beispiel der IG Metall Magdeburg.

Die Folien des Vortrags und ein ausführlicher Text finden sich im Anhang zu diesem Protokoll.

 

2.      Andreas Boes (ISF München) stellte unter dem Titel „Theoretisch bin ich frei“ Befunde aus einem Forschungsprojekt zur gewerkschaftlichen Interessenvertretung in der IT - Industrie vor.

Die Folien auch dieses Vortrags befinden sich im Anhang zum Protokoll.

Sie sind auch zu finden unter:

http://www.isf-muenchen.de/pdf/070301_Hattinger-K_Ver1-0.pdf

 

 

3.  Ute Buggeln (Hamburg) berichtete über den Fortgang des Kooperationsprojekts „Alltag im Umbruch – Dialog zur Zukunft der Gewerkschaftsarbeit vor Ort“ zwischen der IG Metall Bremen und dem Hattinger Kreis. Hier hat inzwischen die einleitende Dialogkonferenz stattgefunden, an der etwa 35 ehren- und hauptamtliche Funktionäre der Bremer IG Metall und das Dialogteam des Hattinger Kreises teilgenommen haben. Die Konferenz, die einen erfolgreichen Verlauf nahm, endete mit Vereinbarungen, die vorsehen, dass in drei bis vier Arbeitsgruppen im nächsten halben Jahr zu den folgenden Themen weitergearbeitet wird:

- Kommunikation zwischen den Betrieben und mit der Verwaltungsstelle;

- Öffentliche Präsenz der IG Metall;

- Gestaltung des Gewerkschaftshauses und der Verwaltungsstelle sowie

- Verbesserung des Umgangs miteinander (Wertschätzung) und Entwicklung

   einer demokratischen Gesprächskultur

Im Herbst 2007 soll auf einer weiteren Konferenz Bilanz gezogen werden. Der gesamte Dialogprozess ist auf zwei Jahre angelegt.

 

4.   Wolfgang Uellenberg-van Dawen (DGB Köln) informierte über „Gewerkschaftliche Interessenvertretung aus der Sicht einer DGB-Region“ am Beispiel der Metropolregion Köln, die etwa 160 000 Mitglieder zählt. Er betonte die Notwendigkeit für den DGB, stets in der Mitte der Gesellschaft präsent zu sein, in Netzwerken, Bündnissen und Projekten, um institutionellen Einfluss auf Entscheidungen in den relevanten Handlungsfeldern der Region ausüben zu können. Die aktuelle Schwäche der Gewerkschaften rührt seiner Auffassung nach daher, dass die Organisation sich zu wenig in wichtige politisch Themen und Konflikte einmische.

Die Folien zum Vortrag befinden sich im Anhang zum Protokoll

 

5.      Arne Klöpper, (Bremen) berichtete abschließend über sein HBS gefördertes Dissertations-Projekt: „Mitgliederorganisationen im Wandel“, in dem es um Strategien zur Mitgliedergewinnung in lernenden Organisationen mit Fallbeispielen aus deutschen Gewerkschaften geht. Er erläuterte den Fortgang seiner methodischen und theoretischen Überlegungen, bei es ihm vor allem darauf ankommt, die Bedingungen und Umsetzungspraxen erfolgreicher Beispiele von Mitgliedergewinnung gegen den allgemeinen Trend zu untersuchen.

 

6.      Am zweiten Tag des workshops referierte Ulrich Brinkmann (Uni Jena)

den Fortgang der Jenaer Initiative: „Revitalisierung von Gewerkschaften“. Im Anschluss an die Jenaer Konferenz über „strategic unionism“ und Organizing-Konzepte im Dezember 2006 ist mit der Auswertung der Konferenz begonnen worden. Ein Teil der Referate ist ins Netz gestellt worden (s. Uni Jena, Institut f. Soziologie, Klaus Dörre), daraus soll in nächster Zeit ein Sammelband entstehen.

Möglicherweise wird auch bei der HBS ein Folgeprojekt der durchgeführten Literaturstudie beantragt. Ulrich Brinkmann verwies zur Bedeutung des strategic unionism Konzept auf die zahlreichen Abwehraktionen der IG Metall im Bezirk Küste.

 

7.     Den Hauptteil des Vormittags nahm die Diskussion über Vorschläge zur Gestaltung der geplanten Tagung des Hattinger Kreises mit internationaler Beteiligung ein.

Ulrich Mückenberger (Uni Hamburg) stellte zu Beginn drei mögliche thematische Varianten für die Tagung vor, die bisher in die Diskussion eingebracht worden waren (s. Protokoll des letzten Workshops und Reaktionen darauf):

 

1.      Standortkonkurrenz vs. Standortsolidarität im Angesicht von Standortverlagerungen und Verlust von Arbeitsplätzen (Beispiele Airbus Opel/GM etc.). Dazu verwies er auf das neue Heft von Transfer zum Thema.

2.      Globale Solidarität und Gerechtigkeit: Transnationale Normbildungsprozesse (ILO Standards, WTO, CSR,Codes of Conduct etc.) und gewerkschaftliche Handlungsmöglichkeiten

3.      Migration: Internationalisierung von Gewerkschaftsarbeit vor Ort (IG BAU etc.)

 

In der sehr ausführlichen und engagiert geführten Diskussion wurden für die einzelnen Themen und ihre Verbindung/Überlappung zahlreiche Argumente angeführt und neue Aspekte eingebracht, u.a.:

-          Die Notwendigkeit, die neu sich herausbildende globale Produktivkraftstruktur, die neue Formen der Konkurrenz generiert, beispielhaft zu untersuchen, etwa an der IT-Industrie und an der Automobilindustrie, und die Reaktionen der Gewerkschaften darauf zu analysieren.

-          Die neuen Formen der Konkurrenz auf internationaler Ebene in ihren unterschiedlichen Auswirkungen (Verlagerung, Migration, Hedgefonds, Mindestlöhne, Standortkonkurrenz, Pendler, illegale Beschäftigung etc.) zu begreifen und gewerkschaftliche Handlungsansätze auf Branchenebene zu diskutieren

-          Bei der Internationalisierung die Ebene des Arbeitshandelns von der institutionelle Ebene (TV, Mitbestimmung etc.) unterscheiden und miteinander verknüpfen

-          Die Themen auf Handlungschancen der Gewerkschaften zuschneiden und die damit verbundenen Probleme identifizieren (z.B. IG BAU: internat. Wanderarbeitergewerkschaft)

-          Die internationalen Kampagnen in den Blick nehmen (z.B. ITF: Port Package; SEIU: TV in unterschiedlichen Ländern durchsetzen; grenzüberschreitende Kampagnen im DL-Bereich) und die Reaktionen in den Partnerländern.

-          Das Monitoring der international framework agreements (IFA) der Global Unions) untersuchen

-          Die unterschiedlichen Ebenen von Internationalisierung differenzieren, um unterschiedliche Strategien und Kooperationsformen herauszuarbeiten

-          Strategisch relevante Bereiche  identifizieren, z.B. die Biotechnik und untersuchen, welche Regulierungsformen dort ablaufen

 

Als grobe Struktur einer Tagung des HK mit internationaler Beteiligung schälte sich schließlich heraus:

 

Neue Formen von Konkurrenz als Herausforderung für gewerkschaftliche Solidarität

 

In einem ersten Zugang sollte die Entstehung qualitativ neuer Konkurrenzstrukturen und ihre Auswirkungen für das Arbeitshandeln in den Blick genommen werden, mit dem Ziel nach Solidaritätsstrukturen zu suchen, die die Gewerkschaften ausbilden könnten oder bereits Angriff genommen haben.

 

An die theoretische Verortung könnten sich Fallbeispiele aus unterschiedlichen Branchen anschließen, um gewerkschaftliche Handlungsspielräume zu identifizieren und Handlungsansätze zu bewerten.

 

Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Gewerkschaften eingeladen werden, die sich damit auseinandersetzen  (EMB, IL0-Genf, IG BAU, NGG...). Den Referenten sollten genaue Vorgaben gemacht werden.

 

Da sich der  ursprünglich geplante Termin im September 2007 wegen des zu kurzen Vorlaufs nicht mehr realisieren lässt, sollte stattdessen ein vorbereitender workshop stattfinden.

Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Andreas Boes, Hans Gabriel, Thomas Greven, Frank Gerlach, Ulrich Mückenberger, Arne Klöpper, Eberhard Schmidt, evtl. noch Martin Behrens (WSI) und jemand aus der Jenaer Initiative wird sich zur Vorbereitung des workshops am 10.4.2007, 11-17 Uhr in Bremen treffen (genaue Einladungen werden noch versandt).

 

Der Termin für den nächsten workshop wurde auf den 27./28. September 2007 festgesetzt. Ort: möglichst DGB-Schule Hattingen o.ä..

 

                                                                                        (Protokoll: Eberhard Schmidt)

 

Anhang zum Protokoll:

Folien Vortrag Heiko Geiling

Aufsatz Heiko Geiling

Folien Vortrag  Andreas Boes

Folien zum Vortrag Wolfgang Uellenberg-van Dawen

 

 

 

 

Protokoll des Workshops „Zukunftsperspektiven des Hattinger Kreises“ am 14./15.9.2006 in Wremen

 

Teilgenommen haben 22 Mitglieder des Hattinger Kreises

 

1.      Rückblick und Perspektiven der Arbeit des Hattinger Kreises zum Organisationslernen von Gewerkschaften

Grundlage der Diskussion bildete das vorab versandte Papier „Rückblick und Perspektiven der Arbeit des Hattinger Kreises zum Organisationslernen von Gewerkschaften“ (Eberhard Schmidt et al.), das noch einmal kurz zusammengefasst wurde (s. Text im Anhang zu diesem Protokoll). In der Diskussion wurde darauf verwiesen, das in den Gewerkschaften mittlerweile Reflexionsprozesse zur Ursache der Mitgliederverluste und über eine verbesserte Mitgliedergewinnung eingesetzt haben (z.B. „besser statt billiger“-IG Metall NRW). Andererseits wurde noch einmal unterstrichen, dass offenbar nach wie vor die Frage, welche Folgen gute Projekte nach sich ziehen müssen, um in der Organisation Wirkung zu erzielen, nicht genügend bedacht wird. Es würden zu wenig Überlegungen bereits im Konzeptstadium darauf verwendet, wie mit den Resultaten umgegangen werden sollte.

 

Ute Buggeln erläuterte dann den Stand der Entwicklung des Projekt des Hattinger Kreises mit der IG Metall Bremen. Im Zentrum dieses Projekts steht ein dialogorientierter Organisationsentwicklungsprozess, der zunächst auf zwei Jahre angelegt ist und in dem einige Mitglieder des Hattinger Kreises gemeinsam mit haupt- und ehrenamtlichen KollegInnen der Verwaltungsstelle die bisherige Arbeit überdenken und die Kontinuität innovativer Prozesse sichern und optimieren wollen. Nach Vorgesprächen mit der Leitung der Vst. ist eine Einigung darüber getroffen worden, dass eine Person aus der Vst. gemeinsam mit einem/r ehrenamtlichen Kollegen/in verantwortlich den Prozess koordiniert in Abstimmung mit dem Hattinger Kreis. Ute Buggeln beabsichtigt, in einem auf der Methode der Aktionsforschung basierenden Dissertationsprojekt die Prozesse zu begleiten. In diesem Zusammenhang wurde das Forschungsprojekt von Ulrich Mückenberger erwähnt, dass als Regionalstudie angelegt, die Strukturen und Handlungsbedingungen in einer Großorganisation – am Beispiel der IGM Verwaltungsstelle Bremen – untersuchen wird. Die Erkenntnisse aus dieser Regionalstudie werden für die geplante Dialogkonferenz am 8. Dezember 2006 in Bremen von Bedeutung sein.

 

Darüber hinaus müsste im Vorfeld der Dialogkonferenz geklärt werden, wie die Auswahl der TeilnehmerInnen erfolgen soll und wie es mit der Freiwilligkeit der Teilnahme steht. Wie wird mit denen umgegangen, die nicht veränderungsbereit sind? Wie wird für die Teilnahme an dem OE-Prozess motiviert? Wie verbindlich kann die Gewerkschaft die Umsetzung der Ergebnisse  zusichern? Werner Fricke verwies darauf, es käme zunächst einmal darauf an, zuzuhören, zu ermuntern und gemeinsam mit den Beteiligten nachzudenken. Eine Zusicherung der Umsetzung von Ergebnissen sei vorab nicht möglich, zu verlangen sei von der Leitung der Vst. nur die Zusicherung geschützter Freiräume für Veränderungen zu schaffen. Oft sei die Angst vor Veränderung viel zu groß, mangelndes Selbstvertrauen blockiere mögliche innovative Ansätze. Dem muss entgegen gearbeitet werden durch einen verständnisvoll geführten Dialog. Eine Diskussion entspann sich auch darüber, wie weit die beteiligten KollegInnen ihre Situation reflektieren und darstellen können und ob die Wissenschaftler Lösungen anbieten müssten. Margareta Steinbrücke plädierte für ein maieutisches Verfahren, das Verschüttetes an den Tag bringt und Veränderungsschritte anvisieren hilft. Werner Fricke erwartet als Ergebnis der Dialogkonferenz Fragen, an denen weitergearbeitet werden kann. Unter Umständen brauche man dann für die Ausarbeitung von Alternativen auch Expertenrat.

 

Anschließend wurde das Verhältnis des Projekts zum Hattinger Kreis debattiert. Es bestand Einigkeit darüber, das die im engeren Sinne beteiligte Gruppe (Ute Buggeln, Margareta Steinrücke, Werner Fricke, Ulrich Mückenberger, Rainer Zoll und Eberhard Schmidt) die volle Unterstützung des Hattinger Kreises hat. Es handle sich um ein wichtiges Projekt des HK, über dessen Fortgang regelmäßig den restlichen Mitgliedern des HK berichtet werden soll. Die Erwartung ist, dass dieses Projekt ein Transformationswissen (Ulrich Mückenberger) generiert, das Wirkung über die Grenzen der IGM Bremen in die Gesamtorganisation hinein entfaltet.

 

1.      Das Forum Neue Politik der Arbeit

Helmut Martens (Sozialforschungsstelle Dortmund) erläuterte das Projekt, das angestoßen vom DGB Bezirk Berlin-Brandenburg, inzwischen einen vierjährigen Diskussions- und Arbeitsprozess unter kontinuierlicher Beteiligung von 50-60 Wissenschaftlern und Gewerkschaftlern hinter sich hat. (Die neueste Publikation: „Turnaround? Strategien für eine neue Politik der Arbeit. Herausforderungen an Gewerkschaften und Wissenschaft“ (Westfälische Dampfboot 2006) wurde den workshop-TeilnehmerInnen dankenswerterweise von der HBS zur Verfügung gestellt). Hinsichtlich der Wirkungen in die Gewerkschaften hinein liegen laut Helmut Martens ambivalente Erfahrungen vor: Es gibt eine beachtliche Zahl von Praktikern, die stabil mitarbeiten (u.a. Haupt- und Ehrenamtliche aus dem DGB LB Berlin Brandenburg, die an den Jahrestagungen teilnehmen) und u.a. verstetigte Kontakte zu etlichen Kollegen aus drei großen DGB-Gewerkschaften. Es ist andererseits zunächst nicht gelungen, andere DGB-Landesbezirke aktiv einzubeziehen. Schließlich sind bezüglich der Resonanzen über diesen Kreis hinaus Erfahrungen gemacht worden, die ähnlich wie im HK im Zusammenhang der Befassung mit Organisationslernen auch gemacht wurden. Unter dem stetig gewachsenen Druck des Alltagsgeschäfts besteht oft wenig Verständnis für die Arbeit an übergreifenden Orientierungen in Zeiten tiefgreifender Umbrüche. Es scheint darüberhinaus, als sei es nicht überall opportun, die Mitgliederproblematik auch als politische Krise der Gewerkschaften zu diskutieren, sodass das Projekt nur eine begrenzte Reichweite entfalten kann. Die Perspektive des Kreises ist es, weiterhin vertiefende Fragen zu stellen.

Näheres dazu findet sich auf der homepage des Forums: www.forum-neue-politik-der-arbeit.de

Der Folienvortag von Helmut Martens ist als Anlage (format ppt) beigefügt.

 

2.      Die Initiative Kehrtwende des DGB

Über den Turnaroundprozess des DGB, der angesichts der rasanten Mitgliederverluste der Gewerkschaften durch ein Papier der Vorstandsverwaltung in Gang gesetzt wurde und mittlerweile in Arbeitsgruppen vorangetrieben wird, berichtete Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Vorsitzender der DGB Region Köln-Leverkusen-Erft Berg. (Sein Folienvortrag dazu findet sich ebenfalls als ppt Anlage bei diesem Protokoll).

Wolfgang Uellenberg verwies ergänzend darauf, dass es sich bei diesem Prozess nicht allein um eine Mitgliederwerbungskampagne handle, sondern um ein politisches Projekt, dessen Hauptziel es sei, die Gewerkschaften wieder attraktiver zu machen. Die ungelösten Fragen, die sich dabei stellten, lauteten u.a., ob die Einzelgewerkschaften mitziehen und es nicht als Projekt des DGB alleine begreifen, wie die interne und externe Kommunikation über eine Kehrtwende organisiert werden kann, wie entsprechende Kompetenzen und Ressourcen erschlossen werden, wie weitere Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet werden? Besondere Bedeutung käme den AGs „Potenzialanalyse“ und „Index gute Arbeit“ zu, wo es darum ginge, die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen zu erschließen und Überlegungen anzustellen, wie sie politisiert werden könnten.

 

In der Diskussion wurden u.a. Fragen nach der Ermittlung der Interessen der Mitglieder, nach der Qualität der Meinungsbildungsprozesse in der Organisation, zum Einsatz der Ressourcen, zur Verbindlichkeit bei der Einbeziehung der ehrenamtlichen Funktionsträger und zur Verwendung der Umfrageergebnisse behandelt. Insbesondere die Frage nach den Umsetzungsstrategien beschäftigte den Teilnehmerkreis. Wolfgang Uellenberg verwies abschließend auf die Notwendigkeit Erfahrungswissen, Organisationswissen und wissenschaftliche Reflexion über die genannten Probleme in Einklang zu bringen.

 

 

3.      Vorstellung einzelner Forschungsprojekte

4.1.-Klaus Dörre: „Global mitbestimmen - lokal gestalten? Bürgerschaftliches Engagement von Betriebsräten am Beispiel regionaler Strukturpolitik“

Das Projekt von HBS und Otto Brenner Stiftung untersucht das überbetriebliche Engagement von Betriebsräten (so hier die Definition von BE) in acht verschiedenen Regionen der IG Metall. Es ging von folgenden Hypothesen aus:

- Es gibt eine Gegentendenz zur Verbetrieblichung und zur Suche nach neuen Bündnispartnern

- regionale Strukturpolitik ist ein Feld auf dem BR Insiderwissen haben, aber als weitgehend ungenutzte Ressource

- BE von BR kann zur Keimzelle neuer kollektiver Identität werden

- In der Ost/Westdifferenz hat der Osten in diesem Punkt die Vorreiterrolle

 

Im Ergebnis hat sich dann die hohe Gewichtung regionaler Strukturpolitik als Handlungsfeld für Betriebsräte nicht durchhalten lassen, das gilt lediglich selektiv. Es braucht dafür besondere Protagonisten, die aktiv werden. Zumeist zieht der starke Druck auf die Kernfelder des BR-Handelns alle Energien auf sich und verhindert Aktivitäten, die über betriebliche Bündnisse für Arbeit hinaus gehen. Wichtiger erscheint, wie Beteiligung über Mitgliederbefragungen, betriebliche Tarifkommissionen etc, zu erreichen ist, um die Resignation zu durchbrechen und einen aktivierenden Ansatz zu finden.

 

In der qualitativen Befragung der BR ist ein verselbstständigtes Handeln der BR gegenüber den Gewerkschaften vor allem in Großbetrieben deutlich zu beobachten. Vom Bewusstsein her wird allerdings die Kluft bestritten, es gehe auch nicht um prinzipielle Ablehnung der Organisation.

 

Klaus Dörre und seine Mitarbeiter haben acht Handlungstypen aufgelistet, die sich in der Stärke und Art ihres BE unterscheiden. Die fünf alten Typen lassen sich bezeichnen als: 1. der reine BR, 2. der lebensweltlich-unpolitische BR, 3. der engagierte Stellvertreter, 4. der enttäuschte Kommunalpolitiker, 5. der politische Gewerkschafter. Die drei neuen Typen sind: 6. der regionale Co-Manager, 7. der Netzwerker und 8. der beteilungs- und bewegungsorientierte BR (der starke Gemeinsamkeiten mit Typ 5 aufweist, nur andere Partner sucht). Insgesamt bedeutet das auch, es gibt ein waches Bewusstsein, dass außerhalb des Betriebes Handlungsoptionen liegen, die aber nicht unbedingt wahrgenommen werden. Für einige BR bedeutet das, dass sie nur so die BR-Alltagsarbeit ertragen. Allerdings sind das meistens nicht die BR-Vorsitzenden. Entscheidender Handlungsbezug bleibt derzeit die defensive Tarifpolitik, außerbetriebliche Felder werden nur angegangen, wenn es dafür Zusatznutzen gibt.

 

Als abschließende Thesen formulierte Klaus Dörre:

1.      Eine Entfremdung der BR von den Gewerkschaften ist nicht festzustellen (Einschränkung. Das Untersuchungssample kann für dieses Resultat verantwortlich sein, die Distanzierten , junge BR (?) sind kaum erfasst worden). Die Bildungsarbeit leistet nach wie vor eine starke moralische Bindung an die IG Metall. Ob das bleibt, ist allerdings offen.

2.      Eine stärkere öffentliche Präsentation der Gewerkschaften wird gewünscht. Die Wahrnehmung der gesellschaftspolitischen Aufgaben der Gewerkschaft kann Entlastung für das eigene  Nicht-Handeln bedeuten.

3.      Eine Minderheit begreift die Gewerkschaften als Teil einer politischen Bewegung

 

Die quantitative Erhebung hat u.a. ergeben: Eine große Mehrheit der Befragten stimmt der Forderung: BR sollen auch zum Streik aufrufen voll oder bedingt zu. Dass mehr Mitbestimmung möglich ist , bejahen 80% der Befragten.

Das Projekt wird am 1.12. einen call for paper starten für eine Tagung mit dem Titel „Revitalisierung der Gewerkschaften“. Außerdem werden in den Regionen Transferworkshops stattfinden. Näheres s. Projektwebsite bei der OBS (Nr. 104-2004)

1.2  Ute Buggeln: Geplantes Dissertationsprojekt zur Begleitung des OE-Prozesses von IG Metall Bremen und Hattinger Kreis

 

Ausgangspunkt der Untersuchung (die bei der HBS als Dissertation zur Förderung beantragt worden ist), ist das Alltagshandeln der Gewerkschaft einer Untersuchung zu unterziehen und zwar nicht in Form einer strukturelle Analyse, sondern als begleitende Aktionsforschung, bei der die Forscherin eine Doppelrolle als Beteiligte an dem Prozess und als distanzierte Beobachterin einnimmt, wobei auch die Rolle der beteiligten WissenschaftlerInnen unter die Lupe genommen wird.

 

Ausgangsthesen sind:

- Veränderungen im Alltagshandeln gewerkschaftlicher Akteure vollziehen sich in Zeiten der Krise in einem widersprüchlichen Prozess zwischen Erhalt traditioneller Verhaltensmuster und der Öffnung gegenüber neuen Handlungsanforderungen. Für den OE-Prozess besitzen sie damit sowohl dynamisierende als auch blockierende Potenziale.

- Wenn Veränderungen im Alltagshandeln zum Gegenstand der Reflexion und des Diskurses innerhalb der Organisation erho­ben werden, stimulieren sie organisationale Lernprozesse und können einen Diffusionsprozess (gegenseitige Durchdrin­gung) in die bestehenden Organisationsstrukturen provozie­ren. Es ist davon auszugehen, dass beide Prozesse weder gradlinig noch konfliktfrei verlaufen.

 

- Mit der Hinwendung zum Alltagshandeln kommt der Wissen­schaft - unter Einhaltung bestimmter Regeln - innerhalb die­ses Prozesses nicht nur eine interaktive Rolle zu, sondern diese Rolle erhebt die Wissenschaft selbst zum lernenden Subjekt.

Der Hattinger Kreis wird in diesem Projekt mit einer eigenen Arbeitsgruppe (s. Punkt 1 des Protokolls ) mitarbeiten und die Dissertation unterstützen.

4.3 Arne Klöpper: Mitgliederorganisation im Wandel. Strategien zur Mitgliedergewinnung in lernenden Organisationen: Fallbeispiele aus deutschen Gewerkschaften.

 

Das geplante Dissertationsprojekt bei der HBS steht ebenfalls im Zusammenhang mit den Arbeiten des Hattinger Kreises. Es wird von Helmut Spitzley betreut. Arne Klöpper hat bislang das folgende Forschungsdesign entwickelt.:

 

1. Fragestellung, Gegenstand, theoretischer Analyserahmen

Ausgangsfragen:

Wie gelingt es großen, auf Mitgliedschaft beruhenden, Organisationen, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren? (Gesellschaftlicher Wandel; Organisationslemen)

Unter welchen Bedingungen ist Mitgliedergewinnung möglich, welche Strategien sind erfolgreich? (interne und externe Faktoren)

Gewerkschaften als Untersuchungsobiekte mit besonderen Problemen / Herausforderungen: Mitgliederrückgang und -zusammensetzung, Rekrutierungsfalle, abnehmende Handlungs­und Durchsetzungsfähigkeit, Wandel der Arbeitsgesellschaft (Tertiarisierung, Prekarisierung, Flexibilisierung, Arbeitslosigkeit, Verbetrieblichung usw.)

Strategieangebote:

Konzentration auf Kernkompetenzen; Erweiterung des Vertretungsanspruchs; Dienstleistungsorientierung; Kampagnen; Organizing; Bündnisse; usw.

Annahmen und vermutete Erfolgsfaktoren:

Die zur Überwindung der Mitgliederkrise eingesetzten Strategien sind nur vereinzelt und in geringem Umfang erfolgreich, können aber potentiell die Attraktivität steigern In der Bearbeitung und Thematisierung von scheinbaren Widersprüchen (siehe Stra­tegieangebote) liegt eine Chance für die Rückgewinnung von Gestaltungsfähigkeit Rahmenbedingungen: Branche, regionale Besonderheiten, Konfliktsituationen Organisationale Bedingungen: Organisationsentwicklungs- und Lemprozesse, eingesetzte Strategien / Ansätze, verfügbare Ressourcen

II. Empirischer Zugang

Gegenstand: Erfolgreiche Strategien zur Mitgliedergewinnung (,best practices');

Zugang 1: 6-8 Fallstudien: lokale Organisationseinheiten, ggf. dort spezifische Organisationsbereiche; Dokumentenanalyse; Leitfadengestützte Interviews mit v.a. hauptamtlichen Expertinnen; IGM, ver.di, NGG / IG BAU

-+ Selbstwahmehmung der Organisation, Strategien, Erfolgsbedingungen, Lemerfolge

Zugang 2: 3-4 (schriftliche) Neu-Mitgliederbefragungen (in zuvor untersuchten Einheiten): Beitrittsmotive, Einfluss der Strategien, Erwartungen, soziodemografische Indikatoren -> Aussagen über Erfolgsbedingungen von Strategien und subjektive Faktoren

III. Potentielle Ergebnisse und Schlussfolgerungen

-+ Identifizierung der Erfolgsbedingungen von Strategien zur Mitgliedergewinnung deutscher Gewerkschaften (auch hinsichtlich bisher unterrepräsentierter Gruppen) -• Transfermöglichkeiten (intra- und intergewerkschaftlich)

-• Veränderungs- und Anpassungsmöglichkeiten lernender Mitgliederorganisationen

IV. Erweiterungsoptionen und Abgrenzungsprobleme

,Worst Practices'; Zentrale Kampagnen; Erfolgreiches,outsourcing' (z.B. connexx.av); Neue und wachsende Interessenvertretungs-organisationen außerhalb des DGB (z.B. Marburger Bund, Cockpit); Bündnisse; Internationale Beispiele.

In der Diskussion des Projekts wurde darauf hingewiesen, dass besonderer Wert auf die Kriterien zu legen ist, die beim Vergleich angelegt werden. Was gilt als erfolgreich? Welche Gruppen werden ausgewählt und warum? Wie ist die zeitliche Dimension der Untersuchung?

 

Wie bei dem vorangegangenen Projekt sichert der HK auch hier seine Unterstützung zu und erwartet einen regelmäßigen Bericht über den Fortgang der Arbeit.

 

2.      Vorbereitung der Internationalen Tagung

Nachdem er noch einmal den Anlass und die Gründe für eine Tagung des HK mit internationaler Beteiligung erläutert und auf einschlägige neue Literatur verwiesen hatte (WSI-Mitteilungen 1/2006, Transfer, Industrielle Beziehungen 3/2006) präsentierte Ulrich Mückenberger einen Vorschlag für die Themenkomplexe einer solchen Tagung bzw. des nächsten workshops.

 

1.      Globale gewerkschaftliche Vernetzungspraxis – welche Erfahrungen sind damit gemacht worden, welche Hindernisse gibt es?

Als Referenten kämen infrage: Frank Hoffer/Verena Schmidt (GURN, Genf), PLatzer, Rüb,.Müller (FH Fulda), Christoph Scherrer (Global Union University Kassel), Rainer Dombois (Bremen), Reiner Hoffmann (ETUC)

 

2.      Fallstudien praktisch gelungener (oder gescheiterter) Vernetzung (Continental, Bayer) und deren Erfolgsbedingungen

 

3.      Ausgewählte theoretische Fragen

3.1.           Der (ungewollte) Protektionismus der westlichen Gewerkschaften (Ulrich Mückenberger)

3.2.           Transnationale Solidarität als Problem (NN)

3.3.           Das Verhältnis von Gewerkschaften und internationalen NGOs (Reiner Hoffmann)

3.4.           Strategische Bezugspunkte transnationaler Gewerkschaftspolitik

 

In der Diskussion wurde nach dem Bezug der Thematik zur bisherigen Arbeit des HK gefragt und nach der Anschlussfähigkeit an die Projekte zum Organisationslernen. Alternativ wurde vorgeschlagen, sich stärker auf Fragen des union renewal zu konzentrieren und Beispiele der Rekrutierungspraxis und des Organizing in anderen Ländern zu studieren. Einwände dagegen richteten sich wiederum auf die Frage der Übertragbarkeit solcher Beispiele angesichts der historischen, kulturellen und sozialen Differenzen (Beispielfälle kämen etwa von Unison in England oder von kanadischen Gewerkschaften).

 

Beschlossen wurde schließlich, einen ersten Vorbereitungsworkshop am 1./2. März 2007 (evtl. in Köln) durchzuführen. Eine Arbeitsgruppe, an der sich Frank Gerlach, Rainer Dombois, Klaus Dörre, Luitpold Rampeltshamer, Eberhard Schmidt, Ulrich Mückenberger beteiligen, soll die Fokussierung des internationalen Themas und mögliche Schnittmengen zwischen beiden Vorschlägen eruieren. Martin Behrends, WSI, der zu diesen Themen einschlägig arbeitet, soll dazu eingeladen werden. Auf diesem workshop soll auch über den Stand des Bremer Projekts berichtet und das Forschungsprojekt von Heiko Geiling, Hannover vorgestellt werden.

Ein zweiter workshop könnte dann im Sommer 2007 stattfinden und die Tagung mit internationaler Beteiligung Ende 2007/Anfang 2008.

 

                                                                       Protokoll: Eberhard Schmidt

 

ANHANG

 

Eberhard Schmidt

Rückblick auf die Arbeit des HK zum Organisationslernen in Gewerkschaften und was daraus folgt für die zukünftiger Arbeit des HK

 

Was haben wir in den vergangenen fünf bis sechs Jahren an Erkenntnissen gewonnen und wie kann es weiter gehen?

 

Die intensive Beschäftigung mit Projekten zur Organisationsentwicklung und zum Organisationslernen in den Gewerkschaften hat uns vor Augen geführt, dass die Gewerkschaften in diesem Bereich mit vier großen Defiziten zu kämpfen haben:

 

1. mit einem Beteiligungsdefizit: die Ansätze zur Organisationsentwicklung waren zu sehr top-down angelegt, was zu geringe Resonanz erzeugt

 

2. mit einem Defizit an Veränderungsbereitschaft: Angst von bestimmten Funktionärsschichten vor grundlegenden Veränderungen in Arbeitsweise, Habitus, Kommunikation, Außendarstellung aus Angst vor Einflussverlusten

 

3. mit einem Defizit an Verallgemeinerung von zukunftsweisenden Ansätzen und Projekten in den Bereichen von Mitgliederwerbung und Dienstleistungen für Mitglieder und Noch-nicht- Mitglieder

 

4. mit einem Defizit beim Management von Vielfalt: differenzierte Angebote und Politiken für wichtige Zielgruppen zu entwickeln und gleichzeitig nicht die Interessen der Kernmitgliedschaft zu vernachlässigen

(besonders dramatisch bei der jüngsten Auseinandersetzung ver.di-Marburger Bund und der aufkommenden Diskussion über eine Gesundheitsgewerkschaft, es gärt aber auch bei den Lokführern, im Bankengewerbe und beim Bodenpersonal in Flughäfen, von der Vereinigung cockpit zu schweigen), also eine Defizit an Solidarität.

 

Nicht zu leugnen ist, dass diese Probleme von den Gewerkschaftsvorständen im wesentlichen erkannt sind , und dass einige Anstrengungen gemacht werden, auch mit einigem Erfolg, hier Abhilfe zu schaffen. Ich erinnere an die IGM NRW (Wetzel), an verd.di jüngst eingerichtetes Ressort 14: Mitgliederentwicklung u.a.

Wie weit die genannten Defizitkomplexe damit erfolgreich bearbeitet werden können, steht noch aus.

 

Wir haben aus unserer Beschäftigung mit diesen Entwicklungen eine Reihe von Anforderungen an das lernen von Gewerkschaften in einer turbulenten Umwelt entwickelt. Sie betreffen:

 

1.      die Veränderung des Habitus derjenigen, die die Organisation nach außen vertreten (Abbau von Einwegkommunikation, Moderationsfähigkeit, Sprache, Erreichbarkeit und Zuverlässigkeit etc.)

 

2.      Veränderung der Organisationskultur (Beteiligungsorientierung, Sich-Einlassen auf Vielfalt und kulturelle Differenz, Entwicklung von Fachkompetenz, qualifizierende Personalentwicklung)

 

3.      ein neues Dienstleistungsverständnis (Beratung in Krisensituationen, Beteiligungsorientierung, Förderung dezentraler Aktivitäten, Netzwerke)

 

4.      die verbesserte Nutzung des Potentials von Ehrenamtlichen (Beteiligungsmöglichkeiten, Weiterqualifizierung, Dialogstrukturen)

 

5.      den Auf- und Ausbau von Kompetenzen und Kapazitäten (Wissensarbeiter, Gender mainstreaming, Europapolitische Entwicklungen)

 

6.      die Ausbildung von Allianzfähigkeit (Umgang mit Organisationen der Zivilgesellschaft, fremde Organisationskulturen)

 

Da wir bei diesen Erkenntnissen nicht stehen bleiben wollten, haben wir beschlossen, unserer Einsichten praktisch werden zu lassen und gemeinsam mit einer lokalen Gewerkschaftseinheit  weiter zu entwickeln. Das läuft zur Zeit unter dem Signum „Dialogkonferenz“ mit der IG Metall Bremen an (dazu s. Ute Buggeln)

 

Zum Schluss ein Verweis auf darüber hinausweisende Fragen, die Werner Fricke eingebracht hat:

-         Wie können Mitglieder auf die Auswahl hauptamtlicher Funktionäre größeren Einfluss erlangen?

-         Wie können Mitglieder auf Entscheidungen der verschiedenen gewerkschaftlichen Organisationsgliederungen mehr Einfluss gewinnen?

-         Wie wären über bestehende Projekte hinaus Möglichkeiten projektförmiger Arbeit zu schaffen, systematisch etwa in regionalen und lokalen Kontexten, unter Beteiligung von Mitgliedern und Noch-Nicht-Mitgliedern? Zu welchen Themen?

Wäre es denkbar, unter Beteiligung der Mitgliedschaft ein Controlling im Prozess gewerkschaftlichen Handelns einzurichten, das für gewerkschaftliche Mitglieder transparent ist, vielleicht sogar mit ihrer

 

 

Protokoll des Themenfindungsworkshops des Hattinger Kreises,

Wremen, 23./24. Februar 2006

 

An dem workshop des Hattinger Kreises in der Bildungsstätte Wremen/ Cuxhaven nahmen 18 Mitglieder des Hattinger Kreises teil.

 

Einführende Bilanz der Arbeit des Hattinger Kreises

Frank Gerlach bilanzierte zu Beginn des workshops noch einmal die Arbeit des Hattinger Kreises seit 1999. Die elf workshops und zwei Hattinger Foren in diesem Zeitraum dokumentierten ebenso wie die Publikationen, dass der Hattinger Kreis relevante Themen jenseits der Alltagsarbeit der Gewerkschaften  mit längerfristiger Perspektive aufgegriffen habe. Als Diskussionsforum von Gewerkschaftern und gewerkschaftsnahen Intellektuellen übe der Hattinger Kreis eine wichtige Funktion für die Hans Böckler Stiftung aus. Für diese erfolgreiche und ehrenamtlich geleistete Arbeit sprach Frank Gerlach ausdrücklich den Dank der Stiftung aus.

Probleme für die weitere Arbeit des Kreises sah er in drei Dimensionen:

1. Der Kreis müsse sich mehr um neue Mitglieder kümmern

2. Es seien zuwenig aktive GewerkschafterInnen beteiligt

3. Eine thematische Neuausrichtung sei erforderlich, nachdem bisherige Projekte zum Abschluss gekommen seien, z.B. könnten Themen aufgegriffen werden, die im Kontext dessen stünden, was sich in den Gewerkschaften in Hinblick auf einen bessere Vertretung von Mitgliederinteressen tue. Auch bei der Kontroverse in den Gewerkschaften über die wirtschafts- und sozialpolitische Ausrichtung sei eine Intervention des Kreises geeignet, zur Schärfung der Standpunkte beizutragen. Schließlich könne an eine Kooperation mit laufenden Projekten der Böckler-Stiftung (Beispiel: Klaus Dörre über  Bürgerschaftliches Engagement oder Heiko Geiling mit der Anwendung des Milieuansatzes auf IG Metall Ortsverwaltungen) gedacht werden.

 

Ulrich Mückenberger ergänzte den Rückblick um einen Bericht über die Gespräche mit der IG Metall Bremen über eine Dialogkonferenz in Anknüpfung an die Beschäftigung des Kreises mit Ansätzen zum Organisationslernen von Gewerkschaften (Näheres dazu s. Bericht von Ute Buggeln im Anhang  zu diesem Protokoll).

 

In der längeren Diskussion zu diesen einführenden Impulsen bestand Einigkeit darin, dass eine Verjüngung und „Verweiblichung“ des Kreises dringend geboten sei, auch ein Aufbrechen der disziplinarischen Enge (vor allem im Hinblick auf die Ökonomie) wünschenswert sei. Verwiesen wurde aber auch darauf, dass eine Stärke des Kreises auf den gewachsenen personellen Beziehungen und Kooperationen der Vergangenheit beruhe, die nicht aufs Spiel gesetzt werden dürften durch eine unkontrollierte Ausweitung der Mitgliedschaft des Kreises, den einer der Teilnehmer als „soziokulturellen/ soziomoralischen Vergemeinschaftungszusammenhang“ definierte. Ein Charakteristikum des Kreises bestehe auch darin, dass er in seinem Verhältnis zu den Gewerkschaften bislang stärker normativ als empirisch ausgerichtet sei. Von den anwesenden Gewerkschafterinnen wurde betont, dass der Kreis oft als ein Generationsprojekt wahrgenommen werde, das neue Anschlussmöglichkeiten finden müsse und könne. Ein offener Diskussionsraum, wie ihn der Kreis biete, sei  nicht häufig zu finden und  vor allem dann für die Gewerkschaften wertvoll, wenn er auch Irritationen setze. Was bei den Gewerkschaften davon letztlich ankomme, sei schwer festzustellen, ein positives Beispiel sei jedenfalls die Intervention des Kreises in die Zukunftsdebatte der IG Metall gewesen. Zur Themenfindung wurde angemerkt, dass es sinnvoll wäre, die zu bearbeitenden Themen bereits in einer breiten Diskussion mit den Gewerkschaften vorzuklären und sie nicht erst auf den Foren einzubeziehen. Das Bremer Beispiel der geplanten Dialogkonferenzen stelle hierbei eine gelungene Ausnahme dar.

 

Präsentation der Arbeitsschwerpunkte und der Themenvorschläge der Teilnehmer/innen

Im weiteren Verlauf des workshops erläuterten die Teilnehmer/innen  ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte, machten Vorschläge für neue Themen und nannten Namen von möglichen neuen Mitgliedern oder Kooperationspartnern/innen. Diese Informationen wurden stichwortartig auf Kärtchen festgehalten und auf Wandzeitungen, soweit als möglich, zu Clustern zusammengestellt. Dabei ergaben sich drei thematische Cluster, die vorläufig den Rubriken: Arbeit, Regional/Territorialpolitik und Internationales zugeordnet wurden. Weitere Vorschläge betrafen prozedurale Aspekte der Arbeit des Kreises.

Die einzelnen Stichworte werden hier nicht protokolliert, in den Berichten über die Ergebnisse der Arbeitsgruppen sind sie im wesentlichen enthalten (Fotos der Wandzeitungen sind auf Anfrage beim Protokollanten zu erhalten: eberhard.schmidt@nord-com.net).

 

Bevor sich der workshop in drei Arbeitsgruppen aufteilte, wurden Grundsätze einer strukturellen Veränderung des Kreises und seiner Arbeit erörtert, die Vorgaben für die Diskussion in den Arbeitsgruppen ergaben:

 

1. Neue Zusammensetzung des Kreises

Wie erreichen wir eine Verjüngung des Kreises?

Wie können wir das zahlenmäßige Verhältnis von weiblichen und männlichen Mitgliedern des Kreises verändern?

Wie kann es gelingen, mehr aktive Gewerkschafter/innen einzubeziehen?

 

2. Arbeitsweise des Hattinger Kreises

Soll der Kreis vorwiegend dialogorientiert  (Austausch in workshops und Foren)

 oder umsetzungsorientiert (Projekte mit Gewerkschaften) arbeiten?

Wie kann beides sinnvoll miteinander verbunden werden? 

 

3. Außenwirkung des Hattinger Kreises

Wie kann der Transfer der Arbeitsergebnisse besser organisiert werden?

Welches Marketing brauchen wir für unsere Produkte (Ergebnisse)?

 

4. Das generelle Verhältnis des Hattinger Kreises zur HBS zu den Gewerkschaften und evtl weiteren Organisationen (NGOs) soll auf einem späteren Treffen, vorbereitet durch eine Arbeitsgruppe, diskutiert und geklärt werden.

 

Ergebnisse der Arbeitsgruppenarbeit

Die Vorschläge zu den Strukturveränderungen, die in den AGs gemacht wurden, finden sich im Abschnitt über die Perspektiven des HK (s. unten) wieder.

Darüber hinaus bestand Konsens darüber, dass Gewerkschafter/innen sowohl in die wissenschaftliche Diskussion wie in die Projekte einbezogen werden sollen. Zielgruppe sind vor allem Gewerkschafter/innen mit wissenschaftlicher Ausbildung. In jedem Falle sollte eine wechselseitige Information und  Beteiligung an Projekten angestrebt werden.

 

Die thematischen Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen sind in den nachfolgenden Diskussionspapieren der Berichterstatter enthalten. Sie sollen die Grundlage für eine inhaltliche Diskussion unter den Mitgliedern des HK bilden. Die drei Berichterstatter (Eckart Hildebrandt, Heiko Geiling, Ulrich Mückenberger fungieren als Koordinatoren, (ihre mail-adressen  finden sich in der Adressenliste des HK im Anhang) An sie sind entsprechende Anregungen, Kritik, Vorschläge etc. zu richten.

 

 

Arbeitsgruppe1 : Gestaltungsanforderungen an Arbeit

(Kurzprotokoll: Eckart Hildebrandt)

 

Die Arbeitsgruppe  machte im ersten Teil ihrer Diskussion eine Reihe von sehr konkreten Vorschlägen zur Lösung der Strukturfragen des Hattinger Kreises ( s. unter Perspektiven der weiteren Arbeit des HK))

 

Im zweiten Abschnitt der Diskussion wurden die vielfältigen Themenvorschläge zur Gestaltung von Arbeit wurden zu vier Themenblöcken gruppiert.

Ein erster Block bezog sich unmittelbar auf die konkrete Gestalt der Arbeit (Arbeitsorganisation), die Einstellungen zur Arbeit und die soziale Gestaltung von Arbeit (Gute Arbeit). Hervorgehoben wurden die starken Veränderungen der Arbeit und die Prekarität neuer Arbeitsformen.

 

Der zweite Block gruppierte sich um die gesellschaftliche Funktion von Arbeit, d.h. um das Recht auf Arbeit und Einkommen, um soziale Sicherheit und Flexibilität, um  die Balance von Arbeit und Leben, um soziale Ungleichheit einschließlich Fragen des Mindesteinkommens.

 

Im dritten Block hatten wir wesentlich Fragen der Arbeitszeitorganisation zusammengefasst: alltägliche Organisation und Balance von Arbeit und Leben, biographische Organisation und flexible Lebensläufe, Zeiten der Stadt.

 

Der vierte Block schließlich fasste Vorschläge zusammen, die gewerkschaftliche Gestaltungsanforderungen zum Thema hatten, die wir als Notwendigkeit einer Mehrebenenpolitik (Arbeitsplatz, Betrieb, Region bis hin zur internationalen Dimension) charakterisierten.

 

In der abschließenden Diskussion wurde der Schwerpunkt auf die starke Ausdifferenzierung der sozialen Lage der Arbeitenden gelegt, die bereits an sich als Umgang mit Spaltung und Ausgrenzung eine neue und hohe Anforderung darstellt (4/4-Gesellschaft). Insbesondere die wachsenden unteren Segmente der prekären und geringfügigen Beschäftigten, der neuen Selbstständigen erfordern neue kollektive Regelungen, die verbindliche Mindeststandards und Wahlmöglichkeiten gewährleisten. Aus diesem Zusammenhang ergab sich dann der Themenvorschlag, das Ausmaß und die Dynamik der Ausdifferenzierung der Arbeitsbevölkerung  und die Bearbeitungsmöglichkeiten durch Gewerkschaften in das Zentrum der weiteren Arbeit zu stellen.

 

 

 

AG 2  Gewerkschaften und Region    

(Kurzprotokoll: Heiko Geiling)

Massenentlassungen und Standortverlagerungen (AEG, Telecom, Continental AG etc.) sind alltägliche Erfahrungen mit dem neuen „Flexi-Kapitalismus“ – ein an die fluiden und ubiquitären Finanzmärkte gebundenes Produktionsmodell, das als Lebensmodell in krassem Gegensatz zum sozialstaatlich regulierten „Rheinischen Kapitalismus“ steht. Aus einer akteursorientierten Perspektive wird dieses in den betroffenen Regionen zumeist als Bedrohung erfahrene neue Modell als eklatanter Bruch mit den Prinzipien sozialer und politischer Nachhaltigkeit empfunden.

            Die Frage stellt sich, wie Gewerkschaften auf lokaler und regionaler Ebene mit dem dabei freigesetzten „Rohstoff“ sozialer Energien, Proteste, Phantasien und alternativer Regional- und Strukturentwicklungen umgehen, in welcher Weise sie die in diesen Prozessen generierten Formen und Möglichkeiten (welche genau dies eigentlich sind, gehört immer noch zu den Forschungsdesideraten!) sozialer Kohäsion nutzen können, um als ein Akteur alternative Regionalentwicklungen voranzutreiben ..

  • Gefragt wurde u.a. nach dem Stellenwert gewerkschaftlicher Beteiligung an verschiedenen Projekten zur Regionalentwicklung (Dortmund, Braunschweig etc.):
  • Handelt es sich dabei um mehr als ein Strohfeuer, in dem der lokale und regionale Rohstoff sozialer Sensibilität nur verpufft, oder zeichnen sich hier Handlungskonzepte ab, die als Muster neuer sozialer und politischer Nachhaltigkeit verallgemeinerungsfähig sind?
  • Ist der Möglichkeitsrahmen klassischer regionaler Arbeitsmarktpolitik schon ausgeschöpft oder muss  Arbeitsmarktpolitik nicht stärker auch als Sozialpolitik verstanden werden, damit die faktisch bestehende Segregation zu mindestens etwas gemildert werden kann.?
  • Gibt es im Sinne einer auch die Kapitalvertreter einbindenden neuen Nachhaltigkeit Ideen und Möglichkeiten, an Stelle individuell wirksamer Sozialpläne mit individueller sozialer Absicherung verbundene zukunftsfähige lokale und regionale Arbeitsmarktkonzepte zu realisieren?
  • Gibt es im Sinne einer auch die Kapitalvertreter einbindenden neuen Nachhaltigkeit Ideen und Möglichkeiten, an Stelle individuell wirksamer Sozialpläne mit individueller sozialer Absicherung verbundene zukunftsfähige lokale und regionale Arbeitsmarktkonzepte zu realisieren?
  • Welche Perspektiven für gewerkschaftliches Handeln sind für sog. ‚abgekoppelte’ Regionen entwickelbar; welchen Stellenwert haben in diesem Zusammenhang Konzepte der lokalen oder regionalen Ökonomie und sind diese mit gewerkschaftlichen Konzepten bzw. Handlungsstrategien zu verknüpfen?

 

Arbeitsgruppe 3: Europäisierung / Internationalisierung

(Kurzprotokoll: Ulrich Mückenberger)

Der Hattinger Kreis hatte sich vor dem letzten Fünf-Jahres-Zyklus (Entgrenzung: Zeit- Nationalstaat – Organisationslernen) an das Thema der Globalisierung als gewerkschaftlicher Herausforderung angenähert. Damals wurde eine Überforderung in dem Thema gesehen, weil zwar alle es für wichtig hielten, jedoch nur wenige kompetent und willens erschienen, die mit dem Thema gesetzten Ansprüche zu realisieren. Jetzt scheinen erheblich mehr Mitglieder des HK an diesem Thema zu arbeiten. Manche arbeiten unmittelbar zu dem Thema der Internationalisierung in seinen verschiedenen Formen der Europäisierung – als Herausbildung supranationaler institutioneller Strukturen -, der Transnationalisierung – als nicht auf Staaten beschränkte (sondern Zivilgesellschaft, NGO’s einschließende) zwischenstaatliche Kommunikationen und Kooperationen – und der Globalisierung – als De-Nationalisierung bestimmter wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Gestaltungen und Aktivitäten. Manche arbeiten mittelbar zu dem Thema: im Bezug auf die Rückwirkung der Internationalisierung auf lokale und regionale Lebens- und Arbeitsbedingungen (Standort-Konkurrenz, transnationale Verbindungen von Regionen, grenzüberschreitende regionale Tarifpolitik usw.). Globalisierung und Lokalisierung - als „Glokalisierung“ zusammengefasst - bilden somit heute ein stärkeres Kompetenzprofil des HK als noch vor wenigen Jahren.

Dabei versteht sich, dass Europäisierung und (sonstige) Internationalisierung sehr unterschiedliche Phänomene darstellen. Der viel höhere Grad der EU-Institutionalisierung erlaubt (und erfordert) ganz andere Formen der Interessenvertretung, des Lobbying und der grenzüberschreitenden Kooperation als die Politikvernetzung in dem durch internationale Beziehungen nur locker strukturierten Feld der Transnationalität. Dennoch gibt es gemeinsame Fragestellungen – etwa die Rolle von Gewerkschaften im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, die Aktivitäten in soft law-Konstellationen (wie open method of co-ordination, corporate social responsibility, Menschenrechtsnetzwerken, transnationalen Normbildungsnetztwerken etc.) wie auch das Verhältnis zur Expertokratie oder Komitologie – Phänomene, die sich in allen Bereichen der Internationalisierung finden, die aber übrigens auch im lokalen und regionalen Rahmen sichtbarer werden.

Was kann die Spezifik des HK bei diesem Thema sein, das selbst bereits so viele wissenschaftliche und praktische Diskurszusammenhänge aufweist?

Die Arbeitsgruppe unterschied 4 Ebenen:

1.      Vernetzung von praktischen und theoretischen Zusammenhängen

Es gibt heute zahlreiche gewerkschaftsnahe wissenschaftliche und gewerkschaftliche Zusammenhänge, die sich mit der genannten Thematik beschäftigen, dass man insoweit eine Vernetzungsfunktion des Hattinger Kreises befürworten kann. Besonders das letzte Heft des ETUI-REHS „Transfer“ über „Innovations for union renewal“ ist ein Fundgrube für Ansätze und Erfahrungen, die dem HK-Thema des Organisationslernens nahe stehen (daneben bieten auch das European Journal of Industrial Relation, der South East Europe Review und Industrielle Beziehungen Informationen über den Wissensstand. Da der Hattinger Kreis zu allen diesen Medien und Autoren enge Beziehungen hat, liegt eine Zusammenführung nahe. Auch zum Global Union Research Network (GURN) der ILO bestehen Kontakte (E. Schmidt). Auf diesen Überlegungen beruht auch die Grundidee der Arbeitsgruppe für den geplanten internationalen Workshop.

2.      Strukturelle Diskrepanz zwischen gewerkschaftlicher Vernetzung im internationalen/europäischen Bereich und derjenigen des Kapitals

Auch wenn heute im gewerkschaftlichen Bereich die Sensibilität für das Internationalisierungsthema gestiegen ist, könnte diese doch noch erheblich durch Diffusionsaktivitäten des HK gesteigert werden. Begünstigt wird dies durch die Tatsache, dass Globalisierung nicht mehr als abgehobenes Phänomen erscheint, sondern lokal und regional sichtbar wird – in Gestalt von Standortkonkurrenzen und deren sozialen und regionalen Folgen (Bsp. AEG, Conti usw.). Daran kann der HK anknüpfen.

In diesem Zusammenhang kann der HK Fragestellungen aufwerfen, die im gewerkschaftlichen Bereich zuweilen tabuisiert erscheinen. Sowohl bei Arbeitsplatzverlagerungen als auch bei der Forderung nach weltweiten ökologischen und sozialen Standards stellt sich oft die Frage, wie sich da bei europäischen Gewerkschaften Protektionismus und internationale Solidarität zueinander verhalten bzw. wie die eigene Arbeitsplatzperspektive sich zur Entwicklungsperspektive weniger entwickelter Länder verhält.

3.      Bedingungen gewerkschaftlicher Arbeit jenseits nationalstaatlicher Grenzen (Abgabe von Zuständigkeiten, Ressourcen in Qualifizierung etc.)

Die Schwäche der sozialen Dimension im transnationalen Raum liegt nicht nur an dem Unwillen der Kapitalseite, Verhandlungskompetenz auf internationales Niveau abzugeben, auch nicht nur im Unwillen staatlicher supranationaler Instanzen. Es liegt oft an nationalen Gewerkschaften selber, deren Diversität, Berührungsängsten, Industriekoalitionen und Kirchturmpolitik. In den letzten 15 Jahren kann man einen spürbaren Aufschwung der betrieblichen und firmenbezogenen europäischen Interessenvertretung wie auch des allgemeinen und sektoralen Sozialen Dialogs beobachten – nicht aber die Entwicklung einer branchenbezogenen autonomen europäischen Tarifpolitik. Dahinter stehen Interessenkonstellationen zwischen Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften – wo auch von Gewerkschaften nicht wirklich eine Europäisierung betrieben wird. Aufgrund seiner kritischen Distanz zu diesen Abschließungstendenzen auch der Gewerkschaften kann der HK insoweit konzeptionelle und instrumentelle Vorarbeit leisten. Er kann zur doppelten Öffnung der deutschen und europäischen Gewerkschaften beitragen: der Öffnung in Zuständigkeits- und Ressourcenverteilung zur europäischen und globalen Dimension sozialen Gestaltens hin; und der Öffnung zu zivilgesellschaftlichen und ökonomischen Akteuren hin, die – wenn auch aus unterschiedlichen Interessen und mit unterschiedlicher Tragweite – Teilen sozialer Regulierung durchaus positiv gegenüberstehen.

4.      Antworten auf die gestellten Fragen liefern

Natürlich müsste der HK das Ziel verfolgen, nicht in erster Linie tiefgehendere oder kritischere Analysen zu liefern, sondern letztlich zu besseren Antworten auf die sich praktisch stellenden Fragen beizutragen. Dass der HK dabei eigene politische Vorstellungen entwickelt und einbringt, versteht sich. Gleichwohl kann und soll dies nicht voluntaristisch und präskriptiv geschehen. Insoweit bieten aber die zuvor genannten Schritte Chancen.

Als ersten Schritt schlägt die Arbeitsgruppe einen internationalen Workshop mit Experten vor, die gewerkschaftsnah sind und sich z. B. mit Frauenrechten, NGOs, internationalen Institutionen auseinandergesetzt haben (s. a. Transfer 4/2005, Industrielle Beziehungen, geplant für 3/2006). Dabei geht es um 4 Ziele bzw. Bestandteile des Workshops:

 1. Problemkonstellation, Akteure, Konfliktszenarien sollten veranschaulicht und durchaus auch theoretisch ausleuchtet werden.

2. Einige wenige konkrete Fälle sollten konkret durchgearbeitet werden (Conti; GM; AEG), in denen sich eine zumindest teilweise erfolgreiche transnationale gewerkschaftliche Vernetzung vollzog.

 3. Eine Reflexion tatsächlicher und möglicher gewerkschaftlicher Strategien sollte stattfinden (unter Einbeziehung der inneren Widersprüche von Gewerkschaften). 4. Institutionelle Weiterentwicklungen grenzüberschreitender Art, die die Gewerkschaften für Europäisierung und Internationalisierung fähiger machen, sollten angedacht und ausformuliert werden.

Der Workshop müsste zu Beginn des neuen HBS-Haushhaltsjahres im Spätherbst 2006/ Frühjahr 2007 stattfinden. Bei der Teilnehmerzusammensetzung sollten – neben dem HK - wissenschaftliche Expert/innen sowie Kolleg/innen aus den internationalen Abteilungen der Gewerkschaften sowie aus NGO’s gewonnen werden. Dies kann auch zu der angestrebten Neurekrutierung von Mitgliedern des HK dienen.

 

 

Perspektiven der weiteren Arbeit des HK (Abschlussdiskussion)

 

In der Schlussrunde wurden eine Reihe von Vorschlägen zur Weiterarbeit des Hattinger Kreises sowohl in thematischer wie in struktureller Hinsicht diskutiert.

Im Ergebnis der ausführlichen Erörterung kam es zu folgender Konsensbildung:

 

Das Organisationsentwicklungsprojekt mit der IG Metall Bremen wird von der bislang daran beteiligten Gruppe ( Ute Buggeln, Werner Fricke, Ulrich Mückenberger, Margareta Steinrücke, Eberhard Schmidt) weitergeführt. Eine Rückkoppelung mit dem gesamten Hattinger Kreis erfolgt, sobald  entsprechende Ergebnisse vorliegen.

 

Der nächste workshop , vorgesehen für den 14./15. 9.2006, in Hattingen oder in Frankfurt,  wird sich in einem ersten Teil der Evaluation der Debatte des HK um das Organisationslernen von Gewerkschaften widmen, anschließend soll die Umsetzung der notwendigen Organisationsveränderung des HK besprochen werden und in einem dritten Teil  die Arbeitstagung mit internationaler Beteiligung (Arbeitstitel: Protektionismus versus Solidarität, oder: Union renewal), ggffs. unter Hinzuziehung externer Experten vorbereitet werden. Diese Tagung kann frühestens März/April 2007 stattfinden (s.dazu Bericht der AG 3).

 

Die im Protokoll enthaltenen Papiere der Berichterstatter aus den AG des workshops sollen zwischenzeitlich zirkulieren und diskutiert werden, um die weiteren workshops und die  thematische Arbeit zu planen.

 

 Im Hinblick auf die strukturelle Veränderung des Kreises wurde vorgeschlagen: 

 

a) Jedes Mitglied des HK  wird gebeten, drei weitere potentielle Mitglieder persönlich anzusprechen und zur aktiven Mitarbeit anzuregen (Namen  mit email-Adressen bis 15.4.06 an eberhard.schmidt@nord-com.net)

 

b) Die Promovendenkartei der HBS wird auf geeignete Kandidaten/innen durchgesehen werden (Kontakt mit Werner Fiedler durch Frank),

 

c) Ebenso die Liste der Vertrauensdozenten/innen (Vorsortierung durch Frank).

 

d) HBS-Projekte sollen auf thematische Nähe zu unseren Vorhaben untersucht werden (alle mögen den FID der HBS konsultieren, Frank gibt Hinweise),

 

e) Im Anhang zu diesem Protokoll wird eine aktuelle Mitgliederliste versandt.

 

f) Die Tagungsorte sind zentraler und wechselnd zu wählen.

 

g) Ob ein Steuerungskreis unter Beteiligung von Gewerkschafter/innen eingerichtet werden soll, wird auf dem nächsten workshop noch einmal diskutiert. Dagegen spricht zunächst die hohe Terminbelastung der  Gewerkschafter/innen. Auf jeden Fall sollen sie künftig von den Terminen und der TO der Bremer Vorbereitungsgruppe informiert werden.

 

h) Die Öffentlichkeitsarbeit des HK soll durch engere Zusammenarbeit mit der HBS verbessert werden. Zu denken ist an eine Neugestaltung und Anbindung der homepage an die HBS, einen eigenen newsletter und die  Information der gewerkschaftlichen Medien (dazu wird Eberhard demnächst in Düsseldorf ein Gespräch mit Frank und den Verantwortlichen führen). Genutzt werden sollte auch die Infrastruktur der 19 Kooperationsstellen (Angebot v. Harald Büsing, Oldenburg). In diesem Kontext wurden auch lokale/regionale events des HK jenseits von workshops angedacht.

 

 

Protokoll: Eberhard Schmidt, 27.2.2006

 

Anhänge

Information zum Stand des Bremer Projekts

Adressenliste des Hattinger Kreises

 

 

Informationen zum Stand des Bremer Projekts

 

Ute Buggeln

Hamburg, den 22.02. 2006

 

 

Bericht über die Entwicklung des Projektes „Dialogkonferenz“

mit der IG-Metall Verwaltungsstelle Bremen

 

Seit September 2005 finden zwischen Vertreter/-innen des Hattinger Kreises und dem Bevollmächtigten der IG-Metall Verwaltungsstelle Bremen, Dieter Reincken, Gespräche über die mögliche Umsetzung einer Dialogkonferenz statt.

Nach einer ersten Darstellung der Projektidee auf einer Sitzung mit den politischen Sekretären /Sekretärinnen durch Vertreter/-innen des Hattinger Kreises im Dezember 2005 und der Besprechung in einer Ortsverwaltungssitzung in Bremen Anfang Februar 2006, erklärte sich Dieter Reincken bereit, dieses Projektvorhaben in seiner Verwaltungsstelle umzusetzen. Die Dialogkonferenz wird nach der Tarifrunde, in der zweiten Hälfte dieses Jahres, stattfinden.

 

Zielsetzung:

Dieses Projektvorhaben zielt kein neues Arbeitsfeld im Rahmen der bestehenden Verwaltungsstellenarbeit an. Vielmehr soll die Perspektive eröffnet werden, den täglichen Arbeitsprozess unterschiedlicher hauptamtlicher und ehrenamtlicher Akteure zu reflektieren und die Erfahrungen aus der sowie die Anforderungen an die Verwaltungsstellenarbeit in einem übergeordneten dialogischen Prozess zusammenzuführen und (erweiterte) Handlungsoptionen für die zukünftige Arbeit zu entwickeln. Es wird - einen gelungen Verlauf der Dialogkonferenz vorausgesetzt - von einer zwei- bis dreijährigen Projektlaufzeit ausgegangen.

 

Voraussetzungen:

Zur erfolgreichen Durchführung des Projektes wird die Bereitstellung einer Vor-Ort-Person durch die Verwaltungsstelle Bremen als Voraussetzung angesehen. Diese hat die Aufgabe eines sogenannten „Kümmerers“ – ist also über den gesamten Projektprozess Ansprechpartner/-in für die Beteiligten, hat den Überblick über den laufenden Ergebnis- und Diskussionsstand und muss bei Schwierigkeiten entsprechend eingreifen. Wichtig ist dabei die Gewährleistung einer kontinuierlichen und auf den Verlaufsprozess stabilisierend wirkenden Koordinations- und Kommunikationsarbeit, die den direkten Kontakt zum Bevollmächtigen jederzeit mit einschließt. Die dafür benötigte Arbeitszeit wird in der Anfangsphase auf ca. 10 Stunden pro Woche eingeschätzt und reduziert sich im weiteren Verlauf auf ca. 8 Stunden pro Woche.

Es ist unwahrscheinlich, dass diese Aufgaben in Gänze von einer politischen Sekretärin / einem politischen Sekretär übernommen werden können. Vielmehr wird eine hochmotivierte ehrenamtliche Person von der Verwaltungsstelle gesucht, die über entsprechende Zeitressourcen verfügt. Denkbar wäre auch ein Kombimodell, in dem eine politische Sekretärin / ein politischer Sekretär verantwortlich erklärt wird und mit einer ehrenamtlichen Person diese Aufgaben gemeinsam abstimmt. Dies ist bisher noch eine offene Frage und wird von der Verwaltungsstelle Bremen noch zu klären sein .

 

Demgegenüber verpflichtet sich der Hattinger Kreis zu einer aktiven Teilnahme an der Umsetzung des Projektes – sowohl in kontinuierlicher, wie auch in diskontinuierlicher Form. Es werden aus dem Forum des Hattinger Kreises Personen kontinuierlich an dem gesamten Projektverlauf teilnehmen, um dialogische Prozesse zu initiieren, zusammenzufassen und auszuwerten, sowie den gesamten Projektverlauf beratend zu begleiten. Andere Personen des Hattinger Kreises werden sich nur zu bestimmten inhaltlichen Schwerpunkten an dem Umsetzungsprozess beteiligen.

 

Beide Seiten sehen als weitere Voraussetzung einer gelungenen Projektdurchführung die Bestandsaufnahme bestehender (innovativer) Arbeitsansätze und Aktivitäten der Verwaltungsstelle Bremen – quasi als Ist-Stand-Analyse.  Diese muss der Dialogkonferenz zeitlich vorgelagert sein. Bei dieser Bestandsaufnahme wird eine – die Bedingungen und Zielsetzungen berücksichtigende – Aufarbeitung (nicht Bewertung!) bestehender Verwaltungsstelleninitiativen angestrebt unter dem Fokus der Themenbereiche, der verfolgten Lösungsansätze, der möglichen Beteiligungsformen, der sich verändernden Fragestellungen und Erfahrungen in der täglichen Arbeit. 

 

Vorbereitungen:

In der nächsten Zeit werden weitere Planungsgespräche zwischen der Verwaltungsstelle und den Vertreter/-innen des Hattinger Kreises anvisiert, die der thematischen, organisatorischen und zeitlichen Konkretisierung dienen. Folgende Fragen stehen zur Klärung an:

  • Welche Lösung für die Bereitstellung der Vor-Ort-Person wird favorisiert und welche Personen kommen dafür in Frage?
  • Wann soll die Dialogkonferenz in der Verwaltungsstelle stattfinden?
  • Wie wird der Ablauf der Dialogkonferenz aussehen? Welche (organisatorischen) Vorbereitungen sind von Seiten der Verwaltungsstelle dafür notwendig? Welche (inhaltlichen) Vorbereitungen müssen auf Seiten des Hattinger Kreises geleistet werden?
  • Wie ist die Zusammensetzung der Konferenzteilnehmer/-innen einzugrenzen?
  • Welchen thematischen Stellenwert kann/soll das laufende Kooperationsprojekt zwischen der Verwaltungsstelle Bremen und Bremerhaven in der Dialogkonferenz einnehmen?
  • Wie könnte die finanzielle Konstruktion des Projektes bzw. einzelner Umsetzungsschritte aussehen?          

   

           

Protokoll des Themenfindungsworkshops des Hattinger Kreises,

Wremen, 23./24. Februar 2006

 

An dem workshop des Hattinger Kreises in der Bildungsstätte Wremen/ Cuxhaven nahmen 18 Mitglieder des Hattinger Kreises teil.

 

Einführende Bilanz der Arbeit des Hattinger Kreises

Frank Gerlach bilanzierte zu Beginn des workshops noch einmal die Arbeit des Hattinger Kreises seit 1999. Die elf workshops und zwei Hattinger Foren in diesem Zeitraum dokumentierten ebenso wie die Publikationen, dass der Hattinger Kreis relevante Themen jenseits der Alltagsarbeit der Gewerkschaften  mit längerfristiger Perspektive aufgegriffen habe. Als Diskussionsforum von Gewerkschaftern und gewerkschaftsnahen Intellektuellen übe der Hattinger Kreis eine wichtige Funktion für die Hans Böckler Stiftung aus. Für diese erfolgreiche und ehrenamtlich geleistete Arbeit sprach Frank Gerlach ausdrücklich den Dank der Stiftung aus.

Probleme für die weitere Arbeit des Kreises sah er in drei Dimensionen:

1. Der Kreis müsse sich mehr um neue Mitglieder kümmern

2. Es seien zuwenig aktive GewerkschafterInnen beteiligt

3. Eine thematische Neuausrichtung sei erforderlich, nachdem bisherige Projekte zum Abschluss gekommen seien, z.B. könnten Themen aufgegriffen werden, die im Kontext dessen stünden, was sich in den Gewerkschaften in Hinblick auf einen bessere Vertretung von Mitgliederinteressen tue. Auch bei der Kontroverse in den Gewerkschaften über die wirtschafts- und sozialpolitische Ausrichtung sei eine Intervention des Kreises geeignet, zur Schärfung der Standpunkte beizutragen. Schließlich könne an eine Kooperation mit laufenden Projekten der Böckler-Stiftung (Beispiel: Klaus Dörre über  Bürgerschaftliches Engagement oder Heiko Geiling mit der Anwendung des Milieuansatzes auf IG Metall Ortsverwaltungen) gedacht werden.

 

Ulrich Mückenberger ergänzte den Rückblick um einen Bericht über die Gespräche mit der IG Metall Bremen über eine Dialogkonferenz in Anknüpfung an die Beschäftigung des Kreises mit Ansätzen zum Organisationslernen von Gewerkschaften (Näheres dazu s. Bericht von Ute Buggeln im Anhang  zu diesem Protokoll).

 

In der längeren Diskussion zu diesen einführenden Impulsen bestand Einigkeit darin, dass eine Verjüngung und „Verweiblichung“ des Kreises dringend geboten sei, auch ein Aufbrechen der disziplinarischen Enge (vor allem im Hinblick auf die Ökonomie) wünschenswert sei. Verwiesen wurde aber auch darauf, dass eine Stärke des Kreises auf den gewachsenen personellen Beziehungen und Kooperationen der Vergangenheit beruhe, die nicht aufs Spiel gesetzt werden dürften durch eine unkontrollierte Ausweitung der Mitgliedschaft des Kreises, den einer der Teilnehmer als „soziokulturellen/ soziomoralischen Vergemeinschaftungszusammenhang“ definierte. Ein Charakteristikum des Kreises bestehe auch darin, dass er in seinem Verhältnis zu den Gewerkschaften bislang stärker normativ als empirisch ausgerichtet sei. Von den anwesenden Gewerkschafterinnen wurde betont, dass der Kreis oft als ein Generationsprojekt wahrgenommen werde, das neue Anschlussmöglichkeiten finden müsse und könne. Ein offener Diskussionsraum, wie ihn der Kreis biete, sei  nicht häufig zu finden und  vor allem dann für die Gewerkschaften wertvoll, wenn er auch Irritationen setze. Was bei den Gewerkschaften davon letztlich ankomme, sei schwer festzustellen, ein positives Beispiel sei jedenfalls die Intervention des Kreises in die Zukunftsdebatte der IG Metall gewesen. Zur Themenfindung wurde angemerkt, dass es sinnvoll wäre, die zu bearbeitenden Themen bereits in einer breiten Diskussion mit den Gewerkschaften vorzuklären und sie nicht erst auf den Foren einzubeziehen. Das Bremer Beispiel der geplanten Dialogkonferenzen stelle hierbei eine gelungene Ausnahme dar.

 

Präsentation der Arbeitsschwerpunkte und der Themenvorschläge der Teilnehmer/innen

Im weiteren Verlauf des workshops erläuterten die Teilnehmer/innen  ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte, machten Vorschläge für neue Themen und nannten Namen von möglichen neuen Mitgliedern oder Kooperationspartnern/innen. Diese Informationen wurden stichwortartig auf Kärtchen festgehalten und auf Wandzeitungen, soweit als möglich, zu Clustern zusammengestellt. Dabei ergaben sich drei thematische Cluster, die vorläufig den Rubriken: Arbeit, Regional/Territorialpolitik und Internationales zugeordnet wurden. Weitere Vorschläge betrafen prozedurale Aspekte der Arbeit des Kreises.

Die einzelnen Stichworte werden hier nicht protokolliert, in den Berichten über die Ergebnisse der Arbeitsgruppen sind sie im wesentlichen enthalten (Fotos der Wandzeitungen sind auf Anfrage beim Protokollanten zu erhalten: eberhard.schmidt@nord-com.net).

 

Bevor sich der workshop in drei Arbeitsgruppen aufteilte, wurden Grundsätze einer strukturellen Veränderung des Kreises und seiner Arbeit erörtert, die Vorgaben für die Diskussion in den Arbeitsgruppen ergaben:

 

1. Neue Zusammensetzung des Kreises

Wie erreichen wir eine Verjüngung des Kreises?

Wie können wir das zahlenmäßige Verhältnis von weiblichen und männlichen Mitgliedern des Kreises verändern?

Wie kann es gelingen, mehr aktive Gewerkschafter/innen einzubeziehen?

 

2. Arbeitsweise des Hattinger Kreises

Soll der Kreis vorwiegend dialogorientiert  (Austausch in workshops und Foren)

 oder umsetzungsorientiert (Projekte mit Gewerkschaften) arbeiten?

Wie kann beides sinnvoll miteinander verbunden werden? 

 

3. Außenwirkung des Hattinger Kreises

Wie kann der Transfer der Arbeitsergebnisse besser organisiert werden?

Welches Marketing brauchen wir für unsere Produkte (Ergebnisse)?

 

4. Das generelle Verhältnis des Hattinger Kreises zur HBS zu den Gewerkschaften und evtl weiteren Organisationen (NGOs) soll auf einem späteren Treffen, vorbereitet durch eine Arbeitsgruppe, diskutiert und geklärt werden.

 

Ergebnisse der Arbeitsgruppenarbeit

Die Vorschläge zu den Strukturveränderungen, die in den AGs gemacht wurden, finden sich im Abschnitt über die Perspektiven des HK (s. unten) wieder.

Darüber hinaus bestand Konsens darüber, dass Gewerkschafter/innen sowohl in die wissenschaftliche Diskussion wie in die Projekte einbezogen werden sollen. Zielgruppe sind vor allem Gewerkschafter/innen mit wissenschaftlicher Ausbildung. In jedem Falle sollte eine wechselseitige Information und  Beteiligung an Projekten angestrebt werden.

 

Die thematischen Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen sind in den nachfolgenden Diskussionspapieren der Berichterstatter enthalten. Sie sollen die Grundlage für eine inhaltliche Diskussion unter den Mitgliedern des HK bilden. Die drei Berichterstatter (Eckart Hildebrandt, Heiko Geiling, Ulrich Mückenberger fungieren als Koordinatoren, (ihre mail-adressen  finden sich in der Adressenliste des HK im Anhang) An sie sind entsprechende Anregungen, Kritik, Vorschläge etc. zu richten.

 

 

Arbeitsgruppe1 : Gestaltungsanforderungen an Arbeit

(Kurzprotokoll: Eckart Hildebrandt)

 

Die Arbeitsgruppe  machte im ersten Teil ihrer Diskussion eine Reihe von sehr konkreten Vorschlägen zur Lösung der Strukturfragen des Hattinger Kreises ( s. unter Perspektiven der weiteren Arbeit des HK))

 

Im zweiten Abschnitt der Diskussion wurden die vielfältigen Themenvorschläge zur Gestaltung von Arbeit wurden zu vier Themenblöcken gruppiert.

Ein erster Block bezog sich unmittelbar auf die konkrete Gestalt der Arbeit (Arbeitsorganisation), die Einstellungen zur Arbeit und die soziale Gestaltung von Arbeit (Gute Arbeit). Hervorgehoben wurden die starken Veränderungen der Arbeit und die Prekarität neuer Arbeitsformen.

 

Der zweite Block gruppierte sich um die gesellschaftliche Funktion von Arbeit, d.h. um das Recht auf Arbeit und Einkommen, um soziale Sicherheit und Flexibilität, um  die Balance von Arbeit und Leben, um soziale Ungleichheit einschließlich Fragen des Mindesteinkommens.

 

Im dritten Block hatten wir wesentlich Fragen der Arbeitszeitorganisation zusammengefasst: alltägliche Organisation und Balance von Arbeit und Leben, biographische Organisation und flexible Lebensläufe, Zeiten der Stadt.

 

Der vierte Block schließlich fasste Vorschläge zusammen, die gewerkschaftliche Gestaltungsanforderungen zum Thema hatten, die wir als Notwendigkeit einer Mehrebenenpolitik (Arbeitsplatz, Betrieb, Region bis hin zur internationalen Dimension) charakterisierten.

 

In der abschließenden Diskussion wurde der Schwerpunkt auf die starke Ausdifferenzierung der sozialen Lage der Arbeitenden gelegt, die bereits an sich als Umgang mit Spaltung und Ausgrenzung eine neue und hohe Anforderung darstellt (4/4-Gesellschaft). Insbesondere die wachsenden unteren Segmente der prekären und geringfügigen Beschäftigten, der neuen Selbstständigen erfordern neue kollektive Regelungen, die verbindliche Mindeststandards und Wahlmöglichkeiten gewährleisten. Aus diesem Zusammenhang ergab sich dann der Themenvorschlag, das Ausmaß und die Dynamik der Ausdifferenzierung der Arbeitsbevölkerung  und die Bearbeitungsmöglichkeiten durch Gewerkschaften in das Zentrum der weiteren Arbeit zu stellen.

 

 

 

AG 2  Gewerkschaften und Region    

(Kurzprotokoll: Heiko Geiling)

Massenentlassungen und Standortverlagerungen (AEG, Telecom, Continental AG etc.) sind alltägliche Erfahrungen mit dem neuen „Flexi-Kapitalismus“ – ein an die fluiden und ubiquitären Finanzmärkte gebundenes Produktionsmodell, das als Lebensmodell in krassem Gegensatz zum sozialstaatlich regulierten „Rheinischen Kapitalismus“ steht. Aus einer akteursorientierten Perspektive wird dieses in den betroffenen Regionen zumeist als Bedrohung erfahrene neue Modell als eklatanter Bruch mit den Prinzipien sozialer und politischer Nachhaltigkeit empfunden.

            Die Frage stellt sich, wie Gewerkschaften auf lokaler und regionaler Ebene mit dem dabei freigesetzten „Rohstoff“ sozialer Energien, Proteste, Phantasien und alternativer Regional- und Strukturentwicklungen umgehen, in welcher Weise sie die in diesen Prozessen generierten Formen und Möglichkeiten (welche genau dies eigentlich sind, gehört immer noch zu den Forschungsdesideraten!) sozialer Kohäsion nutzen können, um als ein Akteur alternative Regionalentwicklungen voranzutreiben ..

  • Gefragt wurde u.a. nach dem Stellenwert gewerkschaftlicher Beteiligung an verschiedenen Projekten zur Regionalentwicklung (Dortmund, Braunschweig etc.):
  • Handelt es sich dabei um mehr als ein Strohfeuer, in dem der lokale und regionale Rohstoff sozialer Sensibilität nur verpufft, oder zeichnen sich hier Handlungskonzepte ab, die als Muster neuer sozialer und politischer Nachhaltigkeit verallgemeinerungsfähig sind?
  • Ist der Möglichkeitsrahmen klassischer regionaler Arbeitsmarktpolitik schon ausgeschöpft oder muss  Arbeitsmarktpolitik nicht stärker auch als Sozialpolitik verstanden werden, damit die faktisch bestehende Segregation zu mindestens etwas gemildert werden kann.?
  • Gibt es im Sinne einer auch die Kapitalvertreter einbindenden neuen Nachhaltigkeit Ideen und Möglichkeiten, an Stelle individuell wirksamer Sozialpläne mit individueller sozialer Absicherung verbundene zukunftsfähige lokale und regionale Arbeitsmarktkonzepte zu realisieren?
  • Gibt es im Sinne einer auch die Kapitalvertreter einbindenden neuen Nachhaltigkeit Ideen und Möglichkeiten, an Stelle individuell wirksamer Sozialpläne mit individueller sozialer Absicherung verbundene zukunftsfähige lokale und regionale Arbeitsmarktkonzepte zu realisieren?
  • Welche Perspektiven für gewerkschaftliches Handeln sind für sog. ‚abgekoppelte’ Regionen entwickelbar; welchen Stellenwert haben in diesem Zusammenhang Konzepte der lokalen oder regionalen Ökonomie und sind diese mit gewerkschaftlichen Konzepten bzw. Handlungsstrategien zu verknüpfen?

 

Arbeitsgruppe 3: Europäisierung / Internationalisierung

(Kurzprotokoll: Ulrich Mückenberger)

Der Hattinger Kreis hatte sich vor dem letzten Fünf-Jahres-Zyklus (Entgrenzung: Zeit- Nationalstaat – Organisationslernen) an das Thema der Globalisierung als gewerkschaftlicher Herausforderung angenähert. Damals wurde eine Überforderung in dem Thema gesehen, weil zwar alle es für wichtig hielten, jedoch nur wenige kompetent und willens erschienen, die mit dem Thema gesetzten Ansprüche zu realisieren. Jetzt scheinen erheblich mehr Mitglieder des HK an diesem Thema zu arbeiten. Manche arbeiten unmittelbar zu dem Thema der Internationalisierung in seinen verschiedenen Formen der Europäisierung – als Herausbildung supranationaler institutioneller Strukturen -, der Transnationalisierung – als nicht auf Staaten beschränkte (sondern Zivilgesellschaft, NGO’s einschließende) zwischenstaatliche Kommunikationen und Kooperationen – und der Globalisierung – als De-Nationalisierung bestimmter wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Gestaltungen und Aktivitäten. Manche arbeiten mittelbar zu dem Thema: im Bezug auf die Rückwirkung der Internationalisierung auf lokale und regionale Lebens- und Arbeitsbedingungen (Standort-Konkurrenz, transnationale Verbindungen von Regionen, grenzüberschreitende regionale Tarifpolitik usw.). Globalisierung und Lokalisierung - als „Glokalisierung“ zusammengefasst - bilden somit heute ein stärkeres Kompetenzprofil des HK als noch vor wenigen Jahren.

Dabei versteht sich, dass Europäisierung und (sonstige) Internationalisierung sehr unterschiedliche Phänomene darstellen. Der viel höhere Grad der EU-Institutionalisierung erlaubt (und erfordert) ganz andere Formen der Interessenvertretung, des Lobbying und der grenzüberschreitenden Kooperation als die Politikvernetzung in dem durch internationale Beziehungen nur locker strukturierten Feld der Transnationalität. Dennoch gibt es gemeinsame Fragestellungen – etwa die Rolle von Gewerkschaften im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, die Aktivitäten in soft law-Konstellationen (wie open method of co-ordination, corporate social responsibility, Menschenrechtsnetzwerken, transnationalen Normbildungsnetztwerken etc.) wie auch das Verhältnis zur Expertokratie oder Komitologie – Phänomene, die sich in allen Bereichen der Internationalisierung finden, die aber übrigens auch im lokalen und regionalen Rahmen sichtbarer werden.

Was kann die Spezifik des HK bei diesem Thema sein, das selbst bereits so viele wissenschaftliche und praktische Diskurszusammenhänge aufweist?

Die Arbeitsgruppe unterschied 4 Ebenen:

5.      Vernetzung von praktischen und theoretischen Zusammenhängen

Es gibt heute zahlreiche gewerkschaftsnahe wissenschaftliche und gewerkschaftliche Zusammenhänge, die sich mit der genannten Thematik beschäftigen, dass man insoweit eine Vernetzungsfunktion des Hattinger Kreises befürworten kann. Besonders das letzte Heft des ETUI-REHS „Transfer“ über „Innovations for union renewal“ ist ein Fundgrube für Ansätze und Erfahrungen, die dem HK-Thema des Organisationslernens nahe stehen (daneben bieten auch das European Journal of Industrial Relation, der South East Europe Review und Industrielle Beziehungen Informationen über den Wissensstand. Da der Hattinger Kreis zu allen diesen Medien und Autoren enge Beziehungen hat, liegt eine Zusammenführung nahe. Auch zum Global Union Research Network (GURN) der ILO bestehen Kontakte (E. Schmidt). Auf diesen Überlegungen beruht auch die Grundidee der Arbeitsgruppe für den geplanten internationalen Workshop.

6.      Strukturelle Diskrepanz zwischen gewerkschaftlicher Vernetzung im internationalen/europäischen Bereich und derjenigen des Kapitals

Auch wenn heute im gewerkschaftlichen Bereich die Sensibilität für das Internationalisierungsthema gestiegen ist, könnte diese doch noch erheblich durch Diffusionsaktivitäten des HK gesteigert werden. Begünstigt wird dies durch die Tatsache, dass Globalisierung nicht mehr als abgehobenes Phänomen erscheint, sondern lokal und regional sichtbar wird – in Gestalt von Standortkonkurrenzen und deren sozialen und regionalen Folgen (Bsp. AEG, Conti usw.). Daran kann der HK anknüpfen.

In diesem Zusammenhang kann der HK Fragestellungen aufwerfen, die im gewerkschaftlichen Bereich zuweilen tabuisiert erscheinen. Sowohl bei Arbeitsplatzverlagerungen als auch bei der Forderung nach weltweiten ökologischen und sozialen Standards stellt sich oft die Frage, wie sich da bei europäischen Gewerkschaften Protektionismus und internationale Solidarität zueinander verhalten bzw. wie die eigene Arbeitsplatzperspektive sich zur Entwicklungsperspektive weniger entwickelter Länder verhält.

7.      Bedingungen gewerkschaftlicher Arbeit jenseits nationalstaatlicher Grenzen (Abgabe von Zuständigkeiten, Ressourcen in Qualifizierung etc.)

Die Schwäche der sozialen Dimension im transnationalen Raum liegt nicht nur an dem Unwillen der Kapitalseite, Verhandlungskompetenz auf internationales Niveau abzugeben, auch nicht nur im Unwillen staatlicher supranationaler Instanzen. Es liegt oft an nationalen Gewerkschaften selber, deren Diversität, Berührungsängsten, Industriekoalitionen und Kirchturmpolitik. In den letzten 15 Jahren kann man einen spürbaren Aufschwung der betrieblichen und firmenbezogenen europäischen Interessenvertretung wie auch des allgemeinen und sektoralen Sozialen Dialogs beobachten – nicht aber die Entwicklung einer branchenbezogenen autonomen europäischen Tarifpolitik. Dahinter stehen Interessenkonstellationen zwischen Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften – wo auch von Gewerkschaften nicht wirklich eine Europäisierung betrieben wird. Aufgrund seiner kritischen Distanz zu diesen Abschließungstendenzen auch der Gewerkschaften kann der HK insoweit konzeptionelle und instrumentelle Vorarbeit leisten. Er kann zur doppelten Öffnung der deutschen und europäischen Gewerkschaften beitragen: der Öffnung in Zuständigkeits- und Ressourcenverteilung zur europäischen und globalen Dimension sozialen Gestaltens hin; und der Öffnung zu zivilgesellschaftlichen und ökonomischen Akteuren hin, die – wenn auch aus unterschiedlichen Interessen und mit unterschiedlicher Tragweite – Teilen sozialer Regulierung durchaus positiv gegenüberstehen.

8.      Antworten auf die gestellten Fragen liefern

Natürlich müsste der HK das Ziel verfolgen, nicht in erster Linie tiefgehendere oder kritischere Analysen zu liefern, sondern letztlich zu besseren Antworten auf die sich praktisch stellenden Fragen beizutragen. Dass der HK dabei eigene politische Vorstellungen entwickelt und einbringt, versteht sich. Gleichwohl kann und soll dies nicht voluntaristisch und präskriptiv geschehen. Insoweit bieten aber die zuvor genannten Schritte Chancen.

Als ersten Schritt schlägt die Arbeitsgruppe einen internationalen Workshop mit Experten vor, die gewerkschaftsnah sind und sich z. B. mit Frauenrechten, NGOs, internationalen Institutionen auseinandergesetzt haben (s. a. Transfer 4/2005, Industrielle Beziehungen, geplant für 3/2006). Dabei geht es um 4 Ziele bzw. Bestandteile des Workshops:

 1. Problemkonstellation, Akteure, Konfliktszenarien sollten veranschaulicht und durchaus auch theoretisch ausleuchtet werden.

2. Einige wenige konkrete Fälle sollten konkret durchgearbeitet werden (Conti; GM; AEG), in denen sich eine zumindest teilweise erfolgreiche transnationale gewerkschaftliche Vernetzung vollzog.

 3. Eine Reflexion tatsächlicher und möglicher gewerkschaftlicher Strategien sollte stattfinden (unter Einbeziehung der inneren Widersprüche von Gewerkschaften). 4. Institutionelle Weiterentwicklungen grenzüberschreitender Art, die die Gewerkschaften für Europäisierung und Internationalisierung fähiger machen, sollten angedacht und ausformuliert werden.

Der Workshop müsste zu Beginn des neuen HBS-Haushhaltsjahres im Spätherbst 2006/ Frühjahr 2007 stattfinden. Bei der Teilnehmerzusammensetzung sollten – neben dem HK - wissenschaftliche Expert/innen sowie Kolleg/innen aus den internationalen Abteilungen der Gewerkschaften sowie aus NGO’s gewonnen werden. Dies kann auch zu der angestrebten Neurekrutierung von Mitgliedern des HK dienen.

 

 

Perspektiven der weiteren Arbeit des HK (Abschlussdiskussion)

 

In der Schlussrunde wurden eine Reihe von Vorschlägen zur Weiterarbeit des Hattinger Kreises sowohl in thematischer wie in struktureller Hinsicht diskutiert.

Im Ergebnis der ausführlichen Erörterung kam es zu folgender Konsensbildung:

 

Das Organisationsentwicklungsprojekt mit der IG Metall Bremen wird von der bislang daran beteiligten Gruppe ( Ute Buggeln, Werner Fricke, Ulrich Mückenberger, Margareta Steinrücke, Eberhard Schmidt) weitergeführt. Eine Rückkoppelung mit dem gesamten Hattinger Kreis erfolgt, sobald  entsprechende Ergebnisse vorliegen.

 

Der nächste workshop , vorgesehen für den 14./15. 9.2006, in Hattingen oder in Frankfurt,  wird sich in einem ersten Teil der Evaluation der Debatte des HK um das Organisationslernen von Gewerkschaften widmen, anschließend soll die Umsetzung der notwendigen Organisationsveränderung des HK besprochen werden und in einem dritten Teil  die Arbeitstagung mit internationaler Beteiligung (Arbeitstitel: Protektionismus versus Solidarität, oder: Union renewal), ggffs. unter Hinzuziehung externer Experten vorbereitet werden. Diese Tagung kann frühestens März/April 2007 stattfinden (s.dazu Bericht der AG 3).

 

Die im Protokoll enthaltenen Papiere der Berichterstatter aus den AG des workshops sollen zwischenzeitlich zirkulieren und diskutiert werden, um die weiteren workshops und die  thematische Arbeit zu planen.

 

 Im Hinblick auf die strukturelle Veränderung des Kreises wurde vorgeschlagen: 

 

a) Jedes Mitglied des HK  wird gebeten, drei weitere potentielle Mitglieder persönlich anzusprechen und zur aktiven Mitarbeit anzuregen (Namen  mit email-Adressen bis 15.4.06 an eberhard.schmidt@nord-com.net)

 

b) Die Promovendenkartei der HBS wird auf geeignete Kandidaten/innen durchgesehen werden (Kontakt mit Werner Fiedler durch Frank),

 

c) Ebenso die Liste der Vertrauensdozenten/innen (Vorsortierung durch Frank).

 

d) HBS-Projekte sollen auf thematische Nähe zu unseren Vorhaben untersucht werden (alle mögen den FID der HBS konsultieren, Frank gibt Hinweise),

 

e) Im Anhang zu diesem Protokoll wird eine aktuelle Mitgliederliste versandt.

 

f) Die Tagungsorte sind zentraler und wechselnd zu wählen.

 

g) Ob ein Steuerungskreis unter Beteiligung von Gewerkschafter/innen eingerichtet werden soll, wird auf dem nächsten workshop noch einmal diskutiert. Dagegen spricht zunächst die hohe Terminbelastung der  Gewerkschafter/innen. Auf jeden Fall sollen sie künftig von den Terminen und der TO der Bremer Vorbereitungsgruppe informiert werden.

 

h) Die Öffentlichkeitsarbeit des HK soll durch engere Zusammenarbeit mit der HBS verbessert werden. Zu denken ist an eine Neugestaltung und Anbindung der homepage an die HBS, einen eigenen newsletter und die  Information der gewerkschaftlichen Medien (dazu wird Eberhard demnächst in Düsseldorf ein Gespräch mit Frank und den Verantwortlichen führen). Genutzt werden sollte auch die Infrastruktur der 19 Kooperationsstellen (Angebot v. Harald Büsing, Oldenburg). In diesem Kontext wurden auch lokale/regionale events des HK jenseits von workshops angedacht.

 

 

Protokoll: Eberhard Schmidt, 27.2.2006

 

Anhänge

Information zum Stand des Bremer Projekts

Adressenliste des Hattinger Kreises

 

 

Informationen zum Stand des Bremer Projekts

 

Ute Buggeln

Hamburg, den 22.02. 2006

 

 

Bericht über die Entwicklung des Projektes „Dialogkonferenz“

mit der IG-Metall Verwaltungsstelle Bremen

 

Seit September 2005 finden zwischen Vertreter/-innen des Hattinger Kreises und dem Bevollmächtigten der IG-Metall Verwaltungsstelle Bremen, Dieter Reincken, Gespräche über die mögliche Umsetzung einer Dialogkonferenz statt.

Nach einer ersten Darstellung der Projektidee auf einer Sitzung mit den politischen Sekretären /Sekretärinnen durch Vertreter/-innen des Hattinger Kreises im Dezember 2005 und der Besprechung in einer Ortsverwaltungssitzung in Bremen Anfang Februar 2006, erklärte sich Dieter Reincken bereit, dieses Projektvorhaben in seiner Verwaltungsstelle umzusetzen. Die Dialogkonferenz wird nach der Tarifrunde, in der zweiten Hälfte dieses Jahres, stattfinden.

 

Zielsetzung:

Dieses Projektvorhaben zielt kein neues Arbeitsfeld im Rahmen der bestehenden Verwaltungsstellenarbeit an. Vielmehr soll die Perspektive eröffnet werden, den täglichen Arbeitsprozess unterschiedlicher hauptamtlicher und ehrenamtlicher Akteure zu reflektieren und die Erfahrungen aus der sowie die Anforderungen an die Verwaltungsstellenarbeit in einem übergeordneten dialogischen Prozess zusammenzuführen und (erweiterte) Handlungsoptionen für die zukünftige Arbeit zu entwickeln. Es wird - einen gelungen Verlauf der Dialogkonferenz vorausgesetzt - von einer zwei- bis dreijährigen Projektlaufzeit ausgegangen.

 

Voraussetzungen:

Zur erfolgreichen Durchführung des Projektes wird die Bereitstellung einer Vor-Ort-Person durch die Verwaltungsstelle Bremen als Voraussetzung angesehen. Diese hat die Aufgabe eines sogenannten „Kümmerers“ – ist also über den gesamten Projektprozess Ansprechpartner/-in für die Beteiligten, hat den Überblick über den laufenden Ergebnis- und Diskussionsstand und muss bei Schwierigkeiten entsprechend eingreifen. Wichtig ist dabei die Gewährleistung einer kontinuierlichen und auf den Verlaufsprozess stabilisierend wirkenden Koordinations- und Kommunikationsarbeit, die den direkten Kontakt zum Bevollmächtigen jederzeit mit einschließt. Die dafür benötigte Arbeitszeit wird in der Anfangsphase auf ca. 10 Stunden pro Woche eingeschätzt und reduziert sich im weiteren Verlauf auf ca. 8 Stunden pro Woche.

Es ist unwahrscheinlich, dass diese Aufgaben in Gänze von einer politischen Sekretärin / einem politischen Sekretär übernommen werden können. Vielmehr wird eine hochmotivierte ehrenamtliche Person von der Verwaltungsstelle gesucht, die über entsprechende Zeitressourcen verfügt. Denkbar wäre auch ein Kombimodell, in dem eine politische Sekretärin / ein politischer Sekretär verantwortlich erklärt wird und mit einer ehrenamtlichen Person diese Aufgaben gemeinsam abstimmt. Dies ist bisher noch eine offene Frage und wird von der Verwaltungsstelle Bremen noch zu klären sein .

 

Demgegenüber verpflichtet sich der Hattinger Kreis zu einer aktiven Teilnahme an der Umsetzung des Projektes – sowohl in kontinuierlicher, wie auch in diskontinuierlicher Form. Es werden aus dem Forum des Hattinger Kreises Personen kontinuierlich an dem gesamten Projektverlauf teilnehmen, um dialogische Prozesse zu initiieren, zusammenzufassen und auszuwerten, sowie den gesamten Projektverlauf beratend zu begleiten. Andere Personen des Hattinger Kreises werden sich nur zu bestimmten inhaltlichen Schwerpunkten an dem Umsetzungsprozess beteiligen.

 

Beide Seiten sehen als weitere Voraussetzung einer gelungenen Projektdurchführung die Bestandsaufnahme bestehender (innovativer) Arbeitsansätze und Aktivitäten der Verwaltungsstelle Bremen – quasi als Ist-Stand-Analyse.  Diese muss der Dialogkonferenz zeitlich vorgelagert sein. Bei dieser Bestandsaufnahme wird eine – die Bedingungen und Zielsetzungen berücksichtigende – Aufarbeitung (nicht Bewertung!) bestehender Verwaltungsstelleninitiativen angestrebt unter dem Fokus der Themenbereiche, der verfolgten Lösungsansätze, der möglichen Beteiligungsformen, der sich verändernden Fragestellungen und Erfahrungen in der täglichen Arbeit. 

 

Vorbereitungen:

In der nächsten Zeit werden weitere Planungsgespräche zwischen der Verwaltungsstelle und den Vertreter/-innen des Hattinger Kreises anvisiert, die der thematischen, organisatorischen und zeitlichen Konkretisierung dienen. Folgende Fragen stehen zur Klärung an:

  • Welche Lösung für die Bereitstellung der Vor-Ort-Person wird favorisiert und welche Personen kommen dafür in Frage?
  • Wann soll die Dialogkonferenz in der Verwaltungsstelle stattfinden?
  • Wie wird der Ablauf der Dialogkonferenz aussehen? Welche (organisatorischen) Vorbereitungen sind von Seiten der Verwaltungsstelle dafür notwendig? Welche (inhaltlichen) Vorbereitungen müssen auf Seiten des Hattinger Kreises geleistet werden?
  • Wie ist die Zusammensetzung der Konferenzteilnehmer/-innen einzugrenzen?
  • Welchen thematischen Stellenwert kann/soll das laufende Kooperationsprojekt zwischen der Verwaltungsstelle Bremen und Bremerhaven in der Dialogkonferenz einnehmen?
  • Wie könnte die finanzielle Konstruktion des Projektes bzw. einzelner Umsetzungsschritte aussehen?